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Das deutsche Wohlstandsmodell ist Vergangenheit

Published On: 3. September 2022 18:10

Das Versprechen Ludwig Erhards – Wohlstand für alle –, das über Jahrzehnte zur Selbstverständlichkeit im deutschen Gemüt geworden war, ist im Herbst 2022 dabei, sich aufzulösen. Die Annahme, die Wirtschaft könne jeder umweltpolitischen Narretei bedenkenlos ausgesetzt werden, erweist sich als Trugschluss.

IMAGO / United Archives

Eröffnung der 10. Deutschen Industrie-Ausstellung am Funkturm. Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard mit Bürgermeister Willy Brandt auf einem Rundgang durch die Ausstellungshallen, Berlin 1959

Es war einmal eine Zeit, da gab es ein vom Krieg völlig zerstörtes Land, mit Elend, Hunger und Not! Da traten zwei Männer aus dem Nebel der Geschichte hervor. Der eine stammte aus Köln, war sehr hager und schon sehr alt, und er sagte zu seinem Volk: „Et kütt wie et kütt. Et hätt noch emmer joot jejange.“ Der andere stammte aus Fürth, war dick, rauchte ständig Zigarren, und wurde der erste Wirtschaftsminister der jungen Bundesrepublik Deutschland. Und er schrieb ein Buch, in dem er den Menschen versprach: „Wohlstand für alle“.

Und die Leute glaubten ihm und seinem Versprechen, schafften emsig, bauten auf und schufen ein richtiges Wirtschaftswunder mit schier endlosem Wachstum und Wohlstandsmehrung über viele Jahrzehnte. Aber es kam, wie es kommen musste: Als dann der Wohlstand für alle schließlich da war, traten gutmeinende Menschen auf den Plan, die sagten: „Euer Wohlstand ist nicht nachhaltig, ihr verbraucht mehr Ressourcen der Erde, auf der ihr lebt, als nachwachsen oder überhaupt nachwachsen können, ihr müsst eure Produktions- und Lebensweise nachhaltig ändern. Euren Wohlstand aber sollt ihr behalten!“

Und die Leute freuten sich und sagten: „Ja, so ist es, das wollen wir haben, einen unverändert hohen aber in Zukunft gesunden und nachhaltigen Wohlstand.“ – Alles auf Bio-Basis quasi!

Und wenn sie zwischenzeitlich nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Allerdings mit bösem Erwachen aus dem Bio-Traum. Plötzlich erkannten sie, das stimmt ja alles gar nicht, das mit dem nachhaltigen grünen Wohlstand. Putin und sein Krieg, Inflation und explodierende Energiekosten zogen den Stecker am Wohlstandsgenerator, das einstige Versprechen vom „Wohlstand für alle“ endete jäh und ohne Vorwarnung.

Das ist die Lage des Volksheim Deutschland im Herbst 2022. Und die Lage ist ernst. Um Vorurteilen von vornherein zu begegnen: Es ist nicht Absicht des Autors, die Heerschar von Pessimisten und professionellen Schwarzmalern und -sehern, die abends die Talkshows bevölkern und die Gazetten füllen, personell zu verstärken. Aber selbst für einen altgedienten Ökonomen sind die Zeichen an der Wand in ihrer Vielfalt neu – und bedrohlich.

Natürlich: Inflation und Ressourcenengpässe hat es in den letzen 70 Jahren schon immer gegeben, sie waren von außen vorgegeben als externe Öl- und sonstige Schocks. Nie aber waren diese Fehlentwicklungen und Mangellagen Ergebnis einer staatlichen Politik, bewusst riskiert oder blindlings aus einseitigen Motiven heraus herbeigeführt.

Das neue Elend hat eine Farbe: Grün

Im Vordergrund der Politik der letzten Regierungen sämtlicher Couleur – bis heute – stand auf Druck der grünen Ausrichtung der Gesellschaft zunehmend einzig und allein der Klima- und Umweltschutz. Der politische Fokus lag einseitig auf der nachhaltigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, weg von fossilen Energieträgern, Kunststoff und einer möglichst billigen Konsumversorgung der Menschen. Und hin zu Klimarettung und Gesundheit in Sicherheit. Alles sollte „bio“ sein und das, obwohl doch dabei immer die Masse der Gesellschaft insgeheim der Einstellung anhing: „Geiz ist geil!“

Das Volksheim Deutschland wollte es „hyggelig“ und gemütlich, warm, gesund und sauber haben, und das alles versprach die Politik willfährig. Getrieben von den grünen Idealisten, all das sei zum Nulltarif zu haben. Nachhaltige, saubere Energie: ja! Aber Windkrafträder, Stromautobahnen vor der Haustüre und Atomkraftwerke: nein! Und die Investkosten trägt der Staat über Staatsverschuldung – nach uns die Sündflut!

Die Quadratur des Kreises. Und die deutsche Demokratie mutierte, anders als zu Adenauers und Erhards Zeiten langsam, aber sicher zur Gefälligkeitsdemokratie, die, protestantisch eingefärbt „dem Volk aufs Maul schaute!“ Wie hieß es bei Willy Brandt als Wahlslogan: „Mehr Demokratie wagen!“ Und der „große“ Helmut Schmidt beschied alle, die in der Politik langfristige Lenkungsentwürfe und „Visionen“ wollten, zum Arzt zu gehen.

Lediglich der katholische Franz Josef Strauß, außerklerikal bis heute eine schillernde Persönlichkeit, forderte politische Führung und langfristige Leitlinien. Er brachte den Mut auf und sagte öffentlich, was er von dieser Liebedienerei vor dem Wahlvolk hielt. „Vox Populi, Vox Bovi“, oder auf Deutsch „Die Stimme des Volkes ist die Stimme eines Ochsen.“ Dafür hat Strauß aber auch nie Bäume umarmt oder die Vorratshaltung von Toilettenpapier kontrolliert.

Um an dieser Stelle keine Unklarheiten aufkommen zu lassen: Der Autor ist am gleichen Tag (nicht Jahr!) wie Churchill geboren. Dessen Bonmot ist bis heute Leitlinie in der Politik: „Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.“ Will sagen, die Demokratie ist laut Definition eine komplexe Staatsform mit einer Verfassung, die allgemeine persönliche und politische Rechte garantiert, mit fairen Wahlen und unabhängigen Gerichten. Das Zitat sagt sinngemäß, dass die Demokratie viele Mängel und Schwächen habe, aber von allen Staatsformen immer noch die beste sei (Wikipedia).

Inzwischen tritt in der Wohlstandsgesellschaft tiefe Ernüchterung und Frustration ein! In der Politik geht die Angst um vor „heißem Herbst“ und „Wutbürgern“ – wobei bei letzten in den Medien das Gendersternchen offenbar keine Rolle mehr spielt!

Es stellt sich immer deutlicher heraus, dass wenn in einer technologisch hochentwickelten und tief weltwirtschaftlich verflochtenen Volkswirtschaft mit hohem langanhaltend gewachsenem und hohem Sicherheits-, Komfort- und Lebensstandard die Politik auf breiter Front einem Irrtum unterlegen und einer Ideologie aufgesessen ist, sich hehre idealistische Klima- und Umweltschutz-Visionen und Zielsetzungen von gestern ohne nachhaltige Wohlstandsverluste und wirtschaftliche Kollateralschäden von heute nicht verwirklichen lassen. Jedenfalls nicht dergestalt, wie es die „grüne“ Politik den Wählern über Jahre eingeredet hat. Und nicht dergestalt, wenn die Durchsetzung politisch so stümperhaft und risikofremd gemacht wird, wie sie gemacht wurde.

„Das gesamte deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“, so der Historiker Andreas Rödder in der Welt am Sonntag. Deutschland steht im Herbst 2022 vor einem Scherbenhaufen, für den die Große Koalition über Jahre hinweg mit Energie- und Sicherheitspolitik die Fundamente gelegt hat, auf die die Ampelregierung mit noch ambitionierteren Transformationsplänen begonnen hat, das neu grüne „Volksheim Deutschland“ zu errichten. Und über Nacht durch Putins Krieg und die plötzliche Unterversorgung mit elementaren Energie- und Rohstofflieferungen, ohne die die auf Hochtouren laufende Wachstums- und Wohlstandsmaschine Volkswirtschaft Deutschland nicht mehr rund laufen kann.

Ein jäher Absturz aus dem deutschen Wohlstandsolymp droht! Das Versprechen Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“, das über viele Jahrzehnte zur Selbstverständlichkeit im deutschen Gemüt geworden war, ist im Herbst 2022 dabei, sich aufzulösen. Die Annahme, Wohlstand und Sicherheit seien ein Selbstverständnis, ein Selbstläufer geworden, die Wirtschaft könne jeder umweltpolitischen Narretei bedenkenlos ausgesetzt werden, erweist sich nun als Trugschluss. Und die grünen Vertreter dieser Politik werden als Traumtänzer demaskiert, die den realen Bezug zur Wirklichkeit verloren haben. Und müssen selber heute fossile Energie auf dem Weltmarkt für teures Geld einsammeln, die sie zuvor mit viel Geld abschaffen wollten. Herr, schmeiß’ Hirn …

Noch einmal hier zur Klarstellung: Die Umwelt- und Klimaziele für sich genommen sind wichtig und richtig! Und richtig und wichtig ist auch, dass die reiche Industrienation Deutschland sich dabei international mit an die Spitze setzte. Bei unverändertem Wohlstandsniveau selbstverständlich, so die unausgesprochene Prämisse.

Schon Metternich wusste, Politik ist eine Kunst. Und Kunst kommt von Können. In der deutschen Wirtschafts- und Energiepolitik wurden viele handwerkliche Fehler gemacht, von Können kann keine Rede sein. Grottenfalsch war vor allem, dass man in der Umweltpolitik, insbesondere der Energiepolitik den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht hat. Für eine hochentwickelte, extrem energieabhängige Volkswirtschaft ist das tödlich.

In Übernahme eines geflügelten Worts von Karl Schiller: „Stability beginns at home“ kann für Deutschland die Maxime nur heißen: „Energiesicherheit fängt zu Hause an!“ Und wenn nicht ganz „allein zu Hause“, dann jedenfalls in Kombination mit politisch und wirtschaftlich vergleichbaren Werte-Systemen, zum Beispiel Europa und den USA. Will man aus guten Gründen die Volkswirtschaft nachhaltig defossilieren und zum Beispiel den Verkehr auf Elektromobiliät und die Stromerzeugung auf Wind und Sonne umtransformieren, dann muss im ersten Schritt für eine ausreichende Versorgung mit „sauberer“ Energie gesorgt werden, als Ersatz für die entfallende schmutzige Energie aus Kohle- und Erdgaskraftwerken oder aus Atommeilern.

In Wirklichkeit hat die Politik Kohle- und Atomkraftwerke abgeschaltet, zum Teil mit milliardenschweren Entschädigungszahlungen an die Betreiber, und gleichzeitig zusätzliche Stromfresser als Elektroautos mit Prämien ins Netz gelockt, den Ausbau der Netze Bürgerprotesten geopfert, und sich für den Abbau der heimischen Stromerzeugung völlig auf eine steigende Versorgung mit Russengas und Atomstromimporten aus Frankreich verlassen. Ein Irrsinn in der Planungsabfolge! Keine schwäbische Hausfrau würde je auf die Idee kommen, für den Betrieb ihres Haushalts eine solche Fülle von Risiken einzugehen.

Sei wie es sei, wenn man vom Rathaus kommt, ist man klüger, als wenn man hineingeht. Das deutsche Wohlstandsmodell ist Vergangenheit. Es stand auf zwei Hauptsäulen:

1) Zunehmende Abhängigkeit von undemokratischen und autokratischen Systemen, so

  • von billigen Energieimporten überwiegend aus Russland (und anderswo);
  • zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit von China, so der Autoindustrie.

2) Übertragung des Aufwandes für äußere Sicherheit auf die USA und die Nato, ohne dass Deutschland einen Beitrag leistet.

Der deutschen Wohlstandsgesellschaft stehen schwierige Monate und Jahre bevor. Die Inflation rollt, die Energiepreise steigen weiter, Ende nicht absehbar; die Energieversorgung im Winter mit ausreichend Energie für die Industrie und warme Wohnstuben für alle ist keineswegs sicher. Die Lage würde weiter verschlimmert, wenn Atom- und Kohlekraftwerke, wie ursprünglich geplant, aus ideologischen Gründen abgeschaltet und dadurch die Mangellage in der Volkswirtschaft von der Angebotsseite her noch verschärft würde.

Die Gesellschaft geriete endgültig in die Zerreißprobe, müsste die Politik den Betrieb von Elektroheizgeräten aus Einspargründen drosseln oder verbieten und gleichzeitig würde sie aber zulassen, dass der Stromkonsum durch Elektroautos und deren staatlich geförderte weitere Verbreitung zusätzlich angeheizt wird. Oder die elektrische oder gasmäßige Beheizung privater Swimmingpools bliebe unangetastet. Oder, oder, oder … Und die Stuben von Rentnern blieben kalt. Mögen der Bild-Zeitung einschlägige Schlagzeilen erspart bleiben.


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