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Afrika: Angst vor einem Stellvertreterkrieg

Published On: 8. September 2022 9:04

Nanjala Nyabola: Weshalb Afrika zum Krieg in der Ukraine nicht klar Position bezieht, Foreign Affairs 5.9.2022

von KARENINA

Warum weigerten sich so viele afrikanische Länder, eine UN-Resolution zur Verurteilung Russlands wegen des Angriffskriegs in der Ukraine zu unterstützen? Der kenianische Autor Nanjala Nyabola nennt in Foreign Affairs klare Gründe „für die Zurückhaltung afrikanischer Länder, das westliche Narrativ über die Ukraine zu übernehmen“.

Afrika sei, erstens, ein riesiger, komplizierter und äußerst vielfältiger Kontinent; jedes der 54 Länder habe einzigartige Umstände und Geschichten sowie unterschiedliche Beziehungen zu Russland und dem Westen. „Es wäre unvernünftig – und herablassend – anzunehmen“, schreibt Nyabola, „dass sich die Führer des Kontinents schnell auf eine gemeinsame Position einigen könnten.“

Zweitens bestehe noch immer ein Machtungleichgewicht zwischen dem Westen und afrikanischen Ländern; historische Ungerechtigkeiten bestünden weiter, die Führer westlicher Nationen kehrten jedoch gewalttätige koloniale und neokoloniale Geschichten unter den Teppich, während afrikanische Länder sich weiterhin mit ihren Folgen auseinandersetzten.

Drittens: In der Covid-19-Pandemie hätten afrikanische Länder um Medikamente und Impfstoffe betteln müssen, die westliche Nationen millionenfach wegwarfen. „Sobald Russlands eigene Bemühungen, afrikanische Länder zu beeinflussen, hinzukommen, macht es die Geschichte für die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten schwierig, eine afrikanische Koalition gegen Moskau aufzubauen.“

Viertens: Und Moskau mischt sich in Afrika ein – nicht nur mit einer groß angelegten Desinformationskampagne, die den jungen Putin in den 1970ern in Mozambique bei Freiheitskämpfern zeigte. Dass dies eine Lüge war, spielt keine Rolle, das erfundene Szenario bediente afrikanische Beschwerden über das koloniale Erbe des Westens auf dem Kontinent. „Die Befreiungskriege in Afrika sind keine alte Geschichte“, schreibt Nyabola.

Im Gegenteil: Für viele afrikanische Länder war der Kommunismus eine Alternative zum westlichen Kolonialismus und Grundlage für die afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen des 20. Jahrhunderts. Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion nutze dieses Erbe und stelle sich als Partner dar, der auf der richtigen Seite der afrikanischen Geschichte stand.

Fünftens: Staaten wie Mali, Äthiopien und Uganda, die derzeit Russland zuneigen, verdankten ihr politisches Überleben der russischen Unterstützung. Russland sei Russland sei derzeit der größte Waffenlieferant auf dem afrikanischen Kontinent, und viele afrikanische Länder, die sich bei der UN-Abstimmung zur Verurteilung der russischen Aggression enthielten, erhielten militärische Unterstützung durch Söldnertruppen wie die Gruppe Wagner.

Sechstens: Afrikanische Staaten haben Lehren aus den langjährigen Stellvertreterkriegen zwischen der Sowjetunion und den USA während des Kalten Kriegs gezogen. Nyabola: „Das letzte Mal, als Afrikaner aufgefordert wurden, in einem Krieg zwischen West und Ost Partei zu ergreifen, wurden Länder verwüstet und Millionen von Menschen starben.“

Siebtens: Aus dieser Erfahrung heraus und mit Blick auf die Ukraine laute die entscheidende Frage vieler Afrikaner: Wo sind die Friedensstifter? „Abgesehen vom UN-Generalsekretär sehen sie nicht viele Beweise dafür, dass die führenden Politiker der Welt auf Deeskalation drängen“, meint Nyabola und fragt. „Ist ein Konflikt zwischen Russland und dem Westen nicht genau das Szenario, mit dem sich die internationale Diplomatie auseinandersetzen muss?“

Achtens: Das Zögern afrikanischer Länder, sich in den Krieg in der Ukraine hineinziehen zu lassen, sei auch dem tiefen Bewusstsein für den langfristigen Schaden geschuldet, den Kriege auf dem Kontinent angerichtet haben.

Nyabola schließt seine Überlegungen mit der Feststellung, dass es weder Russland noch dem Westen um Freundschaft gehe. Für beide sei Afrika nur Mittel zum Zweck. Wegen der großen Ungewissheit über den Krieg und seinen Ausgang bestehe die vorherrschende afrikanische Position darin, Frieden zu fordern und auf Diplomatie zu drängen und zu vermeiden, in einem Konflikt Partei ergreifen zu müssen, in dem Afrika wahrscheinlich nichts zu gewinnen habe, „insbesondere, wenn es den Kontinent in einen neuen Schauplatz eines Stellvertreterkriegs verwandelt“.  PHK

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