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Die 22. Konferenz der Shanghai Cooperation Organization 2022 in Usbekistan und ihre Bedeutung für „den Westen“

Published On: 19. September 2022 9:30

Am 15. und 16. September 2022 fand in Samarkand die Konferenz der Shanghai Cooperation Organization ( SCO) statt. Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping erklärte in seiner Rede vor dem Plenum der Konferenzteilnehmer: „China ist bereit, zusammen mit Russland die Rolle der Großmächte zu übernehmen und eine führende Rolle zu spielen, um einer von sozialen Unruhen erschütterten Welt Stabilität und positive Energie zu geben.“ Der nachfolgende Artikel befasst sich mit der Tagung und ihrer Bedeutung für „den Westen“ und darüber hinaus für eine mögliche neue Orientierung der gesamten Welt. Von Jürgen Hübschen.



Was ist die „Shanghai Cooperation Organization“?

Vorläufer der SCO war die „Shanghai 5 Gruppe“, die bereits 1996 gegründet wurde. Mit der Aufnahme Usbekistans wurde die Gruppe 2001 in SCO umbenannt.

Zu Beginn lag der Aufgabenfokus der SCO vor allem auf zentralasiatischen Problemen wie Grenzstreitigkeiten und regionalen militärischen Konflikten. Nach 2001 rückte die Terrorismusbekämpfung zunehmend ins Zentrum der gemeinsamen Aufgaben.

So wurde 2003 ein gemeinsames Zentrum zur Bekämpfung von Terrorismus in Shanghai eingerichtet. Auf dem SCO-Gipfel in Usbekistan, der vom 16. bis zum 17. Juli 2004 stattfand, beschloss die SCO, ein regionales Antiterrornetzwerk einzurichten als „Regional Antiterrorism Structure“ (RATS).

Seit Beginn der militärischen Operationen in Afghanistan und im Irak hat es sich die SCO zum Ziel gesetzt, ein Gegengewicht zum US-amerikanischen Einfluss in der Region zu bilden. Dazu gehört u.a. die Forderung nach Abzug der US-Truppen aus der Region. Ein Antrag der USA, einen SCO-Beobachterstatus zu erhalten, wurde 2005 abgelehnt.

Die SCO versteht sich als eine blockfreie Organisation, geprägt von Offenheit, ohne jede negative Einstellung gegenüber anderen Ländern oder Organisationen, Gleichheit und Respekt der Mitgliedsstaaten untereinander, Ablehnung jeder Art von Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder und Verhütung von politischer Konfrontation oder Rivalitäten.

Zur SCO gehören heute: China, Indien, Iran, Kasachstan, Kirgistan, Pakistan, Russland, Tadschikistan und Usbekistan. „Beobachterstatus“ haben Afghanistan, Mongolei und Weißrussland. Als „Dialogpartner“ werden bezeichnet: Armenien, Aserbaidschan, Kambodscha, Nepal, Sri Lanka und die Türkei. Sogenannte „Gastteilnehmer sind Turkmenistan, Vertreter der „Association of Southeast Asian Nations“ (ASEAN). Zu dieser Organisation gehören: Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam.

Nach Medienberichten hat der türkische Präsident Erdogan das Interesse seines Landes am Beitritt zur SCO bekundet. Ägypten, Katar und Saudi-Arabien wollen auf dem Gipfel in Samarkand offiziell „Dialog-Partner“ werden. Die Vereinigten Arabischen Emirate streben angeblich eine Vollmitgliedschaft in der SCO an. Auch Aserbaidschan, trotz seines Status als neuer strategischer Erdöl-Partner der EU, soll eine Mitgliedschaft anstreben. Aktuell kommt es immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen mit Armenien, das ja ebenfalls ein „Dialogpartner“ der SCO ist.

Die Mitgliedsstaaten der SCO vereinen knapp 40 Prozent der Weltbevölkerung und repräsentieren zirka 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.

Das 22. Gipfeltreffen der SCO

Welche Länder außer den neun Staats-und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten an der Konferenz teilgenommen haben, ist auf Grund der wenig umfassenden Berichterstattung in den westlichen Medien nicht genau bekannt. Angeblich sollen es insgesamt 14 gewesen sein. Es steht lediglich fest, dass der türkische Präsident Tayyip Erdogan und der Regierungschef Weißrusslands, Alexander Lukaschenko, dabei gewesen sind.

Der Gastgeber des Treffens, der Präsident Usbekistans, Shavkat Mirziyoyev, hatte vor Konferenzbeginn die Schwerpunkte der Tagung bekanntgegeben, nämlich: Stärkung der Bedeutung der SCO, Sicherstellung von Frieden und Stabilität in der Region, Bekämpfung der Armut, Stärkung der interregionalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Abbau aller Handelsbarrieren mit Hilfe von technischen Verfahren und Digitalisierung. Wie bei allen Konferenzen gab es neben Reden im Plenum viele bilaterale Gespräche, die aber nur teilweise bekanntgemacht wurden.

Die dominante Persönlichkeit des Treffens war der chinesische Staatschef Xi Jinping. Nach seiner Reise nach Myanmar im Jahr 2020 war seine Teilnahme an der Konferenz in Samarkand – corona-bedingt – sein erster Auslandsaufenthalt nach mehr als zwei Jahren. Man könnte sagen, es war „die sichtbare Rückkehr Chinas auf die Weltbühne“, sicherlich auch, um seine Position vor den Wahlen für eine mögliche dritte Amtszeit im Oktober 2022 zu stärken. Vor seiner Teilnahme an der SCO-Tagung war Präsident Xi nach Kasachstan gereist, in ein Land, das in deutlicher Distanz zu Russland agiert. Der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew hatte im Juni 2022 auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg klargemacht, dass er Russlands Anerkennung der ostukrainischen Gebiete Lugansk und Donezk ablehnt. Außerdem will sich das Land an die von der EU verhängten Sanktionen halten und hat der EU sogar angeboten, bei der Energieversorgung zu helfen. Das russische Kriegssymbol „Z“ hatte Tokajew verboten. In Kasachstan hatte Präsident Xi 2013 seine „Neue Seidenstraße Initiative“ verkündet. Das Land ist wegen seiner Rohstoffe und Sicherheitsfragen um die angrenzende chinesische Region Xinjiang (dort lebt unter anderem die muslimisch geprägte Volksgruppe der Uiguren) für Peking ein bedeutender Nachbarstaat.

Auf der Konferenz in Samarkand führte Xi wichtige bilaterale Gespräche, hielt aber auch eine Rede vor dem Plenum. Darin forderte er die Mitglieder der SCO auf, ihre Zusammenarbeit zu verstärken, und rief die Länder dazu auf, ihre gegenseitigen Kerninteressen und gewählten Entwicklungspfade zu respektieren. Xi Jinping sprach sich für das Prinzip der Gleichbehandlung aus:

Die Großen dürfen nicht die Kleinen schikanieren, die Starken nicht die Schwachen”.

Gegenwärtig sei die Welt alles andere als friedlich. Das Ringen zwischen Einheit und Spaltung, Zusammenarbeit und Konfrontation werde stärker. Er rief die Mitgliedsstaaten auf, ihre Sicherheitskooperation auszubauen. Terroristischen und extremistischen Kräften sollte die Möglichkeit genommen werden, die regionale Sicherheit zu stören. Xi forderte die teilnehmenden Staats- und Regierungschefs auf, sich dafür einzusetzen, dass sich „die internationale Ordnung in eine gerechtere und vernünftigere Richtung entwickelt“. Er warnte zudem vor Volksaufständen und Einmischung aus dem Ausland:

„Wir müssen ausländische Kräfte daran hindern, ‚Farbenrevolutionen‘ anzuzetteln.“

Es sei an der Zeit, die internationale Ordnung neu zu gestalten und das „Nullsummenspiel und die Blockpolitik aufzugeben“. Der Handel müsse unterstützt und erleichtert werden. Zugleich warb Xi Jinping für die Infrastruktur-Initiative zum Bau einer „Neuen Seidenstraße“. Er rief die Mitglieder der Organisation zum Kampf gegen den Drogenschmuggel, andere grenzüberschreitende Verbrechen und die „drei bösen Kräfte“ auf: Terrorismus, Separatismus und religiösen Extremismus. China sei bereit, 2.000 Strafverfolgungsbeamte aus den SCO-Mitgliedsstaaten auszubilden und ein Trainingszentrum für den Anti-Terror-Kampf einzurichten. Um der Not in der Welt zu begegnen, werde China bedürftigen Entwicklungsländern Nahrung und humanitäre Hilfsgüter im Wert von 1,5 Milliarden Yuan, umgerechnet 214 Millionen Euro, zur Verfügung stellen, kündigte Xi Jinping ferner an.

In seiner Rede sagte Xi Jinping weiter, dass die SCO-Organisation ausgebaut und verbessert werden sollte. Weitere Länder sollten ihr beitreten.

Das chinesisch-russische Verhältnis

Das sicherlich wesentlichste bilaterale Gespräch auf dieser Konferenz fand zwischen Präsident Xi und seinem russischen Amtskollegen Putin statt, bei dem Xi den russischen Präsidenten „einen alten Freund“ nannte. Parallel zur SCO-Konferenz fand im Pazifik ein gemeinsames Manöver Chinas und Russlands statt. Im Vorfeld des Gipfels hatte Chinas Staatsoberhaupt Xi Jinping die „umfassende strategische Partnerschaft“ mit Russland gelobt, die sich nach seiner Sichtweise auf dem richtigen Weg befände und nicht nur den Menschen beider Länder, sondern auch Frieden, Stabilität und Wohlstand in der Region diene, wie die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua ihn zitierte.

China hatte sich in den vergangenen Monaten bezüglich der Haltung zum Ukraine-Krieg – im Gegensatz zum Westen – diplomatischer Mittel bedient. Zum einen vermied die Volksrepublik Kritik an Russland und bezeichnete den Krieg in der Ukraine nicht als solchen, zum anderen hielt sie sich aber betont zurück, was als eine direkte Unterstützung Russlands hätte interpretiert werden können. Peking rief alle Beteiligten zu einer Einstellung der Feindseligkeiten auf, statt durch Waffengewalt solle durch Dialog ein Weg gefunden werden, der die „legitimen Sicherheitsinteressen“ aller Konfliktparteien aufeinander abstimme, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning und betonte:

Die internationale Gemeinschaft sollte auch daran arbeiten, die Bedingungen und den Raum dafür zu ermöglichen.“

Xi und Putin hatten sich zum letzten Mal persönlich am Rand der Olympischen Winterspiele in Peking getroffen. Damals hatte Xi dem russischen Präsidenten „grenzenlose Partnerschaft“ versprochen. Bei einem kürzlichen Besuch in Moskau sagte der chinesische Parlamentschef Li Zhanshu, Pekings protokollarische Nr. 3, China unterstütze Russlands Interessen, „insbesondere in der Lage in der Ukraine.“ Russland habe in der Ukraine „zum Schutz seiner nationalen Interessen zurückgeschlagen.“ Peking gibt Moskau im Ukraine-Krieg Rückendeckung, hat ihn nie offiziell verurteilt und stellt die USA und die NATO als die Hauptschuldigen dar. Im Gegenzug positioniert sich Russland in der Taiwan-Frage hinter China.

Zu Beginn des bilateralen Treffens erwähnte der chinesische Präsident den Krieg in der Ukraine überhaupt nicht. Im späteren Verlauf des Gespräches wurde das Thema natürlich behandelt, wobei Xi mit Rücksicht auf Putin, wie bereits erwähnt, den Begriff „Krieg“ nicht gebrauchte. Über eine mögliche militärische Unterstützung wurde nicht gesprochen. Präsident Putin hob die ausgewogene Position Chinas zur Situation in der Ukraine ausdrücklich hervor und sagte wörtlich:

Wir schätzen die ausgewogene Haltung unserer chinesischen Freunde in der Ukraine-Krise. Wir verstehen aber auch Ihre diesbezüglichen Fragen und Bedenken.“

Russland und China pflegen offensichtlich eine „Win-Win-Partnerschaft“. China kompensiert für Russland einige westliche Sanktionen durch Lieferung dringend benötigter Komponenten wie z.B. Mikrochips. Im Gegenzug exportiert Russland Gas und Öl zu günstigen Konditionen nach China. Am Rande der Tagung erklärte der russische Energieminister Alexander Nowak in diesem Zusammenhang die aktuellsten Entwicklungen im Gas-Export nach China.

Durch „Kraft Sibiriens 1“ fließt bereits seit 2019 Gas von Jakutien nach China. Die Pipeline soll bis 2024 ihre volle Kapazität erreichen. Dann sollen 61 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr durch diese Leitung fließen, 38 Milliarden Kubikmeter davon nach China.

Jetzt will Russland zusätzlich das Erdgas, das es bislang nach Europa verkauft hat, künftig nach China leiten. Es handelt sich dabei jährlich um 50 Milliarden Kubikmeter Gas. Die Verträge würden in Kürze unterzeichnet. Die geplante Pipeline „Kraft Sibiriens 2“ werde dabei die Ostseepipeline „Nord Stream 2“ ersetzen.

Der russische Energieminister kündigte zudem den Bau einer weiteren Leitung in den Norden Chinas an. Sie solle in Wladiwostok starten und etwa zehn Milliarden Kubikmeter Gas nach China bringen. In den erst acht Monaten 2022 ist der Warenhandel zwischen China und Russland auf knapp 120 Milliarden Dollar gestiegen; im gesamten Jahr 2021 waren es 150 Milliarden. China bezahlt Russland teilweise in chinesischer Währung, dem Yuan.

Nach dem Treffen der beiden Staatschefs veröffentlichte China ein Statement, in dem es u.a. hieß:

China ist im gegenseitigen Interesse zur Unterstützung in besonders wichtigen Gebieten bereit.“

Das Statement wurde vermutlich auch deshalb eher allgemein gehalten, weil Russland nur 2,4 Prozent des chinesischen Außenhandels ausmacht, aber der Export in die USA bei 12,5 Prozent liegt.

Das chinesisch-indische Verhältnis

Der chinesische Präsident führte auch ein bilaterales Gespräch mit dem indischen Regierungschef Narendra Modi. Es war das erste Zusammentreffen der Beiden seit den Kämpfen zwischen Soldaten der beiden Länder an der strittigen Grenze um das Gebiet Ladakh im Himalaja im Jahr 2020. Aktuell herrscht offensichtlich Ruhe in diesem Gebiet. Am 12. September diesen Jahres hatte das indische Außenministerium erklärt, dass sich die indischen und chinesischen Soldaten aus dem Grenzbereich zurückziehen würden, was auch am 13. September 2022 geschehen ist und von China bestätigt wurde. Erstmalig hatten sich Xi und Modi auf der Konferenz der BRICS-Staaten 2019 in Brasilia getroffen.

Indien und China haben zusammen 2,8 Milliarden Einwohner. Nach einem Bericht des Internationalen Währungsfonds hat die indische Wirtschaft Großbritannien mittlerweile überholt und liegt derzeit auf Platz 5 der Weltwirtschaftsmächte. Die USA stehen immer noch auf Platz 1, gefolgt von China auf Platz 2, Japan auf Platz 3 und Deutschland auf Platz 4.

Es gibt mittlerweile zunehmende wirtschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Ländern. So ist z.B. der indische Smartphone-Markt fest in chinesischer Hand.

Das chinesisch-pakistanische Verhältnis

Bei seinem bilateralen Treffen mit dem pakistanischen Regierungschef Shehbaz Sharif erklärte Präsident Xi, trotz der Veränderungen in der internationalen Situation seien „China und Pakistan strategische Partner mit gegenseitigem Vertrauen“. Beide Seiten sollten ihre gegenseitige Unterstützung kontinuierlich festigen und die Verbindung ihrer Entwicklungsstrategien vertiefen. In diesem Zusammenhang solle die Rolle des gemeinsamen Komitees des bilateralen Wirtschaftskorridors völlig zur Geltung gebracht werden, um einen zügigen Aufbau und Betrieb der Großprojekte zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit bei Industrie, Landwirtschaft, Wissenschaft und Technologie sowie Gesellschaft solle ausgebaut werden, um dem Wirtschaftskorridor neue Impulse zu verleihen. Pakistan solle die Sicherheit der chinesischen Bürger und Institutionen gewährleisten sowie die legitimen Rechte und Interessen der Unternehmen garantieren. Zudem sollten beide Seiten die Konsultationen und die Koordinierung bei multilateralen Plattformen wie den Vereinten Nationen und der SCO verstärken sowie die gerechte Stimme der Entwicklungsländer zur Ablehnung von Blockkonfrontation und der Wahrung des Multilateralismus verkörpern, so der chinesische Staatspräsident.

Russland

Nach dem chinesischen Präsidenten Xi war der russische Präsident Putin sicherlich der wichtigste Teilnehmer der Konferenz.

In seiner Rede im Plenum trat Präsident Putin, wie zuvor schon der chinesische Präsident, für eine neue multipolare Weltordnung ein. Putin sagte u.a. wörtlich:

„Die wachsende Rolle neuer Machtzentren, die miteinander kooperieren, wird immer deutlicher.“

Zugleich verurteilte er „Instrumente des Protektionismus, illegale Sanktionen und wirtschaftlichen Egoismus“. Putin rühmte den wachsenden Einfluss nicht-westlicher Länder. Die SCO sei heute die größte regionale Organisation und offen für neue Mitglieder. Er warf dem Westen einmal mehr Fehler vor und sagte, dass die Welt eine Transformation durchmache, die „unumkehrbar“ sei.

Putin kritisierte die gegen Russland verhängten Sanktionen: Er unterstrich auch, dass diese verhindern würden, dass sich Russland aktiv an der Lösung weltweiter Probleme beteiligen könnte. Er rief vor allem die UN dazu auf, mit der Europäischen Union in den Dialog zu treten:

„Ich habe Herrn Guterres vorgestern mitgeteilt, dass sich in den Seehäfen der Europäischen Union 300.000 Tonnen russische Düngemittel angesammelt haben. Wir sind bereit, sie kostenlos in Entwicklungsländer zu schicken. Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass Russland die Getreideexporte auf die Weltmärkte erhöht.“

Bei seiner Pressekonferenz zum Abschluss des Gipfels kündigte der russische Präsident weitere militärische Operationen in der Ostukraine an:

„Unsere Offensivoperationen im Donbass werden nicht ausgesetzt, sie gehen in geringem Tempo voran.“

Das russisch-indische Verhältnis

Wie der chinesische Präsident, so führte auch Präsident Putin bilaterale Gespräche, über die allerdings nur eingeschränkt berichtet wurde. Neben dem indischen Premier und dem türkischen Präsidenten gab es auch Treffen zwischen Putin und seinen Kollegen aus dem Iran und aus Pakistan.

Präsident Putin traf den indischen Premier Modi zu einem bilateralen Gespräch. Indien ist mittlerweile der größte Öl-Kunde Russlands, und es ist bekannt, dass Indien das zu einem „Freundschaftspreis“ gekaufte russische Öl mit erheblichem Gewinn auf dem Weltmarkt weiterverkauft und so auch zum Teil das gegen Russland verhängte Embargo unterläuft. Viele Düngemittel Indiens stammen ebenfalls aus Russland und die indische Armee ist zu 60 Prozent mit russischen Waffensystemen ausgerüstet. Trotzdem erlaubte sich der indische Premier Kritik am russischen Präsidenten. Zur Situation in der Ukraine sagte der indische Premier nach einem Bericht des indischen Senders „Doordashan“, jetzt sei „nicht die Zeit für einen Krieg“. Modi forderte zwar ein Ende der Kampfhandlungen, aber seine Regierung scheute bislang davor zurück, den russischen Einmarsch in die Ukraine zu verurteilen.

Putin erwiderte, Russland werde sein „Bestes tun, um die Spezialoperation so schnell wie möglich zu beenden“.

Das russisch-iranische Verhältnis

Durch die Aufnahme des Iran als Vollmitglied der SCO wurde nicht nur die Position des Irans, sondern auch die Bedeutung der Organisation deutlich gestärkt.

Irans Präsident Ebrahim Raisi sagte, Iran wolle mit der Mitgliedschaft Teil einer fairen und ausgewogenen Weltordnung sein. Den USA machte Raisi gleichzeitig schwere Vorwürfe, indem er sagte:

Unsere Region hat in den vergangenen Jahrzehnten den bitteren Geschmack ausländischer Interventionen gekostet – und das Resultat war nichts als die Erschaffung von Terrorismus und Verbreitung von Unsicherheit.“

Der Iran sei bereit, eine wirksame Rolle bei der Sicherstellung der Energieversorgung einzunehmen. Es ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern ausgebaut werden und die militärische Zusammenarbeit verstärkt wird. So wuchs nach Moskauer Angaben der Handel zwischen Russland und dem Iran im ersten Halbjahr um 40 Prozent. Politisch wie militärisch steht der Iran an der Seite Russlands, auch im Krieg gegen die Ukraine. Immer wieder wird berichtet, der Iran liefere Drohnen an Russland.

Die Türkei

Die Türkei will nach Angaben von Präsident Recep Tayyip Erdogan der SCO beitreten. Der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge sagte Erdogan nach dem Gipfeltreffen der Organisation im usbekischen Samarkand, die Türkei wolle bei dem Treffen im kommenden Jahr eine Mitgliedschaft erörtern. Sein Land habe „historische und kulturelle“ Verbindungen zum asiatischen Kontinent und wolle eine Rolle in der Organisation spielen, deren Mitglieder zusammen „30 Prozent der Weltwirtschaftsleistung“ ausmachten.

Im Fall eines Beitritts wäre die Türkei das erste Mitglied der Gruppe, das gleichzeitig auch der NATO angehört. Erdogan wirft der NATO und der EU mangelnde Unterstützung seines Landes vor, vor allem die Beziehungen zum EU-Nachbarn Griechenland sind angespannt.

Das russisch-türkische Verhältnis

Das Gespräch zwischen den beiden Präsidenten fand erst nach Abschluss der Konferenz statt.

Der türkische Präsident Erdogan verurteilt zwar den russischen Angriff auf die Ukraine, lehnt aber die Sanktionen gegen Russland ab, weil er Europa und den USA eine Mitschuld an der Eskalation gibt. Erdogan machte bei seinem Gespräch in Samarkand keinen Hehl daraus, die Zusammenarbeit mit Russland zu vertiefen. Die türkischen Ausfuhren nach Russland legten im August 2022 trotz der Sanktionen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 90 Prozent zu, wie aus den Zahlen des türkischen Exporteur-Verbandes „TIM“ hervorgeht; Tendenz weiter steigend.

Ein Thema des Gesprächs zwischen Putin und Erdogan war das Getreideabkommen. Putin bedankte sich für die Vermittlung der Türkei beim Abschluss der Vereinbarung und lobte Ankara als einen seiner zuverlässigsten Handelspartner. Das Abkommen müsse aber nachgebessert werden, weil zu wenig Schiffsladungen in die Länder gehen, in denen die Bevölkerung Hunger leidet. Erdogan hatte dem zugestimmt. Der türkische Präsident bekundete einmal mehr seinen Willen, bei der Ausfuhr ukrainischen Getreides zu vermitteln – denn das bereits bestehende Abkommen läuft nur noch bis Ende Oktober. “Wir führen eine sehr produktive Zusammenarbeit mit interessierten Parteien und den UN, um den Export von ukrainischem Getreide durch das Schwarze Meer sicherzustellen. Wir bemühen uns, darauf zu achten, dass das ukrainische Getreide unsere Brüder und Schwestern erreicht – vor allem in Afrika und besonders diejenigen, die es dringend brauchen”, sagte Erdogan.

Auch der russische Gasexport wurde besprochen. Erdogan forderte – in gewisser Weise analog zum Getreideabkommen – eine Zusammenarbeit mit der UNO, um den Krieg zu beenden.

The „Samarkand Declaration of the Council of Heads of States of the SCO”

In der Schlusserklärung der 22. Konferenz der SCO auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs wurde u.a. festgehalten, dass die Welt vor großen Herausforderungen und auch Änderungen steht, denen nur mit einer multipolaren und demokratischen neuen Ordnung begegnet werden kann. Auf diesem Weg muss jedem Land seine nationale Souveränität, seine Unabhängigkeit und territoriale Integrität zugesichert werden. Jedes Land hat das Recht auf seinen eigenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Weg, um dieses Ziel zu erreichen.

Eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes wird abgelehnt und Konflikte sollen politisch und auf diplomatischem Wege gelöst werden. Terrorismus, Separatismus und Extremismus werden verurteilt und eine weltweite Abschaffung aller Nuklearwaffen wird gefordert.

Bewertung

Nach der 10. Internationalen Moskauer Sicherheitskonferenz vom 16. bis 18. August 2022, der Übung „Wostock22“ vom 01. bis 05. September 2022 im Osten Russlands und dem „Eastern Economic Forum“ vom 05. bis 08. September 2022 in Wladiwostok ist das Treffen der Staats- und Regierungschefs der SCO am 15. und 16. September 2022 in Samarkand bereits das vierte Treffen, an dem neben Russland und einigen asiatischen Ländern auch die beiden globalen Schwergewichte China und Indien teilgenommen haben. Zählt man das 14. Treffen der BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika dazu, das am 23. Juni 2022 in Brasilia – allerdings nur virtuell – ausgetragen wurde, sind es in diesem Jahr bereits fünf Zusammenkünfte, an denen sich mit China, Indien und Russland die drei Schwergewichte im indisch-pazifischen Raum getroffen haben. Nimmt man noch das Treffen der Außenminister der SCO vom 29. und 30. Juli 2022 in Taschkent dazu, sind es bereits fünf Meetings gewesen, an denen die Staaten teilgenommen haben, die zukünftig den Kern einer neuen multilateralen Weltordnung bilden könnten.

Der russische Präsident Wladimir Putin und der chinesische Staatschef Xi Jinping haben auf dem Gipfeltreffen der SCO erneut eine grundsätzliche Einigkeit demonstriert, der sich Indien und Iran unter Berücksichtigung ihrer nationalen Interessen offensichtlich anschließen. Damit ist ein Machtblock entstanden, den „der Westen“ nicht länger ignorieren sollte und nicht darf, weil sich dadurch die Weltordnung insgesamt ändert und zwar zu Ungunsten der USA und Europas. Natürlich gibt es innerhalb der SCO und den ihr nahestehenden Staaten auch Differenzen, die aber offensichtlich nicht unüberbrückbar sind, weil die SCO letztlich, wie auch die EU, eine Zweckgemeinschaft ist. So gibt es immer wieder auch militärische Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan oder auch Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan. Vor allem muss klar festgestellt werden, dass einige Aussagen Chinas und Russlands und auch Passagen in der Schlusserklärung von Samarkand offensichtlich nur Lippenbekenntnisse sind. Das gilt besonders für die Statements, dass man die Souveränität und territoriale Integrität anderer Länder respektiert und sich nicht in deren innere Angelegenheiten einmischt. Das Gegenteil ist aktuell zwischen Russland und der Ukraine der Fall, und auch die chinesische Position gegenüber Taiwan ist mit diesen Grundsätzen nur schwer vereinbar.

Unabhängig davon sollten die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Gipfeltreffen der SCO für die Politiker „des Westens“ sein:

  • Es gibt keinen grundsätzlichen Keil zwischen China und Russland;
  • Russland ist in der Welt nicht isoliert;
  • Der Iran orientiert sich offensichtlich endgültig weg vom „Westen“;
  • Die Türkei hält sich hinsichtlich ihrer zukünftigen Positionierung weiterhin alle Optionen offen;
  • Indien wird immer mehr zu einem globalen Player mit einer Präferenz für China und Russland, aber hält sich „die westliche Option“ weiterhin offen;
  • Mehrere arabische Staaten signalisieren eine mögliche Neuorientierung und zwar ebenfalls weg vom „Westen“;
  • Eine ähnliche Entwicklung ist für einige afrikanische Länder zu beobachten;
  • Afghanistan ist fest im Blick der SCO;
  • Die Welt entwickelt sich wieder in zwei Blöcke, aber nicht wie im Kalten Krieg, sondern in Länder, die dem unilateralen Kurs der USA folgen, und solchen, die auf eine neue multipolare Weltordnung setzen. Das gilt für den sicherheitspolitischen Bereich ebenso wie für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung.

Aus meiner Sicht ist leider nicht zu erkennen, ob die westlichen Politiker diese für die USA und vor allem für Europa negativen Entwicklungen erkannt haben und wie man ihnen politisch und wirtschaftlich entgegentreten will.

Titelbild: Dana.S / shutterstock

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