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Alle reden vom Wetter. Wir nicht. – War mal das Markenzeichen der Bahn

Published On: 25. September 2022 13:08

Pünktlich und zuverlässig brachte sie die Menschen in Deutschland von hier nach da und stand für technischen Fortschritt und Mobilität in einem freien Land, in dem wir gut und gern gelebt haben. Die Deutsche Bahn, mit der wir gut und gern gefahren sind. Von Bettina Hagen

IMAGO / Sven Simon

Bahnreisende am Hauptbahnhof in München vor einem Fahrkartenautomaten, 15.06.2022

Und heute? Wofür steht die Deutsche Bahn in diesen Zeiten eigentlich, in denen alle nur noch von Klima und Krise, von Zukunftsängsten und Niedergang, von Dunkeldeutschland und Spaltung der Gesellschaft reden?

Was ich diesbezüglich höre, wenn vom Fahren mit der Bahn die Rede ist, sind nur Hiobsbotschaften: defekte Züge, Verspätungen, schlechter Service, genervte Leute. Und die Bilder – speziell von den 9-Euro-Ticket-Wochenenden – waren auch nicht gerade dazu angetan, den Traum vom erholsamen Reisen schmackhaft zu machen.

Aber trotz alledem: Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist, und ich selbst rede gern nur über Dinge, die ich aus eigener Erfahrung kenne und beurteilen kann. Ich reise nicht mehr so viel und gern wie früher, aber den TE-Autorentag wollte ich mir nicht entgehen lassen. (Ganz nebenbei: Der Autorentag war äußerst informativ, lehrreich und unterhaltsam.) – Also ab von Hamburg nach Frankfurt und zurück.

Der Online-Ticketkauf funktionierte leider nicht. Ob ich einen Eingabefehler gemacht hatte oder der Fehler im System lag …, wer weiß das schon? Also blieb nur das Reisezentrum im Hamburger Dammtor-Bahnhof, das ich am Nachmittag zur normalen Geschäftszeit aufsuchte. Die Schlange davor war riesig lang, der Anblick frustrierend. Besonders, wenn man durch die Scheiben ins Reisezentrum blickte. Von drei Schaltern war sage und schreibe nur einer besetzt. Nach gefühlten hundert Minuten erbarmte sich eine weitere Mitarbeiterin seelenruhig, nach der Kaffeepause noch mit der Tasse in der Hand, ihren PC anzuwerfen und dem wartenden Fußvolk mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Die Fahrt nach Frankfurt verlief dann reibungslos – außer dass kein Getränkeservice stattfand und ein Klo verstopft war.

Dann kam die Rückfahrt um 11:58 Uhr ab Frankfurt Hauptbahnhof. (Über das Bahnhofsumfeld möchte ich mich an dieser Stelle eher nicht auslassen.) Ich war sehr rechtzeitig da, um noch Kaffee, Sandwiches und Zeitungen für unterwegs zu kaufen. Ein Blick auf mein Ticket sagte mir, dass der Zug von Gleis 3 abging. Aber es ging gar nix von Gleis 1 bis 3. Abgeriegelt, stillgelegt oder wer weiß was. Da mein Zug noch nicht auf der großen Anzeigetafel erschienen war, blieb mir nur das Anstehen beim Reisezentrum übrig.

Ich vertrieb mir die Zeit mit dem Betrachten der Menschenmassen und dem Verfolgen der Lausprecherdurchsagen: „Regionalzug nach A. … ausgefallen“. „ICE nach B. 30 Minuten Verspätung“. „IC Nach M. heute auf Gleis 7 statt auf Gleis 4“ usw. usf. … So ging es ununterbrochen.

Als ich schließlich auf dem mir zugewiesenen Gleis 8 ankam, schoss mir ein Riesenpulk von Leuten mit Koffern und Geschrei entgegen, die offensichtlich in letzter Minute zu einem anderen Bahnsteig beordert worden waren. Mehrere Bahnbeamte waren belagert von wütenden Reisenden und versuchten, etwas Ruhe in das Chaos zu bringen. Nachdem die Leute weiter gehetzt waren, sagte ich zu einem der Beamten, der noch so aussah wie vom alten Schlag: „Ich bewundere Sie. Wie halten Sie das bloß aus?“ „Das ist nicht zum Aushalten, ich kann bald nicht mehr …“ Diese Antwort schien mir aus tiefstem Herzen zu kommen.

Mein ICE fuhr ein. Die Anzeigentafel kündigte eine pünktliche Abfahrt um 11:58 Uhr an. Der Zug – auch die erste Klasse – war voll. Es wurde 12:10. Der Zug stand immer noch. Dann die Durchsage. Es gäbe einen Defekt und der Lokführer – ja: der Lokführer – sei dabei, das Problem zu lösen. Dann fiel das Licht aus zusammen mit der nächsten Durchsage, dass das Problem immer noch nicht gelöst wäre. Eisiges Schweigen im Waggon, die Stille des Zorns. Schließlich eine halbe Stunde später: „Der Zug fällt leider aus, weil …“

Wir sollten den nächsten Zug nach Hamburg nehmen, der gegenüber auf Gleis 9 stünde. Der Zug sei aber auch schon voll. Das kümmerte aber niemand – auch mich nicht. Und so muss man sich an Bilder von Zügen in Kalkutta oder sagen wir lieber mal in Tokyo erinnern: Züge, vollgestopft wie eine Sardinendose.

Klar, der Zug konnte so natürlich aus Sicherheitsgründen nicht abfahren. Wir wurden über Lautsprecher aufgefordert auszusteigen, weil die Eingangsbereiche überfüllt waren. Was ich auch tat, weil ich direkt am Ausgang stand. Die meisten Leute aber blieben schweigsam, stur und mit geballter Faust in der Tasche stehen.

Ich rannte zum Kopfende des Gleises, wo sich bei diesem Zug die erste Klasse befand. Und siehe da: Das Abteil war zwar voll und man musste im Gang stehen, aber der Eingangsbereich war wenigstens frei. Dann sah ich, wie der kaputte Zug aus dem Bahnhof geschleppt wurde und Security-Leute in gelben Warnwesten unseren Zug enterten.

Ich stand an der gläsernen Schiebetür im Waggon, vor der sich ein schmaler Sitzplatz und ein kleiner Metallsockel befanden. Gerade ausreichend für eine halbe Pobacke. Zum Glück hatte die nette Frau, die dort saß, nichts dagegen, dass ich mich hinkauerte und ganz klein machte … das kann ich nämlich auch. So hoffte ich, dass die Security bei meinem mickrigen Anblick ein Auge zudrücken würde. Den beiden anderen umstehenden Frauen erklärte und begründete ich, dass ich die obligatorische Maske wohl überwiegend unter der Nase tragen würde und – oh Wunder – sie hatten für meine Argumente Verständnis.

Plötzlich rollte der Zug nach mehr als eineinhalb Stunden Verspätung ohne Vorankündigung an, nur um gleich darauf wieder in Frankfurt Süd zu halten. Die Security-Leute, die es nicht mehr bis zu den letzten Waggons – in dem auch ich saß – geschafft hatten, stiegen aus … Auf einmal spielte die Sicherheit keine Rolle mehr, denn man wollte schließlich rechtzeitig zum Abendbrot zu Hause sein.

Und weil’s so schön war, hielt der Zug noch einmal auf freier Strecke, ohne dass wir erfuhren warum. So „genoss“ ich den Anblick der riesigen Windparks, die gerade wegen Windstille keine Vögel schredderten, aber auf ihren gewaltigen Betonsockeln die Kämme der Mittelgebirge bei Kassel überragten. Sie rundeten das Stimmungsbild dieser Reise ab.

Ein Schaffner ließ sich auf der gesamten Fahrt nur einmal blicken, als er sich wegen der vielen stehenden Leute durch den Mittelgang zwängte und mich auf das falsche Tragen der Maske hinwies. Ordnung muss sein, Fahrkartenkontrolle dagegen: Fehlanzeige. Bis Hannover durfte ich dann die Zeit noch stehend oder kauernd im Zug verbringen. Dort stieg nämlich die nette Frau aus. Und mit ihr fiel ein Stück Wandverkleidung auf den Boden, die Kabel und anderes Innenleben zum Vorschein brachte. Nachdem ich erschöpft auf ihrem Sitz Platz genommen hatte, kam ich mit eindreiviertel Stunden Verspätung in Hamburg Dammtor an.

Das Reisezentrum – von wegen der Reklamation – hatte natürlich schon geschlossen. Die generösen 15,80 Euro Schadenersatz (25 Prozent des Fahrpreises für die einfache Fahrt unter zwei Stunden Verspätung) holte ich mir am folgenden Tag ab. Wieder bei einfacher Besetzung des Reisezentrums und langer Schlangenbildung.

Thank you for choosing Deutsche Bahn! – Nein, diese verunglückte Reise mit der Deutschen Bahn Anno Domini 2022 war kein Drama, kein großes Unglück, und sie hat mich als Beobachter der Szene noch nicht mal an den Rand des Ausflippens gebracht. Aber sie war für mich ein Spiegelbild, eine Facette der desolaten Zustände in diesem Land, in dem wohl derzeit eine Menge Züge ungebremst aufeinander zurasen.


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