transition-tv-news-nr-98-vom-30.-september-2022Transition TV News Nr. 98 vom 30. September 2022
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«Es sind mehrere grosse Entwicklungen, die sich gegen uns und unsere Gehirne verschworen haben»

Published On: 1. Oktober 2022 0:04

Veröffentlicht am 1. Oktober 2022 von RL.

«Orwell fürchtete jene, die uns Informationen vorenthalten. Huxley fürchtete jene, die uns mit Informationen so sehr überhäufen, dass wir uns vor ihnen nur in Passivität und Selbstbespiegelung retten können. Orwell fürchtete, dass die Wahrheit vor uns verheimlicht werden könnte. Huxley fürchtete, dass die Wahrheit in einem Meer von Belanglosigkeiten untergehen könnte.»

Diese Zeilen schrieb Neil Postman 1985 in seinem Buch «Wir amüsieren uns zu Tode». Darin beleuchtete er, wie die Unterhaltungs- und Medienindustrie im ausgehenden 20. Jahrhundert die Demokratie und den mündigen Bürger mehr und mehr bedrohten.

Heute, rund 40 Jahre später, hat sich das Bild nochmals deutlich verändert. Internet, Social Media und Smartphones gehören zum Alltag. In der Flut an Botschaften und Informationen verlieren die Bürger immer öfters die Orientierung. Ablenkung wird zum Normalzustand.

Hier setzen Gerald Hüther und Robert Burdy in ihrem Buch «Wir informieren uns zu Tode» an. Hüther, Neurobiologe und Verfasser mehrerer Bücher, und Burdy, Kommunikationsberater und Journalist, schildern, welche Auswirkungen die tägliche Flut an Botschaften auf die Menschen hat. Und sie zeigen auch auf, wie man sich davon befreien kann. Im Folgenden veröffentlichen wir einen Auszug aus Hüthers und Burdys Buch.

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Im Märchen «Der süsse Brei» der Gebrüder Grimm ist die Geschichte unserer aktuellen Informationsflut bereits erzählt. Symbolisch natürlich und mehr als ein Jahrhundert bevor irgendjemand auch nur an einen digitalisierten, weltweiten Wissensaustausch gedacht hat. «Der süsse Brei» erzählt von einem armen, kleinen Mädchen, das hungrig und bettelnd durch die Stadt streift, bis ihm eine alte Frau einen Zaubertopf schenkt.

Ein kurzer Befehl genügt und der Topf beginnt, einen süssen Brei zu produzieren, der fortan das Mädchen und seine geplagte Mutter ernährt. Das geht so lange gut, bis die Mutter in Abwesenheit des Mädchens den Zaubertopf anwirft und dann das magische «Mutabor» vergisst, um die segensreiche Breiproduktion wieder einzustellen. So läuft der Zaubertopf über, flutet Haus und Hof, Stadt und Land mit seinem süsen Brei und der Segen wird zur Heimsuchung. Erst im letzten Moment kehrt das Mädchen zurück, spricht die Zauberformel und rettet Mutter und Welt vor dem bitter-süssen Tod durch Breivergiftung.

Das kleine, hungrige Mädchen sind wir alle, die wir nach Unterhaltung und Ablenkung hungern, genauso, wie es Neil Postman in «Wir amüsieren uns zu Tode» prophezeit hat. Der Zaubertopf der globalisierten Digitalisierung schüttet auf einen Mausklick, also die digitale Version des «Töpfchen, koche!», seinen süssen Brei über uns aus. Der Brei fliesst und fliesst und wir werden dick und fett und doof davon und können weder aufhören, die klebrige Masse zu verschlingen, noch den Quell der Misere ausschalten.

«Töpfchen, steh!» reicht schon lange nicht mehr. Seine moderne Version «Alexa, hör mit dem Scheiss auf!» auch nicht! Also schlürfen wir und schlabbern und schlingen die ungesunde Masse in uns hinein, verwundert über jene Verstopfung globalen Ausmasses, die das zwangsläufig auslöst! Niemand hat uns gewarnt. Niemand hat uns verraten, dass die alte Frau, die uns den Zaubertopf namens Internet schenkte, Zuckerberg hiess und Gates und so ähnlich.

Dass die scheinbar ungeschickte Mutter, die angeblich das Zauberwort vergass, um den Topf zu stoppen, in Wirklichkeit gar kein Interesse daran hatte, weil sie längst einen Onlinehandel für den Brei aufgemacht hatte. Wir wissen nicht mal, dass wir gar kein Zauberwort brauchen, um die Flut der süssen Masse, die uns die Gehirne verklebt, zu stoppen. Wir müssten den Brei nur einfach nicht mehr konsumieren, das würde den Zauber brechen. Hier kommt das Fest für alle Verschwörungstheoretiker! Es sind mehrere grosse Entwicklungen, die sich gegen uns und unsere Gehirne verschworen haben. (…)

Wir leben in einer Zeit des Unmittelbaren. Alles geschieht sofort. So kommt es einem zumindest immer häufiger vor. Natürlich gibt es noch diese althergebrachten analogen Dinge wie Leben, Lieben und Sterben, die nach wie vor ihre Zeit brauchen. Aber wir werden mit ihnen auch schnell ungeduldig, weil wir diese unerträgliche Langsamkeit des Menschseins einfach nicht mehr gewohnt sind.

In jenen schwarz-weissen Tagen, als der Fernseher noch einen Drehknopf für die Auswahl zwischen zwei oder drei verschiedenen Programmen hatte, war es für einen Menschen gesunden Geistes ganz normal, zur Strassenbahnhaltestelle zu gehen und dort zu warten, bis die nächste Bahn in die richtige Richtung fuhr. Wir haben uns dabei nichts gedacht. Heute gehen wir gar nicht erst los, bevor wir nicht die entsprechende App konsultiert, einen Fahrschein aufs Handy heruntergeladen und die Anschlussverbindungen zu anderen Mobilitätsarten gebucht haben.

Und wenn diese ärgerlich analoge Strassenbahn dann vier Minuten und 48 Sekunden verspätet kommt, sind wir erbost, weil solche Nachlässigkeiten einfach nicht in unser durchdigitalisiertes Leben passen. Wie gut, dass wir uns wenigstens die Zeit mit dem Konsum zahlloser kleiner Botschaften auf unseren Smartphones vertreiben konnten!

Nur wenige der vielen Botschaften, die uns so täglich erreichen, berühren tatsächlich unser Leben. Die meisten sind inhaltlich weit von unserer Lebenswirklichkeit entfernt und haben praktisch keine Relevanz für uns. Trotzdem dringt die Nachricht über ein neues Immobilienprojekt in der Schweiz das eine frühere Schulfreundin betreut, mit derselben Dringlichkeit ans Ohr und ins Blickfeld wie die Nachricht von der Tochter, die in einer persönlichen Angelegenheit um Hilfe bittet.

Alleine per E-Mail werden jeden Tag 330 Milliarden Botschaften versendet. Pro Minute werden nur über die Plattform iMessage weltweit zwölf Millionen Messages verschickt – in einer Minute! (…) Fast die Hälfte der Weltbevölkerung nutzt soziale Medien. Und in Deutschland beträgt die durchschnittliche Nutzungsdauer pro Tag knapp eineinhalb Stunden. Zum Vergleich: Laut statistischem Bundesamt spielen Eltern in Deutschland pro Tag rund eine halbe Stunde mit ihren Kindern.

Zählt man die gemeinsame Zeit im «Elterntaxi» mit dazu, also die Fahrten zur Schule, zum Ballett, zum Klavierunterricht oder zum Einkaufen, dann sind es rund 80 Minuten, die wir mit unseren Kindern verbringen. Das heisst, selbst wenn wir die meistens stressige Zeit im Auto und das Zuschauen beim Fussballtraining mitzählen, in der viele Eltern gleichzeitig auch digital unterwegs sind, dann ist uns das Umfeld der sozialen Medien genauso viel Lebenszeit wert wie unsere Kinder. Ist das eine von uns bewusst getroffene Entscheidung?

Die meisten Eltern wären wohl eher peinlich berührt angesichts dieser Zahlen. Und sie würden eine solche Gewichtung von Prioritäten für sich selbst weit von sich weisen. Aber irgendwo kommen die Zahlen her. Und auch wenn es Durchschnittswerte sind – sie beschreiben ein gesellschaftliches Phänomen.

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Gerald Hüther, Robert Burdy, «Wir informieren uns zu Tode». Verlag Herder, Freiburg im Breisgau. ISBN: 978-3-451-60900-8 (1. Auflage 2022), 240 Seiten. 22 Euro. Weitere Infos und Bestellung hier.

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