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Viktor Orbán im TE-Interview: Wir brauchen eine europäische Armee

Published On: 28. Oktober 2022 17:13

Anlässlich seines Besuchs in Berlin führte Tichys Einblick mit dem ungarischen Ministerpräsident Viktor Orbán ein Interview. Themen waren die aktuelle Wirtschaftskrise, Europa und der Ukraine-Konflikt. Unter anderem fordert Orbán eine europäische Armee.

Foto: Tichys Einblick

Viktor Orbán und Roland Tichy, vorne: Klaus-Rüdiger Mai

Viktor Orbán hat bei seinem Besuch in Berlin im Interview mit „Tichys Einblick“ über die europäische Sicherheitsordnung, den Ukraine-Konflikt sowie die EU-Außenpolitik und Innenpolitik Ungarns gesprochen. Nachfolgend präsentieren wir Auszüge. Das komplette Gespräch finden Sie in der kommenden November-Ausgabe des Monatsmagazins „Tichys Einblick“.

Tichys Einblick: Herr Ministerpräsident, während Ihres Besuchs in Deutschland haben Sie sich mit Kanzler Scholz getroffen, aber auch mit Armin Laschet, Angela Merkel und Gerhard Schröder. Gute Gespräche mit alten Weggefährten?

Viktor Orbán: Die Gespräche waren sehr produktiv. Von Laschet wollte ich seine Meinung als christlicher Konservativer hören. Angela Merkel und Gerhard Schröder sind erfahrene Politiker und Kanzler, die mir wertvolle Erfahrungen und Ratschläge geben konnten.

Zum Gespräch mit Kanzler Scholz kann ich Ihnen leider wenig sagen. Auch wenn es ungewöhnlich ist, hat der Kanzler entschieden, dass es keine Pressekonferenz geben wird. Als Gast möchte ich da seinem Wunsch folgen. Es war aber ein produktives Gespräch und Kanzler Scholz ist ein angenehmer Gesprächspartner: geradlinig und auf einer Ebene mit dem Gegenüber. Man kann mit ihm reden, er hat keine Tabus und er sagt, wie er die Sachen sieht. Mit ihm zu reden, ist wie mit einem Ungarn zu reden. In vielen Fragen haben wir unterschiedliche Positionen, aber in strategischen Fragen sind wir uns nahe.

Kontroversen in welchen strategischen Fragen?

Orbán nach dem Spitzentreffen des EU-Rates:

Meiner Meinung nach ist die wichtigste strategische Frage heute, wie man die Desintegration der Europäischen Union aufhalten kann. Es ist besser, die Union zu haben, als sie nicht zu haben, und deswegen versuchen wir dieser Desintegration entgegenzuwirken. Davon unabhängig gibt es viele Positionen, in denen sich Deutschland und Ungarn nicht einig sind. Dazu gehören das europäische föderale Wesen, die Außenpolitik und die globale Mindestbesteuerung.

Woran machen Sie die Desintegration Europas fest?

Der Austritt des Vereinigten Königreichs brachte die europäische Politik ins Wanken. Die Briten standen mit Mitteleuropa für ein Europa der Vaterländer, die, wo es geht, national agieren und bestimmte Dinge gemeinschaftlich regeln. Dagegen stehen Frankreich und Deutschland, die eine „ever closer union“, eine immer engere europäische Föderation anstreben. Waren beide Lager vorher im Gleichgewicht, hat nun das Lager der Föderalisten Oberhand gewonnen. Das führt zum Rechtsstaatlichkeitsmechanismus, dem Konditionalitätsverfahren, die die Verteilung von EU-Geldern regeln und Ungarn und Polen ausschließen. Die Briten hätten nie akzeptiert, dass der Europäische Gerichtshof den britischen Obersten Richtern sagt, was Recht ist. Gegen diese Überordnung des EU-Rechts in praktisch allen Fragen wehren wir uns vehement.

Mit Italien hat nun in einem weiteren Land eine konservative Strömung die Regierung erreicht. Im vergangenen Sommer bezeichneten Sie diese Möglichkeit eines Sieges von Georgia Meloni als Gamechanger. Bewahrheitet sich dies nun?

Die Tür steht jetzt offen. Es kann sein, dass sich die politische Lage in Europa nun grundlegend ändert, aber Italien hat es nicht leicht. Brüssel hat einen sehr großen Einfluss auf das Land und auf die Regierung. Sie haben die Mittel, um Rom ihren Willen aufzuzwingen. Aber die neue Regierung möchte nationale Interessen vertreten, ist gegen Migration und für die traditionelle Familie. Ob sie schlussendlich für ihre Meinung kämpfen werden, weiß ich nicht. Aber die Tür steht offen. Denn gerade in Verbindung mit den Wahlen in Schweden muss das liberale, föderale, progressive Lager erkennen, dass sie keine Hegemonie innehaben.

Im Ukraine-Konflikt zeigen sich Risse im politischen Block der Visegrád-Staaten. Sie sagen, das liegt an unterschiedlichen geopolitischen Interessen. Wie unterscheiden sie sich?

Die Tschechen, die Slowaken und auch die Polen, sie sind für den Krieg. Sie sagen offen, dass es für sie nicht genug ist, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. Sie wollen, dass Putin versagt, dass Russland den Krieg verliert. Ungarn hingegen gehört dem Friedenslager an.

Das ist ein schwächeres Lager. Zu ihm gehören der Papst, Kissinger, Habermas. Einige amerikanische Republikaner und Elon Musk. Und eben Ungarn. Wir möchten keinen Krieg. Wir wollen eine sofortige Feuerpause und Verhandlungen. Denn tausend Stunden Verhandlung sind besser als eine einzige Kugel. Sie müssen verstehen: Für viele ist dieser Konflikt weit weg. Selbst für Deutschland. Wir aber sind der direkte Nachbar. Es leben gut 200.000 Ungarn in der Ukraine, oft mit doppelter Staatsbürgerschaft. Es sind schon 200 von ihnen gestorben, viele von ihnen im Kampf gefallen, denn auch sie werden eingezogen.

In Ungarn sind wir nah am Krieg, und daher interessierter an einem sofortigen Waffenstillstand als andere. Wenn wir nicht zeitnah eine Feuerpause erreichen, befürchte ich eine weitere Eskalation des Konflikts.

Sie bezeichnen sich vielleicht nicht gerne so, aber Sie sind doch Europas wichtigster Kremlologe. Einst haben Sie selbst, als Student, gefordert: „Die Russen müssen raus aus Ungarn.“ Was nun also?

Uns Ungarn braucht man nichts von der Brutalität der russischen Armee erzählen. Diese konnten wir mehr als jedes andere Land der Union erst 1956 erleben. Unser Selenskyj wurde damals gehängt, hingerichtet. Wir wissen, wie es ist, mit Russland im Krieg zu sein.

Doch darum geht es hier nicht, sondern wie man dem Krieg ein Ende bereiten kann. Die Russen müssen in ein Sicherheitssystem mit einbezogen werden und wir Europäer müssen mit am Tisch sitzen. Das wurde jetzt verunmöglicht. Merkel konnte diese Situation beherrschen. In der Krimkrise erklärte sie den Konflikt zu einem lokalen Konflikt und verhinderte so die internationale Eskalation.

Es braucht die Amerikaner nicht, wenn sich die Russen, Franzosen, Deutsche und Ukrainer an einen Tisch setzen. Doch wir haben ein Führungsproblem und eine schwache Außenpolitik und deshalb konnten wir den Ausbruch des Konflikts nicht verhindern. Wenn führende Politiker wie Scholz, Macron und Biden mit Innenpolitik beschäftigt sind, brauchen wir eine starke gemeinsame Außenpolitik. Aber wir haben keine europäische Armee, die wir bräuchten. Wir haben keine gemeinsame Verteidigungspolitik, keine Koordination in der Rüstung. Nicht einmal der Rat der Europäischen Außenminister ist bisher funktionsfähig. Wir müssen die Frage einer europäischen Armee erörtern.

Eine EU mit Armee ist aber ein ganz anderer Tenor als das Europa der Vaterländer, das sie eingangs angesprochen haben.

Es ist ein Fehler, die Frage des europäischen Föderalismus schwarz-weiß zu sehen. Es gibt Themen, bei denen sind die Nationalstaaten besser in der Führung. Und es gibt Themen, in denen wir nur als geeintes Europa relevant bleiben. Ein solches Thema ist die Verteidigung. Als Kontinentaleuropa müssten wir hier zusammenarbeiten, um unsere Interessen gemeinsam zu verteidigen und durchzusetzen.

Mit Viktor Orbán sprachen Roland Tichy und Klaus-Rüdiger Mai. Das Interview wurde sowohl auf Englisch als auch Ungarisch mit Simultanübersetzung geführt.

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