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Wir und Katar: Wie Sigmar Gabriel einmal ziemlich daneben griff

Published On: 1. November 2022 18:11

Der frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel unterstellt Katar noch vor sich zu haben, was wir so großartig gemeistert haben (mit feministischer Außenpolitik, nonbinären Schriftstellern und geschlechtergerechter Sprache). Es wäre ehrlicher, wenn der Deutsche-Bank-Aufsichtsrat Gabriel über Interessen reden würde.

IMAGO / photothek

Sigmar Gabriel als Bundesaußenminister im katarischen Kulturhaus in Berlin, 21.11.2017

Hierzulande wird gern mit zweierlei Maß gemessen. Da gibt es Despoten, Autokraten und Stammesfürsten, über deren Auffassungen, etwa was die Rechte von Frauen und Schwulen betrifft, wir schamlos hinwegsehen. Warum? Weil es in unserem Interesse ist, uns etwa mit ölexportierenden Ländern gutzustellen. Auch ein so buntdiverser Herrscher wie Ghaddafi war uns recht, solange er uns Flüchtlingsströme vom Hals hielt. Dem machten allerdings die Amerikaner ein Ende und hinterließen ein destabilisiertes Libyen, was weder menschenfreundlich noch sonderlich hilfreich war.

Die Bundesregierung findet nun neuerdings nichts dabei, Teile des Hamburger Hafens an China zu verkaufen, auch nicht gerade das Musterbeispiel eines demokratischen Landes. Beim Hafen von Piräus, an dem die chinesische Cosco die Betreiberrechte hält, mussten die Arbeiter feststellen, dass Cosco keine Gewerkschaften akzeptiert. „Handelt Deutschland nur dann moralisch, wenn kein wirtschaftlicher Nutzen im Spiel ist?“ Gute Frage.

Insofern könnte man Sigmar Gabriel sogar zustimmen, der deutsche Doppelmoral anprangert: Was regen wir uns groß über Katar auf, dem Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft 2022? Gewiss, dort ist Homosexualität verboten und kann bestraft werden, mit Auspeitschung oder sogar der Todesstrafe. Man erwarte von Besuchern der Weltmeisterschaft, dass sie „Respekt vor unserer Kultur“ haben, erklärte der Emir von Katar beim Besuch in Berlin, wo er mit Olaf Scholz über Gaslieferungen sprach. Also besser Enthaltung von schwulem Sex in Katar während der WM? Das hatte einst Sepp Blatter vorgeschlagen, was ihm nicht gut bekommen ist.  

Übrigens ist der Golf-Kooperationsrat, in dem neben Katar weitere fünf Staaten der Arabischen Halbinsel vertreten sind – Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman – ganz auf der Seite Katars. Und ölexportierende Länder brauchen wir, oder? 

Also was soll die Aufregung, findet Sigmar Gabriel. Denn die Deutschen sind überbaupt nicht besser? Erbittert twitterte er: „Die deutsche Arroganz gegenüber Qatar ist ‚zum Ko…‘! Wie vergesslich sind wir eigentlich? Homosexualität war bis 1994 in D strafbar. Meine Mutter brauchte noch die Erlaubnis des Ehemanns, um zu arbeiten. ‚Gastarbeiter‘ haben wir beschissen behandelt und miserabel untergebracht.“ Genau. Und als unverheiratetes Paar durfte man nicht gemeinsam ins Hotel, dagegen stand der Kuppeleiparagraph. „Auch wir haben Jahrzehnte gebraucht, um ein liberales Land zu werden“, meint Gabriel.

Screenshot via Twitter /Sigmar Gabriel

Gewiss. Viele Frauen konnten allerdings nach 1945 ihren Ehemann gar nicht fragen, ob sie arbeiten durften. Der war nämlich nicht da. Sie mussten also arbeiten. Und wer als Mann abgemagert und desillusioniert aus der Gefangenschaft zurückkam, hatte wohl kaum die Autorität, seiner Frau den für beide notwendigen Broterwerb zu untersagen.

Und wurden Schwule bei uns an Baukränen erhängt oder ausgepeitscht? Muss eine vergewaltigte Frau bei uns mit 100 Peitschenhieben und Gefängnis rechnen, weil sie damit „Sex außerhalb der Ehe“ gehabt habe?

Zugegeben, die Bundesrepublik war vor 70 Jahren ziemlich kleinkariert. Man konnte seine bürgerliche Reputation verlieren, wenn man sich als Schwuler erwischen ließ – lesbische Frauen wurden großmütig ignoriert. Deshalb machte man homosexuelle Vorlieben oder vorehelichen Geschlechtsverkehr oder Seitensprünge besser nicht öffentlich, was einen nicht daran hinderte, es zu tun. Nur die 68er glaubten, dass ihre Eltern Spießer waren, weil sie Partnertausch hinter geschlossenen Türen trieben und dabei „Aber der Novak lässt mich nicht verkommen“ hörten. Der ungezwungene offene Sex, den die 68er bevorzugten, war jedenfalls unter Garantie nicht aufregender.

Ich erinnere mich gut daran, dass sich bereits in den 60ern niemand mehr um den Paragraphen 175 scherte. Erst recht nicht die Schwulenbewegung. 

Doch das ist nicht das einzige, was an Gabriels seltsamem Vergleich nicht stimmt. Er unterstellt Katar den Status eines Entwicklungslandes, das noch vor sich hat, was wir so großartig gemeistert haben (mit feministischer Außenpolitik, nonbinären Schriftstellern und geschlechtergerechter Sprache). Woher weiß er denn, dass Katar ein liberales Land nach unserer Strickart werden will?

Wäre es nicht weit ehrlicher und ein echter Schlag gegen die deutsche Doppelmoral, wenn Gabriel über Interessen reden würde? Katar ist einer der größten Aktionäre im Leitindex Dax und hält Aktienpakete von VW (rund 17 Prozent), Siemens (über drei Prozent), Hapag-Lloyd (14 Prozent) und der Deutschen Bank (etwa acht Prozent) und hat 2014 der Deutschen Bank den Hals gerettet. Gabriel weiß das aus erster Hand. Er sitzt im Aufsichtsrat der Deutschen Bank.

Wie wäre es also, wenn er Klartext redete – oder „Klare Kante“, wie es bei den Sozis gern heißt? „Hört auf mit euren Empörungsritualen. Wir brauchen die ölexportierenden Länder, nachdem wir schon auf russisches Gas verzichten müssen. Die Welt ist schlecht. Gewöhnt euch dran.“

Ganz abgesehen davon: Warum die Fußballweltmeisterschaft ausgerechnet in Katar stattfinden muss, verstehe ich auch nicht. 


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