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Buchtipp: «Endspiel Europa»

Published On: 2. November 2022 0:03

Veröffentlicht am 2. November 2022 von AS.

Der Essay «Endspiel Europa» beleuchtet einerseits die jüngste Geschichte der Europäischen Union seit etwa 1990. Das Ende des Kalten Krieges und der Vertrag von Maastricht stellten sowohl für Europa als auch für die politischen Machtblöcke in Ost und West eine historische Zäsur und insofern eine Wende zu den 1990er Jahren dar.

Mit der Annäherung zwischen Ost- und West-Europa fand eine fortschreitende europäische Integration statt. Doch mit dem Ukraine-Krieg finden nun wieder gewalttätige Auseinandersetzungen auf europäischem Boden statt, die allerdings schon vor dem Februar 2022 angefangen hatten. Weit weg zu sein scheint heute, dass der russische Präsident Wladimir Putin 2001 für eine Rede vor dem deutschen Bundestag Standing Ovations erhielt und über eine eurasische Sicherheitsarchitektur nachgedacht wurde.

Andererseits erinnern die Autoren, Ulrike Guérot, Professorin für Europapolitik, und der Politikwissenschaftler Hauke Ritz, vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges auch an die ursprünglichen europäischen Werte und Ziele: ein souveränes Europa und eine kontinentale Friedensordnung. In den ersten drei Kapiteln spannen sie den historischen Bogen und schildern den politisch-geistigen Zustand Europas; im letzten Kapitel nehmen sie eine Neujustierung der europäischen Idee vor.

Von «Nie wieder Krieg!» zum Tod Europas

Nach dem Zweiten Weltkrieg lautete die Parole: Nie wieder Krieg! Die Autoren appellieren für ein eigenständigeres Europa, das sowohl den USA als auch Russland auf Augenhöhe begegnet. Zusätzlichen Schwung zur europäischen Integration leistete in den frühen 90er Jahren die deutsche Einigung. In deren Zug sei auch der Traum des «europäischen Hauses von Lissabon bis Wladiwostok» entstanden.

Schliesslich sei der Plan des Maastrichter Vertrages mit dem Euro als Gemeinschaftswährung zusammen mit der gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik sowie einem gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts insgesamt unausgegoren gewesen. Doch habe während der 1990er Jahre in Europa eine Aufbruchstimmung geherrscht. 2005 scheiterte mit der Europäischen Verfassung eines der europäischen Grossprojekte. Damit, so die Autoren, starb die Absicht eines politischen Europa.

Eine wichtige politische Rolle bei all den europäischen Entwicklungen seit 1945 spielte der atlantische Bündnispartner USA. Die Hintergründe dazu thematisieren die Autoren immer wieder, so etwa die amerikanische Hybris, fern der UN-Charta «Weltpolizist» zu spielen, um ihre globalen Machtansprüche durchzusetzen, oder ihr Widerstand gegenüber dem Euro, den die USA als ernsthafte Konkurrenz gefürchtet hatte.

Während in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg Integrations- und Friedensbemühungen im Mittelpunkt standen, hätten die USA versucht, in ihrem Eigeninteresse keine gleichwertigen Konkurrenten wie die Sowjetunion mehr aufkommen zu lassen, so die Autoren. Dazu sollte die Militär-Doktrin «Full Spectrum Dominance» dienen, womit die militärische Überlegenheit für ein «neues amerikanisches Jahrhundert» gewährleistet werden soll. Neben herkömmlicher Kriegsführung umfasse die neue Doktrin auch elektromagnetische Kriegsführung, im Weltraum und Informationskriegsführung.

Mit der EU-Osterweiterung 2004 hätten in den Staaten Mitteleuropas zunehmend amerikanisierte Eliten mit Beziehungen zu Washington das politische Ruder übernommen. In der Regel sei damit die Einflusssphäre der US-dominierten NATO im geografischen Einzugsgebiet Russlands ausgedehnt worden. Dies habe den Nährboden für jene Bevölkerungsteile geschaffen, die heute dem Populismus zugewandt seien.

Jahrtausendwechsel bringt verschärfte Konflikte

Mit dem Jahrtausendwechsel und dem Aufstieg der Neokonservativen in der US-Regierung sei der Anspruch der USA auf eine weltweite Dominanz gestiegen, unter anderem gestützt auf immense Militärausgaben und Kriegstechnologie. Europäische und amerikanische Pläne seien immer mehr in Konflikt zueinander geraten. Der Irak-Krieg 2003 schliesslich habe Europa in Ost und West gespalten; die Osteuropäer seien damals zum trojanischen Pferd der USA in der EU geworden.

Zugleich erweiterte die NATO durch die Beitritte osteuropäischer Länder kontinuierlich ihr Einflussgebiet – ein wichtiger Teil der Vorgeschichte des heutigen Ukraine-Konflikts. In Georgien, so die Autoren, war es kurz vor dem NATO-Beitritt zu einer Regime-Change-Operation mit einer US-freundlichen Regierung gekommen. Heute würden Putsche vor allem medial und PR-wirksam vorbereitet und hinter organisierten Massendemonstrationen versteckt. So gebe es seit 15 Jahren kaum mehr positive Nachrichten über Russland in der deutschen Presse.

Dabei gehe es der hegemonialen amerikanischen Kulturpolitik auch darum, den Europäern mittels Medienapparat die historische Anomalie (die darin bestehe, dass die USA erst seit dem Zweiten Weltkrieg als dominanter Partner auftritt) als neue Norm zu verkaufen und sie ihre Geschichte der jahrhundertealten Verbindungen gegen den Osten hin vergessen zu lassen.

Ähnlich wie in der Ukraine 2004 bei der Orangenen Revolution. Die USA hätten in beiden Ländern die politische Situation so beeinflusst, dass 2008 über NATO-Beitritte diskutiert wurde. Zwei Jahre später, 2010, gewann dann der moskaufreundliche Wiktor Janukowytsch die Präsidentschaftswahlen und löste damit die proamerikanische Regierung ab. 2014 wurde diese gewählte ukrainische Regierung durch einen von den USA orchestrierten Putsch gestürzt.

Bankenkrise besiegelt Europas Abstieg

In diesen Zeitraum fällt auch die Finanz- bzw. Bankenkrise 2007/2008. Mit ihr habe der endgültige Abstieg Europas begonnen, nachdem die Beziehungen zu Russland zu kriseln begonnen hatten und die Idee der politischen Union gescheitert war. Aus der Banken- sei eine Eurokrise mit innerkontinentalen Spannungen und nationalem Auseinanderdividieren erwachsen sowie aufgrund der sozialen Krise und der Austeritätspolitik Spaltungen in Nord und Süd; während der Flüchtlingskrise 2015 dann eine weitere Spaltung zwischen in Ost und West.

In dieser Zeit habe sich Deutschland als führende europäische Nation den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) zugewandt und Handelsüberschüsse erzielt. Die deutsche Industrie profitierte vom günstigen Russland-Gas und exportierte techonlogische Spitzen-Produkte in die riesigen BRIC-Märkte. Dies sei den USA zunehmend ein Dorn im Auge gewesen.

Der Ukraine-Krieg könnte als Katalysator dafür wirken, sich zu überlegen, weshalb die europäische Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten schieflief, meinen Guérot und Ritz. In diesem Krieg sehen sie den Grund, weshalb die Europäische Union als politisches Projekt gescheitert ist. Für die Zukunft halten sie es für entscheidend, ob Europa es schafft, autonome sozioökonomische Strukturen in einem regionalen Verbundsystem zu erhalten, die der kulturellen Vielfalt Europas gerecht werden.

Analytisch bereichernd

Die Autoren liefern massenweise Argumente dafür, wem die aktuellen Kriegssituationen dienen und wer davon profitiert. Sie verweisen dazu auf wichtige Ereignisse der Diplomatie, Vertragswerke, berühmte Reden, Strategiepapiere, geopolitische Überlegungen und deklarierte Ziele der politischen Eliten und betonen, warum Länder wie Deutschland oder die Ukraine im Raum der politischen Globaldominanz zwischen Ländern wie der USA und Russland entscheidend sind.

Mindestens seit 2015 plane die USA, Russland von Europa abzutrennen, und zwar mit einem neuen Eisernen Vorhang vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Den USA mache eine alte Sorge zu schaffen: die Angst, dass sich Deutschlands Kapital und Technologie mit Russlands Rohstoffen und Arbeitskraft zu einer konkurrenzwürdigen Macht verbinden könnten. Dazu stellen Guérot und Ritz immer wieder Zeitdiagnosen bereit, etwa Sätze wie:

«(…) während der Zeit des Kalten Krieges hat der Westen die universalen Werte der europäischen Aufklärung – égalite, liberté, fraternité – gegen die partikularen und manipulativen Werte der Postmoderne vertauscht. Diese hegemoniale amerikanische Kulturpolitik verfolgte das Ziel, den erkenntnistheoretischen Boden des Marxismus zu zersetzen.»

Zweifellos ging es dabei darum, die ideologischen Grundlagen des von den USA zum Feind erklärten «Kommunismus» zu zerstören. Zur «Zerstörung der europäischen Sozialdemokratie» schreiben die Autoren:

«Das kulturelle Erbe Europas, nämlich die Weitergabe des Wissens um die intellektuellen Grundlagen der europäischen Geistes- und Ideengeschichte an die jüngere Generation – also politische Ideen wie Republik, res publica, Gemeinwohl, Sozialdemokratie, Sozialismus oder gar Kommunismus – ist durch die vorgenommenen semantischen Umdeutungen (zuletzt: Solidarität ist «Impfen») massiv gestört worden. (…) Fragt man Studierende heute, was Sozialismus ist, dann reagieren viele geradezu verschreckt und bekommen kein Wort über die Lippen, so sehr ist es gelungen, den Begriff negativ zu konnotieren.»

So stellt der Essay gewissermassen auch ein Erinnerungsort der europäischen Kulturgeschichte dar. Stellenweise gibt es thematische Überschneidungen in unterschiedlichen Teilen des Buches bzw. Wiederholungen, was zeitweise eine solid-stringente Gedankenführung erschwert. Das ist vielleicht der Form des Essays geschuldet, die flüssiges Schreiben und Lesen ermöglichen soll. Manche Gedanken verharren an der Oberfläche, und man wünscht sich mehr Tiefe, um der historischen Komplexität gerechter zu werden. Einige Argumente beschränken sich auf plastische Beispiele anekdotischer Evidenz.

Die auf eine globale geopolitische Ebene hin erweiterte Perspektive dieses Essays erweist sich als äusserst nützlich, ja notwendig. So wird erkennbar, dass die jüngste Geschichte Europas untrennbar mit den Machtansprüchen der USA zusammenhängt. Die Autoren erhellen das Verständnis für die Vorgeschichte des Ukraine-Konflikts und erinnern daran, wofür die europäische Idee nach dem Zweiten Weltkrieg eigentlich stand.

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Zu den Autoren:

Ulrike Guérot studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Bonn, Münster und Paris. Sie ist Professorin für Europapolitik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Autorin und Aktivistin in den Themenbereichen Europa und Demokratie, mit Stationen in Think Tanks und an Universitäten in Paris, Brüssel, London, Washington, Berlin und Wien. 2016 wurde ihr Buch «Warum Europa eine Republik werden muss. Eine politische Utopie» europaweit ein Bestseller. 2022 veröffentlichte sie bereits «Wer schweigt, stimmt zu», eine Analyse der deutschen Corona-Politik.

Hauke Ritz studierte an der FU und HU Berlin. Nach seiner Dissertation im Fach Philosophie mit dem Schwerpunkt Geschichtsphilosophie wendete er sich verstärkt Fragen der Aussenpolitik und Friedensforschung zu. Dabei stand für ihn der Ost-West-Konflikt im Mittelpunkt, dessen Fortbestehen er seit 2008 im Zuge verschiedener Publikationen und seit 2014 durch regelmässige Russlandreisen erforscht. Hauke Ritz hat an der Universität Giessen, der MSU und RGGU in Moskau sowie der Universität Belgorod unterrichtet und war zuletzt für den DAAD in Moskau tätig.

Buch-Hinweis:



Ulrike Guérot, Hauke Ritz: Endspiel Europa. Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist – und wie wir wieder davon träumen können. Westend, 2022. 208 S., 20,00 €. ISBN 978-3-8648-9390-2. Auch als E-Book erhältlich.

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