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Präsident von Kolumbien zum Ukraine-Krieg: „Ein Nato-Spiel, das den Aufbau einer russischen Reaktion begünstigt hat“

Published On: 11. Dezember 2022 14:00

Kolumbiens Präsident Gustavo Petro hat Radio France Internationale und France 24 ein sehr aufschlussreiches Interview gegeben. Er spricht über den Krieg Russland-Ukraine aus lateinamerikanischer Perspektive, die schwierige Rolle Kolumbiens als einziges „Partnerland“ der Nato in Lateinamerika, sein Verhältnis zu Venezuela, neue drogenpolitische Ansätze für sein Land, die geplante Agrarreform sowie die Verhandlungen mit allen bewaffneten Gruppen in seinem Land unter dem Motto des „Totalen Friedens“. Das Interview führten Angelica Pérez und Marc Perelman.

Herr Präsident, ich möchte über den Krieg zwischen der Ukraine und Russland sprechen. Lula (der designierte brasilianische Präsident) hat kürzlich gesagt, dass der derzeitige ukrainische Präsident Zelenskyj genauso verantwortlich ist wie der russische Präsident Wladimir Putin. Ist das auch Ihre Meinung?

Ich gehe noch ein wenig darüber hinaus. Lateinamerika wurde bereits mehrfach überfallen. Erste Invasion: Spanien und Portugal. Aber von da an fielen die Franzosen, die Engländer und die Nordamerikaner ein. In der jüngeren Geschichte gab es eine ganze Reihe nordamerikanischer Invasionen. Wir haben im 21. Jahrhundert Invasionen im Nahen Osten erlebt: Irak, Libyen, Syrien.

Ich frage mich, warum es einige Invasionen gibt, die gut sind und begrüßt werden, während dieselben Leute, die diese Invasionen begrüßen, andere ablehnen. Gibt es gute Invasionen und schlechte Invasionen, oder gibt es eine Machtachse, die das eine oder das andere bestimmt und qualifiziert, die einen fördert und die anderen angreift, je nach ihrem eigenen geopolitischen Interesse?

Aber Wladimir Putin trägt in diesem Fall eine größere Verantwortung als Wolodymyr Selenskyj ? Oder sind es die USA?

Nein, das ist eine Diskussion, die ich Ihnen überlasse. Was wir beobachten, ist ein Nato-Spiel, das den Aufbau einer russischen Reaktion gegen ein Volk begünstigt hat, das weder mit der Nato noch mit den Russen zu tun hatte, nämlich das ukrainische Volk.

Dieses Spiel wollten sie auch in der südamerikanischen Ecke, in die ich gehöre, durchsetzen – das Nato-Russland-Spiel, Handelskrieg USA-China. Das hat nichts mit den Interessen Lateinamerikas zu tun. Und insofern ist das Beste, was wir tun können, Abstand nehmen und Frieden vorschlagen.

Wenn Lula mit uns, mit dem mexikanischen Präsidenten und mit anderen Regierungen der Welt einen Aufruf zum sofortigen Dialog, zum sofortigen Waffenstillstand und zur sofortigen Beendigung des Krieges unterzeichnen will, sind wir dazu bereit.

„Die Nato steht für das Nordatlantische Bündnis. Wir kommen aus der Karibik und dem Pazifik und wir sind sehr, sehr lateinamerikanisch“, twitterten Sie im Jahr 2013. Kolumbien ist das einzige lateinamerikanische Land, das seit 2018 ein umfassendes Abkommen mit dem Nordatlantischen Bündnis geschlossen hat. Dieser Status ermöglicht eine enge Zusammenarbeit mit der Nato in militärischen und sicherheitspolitischen Fragen. Tatsächlich bildet die kolumbianische Armee auf Ersuchen der Nato ukrainische Soldaten in Minenräumung aus. Halten Sie es für angebracht, dieses globale Abkommen mit der Nato fortzusetzen?

Ich bevorzuge ein lateinamerikanisches Bündnis. Dies ist ein Weg, der natürlich erst noch geschaffen werden muss, aber in der Perspektive der globalen Geopolitik und nicht jener Konflikte, die nicht unsere sind, die nichts mit unterschiedlichen sozialen Formeln zu tun haben, sondern mit Wirtschaftsmächten, die einander entgegenstehen. Und mit der Unfähigkeit Westeuropas, auf saubere Energien umzusteigen, die dazu geführt hat, dass es abhängig vom Gas ist, und diese Abhängigkeit hat zum Konflikt geführt.

Wir sollten uns zusammenschließen, nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht oder im Hinblick darauf, was die Klimakrise für Lateinamerika bedeutet und wie wir planen und uns organisieren, um dies mit einer Dekarbonisierungsagenda zu bewältigen, sondern auch in militärischer Hinsicht.

Wir werden niemals offensiv vorgehen. Soweit ich mich erinnern kann, ist kein lateinamerikanisches Land jemals in die Offensive gegangen. Wir sind immer defensiv gewesen, und ich glaube, dass das wichtig ist, denn in der großen Verfassung unserer Völker muss der Weltfrieden stets als Priorität festgeschrieben sein.

Ist das Ihre Idee oder wird dies bereits mit anderen Ländern diskutiert?

Es gab Gespräche und gewisse Absichten, aber bisher wurde das nicht verwirklicht.

Um vom Frieden zu sprechen: Am 4. November haben Sie das Gesetz gebilligt, das den Vorschlag für einen „Totalen Frieden“ in Gang setzt. Das bedeutet unter anderem Verhandlungen mit der ELN-Guerilla, mit Farc-Dissidenten und auch mit anderen bewaffneten Gruppen. Ganz konkret gefragt: Gibt es schon Ergebnisse, gibt es Verhandlungen? Was geschieht gerade?

Wir haben bei dem Stand des Friedensprozesses von [Juan Manuel] Santos angesetzt. Das Friedensabkommen mit den Farc wurde abgeschlossen und muss nun erfüllt werden. Diese Vereinbarung kostet eine Menge Geld. Allein der erste Punkt, den ich in den letzten Monaten angesprochen habe, nämlich die Agrarreform auf drei Millionen Hektar fruchtbarem Land, hat einen Wert zwischen 30 und 60 Billionen Pesos, zwischen sechs und acht Milliarden Dollar, die in kurzer Zeit beschafft werden müssen und die wir bereitstellen müssen.

Es ist eine Investition, denn es sind keine wirklichen Ausgaben. Auf diesen drei Millionen Hektar würden Lebensmittel produziert, wirtschaftliche Multiplikatoren geschaffen und eine ländliche Mittelschicht entstehen.

Das ist der eine Punkt: die Friedensabkommen mit den Farc zu erfüllen und die Optionen für einen Frieden mit der ELN zu eröffnen, die ebenfalls an einem Zwischenpunkt waren und abrupt unterbrochen wurden. Ich bin von diesem Zwischenstand ausgegangen, habe die vereinbarten Protokolle anerkannt etc.

Wo stehen wir jetzt?

Wir sind so weit, dass die ELN nach dem soeben verabschiedeten Gesetz bereits ihre Sprecher und Verhandlungsführer gewählt hat. Das haben auch wir getan. Dies wird zu gegebener Zeit bekannt gegeben, wir können es im Moment aber noch nicht sagen. Auch der Ort ist noch nicht gewählt, das steht erst noch bevor. 1 Es war Kuba, und weil Kuba sein Territorium zur Verfügung gestellt hat, beschloss die Ultrarechte, die das Land nach der Santos-Regierung führte, der Ultrarechten, die die USA nach dem Friedensabkommen regierte, zu sagen, dass sie Kuba auf die Liste der terroristischen Länder setzen solle, was sie auch getan hat.

Kubas Strafe dafür, dass es sein Territorium angeboten hat, um in Kolumbien Frieden zu schaffen, war, es durch die Aufnahme in die Liste der Länder, die den Terrorismus begünstigen, international noch mehr zu isolieren.

Die geografische Frage ist heute aufgrund dieser Vorgeschichte also problematischer. Und daran arbeiten wir. Sobald dies feststeht, werden sich die Unterhändler der einen und der anderen Seite an diesem geografischen Ort mit einigen Ländern zusammensetzen, die angeboten haben, als Garanten für den Prozess zu fungieren. Dazu gehören Kuba, Norwegen und Venezuela. Auch Brasilien war dabei, und jetzt müssen wir abwarten, was dort nach dem Dezember passiert. Es gibt Länder, die sich dem Prozess angenähert haben. Frankreich hat mir gerade gesagt, dass wir bei allem auf die französische Regierung zählen können. Spanien ist auf mich zugekommen und hat sich während der Wahlkampfzeit sogar mit mir zusammengesetzt. Spanien hat die ELN auf die europäische Terrorliste gesetzt, und das sorgt für gewisse Unruhe.

Die Welt hat ihre Unterstützung für den Beginn eines Friedensprozesses mit der ELN zum Ausdruck gebracht.

Doch dabei wollen wir es nicht belassen. Wir wollen die heute bewaffneten Farc-Dissidenten für den Frieden zurückgewinnen und wir wollen eine Perspektive eröffnen, deren Grenze nur schwer zu bestimmen ist, weil die Konflikt- und Gewaltverhältnisse in Kolumbien seit langem vom Drogenhandel durchdrungen sind.

Es gibt reine Drogenhändlerorganisationen, die ein bestimmtes Gebiet kontrollieren und in den letzten Jahren an Macht gewonnen haben. Wir bräuchten fast das ganze Alphabet, um sie zu benennen.

Und mit ihnen wollen wir keinen politischen Dialog führen ‒ denn dabei geht es um Macht und nicht darum, dem Drogenhandel Macht zuzugestehen ‒ sondern einen juristischen Dialog, bei dem die Justiz mit dieser Art von Organisation über rechtliche Vergünstigungen verhandeln kann, im Gegenzug für eine friedliche Selbstauflösung nach den Grundsätzen von Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. In gewisser Weise geht es darum, dem Drogenhandel das Proletariat zu entreißen.

Der Drogenhandel geht dann vielleicht weiter, denn solange es das Kokainverbot gibt, wird es auch die Mafia geben, aber es ist ein Schritt nach vorn, zumindest aus der Perspektive der Befriedung Kolumbiens.

Und gibt es mit Iván Márquez, dem ehemaligen Farc-Anführer, Gespräche, offene Kanäle?

Iván Márquez ist einer der Dissidenten. Erst vor kurzem haben wir erfahren, dass er noch lebt, weil die [vorige] Regierung ihn offiziell wie viele andere, die lebend aufgetaucht sind, und von denen wir nichts wussten, für tot erklärt hatte. Aber wir wollen, dass sich die gesamten Dissidentengruppen einem Friedensprozess anschließen.

Sie erwähnten diese bewaffneten Gruppen aller Art, die mit dem Drogenhandel verbunden sind. Mehrere dieser kriminellen Banden haben ihre Bereitschaft erklärt, den Vorschlag anzunehmen. Doch in diesem Jahr ist die Zahl der Morde in den Gebieten, in denen diese Gruppen operieren, in die Höhe geschnellt und hat die des vergangenen Jahres übertroffen. Warum sollten diese Gruppen, die die Macht vor Ort haben, die das Geld haben, die den Drogenhandel kontrollieren, wirklich bereit sein, über ihre Auflösung zu verhandeln, wenn nicht gar über Straffreiheit? Was könnte sie an Ihrem Vorschlag reizen?

Wir sprechen hier vom Proletariat des Drogenhandels. Das heißt, das sind Organisationen, die in ausgegrenzten Gebieten leben, die nicht wie die großen Drogenhändler leben, die sich relativ gering bereichert haben, die eher territoriale Macht haben als alles andere und meist junge Leute sind.

Wenn wir von der Pazifikregion sprechen, sind es junge Schwarze, die andere junge Schwarze töten und eine immer schlimmere werdende Brutalität entwickeln, weil die Hierarchie dieser Art von Banden darauf aufgebaut ist, wie brutal einer ist. Es gibt eine sehr hohe Gewaltbereitschaft gegenüber der Bevölkerung des Gebiets, Massaker werden begangen, und, wie Sie gesagt haben, Kriege untereinander geführt.

Weil sie diese Kontrolle ausüben, bieten sie den Besitzern des Drogenhandelkapitals ihre Dienste an: Sie bewachen die Lieferungen, transportieren sie, laden sie auf Schiffe und überwachen die Routen für den Export von Kokain. Die Routen gehen außerhalb Kolumbiens weiter. Diese Kapitaleigner sind heute bereits multinational aufgestellt und verfügen über ein derartiges Wissen über die geopolitischen Konflikte der Welt, dass sie diese nutzen, um die Kokainrouten aufzubauen, die Amerika zu einer der gewalttätigsten Regionen der Welt gemacht haben.

Was die Toten angeht, so verblassen der Krieg in der Ukraine oder die Kriege in Libyen, Syrien oder im Irak im Vergleich zu den Zahlen der Toten in Lateinamerika, ohne dass ein Krieg zwischen Nationen erklärt worden wäre. Aber es ist sehr ein Krieg, der dieses Gemetzel bewirkt hat, und der nach Nixons Slogan der Krieg gegen die Drogen ist.

Ich glaube, der Grund dafür, dass sie verhandeln, ist, dass das Geld nicht mehr nach Kolumbien kommt. Diese Art von multinationaler Organisation, bei der es sich nicht mehr um die alten kolumbianischen Kartelle handelt, bewegt ihr Geld im globalen Finanzsystem. Vielleicht ist dies einer der Gründe für die drastische Abwertung des kolumbianischen Pesos in den letzten Jahren.

Was soll das Proletariat des Drogenhandels also tun? Töten oder sterben? Ins Gefängnis gehen? Keine Möglichkeiten haben? In ständiger Angst und andauerndem Schrecken leben? In der Barbarei zugrunde gehen?

Ich denke, es gibt sehr wohl eine Möglichkeit: Wenn der Staat in Form von rechtlichen Vergünstigungen, in Form der Eröffnung von Möglichkeiten für ein normales Leben, von Wissen, einschließlich des Wohlstands dieser Regionen, ihnen eine Hand reichen würde, wären viele Menschen bereit, von dieser Seite der dunklen Welt auf die Seite des Aufbaus eines intensiven Lebens zu wechseln.

Kolumbien ist der größte Kokainproduzent der Welt und zugleich ein Opfer dessen. Als kolumbianischer Präsident prangern Sie das völlige Scheitern der Drogenbekämpfungspolitik an, es sei prohibitionistisch und umweltzerstörerisch. Und dieser Krieg gegen illegale Drogen wird seit 50 Jahren von den USA organisiert. Sie haben sich mit hochrangigen US-Regierungsvertretern getroffen: Mit Außenminister Anthony Blinken, mit einer offiziellen Delegation, die von Ihrem Amtskollegen Joe Biden entsandt wurde, um ausdrücklich mit Ihnen zu sprechen, und mit dem Chef der CIA. Zu welchen konkreten Maßnahmen hat Washington sich verpflichtet, hinsichtlich Ihrer Vorstellung davon, wie der Kampf gegen den Drogenhandel und der Umgang mit illegalen Drogen eigentlich aussehen sollten?

Ich glaube, der politische Sektor, der heute in den USA an der Regierung ist, ist sich bewusst, dass der Krieg gegen die Drogen gescheitert ist. Dort können sie es nicht sagen, sie müssen sich sehr vorsichtig, sehr dickhäutig verhalten, aber ich denke, sie sind sich dessen bewusst. Darüber haben wir hier gesprochen.

Es gibt eine Million tote Lateinamerikaner. Millionen von Menschen, die meisten von ihnen Schwarze, haben wegen des Konsums oder des Mitführens einer geringen Menge Drogen in US-Gefängnissen gesessen. Die Mafias sind mächtiger als früher.

Der berühmte Pablo Escobar verblasst gegenüber der Macht von Organisationen, die heutzutage eine ganze Armee im Stil der Marineinfanterie auf die Beine stellen können, Gebiete in jedem Teil Amerikas kontrollieren, Staaten wie Haiti in die Knie zwingen und die Demokratie dermaßen destabilisieren, dass sie Amerika zu einem der gewalttätigsten Orte gemacht haben. Auf der anderen Seite tötet das Kokain in den USA jährlich 3.000 bis 4.000 Menschen, mehr durch die Mischungen, die im Untergrund hergestellt werden. Und Fentanyl tötet 100.000 Menschen.

Herr Präsident, wollen Sie die Legalisierung in Kolumbien? Und die Auslieferung von Drogenhändlern an die USA stoppen?

Zunächst einmal ist die Legalisierung von Kokain in Kolumbien nutzlos. Sie würde uns blockieren. Wir würden die Welt vergessen. Das Phänomen wäre sogar noch viel gewalttätiger.

Was wir vorschlagen, ist kein Liberalismus in Bezug auf den Drogenkonsum, den einige Gesellschaften zulassen. Wir schlagen vor, dass das gesamte Geld, das für einen gescheiterten Krieg ausgegeben wird, das heißt viele Milliarden Dollar, für die Prävention des Drogenkonsums ausgegeben werden sollte, damit mit Kokain das Gleiche geschieht wie mit Nikotin.

Es gibt Gesellschaften, die immer noch rauchen, unsere tut das nicht mehr. In Kolumbien lässt sich belegen, dass sich der Konsum von Tabak oder Zigaretten, der Nikotinkonsum allgemein, durch die Präventionskampagne und die Veränderungen, die die Gesellschaft im Laufe der Zeit erfahren hat, fast auf Null reduziert hat, ohne zu kriminalisieren. Es ist nicht leicht, in Kolumbien jemanden zu finden, der raucht. Warum ist das möglich, wo der Zigarettenkonsum legal ist und der Kokainkonsum nicht?

Wenn sich die Gesellschaften mit der Zeit verändern, wenn sie solidarischer und wenn diese Milliarden Dollar in die Prävention und in die Bildung investiert werden, dann seien Sie sicher, dass der Kokainkonsum im Laufe der Zeit gegen Null tendieren wird.

Darum geht es. Und es wird keine Toten geben. Diese Katastrophe, in die Lateinamerika in diesen 50 Jahren gestürzt wurde, wird es nicht mehr geben. Die Perspektiven wären anders.

Ich spreche nicht von Entkriminalisierung, damit Kokain sich in eine Art Coca-Cola für den weltweiten Konsum verwandelt. Ich spreche davon, den Kampf gegen die Drogen in der Weise neu auszurichten, dass er seine gewalttätigen und repressiven militärischen Aspekte aufgibt und sich auf die Aspekte der öffentlichen Gesundheit und der Vorbeugung konzentriert, denn ich glaube, dass dies der effektivste Weg ist.

In den vergangenen Jahren ist der Präsident von Venezuela, Nicolás Maduro auf der internationalen Bühne wie eine Persona non grata behandelt worden. Heute verlangt der Klimanotstand von uns, den Amazonas-Regenwald zu retten. Sie haben es vorgeschlagen und Venezuela muss ein wichtiger Teil dieses weltweiten Kreuzzuges zur Rettung des Amazonasgebietes sein. So haben Sie es beim COP 27 formuliert. Ich frage Sie, Herr Präsident: Reichen Sie Ihrem venezolanischen Amtskollegen die Hand, damit er als ein rechtmäßiger Präsident auf die internationale Bühne zurückkehrt, nicht nur, um den Amazonas-Dschungel wiederzubeleben, sondern auch den Dschungel der internationalen diplomatischen Beziehungen?

Ja, so ist es. Aber nicht nur bei Anlässen wie den Klimakonferenzen, sondern auch bei den Treffen in Mexiko. Jetzt gehe ich zu einem Treffen, das organisiert wurde, um darüber mit der französischen und der argentinischen Regierung, mit einem Delegierten der Opposition und der venezolanischen Regierung zu sprechen.

2024 wird es Wahlen geben. Aber diese Wahlen dürfen nicht wie die vorangegangenen sein, nicht zu einer weiteren Polarisierung beitragen, die, auch wenn die Gewalt nicht das Ausmaß wie in Kolumbien hat, sogar zu bewaffneten Zusammenstößen führen könnte, sondern sie müssen ein Weg hin zu einem Pakt sein.

In Venezuela ist wenig darüber diskutiert worden, was es für ein Land, das seit einem Jahrhundert vom Öl lebt ‒ und das abhängig vom internationalen Preis reich geworden ist und arm wurde, als der internationale Preis einbrach ‒ bedeuten könnte, ohne Öl zu leben.

Ich glaube, dass die Diskussion über die Klimakrise die Frage auf den Tisch bringt. Und ich wäre sehr daran interessiert, dass die venezolanischen politischen Kräfte bei diesen Vereinbarungen ‒ die mehr mit den repressiven Maßnahmen zu tun haben, die ergriffen wurden und die ergriffen werden könnten, wenn die andere Seite gewinnt, oder mit den Garantien für beide Seiten bei den Wahlen 2024 ‒ auch diskutieren, was aus Venezuela wird, wenn die Nachfrage nach Öl einbricht, um die Menschheit vor der Klimakrise zu retten. Wie man zu einer produktiven Wirtschaft übergeht. Das wäre eine Agenda einer echten politische Vereinbarung und eines echten Sozialpakts. Offensichtlich bin ich nicht dort. Ich kann dahingehend keinen Druck ausüben.

Ich bin daran interessiert, dass in Venezuela Frieden ist und in Kolumbien Frieden herrschen kann.

Aber Herr Präsident, für Viele ist Nicolás Maduro nicht der wahre Präsident von Venezuela, denn es gab diese Wahl und er wird von den Vereinten Nationen der Verbrechen gegen die Menschheit verdächtigt. Und was Sie tun, das ist, jemanden zu legitimieren, der es nicht verdient hat. Was ist Ihre Antwort?

Dies sind politische Positionen. Die Vereinten Nationen erkennen Maduro an, sonst hätte er nicht zur COP gehen können.

Die Menschenrechtsverletzungen, die es, wie ich glaube, tatsächlich in Venezuela gegeben hat, sind in Kolumbien viel schlimmer gewesen und was ich gesehen habe, waren Umarmungen mit Präsidenten Kolumbiens, während Tausende von Jugendlichen von der kolumbianischen Armee erschossen wurden, während gerade bei einer Demonstration von Jugendlichen 100 Menschen getötet und 200 verhaftet wurden. Und was ist das?

Ich habe sowohl Venezuela als auch Kolumbien vorgeschlagen, wie ich es auch Lateinamerika vorschlage, dass wir die Amerikanische Konvention als den großen Menschenrechtsvertrag der Region von Alaska bis Patagonien wieder stärken.

Ich bin Präsident geworden, nachdem ich vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte meine politischen Rechte retten musste. Ansonsten hätten sie sie mir in Kolumbien auf Lebenszeit weggenommen. Und ich kann sogar sagen, dass ich Glück habe, noch zu leben, denn wäre es ein paar Jahre früher gewesen, wäre der Präsidentschaftskandidat der Linken ermordet worden. Der Punkt ist, dass man in dieser Frage der Menschenrechte mit moralischer Autorität sprechen muss. Und es stellt sich heraus, dass Viele, die andere kritisieren, in ihrem eigenen Land ein noch größeres Problem haben.

Nun, ich weiß, dass die Lösung des Menschenrechtsproblems in Kolumbien mit komplexen Situationen zu tun hat, einschließlich der des Drogenhandels, der in vielen Teilen des Landes soziale Führungspersönlichkeiten tötet und Massaker verübt. Doch die Regierungen haben keine Wege geschaffen, das Problem zu lösen. Hier wie dort muss also die Achtung der Menschenrechte vorherrschen, und die Amerikanische Konvention mit ihrem Rechtssystem ist ein gutes Instrument.

Ich habe Venezuela eingeladen, dem Interamerikanischen System wieder beizutreten, eine Charta der Rechte für alle seine Partner und seine Bürgerschaft zu akzeptieren. Wenn in der Vergangenheit bestimmte Personen Menschenrechte verletzt oder Verbrechen begangen haben, die als internationale Verbrechen eingestuft werden können, dann gibt es dafür entsprechende Ermittlungen. Wir wollen, dass auch in Kolumbien ermittelt wird. Und wir wollen, dass in ganz Amerika ermittelt wird.

Niemand in der Regierung sollte die Möglichkeit oder die Straffreiheit haben, die Menschenrechte zu verletzen. Aber wir gehen von einem Grundsatz aus: Es geht nicht darum, die Länder zu verurteilen, so dass sie immer weiter gegen die Menschenrechte verstoßen, sondern darum, dass sie auf der Grundlage eines politischen Abkommens, eines Paktes, aus solchen Geschehnissen herauskommen.

Schauen Sie sich an, was uns an der Grenze passiert ist. Niemand macht das öffentlich. Aber die ganze kolumbianisch-venezolanische Grenze befindet sich seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen in den Händen der Mafia.

Jede Frau, die diese klandestinen Pfade überquerte, wenn ihr Cousin oder ihre Mutter auf der einen Seite und ihr Vater auf der anderen Seite waren und die Überquerung notwendig war, oder um Lebensmittel oder Medikamente zu kaufen, lief Gefahr, mit hoher Wahrscheinlichkeit vergewaltigt zu werden. Tausende von Frauen jeden Tag.

Die Geschichte der Menschen ist noch nicht geschrieben worden, die bei der Überquerung der Grenze starben oder getötet wurden, die Geschichte der sexuellen Gewalt, die es in diesem Hunderte von Kilometern langen Gebiet gab, wo Millionen von Menschen von einer Seite auf die andere gehen müssen, weil sie ein und dasselbe Volk sind. Aber eine politische Entscheidung blockierte das und überließ den Raum den schlimmsten Verbrecherorganisationen, was die Brutalität angeht.

Wir haben Hunderttausende oder Millionen von Venezolanern aufgenommen, die genaue Zahl werden wir eines Tages haben, die heute zusammen mit Kolumbianern den Tapón del Darién überqueren, wo jeden Monat genau das Gleiche passiert:

Zehntausende von Frauen, Männern und Kindern sterben in einer der unwirtlichsten Regionen der Welt, weshalb sie auch Tapón del Darién genannt wird, die Grenze zwischen Kolumbien und Panama. Und die Organisationen des Drogenhandels, die Kojoten, wie sie genannt werden, vergewaltigen Frauen, ermorden Menschen. Und es gibt Menschen, die einfach durch die Gefährlichkeit des Gebiets umkommen oder ertrinken. Und wenn sie in den USA ankommen, werden die Überlebenden mit Maschinengewehren erwartet.

Meiner Auffassung nach muss die Charta der Menschenrechte in Amerika wieder eingeführt werden, denn ich bin der Meinung, dass diese Charta für alle gilt.

Ihre Regierung ist die erste linke Regierung in der Geschichte Kolumbiens, die mit einer ehrgeizigen sozialen Agenda antritt, die Sie “Der totale Frieden” nennen. Die großen Umwälzungen, Herr Präsident, beinhalten, dass Interessen angetastet werden. Befürchten Sie, dass Sektoren, die sich wirtschaftlich oder ideologisch betroffen sehen, versuchen könnten, Ihre Regierung zu destabilisieren oder anzugreifen?

Sie sind bereits dabei. Ich hatte mein Amt gerade angetreten und schon riefen sie zu Demonstrationen auf. Sie dachten, sie würden sehr groß werden, aber bisher sind sie sehr, sehr klein. Sie haben darüber nachgedacht, wie sie die Mehrheitskoalition, die ich im Kongress bilden konnte, durchbrechen. Bislang konnten sie das nicht.

Die Aktivität der kolumbianischen Presse besteht tagtäglich in Desinformation. Gerade sind zwei oder drei Umfragen ‒ ich habe sie mir nicht genau ansehen können ‒ von denselben Medien erschienen, die der Regierung 61 oder 60 Prozent Zustimmung bescheinigen. Und sie sagen: Ja, das ist so, aber die Mehrheit der Kolumbianer ist gegen ihre Politik. Warum haben wir dann heute eine Zustimmungsrate von 61 Prozent?

Sagen wir, bis jetzt ‒ aber es ist eine sehr kurze Zeit, erst drei Monate sind vergangen ‒ haben wir die Absicht und die Handlung gespürt, aber die Regierung hat in der Gesellschaft und in der Politik eine große Stärke.

Die Front, die wir aufgebaut haben und die uns den Sieg ermöglichte, ist nach wie vor solide. Es ist uns gelungen, Sektoren der Gesellschaft anzuziehen, Millionen von Kolumbianern, die gegen uns gestimmt haben, sind jetzt mit uns. Ich sage nicht, dass dies auf Dauer so bleiben wird. Aber bisher hat uns das ermöglicht, im Land stark zu sein.

Übersetzung: Vilma Guzmán und Klaus E. Lehmann, Amerika21

Die komplette spanische Fassung ist hier einsehbar:

Titelbild: Screenshot FRANCE 24 Español

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