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Wann und wie wird die Ukraine-Krise beendet?

Published On: 16. Dezember 2022 17:47

Russland ist zu Gesprächen bereit, der Westen aber lehnt Verhandlungen mit Russland kategorisch ab, solange Russland nicht seine totale Niederlage eingesteht und alle Truppen zurückzieht. Wie könnte ein Ausweg aussehen?

Russland teilt immer wieder mit, dass es zwar keinerlei Vertrauen zum Westen mehr hat, dass Moskau aber trotzdem zu Gesprächen mit dem Westen bereit ist, da man sich – wie Putin es kürzlich sagte – sowieso irgendwann einigen müsse. Da wäre es besser, das früher als später zu tun. Der Westen lehnt Gespräche mit Russland jedoch ab, solange Russland nicht de facto seine totale Niederlage eingesteht, indem es alle Truppen zurückzieht.

Der TASS-Analyst Andrej Schitow, dessen Analysen ich sehr schätze, weil er ein sowohl in Russland als auch den USA hervorragend vernetzter „alter Hase“ des Journalismus ist, hat dazu eine Bestandsaufnahme geschrieben, die die Tendenzen und Ansichten in den USA und in Russland berücksichtigt und daher ausgesprochen interessant ist. Ich habe seine Analyse übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

„Wir müssen uns sowieso einigen“: Worüber der russische Präsident und ein US-General sich einig sind

Ein ist Jahr her, seit Russland dem kollektiven Westen ein Abkommen über Sicherheitsgarantien angeboten hat. (Anm. d. Übers.: Was genau Russland den USA und der NATO vor einem Jahr als gegenseitige Sicherheitsgarantien vorgeschlagen hat, können Sie hier nachlesen. Wäre der Westen darauf eingegangen, gäbe es in der Ukraine heute keinen Krieg.) Stattdessen ist ein hybrider Krieg ausgebrochen, der die Militäroperation in der Ukraine einschließt, aber nicht darauf beschränkt ist; es gibt keine Verhandlungen und es sind keine absehbar. Und zwar so sehr, dass, wie ein mir bekannter russischer Diplomat neulich spöttisch bemerkte, „Ausweglosigkeit im wahrsten Sinne des Wortes“ das vorherrschende Gefühl geworden ist.

Wenn die Kanonen sprechen…

Im Prinzip ist das verständlich. Diplomatie ist eine Kunst, aber wenn die Kanonen donnern, schweigen die Musen. Die Grundlagen für künftige Verhandlungspositionen werden auf realen Schlachtfeldern gelegt. Das ist übrigens wahrscheinlich der Hauptgrund, warum die westlichen Förderer des Kiewer Regimes die Phrasen dreschen, Kiew müsse „auf dem Schlachtfeld siegen.“

Derartige Propagandaschläge können von beiden Seiten kommen. Es ist allgemein anerkannt, auch im Westen, dass die Fähigkeit, in der modernen Weltpolitik „Fakten zu schaffen“, vor allem dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zugeschrieben wird. Und er sagte gerade in Bezug auf die Militäroperation: „Ja, der Einigungsprozess wird insgesamt wahrscheinlich nicht einfach und einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber so oder so müssen alle an diesem Prozess Beteiligten die Realitäten akzeptieren, die sich vor Ort ergeben.“

Kurz zuvor hat er daran erinnert, dass eine der Folgen der Militäroperation schon das Entstehen neuer Gebiete als Teil Russlands ist. „Dies ist schließlich ein bedeutendes Ergebnis für Russland, das ist ein ernstes Thema“, sagte der Präsident. „Und, seien wir ehrlich, das Asowsche Meer wurde zu einem Binnenmeer der Russischen Föderation – das sind ernste Dinge.“

Schließlich reagierte Putin auch auf die Äußerung der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass der eigentliche Zweck des Minsker Abkommens für den Westen darin bestand, Zeit zu gewinnen, um der Ukraine zu helfen, in ihrer Konfrontation mit Russland „stärker zu werden“. „Nun, was soll ich dazu sagen“, seufzte der russische Staatschef. „Auch so ist das Vertrauen natürlich fast bei Null, aber nach solchen Äußerungen stellt sich natürlich die Frage des Vertrauens: Wie soll man verhandeln, worüber, und kann man überhaupt mit irgendjemandem verhandeln, und wo sind die Garantien?“

„Aber am Ende werden wir uns trotzdem einigen müssen“, betonte der russische Präsident. „Ich habe schon oft gesagt, dass wir zu solchen Vereinbarungen bereit sind, wir sind offen. Aber das zwingt uns natürlich, darüber nachzudenken, mit wem wir es zu tun haben.“

Eine Rückkehr zum Vergangenen gibt es nicht

Auf jeden Fall, so der mir bekannte Diplomat, sei eine „konzeptionelle Rückkehr“ zu den Vorschlägen über Sicherheitsgarantien, die Moskau den USA und der NATO vor einem Jahr gemacht habe, jetzt „nicht zu erwarten“. „Wir werden das nicht selbst tun“, stellte der Gesprächspartner klar. „Denn wenn wir das tun, sollten wir die Position aktualisieren. Und die kann man nicht aktualisieren, denn alles hängt davon ab, wie sich die Situation vor Ort im Rahmen der Militäroperation entwickelt.“

Der Diplomat glaubt nicht, dass Washington und Brüssel selbst zu diesen Initiativen zurückkehren können. „Das ist ebenso unwahrscheinlich wie eine Absage an den weiteren Ausbau ihrer Hilfe für Kiew“, sagte er. „Sollte es jedoch zu so einer Situation kommen“, so sagte er, „werden wir ihren Standpunkt prüfen, bevor wir reagieren.“

Eine weitere Schlussfolgerung aus den Ereignissen des vergangenen Jahres sieht der Diplomat darin, dass „im Lichte der Geschehnisse jeder Dialog mit der NATO als Organisation nun generell ausgeschlossen ist.“ „Das geht so weit, dass wir, wenn Vertreter der NATO als Organisation bei internationalen universellen Plattformen auftauchen, verlangen werden, dass sie nicht anwesend sind“, führte er aus und machte nur eine Ausnahme für spezialisierte Formate für Sicherheitskooperation, wie zum Beispiel die OSZE.

Schließlich erinnerte der Experte daran, dass die anfänglichen Gespräche über Sicherheitsgarantien bei „einem schwachen, nicht sehr spezifischen Vorschlag der USA stehen geblieben sind: Nun, mal sehen, welche Beschränkungen für Angriffswaffen eingeführt werden können und so weiter und so fort.“ Auch das ist jetzt Vergangenheit, sagte er und benutzte die englische Formulierung „overtaken by events“. „Sie lassen weder für sich selbst noch für Kiew irgendwelche Einschränkungen zu, so dass es sinnlos ist, das Thema als solches zu diskutieren“, so der Diplomat. „Es ist zu einem Slogan geworden, zu einer Hülle.“

„In einer Sackgasse“?

Nach seinen Worten habe auch die jüngste Erklärung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dass auch russische Interessen berücksichtigt werden müssten, in Moskau übrigens auch keinen großen Eindruck gemacht, so der Gesprächspartner. Zum Abschluss seines Staatsbesuchs in den USA sagte Macron gegenüber TF1: „Wir müssen uns auf das vorbereiten, was nach [dem Ukraine-Konflikt] kommt, und darüber nachdenken, wie wir unsere Verbündeten schützen und gleichzeitig Russland Garantien für seine eigene Sicherheit geben können, wenn die Parteien an den Verhandlungstisch zurückkehren.“

„Ich bin sicher, dass nichts dahintersteckt“, sagte der russische Diplomat dazu. „Das ist ein Versuch, sich bekannt zu machen, mehr nicht. Dahinter verbirgt sich keine Position und kein Gegenangebot.“

Generell, so der Gesprächspartner, gebe es derzeit keinen Grund, mit einer Vermittlung zu rechnen, da das Problem nicht im „Überbringen von Signalen“, sondern in der Unvereinbarkeit der Positionen der Parteien liege. Seiner Meinung nach hat bisher nur der mexikanische Präsident „etwas mehr oder weniger Konkretes“ vorgeschlagen. Die anderen, einschließlich des Papstes, bieten lediglich Vermittlungsdienste an, sagte er und fragte: „Kannst Du nicht schreiben, dass die Situation völlig in der Sackgasse ist und man sich bewusst sein muss, dass das alles unlösbar ist?“

Dum spiro spero

Das kann ich, aber erstens glaube ich, dass es keine ausweglosen Situationen gibt, denn der Mensch denkt, aber Gott lenkt. Und zweitens sehe ich, dass viele andere genauso denken. Ich beobachte, dass jeder Kontakt zwischen Russland und dem Westen, der auch nur einen Hoffnungsschimmer auf eine Lösung verspricht, sofort in den täglichen Presseerklärungen des Kreml aufgegriffen wird. Der einflussreiche indische Politikwissenschaftler und Ex-Botschafter Bhadrakumar analysiert die unterschiedlichen Herangehensweisen von Biden und Macron an die Ukraine und ihren Führer akribisch und hält sogar fest, wer von ihnen Wladimir Selensky auf der Pressekonferenz erwähnt hat und wer nicht. Mein amerikanischer Freund, der für das Portal Issue Insight schreibt, fordert Macron und dessen türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan auf, „gemeinsam zuerst nach Moskau und dann nach Kiew zu fahren“ und Putin und Selensky zu einem „großen Deal“ in Ankara zu überreden.

Also, wie man im alten Rom zu sagen pflegte: „Solange ich lebe, hoffe ich.“ Experten auf beiden Seiten des Ozeans sind jedoch der Meinung, dass es derzeit keinen wirklichen Grund für Optimismus, kein „Licht am Ende des Tunnels“ gibt. Unser führender Amerikanist, der Akademiker Sergej Rogow, hat mir das auch so gesagt: „Es ist bisher keine Perspektive auf eine Normalisierung unserer Beziehungen zu den USA in Sicht.“ Der führende amerikanische Realpolitiker John Mearsheimer sagte in diesen Tagen: „Es gibt keine realistischen Optionen. Wir sind am Arsch (We’re screwed)“. Und Ian Bremmer, der Gründer und Präsident des Analyseunternehmens Eurasia Group, schrieb auf meine Frage, was der Auslöser für den Beginn eines Einigungsprozesses sein könnte: „Die Positionen der beiden Seiten liegen noch sehr weit auseinander. Wenn die Russen sich nicht aus den vier kürzlich annektierten Gebieten zurückziehen (oder dort eine militärische Niederlage erleiden), ist es schwer vorstellbar, dass die Ukrainer einem Waffenstillstand zustimmen oder dass die NATO sie dazu drängt.“

Die Stränge trennen?

Allerdings ist die derzeitige Situation historisch nicht beispiellos. Rogow erinnerte daran, dass die Situation während des Koreakriegs 1950-1953 und nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei 1968 „reichlich hoffnungslos“ aussah. Doch 1972, nachdem der demokratische Präsident Lyndon Johnson von dem Republikaner Richard Nixon abgelöst worden war, unterzeichneten die UdSSR und die USA das erste Abkommen zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen und das erste Abkommen zur Begrenzung strategischer Offensivwaffen (START 1).

Überhaupt haben, wie der Akademiker betonte, „Stellvertreterkriege“ in der Vergangenheit – sei es in Vietnam oder Afghanistan – Moskau und Washington nicht daran gehindert, sich in wichtigen Sicherheitsfragen zu einigen. „Auch jetzt ist die Notwendigkeit solcher Verhandlungen meiner Meinung nach ganz offensichtlich“, sagte er. „Allerdings ist es in einer Situation, in der es keine regelmäßigen diplomatischen Kontakte gibt, äußerst schwierig, solche Verhandlungen aufzunehmen.“

Nach Ansicht von Rogow können und sollten die Verhandlungsstränge getrennt werden. „Meiner Meinung nach ist es angesichts der Lage in der Ukraine äußerst unwahrscheinlich, dass eine politische Einigung über die ukrainische Frage erzielt wird“, sagte er. „Bislang hat man den Eindruck, dass es keinen Durchbruch geben wird. Aber die Verhinderung eines Atomkrieges liegt im gegenseitigen Interesse. Für uns, für die Amerikaner und für viele andere.“

Es gibt einen weiteren wichtigen Umstand, der nach seiner Ansicht nicht vergessen werden sollte. „Schließlich steht die Entwicklung einer neuen Generation amerikanischer Mittelstreckenraketen vor dem Abschluss“, sagte er. „Wir haben ein Moratorium für die Stationierung solcher Raketen vorgeschlagen. Vor einem Jahr gab es widersprüchliche Signale aus den USA, ob sie bereit seien, über diese Frage zu sprechen. Ich denke, dass das von größter Bedeutung ist, denn wenn die Stationierung neuer amerikanischer Hochpräzisionsraketen in der Nähe unserer Grenzen beginnt, so dass sie fast alle strategischen Ziele auf dem europäischen Territorium unseres Landes abdecken, dann wird natürlich jede Vereinbarung über strategische Offensivwaffen unmöglich werden.“

„Die nukleare Abschreckung ist hinfällig“?

Die Fragen der strategischen und nuklearen Sicherheit scheinen mir von größter Bedeutung zu sein. Das hat die Menschenrechtsaktivistin Swetlana Makowezkaja auf der jüngsten Sitzung des Präsidialrats zu Rechtsfragen angesprochen. Putin sagte ihr zur Gefahr eines Atomkriegs: „Sie haben Recht, diese Gefahr wächst, das kann man nicht leugnen.“ Und zu der Tatsache, dass Russland niemals zuerst Atomwaffen einsetzen würde, erklärte er: „Wenn wir sie unter keinen Umständen als erster einsetzen würden, dann könnten wir sie auch nicht als zweiter einsetzen, weil die Einsatzmöglichkeiten nach einem Atomschlag auf unserem Territorium sehr begrenzt sind.“

Als er diese Worte später vor Journalisten erklärte, erinnerte der Präsident daran, dass „die USA erstens die Theorie des Präventivschlags haben“ und zweitens „ein System für einen Entwaffnungsschlag entwickeln.“ Der Oberkommandierende der russischen Streitkräfte sagte weiter, dass Russland früher keine Mittel für solche Angriffe hatte, aber jetzt hat es sie, und sie sind „sogar effektiver“ als die USA, „weil, wenn wir schon über diesen Entwaffnungsschlag sprechen, dann könnte man vielleicht darüber nachdenken, die Idee unserer amerikanischen Partner zum Schutz ihrer Sicherheit zu übernehmen.“ (Anm. d. Übers.: Das bedeutet im Klartext: Die USA behalten sich in ihrer Nukleardoktrin die Möglichkeit eines atomaren Erstschlags vor, Russland hingegen schließt einen atomaren Erstschlag in seiner Nukleardoktrin bisher aus. Putin hat damit angedeutet, dass die neuen Pläne der USA für nukleare „Entwaffnungsschläge“ Russland dazu zwingen können, sich ebenfalls einen nuklearen Erstschlag vorzubehalten. Für politische Beobachter ist klar, dass dieses Thema im Kreml nicht zufällig zur Sprache gekommen ist, sondern dass das eine deutliche Warnung an die USA war, das Spiel mit dem nuklearen Feuer umgehend einzustellen.)

Deutlicher kann man es wohl nicht sagen. Und eine Schlagzeile aus dem neuesten Kommentar von Antiwar.com zu diesem Thema lautet: „Putin äußert reale nukleare Bedrohung; die USA gähnen“ Der Autor, Ray McGovern, ist ein ehemaliger hochrangiger CIA-Analyst, der Geheimdienstbriefings für US-Präsidenten vorbereitet und durchgeführt hat, und er ist jetzt ein Antikriegs- und Menschenrechtsaktivist. Früher kannten wir uns mal persönlich.

Und auch in Moskau ist man entsetzt. „Die nukleare Abschreckung ist hinfällig, sie existiert nicht mehr“, sagte mir einer unserer führenden Experten. „Die Tatsache, dass wir über ein Atomwaffenarsenal verfügen, hält niemanden auf … Es gab eine Zeit, da zitterte der Westen und diskutierte darüber, ob es erlaubt sei, tragbare Flugabwehrraketen an die Ukraine zu liefern. Und jetzt verlegen sie alles, was ihnen in die Hände fällt; bald geht das wohl bis zu Kampfflugzeugen. Und sie haben keine wirkliche Angst, sondern tun nur so, um zu zeigen, dass sie reagieren.“

Welche Signale denn noch?

Das bestätigt auch unser bekannter Analyst Dmitry Trenin, der bis vor kurzem das Moskauer Carnegie Centre geleitet hat. „Die nukleare Abschreckung … hat bewiesen, dass sie nicht ausreichend ist“, schreibt er in „Russland in der globalen Politik“. „Der indirekte Krieg der NATO mit der nuklearen Supermacht Russland wird in den USA und Europa nicht mehr als etwas wirklich Gefährliches angesehen.“ Es ist so weit gekommen, dass ukrainische Truppen das Kernkraftwerk Saporoschje systematisch beschießen. Das „sieht unvorstellbar aus“, schreibt Trenin, aber es ist eine Tatsache.

Interessanterweise schätzt Bremmer, dessen Eurasia Group jährlich Prognosen zu den wichtigsten Risiken für die weltweite Politik und Wirtschaft erstellt, die nuklearen Risiken wesentlich gelassener ein. Sie sind jetzt „zum Glück niedrig“ (thankfully, low). „Die internationale Gemeinschaft hat der Aussicht auf den Einsatz von Atomwaffen eine deutliche Absage erteilt – und zwar nicht nur die NATO, sondern auch der chinesische Präsident Xi Jinping, der diese Position auch dem russischen Präsidenten Putin übermittelt hat“, schrieb er.

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht einmal, was ich von dieser Einschätzung halten soll. Wenn man in New York nicht dazu neigt, das Ausmaß der Bedrohung zu übertreiben, sollte das doch beruhigend sein, oder? Aber Moskau bereitet genau das Sorgen, dass die Amerikaner dazu neigen, die Bedrohung zu unterschätzen. Vielleicht sollten sie Xi Jinping bitten, es ihnen zu erklären, wenn sie sich so gerne auf ihn beziehen. Denn selbst die Direktorin der US-Geheimdienste Avril Haynes versicherte den US-Abgeordneten im Mai, dass der russische Präsident „bei einer Eskalation, bevor er zu Nuklearwaffen übergeht, wahrscheinlich vorher einige Signale senden wird“ (engage in some signaling). Aber sagen Sie mir: Welche anderen Signale braucht sie noch?

„Der rationale Weg“?

Allerdings ist die Dame natürlich nur eine Beamtin und tut, was man ihr sagt. Und ihre Vorgesetzten setzen Kiew weiter unter Druck: Biden sagte nach den Gesprächen mit Macron vor Journalisten, dass es „nur einen vernünftigen Weg gibt, den Krieg zu beenden: Putins Rückzug aus der Ukraine.“

Danach fügte der US-Präsident hinzu, dass er seine Worte sehr sorgfältig wähle: „Ich bin bereit, mit Putin zu sprechen, wenn er an einer Lösung interessiert ist, wenn er nach einem Weg sucht, den Krieg zu beenden. Bislang hat er das nicht getan. Wenn das der Fall ist, würde ich mich in Absprache mit den Freunden in Frankreich und der NATO gerne mit Putin zusammensetzen und sehen, was er will und was er im Sinn hat.“

In Anbetracht der Bedingungen, die dieser „Dialogbereitschaft“ Bidens zugrunde lagen, wurde sie vom Kreml natürlich sofort zurückgewiesen. Eine Woche später bestätigte US-Außenminister Anthony Blinken auf dem Wirtschaftstreffen des Wall Street Journal, dass sich der Ansatz der USA nicht geändert habe. Das war die Schlagzeile: „Das Ziel der USA in der Ukraine ist es, die Russen auf die Linien vor der Invasion zurückzudrängen, sagt Blinken“

Natürlich riecht so ein Ansatz nicht mal der Bereitschaft zu einer diplomatischen Lösung. Und das überrascht niemanden: Es ist allen schon lange klar, dass es für Amerika einfach von Vorteil ist, Russland mit den Händen anderer „bis zum letzten Ukrainer“ zu bekämpfen und gleichzeitig die politische und wirtschaftliche Schlinge um Europas Hals enger zu ziehen.

Vielleicht hat die Anti-Kriegs-Stimmung in den USA deshalb bisher nicht sehr stark zugenommen. Ja, in einer neuen Umfrage des Chicago Council on Foreign Affairs sprach sich fast die Hälfte der Amerikaner dafür aus, dass Washington Kiew drängt, so schnell wie möglich Frieden zu schließen. Seit Juli ist die Unterstützung für diese Position von 38% auf 47% gestiegen, das war eine große Neuigkeit. Die andere Hälfte (48%) ist jedoch bereit, Kiew zu unterstützen, „solange es nötig ist“. Mit großer Mehrheit befürworten die Amerikaner die Versorgung der Ukraine mit Waffen und Wirtschaftshilfe sowie die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge. Drei von vier Befragten sprechen sich für Sanktionen gegen Russland aus.

Seize the moment!

Das bedeutet, dass es auch aus innenpolitischen Gründen immer noch von Vorteil ist, die anti-russische Karte zu spielen. Und ich habe beispielsweise keinen Zweifel daran, dass sich das Weiße Haus die Vorteile nicht entgehen lassen wird. Wie die jüngsten Zwischenwahlen zum US-Kongress gezeigt haben, kennt Biden seinen Job gut. Und die Situation rund um die Ukraine beweist das auch.

Beispielsweise hätten nur die Faulsten den US-Präsidenten nicht wegen der schändlichen Flucht der Amerikaner aus Afghanistan im vergangenen Jahr gerügt. Aber genau dieser Rückzug hat Washington die Hände für den derzeitigen „hybriden Krieg“ gegen Russland frei gemacht. Christopher Mott, Politikwissenschaftler am Amerikanisch-Kanadischen Institut für Frieden und Diplomatie, wies in The National Interest darauf hin, dass die USA 2008 nicht in der Lage waren, Russlands Maßnahmen in Georgien zur Erzwingung des Friedens entgegenzuwirken, weil sie selbst in Konflikte im Irak und in Afghanistan verwickelt waren. Generell schlägt der Experte vor, dass die Befürworter eines reflexiven Interventionismus bedenken sollten, dass „der sinnvolle Einsatz von Gewalt auch eine Frage des richtigen und des falschen Zeitpunkts ist.“

Professionelle Militärs verstehen das fast per Definition besser als jeder andere. Der Vorsitzende der Stabschefs der US-Armee, Armeegeneral Mark Milley, sprach im November vor dem Economic Club of New York und sprach sich für eine politisch-diplomatische Lösung des Konflikts in der Ukraine aus. „Man muss gegenseitig anerkennen, dass ein militärischer Sieg im wahrsten Sinne des Wortes, also mit militärischen Mitteln, offensichtlich unerreichbar ist, so dass auf andere Mittel zurückgegriffen werden muss“, sagte er. Und er fügte in Anlehnung an den Ersten Weltkrieg hinzu: „Die Situation kann sich verschlechtern. Daher, wenn sich eine Gelegenheit für Verhandlungen bietet, wenn Frieden erreicht werden kann, dann ergreift sie! Verpasst diesen Moment nicht!“ Unmittelbar danach trafen sich übrigens Sergej Naryschkin und William Burns, die Leiter der russischen und amerikanischen Geheimdienste, in Ankara.

„Russland wird sich nicht unterkriegen lassen“

Normalerweise meiden US-Generäle Einmischungen in die Politik wie der Teufel das Weihwasser, weshalb ich Milleys öffentliche Erklärung für unglaublich hielt. Aber Rogow hat mich korrigiert. „Wenn man in der Geschichte der Rüstungskontrolle zurückgeht, hat das US-Militär bei vielen Gelegenheiten proaktiv gehandelt“, sagte er. „Denn sie sehen in den Rüstungskontrollverträgen eine Möglichkeit, Berechenbarkeit zu gewährleisten.“

Übrigens kann man aus erster Hand erfahren, was für die Militärs in Übersee an den Erfahrungen in der Ukraine von Interesse sind. Am 1. Dezember veröffentlichte der US-Publizist und Militäranalyst Bill Arkin im Online-Archiv Governmentsecrets Meldungen darüber, welche „allgemeinen Forschungsfragen“ in dem zu dem Thema „soeben veröffentlichten“ Dokument der US-Armee – der Einschätzung des strategischen Sicherheitsumfelds für 2022 (2022 Annual Review of the Strategic Security Environment) – enthalten sind.

Dieser Veröffentlichung zufolge, haben die Entwicklungen das Pentagon überrascht; zunächst rechneten alle mit einem schnellen russischen Sieg. Die Themen für die Analyse beginnen mit den Fragen, „wie das Militär die richtigen Lehren aus diesem Konflikt ziehen kann“ und „was man nicht als Lehren betrachten sollte“. Dann gibt es Fragen zu künftigen Optionen für die Stationierung in Europa (posture options), zu konkreten Lehren über die „Verteidigung von Städten“, zu „Informationsoperationen“, zur Rolle der modernen Technologie, einschließlich künstlicher Intelligenz, und so weiter. Arkin weist in seinen Anmerkungen darauf hin, dass „alle Fragen von der Annahme ausgehen, dass Russland sich nicht unterkriegen lassen wird“ (bounce back).

„Warum die Ukraine nicht gewinnen kann“

Nach amerikanischen Medienberichten zu urteilen, hat Milleys Rede das Kiewer Regime entmutigt; Washington musste es beruhigen. Zwar widersprach niemand den Worten des Generals, aber der Chor der Stimmen, dass es keinen Grund zu verhandeln gibt und dass den Ukrainern geholfen werden muss, die Probleme mit Gewalt zu lösen, wurde noch lauter.

Ich habe bereits Biden und Blinken zitiert und sie haben genug Nachplapperer, nicht nur aus den USA. So haben beispielsweise mindestens zwei europäische Staats- und Regierungschefs – der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas – in Foreign Affairs, der wichtigsten außenpolitischen Zeitschrift der USA, Artikel veröffentlicht. Ich habe den Artikel von Scholz aufmerksam gelesen und er hat mich durch seine Banalität überrascht; die einzigen Dinge, die mir ins Auge gefallen sind, waren die Anerkennung der „Multipolarität“ der entstehenden „neuen Welt“ und der Aufruf zur Remilitarisierung Deutschlands unter dem Deckmantel einer „neuen strategischen Kultur“ des Landes. Der Inhalt der estnischen Veröffentlichung wird in der Überschrift sichtbar: „Kein Frieden zu Putins Bedingungen“. (Anm. d. Übers.: Der Artikel von Scholz ist, weil Scholz entweder seine totale Unkenntnis über geopolitische Zusammenhänge und Vorgänge demonstriert, oder weil er einfach nur lügt, in der Tat als „banal“ zu bezeichnen. Ich habe das Machwerk von Scholz komplett zitiert und an den entsprechenden Stellen kommentiert, den Artikel finden Sie hier)

Dabei würde ich nicht sagen, dass im Lager des kollektiven Westens eine Stimmung für Verhandlungen herrscht, eher im Gegenteil. Viele Kommentatoren sagen eine russische Offensive im Winter voraus und befürchten, dass weder der legendäre russische „General Winter“ noch der reale russische Militärkommandant Sergej Surowikin, der den Spitznamen „General Armageddon“ trägt, Gnade mit ihren Feinden walten lassen würden. Neulich verglichen zwei Botschafter im Ruhestand, von denen einer politischer Berater im US-Zentralkommando war, Surowikin in der Zeitschrift Newsweek mit dem legendären Bürgerkriegsgeneral William Tecumseh Sherman. Die Veröffentlichung trägt den Titel „Lehren aus dem US-Bürgerkrieg zeigen, warum die Ukraine nicht gewinnen kann“

Was tun?

Aber natürlich sollten wir uns von solchen Einschätzungen nicht täuschen lassen. Die USA und andere Länder pumpen die Ukraine weiterhin mit Waffen voll und unterstützen das Kiewer Regime in jeder Hinsicht. Gleichzeitig behaupten sie kollektiv im Chor, dass sie dieses Regime zu Angriffen auf russisches Territorium „weder ermutigen noch befähigen“ (neither encourage nor enable).

Mein eingangs erwähnter Diplomatenfreund entgegnet, dass weder ermutigen noch befähigen nicht bedeutet, Angriffe nicht zuzulassen oder zu verhindern. „Es gibt hier eine wesentliche Nuance“, sagt er. „Die Semantik arbeitet für die Eskalation.“

Ich für meinen Teil sage, dass die Äußerungen über die Unmöglichkeit von Verhandlungen ein Gefühl ihrer Unvermeidbarkeit erzeugt. Vielleicht ist es das Gegenteil, und es ist das, was die Amerikaner als „wishful thinking“ bezeichnen, was bedeutet, den Wunsch als Fakt anzunehmen. Aber nicht nur: Alle sind sich einig, dass es kein Zurück in die Vergangenheit geben kann. Und über die Zukunft – wie auch immer sie aussehen mag – muss man sich erst noch einigen. Ja, das hat Putin in Bischkek gesagt, aber auch Milley in New York hat das Gleiche gesagt und dazu aufgerufen, die Verluste nicht unnötig zu vermehren.

Wir müssen also Verhandlungen abwarten. Hier habe ich gemischte literarische Assoziationen im Kopf. Einerseits erinnert mich das an das berühmte Stück des französisch-irischen Absurdisten Samuel Beckett, „Warten auf Godot“, in dem alle den Hintermann nicht erwarten können, der Drohungen und Unfug verbreitet. Andererseits kommt mir die Bemerkung unseres großen Landsmannes Michail Saltykow-Schtschedrin in den Sinn, dass es in diesen Zeiten nicht ausreicht, maßvoll zu regieren, sondern dass man maßvoll mit Härte regieren muss.

Ende der Übersetzung


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