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Was über die Unruhen in Brasilien bekannt ist

Published On: 9. Januar 2023 13:41

In Brasilien haben etwa 5.000 Anhänger des abgewählten Präsidenten Bolsonaro in der Nacht versucht, Regierungsgebäude zu stürmen. Wer oder was steckt dahinter?

Als die in der Nacht die ersten Meldungen über die Unruhen in Brasilien über die Ticker liefen, saß ich mit Freunden zusammen, die sofort von einer weiteren „Soros-Farbrevolution“ sprachen, was man auch in vielen Posts in sozialen Netzwerken lesen konnte.

Dem habe ich sofort widersprochen und dafür hatte ich zwei Gründe: Erstens ist Bolsonaro keineswegs jemand, den Soros und die anderen Regimechange-Experten der USA mögen oder unterstützen würden. Zwar ist auch der gewählte brasilianische Präsident Lula da Silva bei weitem kein Wunschkandidat von Soros & Co, aber er ist für sie auch nicht so schlimm, dass sie ihn schon vor seinem faktischen Amtsantritt wegputschen würden. Farbrevolutionen funktionieren anders: Man lässt den ungeliebten Präsidenten einige Zeit arbeiten, schürt währenddessen über die üblichen NGOs Unzufriedenheit und dann lässt man die „demokratische Revolution“ beginnen.

Natürlich könnte ich mit dieser Interpretation falsch liegen, weshalb mein zweiter Grund wichtiger ist: Wenn der Westen einen Putsch unterstützt, schweigen die westlichen Staats- und Regierungschefs, während der Putsch läuft. Das kann jeder überprüfen, wenn man sich zum Beispiel die Archive der Medien aus der Nacht anschaut, als 2016 in der Türkei der Putschversuch gegen Erdogan stattfand. Während des Putschversuches haben die Staaten des Westens stundenlang geschwiegen. Als am Morgen schließlich absehbar war, dass der Putsch gescheitert ist, haben sie nicht etwa Erdogan dafür gratuliert, den Putsch abgewehrt zu haben, sondern sie haben Erdogan aufgerufen, nicht zu hart gegen die Putschisten vorzugehen und bis heute gewähren westliche Staaten Teilnehmern des Putschversuches Asyl.

In der letzten Nacht war es anders, denn kaum kamen die ersten Meldungen über die Unruhen in Brasilien, haben alle Staaten des Westens die Unruhen verurteilt und sich auf die Seite des Wahlsiegers Lula da Silva gestellt. Daher bin ich mir sicher, dass die Ereignisse in Brasilien keine versuchte Farbrevolution von Soros & Co. waren.

Offensichtlich war das, was in Brasilia passiert ist, ein schlecht koordinierter Versuch von Bolsonaro-Anhängern, die Amtsübergabe an Lula de Silva zu verhindern, die ein wenig an die unkoordinierte Aktion erinnert, als Trump-Anhänger das Kapitol gestürmt haben. Ob Bolsonaro, der sich derzeit übrigens in Miami aufhält, selbst damit zu tun hat, ist bisher reine Spekulation. Übrigens fordern die ersten US-Demokraten bereits die Abschiebung von Bolsonaro nach Brasilien, was ebenfalls dagegen spricht, dass das ein weiterer, von den USA unterstützter „Soros-Putsch“ war.

Die russische Nachrichtenagentur TASS hat die Ereignisse der Nacht in Brasilien zusammengefasst und ich habe die Zusammenfassung der TASS übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Was über die Unruhen in Brasilien bekannt ist

Anhänger des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro sind am 8. Januar mit der Polizei aneinandergeraten und in Regierungsgebäude in Brasilia eingedrungen – in das Parlament, den Bundesgerichtshof und die Arbeitsresidenz des Staatschefs.

Es liegen noch keine Daten über mögliche Todesfälle oder Verletzungen vor.

Viele internationale Politiker verurteilten die Aktionen der Demonstranten und erklärten, sie unterstützten Luiz Inácio Lula da Silva und seine Regierung.

Was geschehen ist

  • Bolsonaros Anhänger protestierten gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen vom Oktober. Scharen von Demonstranten mit brasilianischen Flaggen und gelber und grüner Kleidung marschierten ins Stadtzentrum und zerschlugen Fensterscheiben des Parlaments, des Bundesgerichtshofs und des Planalto-Palastes, dem Amtssitz des Staatsoberhauptes. Das Sicherheitspersonal in den Verwaltungsgebäuden, die an einem dienstfreien Tag leer standen, war nicht in der Lage, die Eindringlinge abzuwehren.
  • Ein Hubschrauber der Militärpolizei des brasilianischen Metropolitan Federal District warf Lärm-, Blend- und Tränengasgranaten auf die Demonstranten ab.
  • Stunden nach Beginn der Pogrome gelang es den Polizeieinheiten in Brasilia, die Demonstranten aus den von ihnen besetzten Regierungsgebäuden zu vertreiben. Ursprünglich wurden 30 Verhaftungen gemeldet. Später berichtete der Gouverneur der Hauptstadt, Ibaneiz Roschi, dass mehr als 400 Personen festgenommen wurden. Nach vorläufigen Schätzungen nahmen insgesamt etwa 5.000 Menschen an den Protesten teil.
  • Brasilianischen Medien zufolge haben Vandalen bei den Pogromen an den Bundesgebäuden verschiedene Kunstgegenstände von historischem Wert wie Gemälde, Statuen und Einrichtungsgegenstände beschädigt oder entwendet. Das Büro des Präsidenten wurde bei den Pogromen nicht beschädigt. Regierungsfeindliche Demonstranten, die in die Präsidentenresidenz eindrangen, haben Waffen des Wachpersonals gestohlen.

Wie in Brasilien reagiert wurde

  • Die Anhänger von Lula da Silva haben den Generalstaatsanwalt gebeten, den Einsatz von Sicherheitskräften des Bundes in Brasilia zu genehmigen.
  • Der brasilianische Präsident hat versprochen, die Vandalen zu identifizieren und zu bestrafen, die an den Krawallen vom Sonntag in der Hauptstadt beteiligt waren. Er hielt wegen der Unruhen eine Dringlichkeitssitzung mit den Ministern ab.
  • In Brasilia wurde bis Ende Januar der Ausnahmezustand verhängt.
  • Die brasilianische Generalstaatsanwaltschaft, die die Regierung vertritt, hat die Verhaftung von Anderson Torres, dem ehemaligen Leiter der Direktion für öffentliche Sicherheit in der Hauptstadt, gefordert.
  • Der brasilianische Generalstaatsanwalt Augusto Aras forderte die Staatsanwaltschaft des Bundesdistrikts Brasilia auf, eine strafrechtliche Untersuchung der Unruhen in Brasilia einzuleiten.
  • Der Gouverneur der brasilianischen Hauptstadtregion, Ibaneus Rocha, wurde suspendiert. Er entschuldigte sich beim Präsidenten, der Legislative und der Judikative für die Pogrome vom Sonntag.
  • Der ehemalige brasilianische Präsident Jair Bolsonaro erklärte, dass die Demonstranten, die zu seiner Unterstützung Regierungsgebäude in Brasilia angegriffen haben, gegen das Gesetz verstoßen haben.
  • Lula da Silva besichtigte persönlich den zerstörten Präsidentenpalast in Brasilia.
  • Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Leonardo Paz Neves von der Denkfabrik Getúlio Vargas Foundation ähneln die Unruhen in der brasilianischen Hauptstadt den Ereignissen vor zwei Jahren in den USA, als Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump das Gebäude des Kongresses stürmten. Seiner Ansicht nach würde das, was in Brasilia geschah, dem internationalen Ansehen des Landes schweren Schaden zufügen und schwerwiegendere Folgen für das Land haben als der Versuch, das Kapitol in Washington zu besetzen.
  • Der Politikwissenschaftler Carlos Pereira ist der Ansicht, dass nach den Protesten zu erwarten ist, dass sich das brasilianische politische Establishment um die demokratischen Institutionen des Landes scharen wird.

Wie die internationale Gemeinschaft reagiert hat

  • US-Präsident Joe Biden, der französische Regierungschef Emmanuel Macron, der kanadische Premierminister Justin Trudeau, der argentinische Präsident Alberto Fernandez, der chilenische Regierungschef Gabriel Boric, der kubanische Präsident Miguel Diaz-Canel, der indische Premierminister Narendra Modi, der mexikanische Präsident Andres Manuel Lopez Obrador und UN-Generalsekretär António Guterres verurteilten die Unruhen in Brasilia.
  • Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, und der Leiter der EU-Außenpolitik, Josep Borrell, erklärten, die EU verurteile die Besetzung von Parlaments- und Regierungsgebäuden durch Demonstranten in Brasilien und bekunde ihre volle Unterstützung für Lula da Silva.
  • Der stellvertretende Sprecher des russischen Föderationsrates, Konstantin Kossatschow, nannte die Unruhen einen merkwürdigen und sinnlosen „Putsch ins Nichts“.
  • Der britische Außenminister James Cleverley erklärte, dass sein Land Lula da Silva inmitten der regierungsfeindlichen Unruhen im Lande voll und ganz unterstützt.
  • US-Außenminister Anthony Blinken forderte ein sofortiges Ende der Proteste in Brasilien.
  • Der venezolanische Präsident Nicolas Maduro hat die teilnehmenden Anhänger des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro als Neofaschisten bezeichnet.
  • Der italienische Minister für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit und stellvertretende Ministerpräsident Antonio Tajani erklärte, das Ergebnis der brasilianischen Präsidentschaftswahlen müsse respektiert werden.
  • Der ecuadorianische Präsident Guillermo Lasso nannte die Proteste eine Missachtung der Demokratie.
  • Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro forderte wegen der Ereignisse in Brasilien, die er als faschistischen Angriff auf die Demokratie bezeichnete, eine Dringlichkeitssitzung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). OAS-Generalsekretär Luis Almagro bezeichnete die Angriffe von Bolsonaro-Anhängern auf staatliche Einrichtungen als „faschistisch“.
  • Der argentinische Außenminister Santiago Cafiero bezeichnete die Handlungen der Anhänger Bolsonaros als versuchten Staatsstreich.
  • Die nicaraguanische Regierung bezeichnete die Proteste als terroristischen Putschversuch.
  • Die russische Botschaft in Brasilien riet ihren Mitarbeitern und russischen Staatsbürgern in Brasilia im Zusammenhang mit den Massenunruhen, „Gänge in die Stadt zu beschränken und Menschenansammlungen zu meiden“.

Ende der Übersetzung


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