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«Der Wandel ist nicht mehr aufzuhalten»

Published On: 22. Januar 2023 0:09

Veröffentlicht am 22. Januar 2023 von LK.

Wie können wir uns bilden, ohne an die Schule als Institution gebunden zu sein? Wie können wir erkennen, was ein würdevolles Leben bedeutet? Was hindert uns daran, ein beglückendes Leben zu führen? Mit diesen und vielen weiteren Fragen beschäftigt sich der Philosoph Bertrand Stern. Transition News hat sich mit ihm über seine Perspektive auf die Geschehnisse der letzten drei Jahre und die daraus resultierenden Möglichkeiten für den Einzelnen unterhalten.

Transition News: Seit etwa 50 Jahren beschäftigen Sie sich mit Zivilisationskritik. Bitte umreissen Sie, was die Schwerpunkte Ihrer Kritik sind?

Bertrand Stern: Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich als freischaffender Philosoph von keiner Institution abhängig bin. Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, nur Kritik zu üben, sondern verfolge vor allem den Ansatz, sich der Lösung und der Erlösung zu widmen. Das ist mir wichtig, weil die Kritik in den allermeisten Fällen gemäss dem von mir genannten «zivilisatorischen Dreischritt: Krise-Kritik-Reform» in eine Reform mündet, allein wir brauchen keine Reformen. Die Kritik war etwas, von der ich einstmals dachte, sie sei die Voraussetzung für die Befreiung und die Erlösung. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass die Kritik sozusagen eine Art Ablassventil ist, aber zu nichts anderem führt als eben sich selbst daran zu ergötzen, dass etwas kritisierbar ist, ohne dass es zu einer Lösung kommt. Es ist Teil meiner Beschäftigung, in einem Mitmenschen zu wecken, was in ihm eigentlich an Widerborstigkeit vorhanden ist und was vielleicht durch Wohlerzogenheit und allzu gute Anpassung etwas in den Hintergrund getreten ist.

Vor vielen Jahrzehnten habe ich meine Beschäftigung als zivilisationskritisch betrachtet, doch der Zweck und das Ziel ist eher die Frage, wie wir aus dieser Sackgasse herauskommen. Diese Zivilisation – oder «Zuvielisation» – steckt in einer Sackgasse und wird gottlob nie wieder da rauskommen können. Das ist ja unsere grosse Chance. Es wäre ihr zu viel der Ehre zu erweisen, wenn wir jetzt auch noch anfingen, sie zu kritisieren.

Sie haben die Widerborstigkeit angesprochen, die uns aberzogen wurde. Wenn wir die letzten drei Jahre betrachten, dann ist auffällig, dass bei vielen Menschen die Wut gar nicht aufkam. Wie können Menschen denn zu dieser Wut zurückgelangen?

Ich glaube, dass diese Wohlerzogenheit etwas komplexer betrachtet werden muss. Diese Wohlerzogenheit bedeutet letztlich einen Schritt, der in der Psychologie als «Identifikation mit dem Aggressor» beschrieben wird, das heisst, Menschen werden dazu gebracht, sich selbst zu misstrauen und davon auszugehen, dass es eine höhere Autorität – nämlich Vater Staat als Ersatz für den früheren Vater – gibt, die sagt, worum es geht. Wir bewegen uns hier ganz klar in Richtung eines totalitären Systems und die Menschen, die sich immer angepasst haben, passen sich nun auch weiterhin an.

Das Lügengebäude bleibt solange bestehen, wie die Menschen bereit sind, dem zu folgen, doch irgendwann einmal erfolgt ein Erwachen, vielleicht durch die vielen geschädigten Menschen im Umfeld; oder Menschen, die gestorben sind. Es gibt viele Beweggründe, weshalb Menschen plötzlich der Meinung sind, dass das nicht die Wahrheit sein kann. Manchmal nützt auch eine kritische Veranstaltung. Es gibt so viele kritische Formate und Kanäle, weshalb ich nicht begreife, dass es heute noch Leute geben kann, die sich tatsächlich noch so brav verhalten.

Wie erklären Sie es sich, dass sich bei vielen Menschen angesichts der Corona-Massnahmen nicht eine Protesthaltung eingestellt hat, sondern viele resigniert haben oder in eine Angststarre verfallen sind?

Dafür gibt es vielerlei Gründe. Die Übermächtigkeit des staatlichen Repressionssystems ist eine Schande, die wir noch lange nicht überwunden haben. Ich glaube aber auch, dass in den letzten Jahren Hoffnung gestreut wurde, die nicht erfüllbar war. Daran sind viele Menschen verzweifelt, weil sie gemerkt haben, dass dieses auf Lüge beruhende System nicht das Wahre ist. Ich glaube nicht, dass es darauf ankommt, dass die Menschen in der Mehrzahl sind, sondern es kommt mehr denn je darauf an, dass es wenige, entschlossene Menschen gibt, die sich zu ihrem Leben, zu ihrer Lebendigkeit, ihrer Selbstbestimmtheit und ihrer Persönlichkeit bekennen. Daraus könnte eine ungemeine Dynamik und Energie wachsen, die den grossen Wandel bewirken wird.

Der Wandel wird nicht billig sein. Ich befürchte, dass viele, die nicht dran glauben wollen, schliesslich werden dran glauben müssen. Es geht einfach nicht mehr so weiter, wie wir angefangen haben. Auch die Menschen, die resigniert haben, werden in Kürze feststellen müssen, dass ihre Resignation sie auch nicht weiterbringt. Die Menschen werden dann frei, wenn sie sich vom System haben unabhängig machen können. Das ist die Quintessenz. Es geht nicht darum, dahin zurückzukehren, was vor fünf oder zehn Jahren war, sondern zu begreifen, dass das eine Sackgasse war und dass wir voranschreiten müssen, um eine andere Lebensform zu erzielen, und zwar eine Lebensform, in der der Mensch im Mittelpunkt als würdevolles Subjekt steht, das eingebettet ist in ein dynamisches soziokulturelles und ökologisches Umfeld.

Worin besteht denn der erste Schritt, um sich von diesem System zu befreien?

Es gibt keinen Königsweg, so wie der spanische Schriftsteller Antonio Machado sagte: «Wanderer, es gibt keinen Weg, du machst den Weg, indem du ihn gehst». Dieser Ausbruch hin zum Wandel beginnt beispielsweise bei einer sogenannten Krise, etwa bei einer Ehekrise, einer beruflichen Krise, einem Albtraum oder einem Unfall. Durch ein unerwartetes Ereignis wird etwas ausgelöst. Ausreden, dass man nichts ändern kann, weil man seinen Job, seine Familie, sein Haus, Schulden und Verpflichtungen hat, sind Alibis, um in Wirklichkeit nichts zu ändern. Wer sich zu seinem Leben bekennen möchte, der muss damit aufhören, sich nach fremden Mustern zu richten.

Sie haben viele Bücher über das Thema freie Bildung geschrieben: Weshalb ist dieses Thema so wichtig für Sie?

Zunächst ist der Begriff Bildung für mich sehr problematisch: Die Gefahr besteht darin, dass er als bürgerliche Bildung missverstanden wird. Für die erkaufte Bildung, die Allgemeinbildung, ist eine Institution zuständig, nämlich die Schule. Was wir als Bildung verstehen, ist nie frei. Daher rede ich vom «Frei sich bilden». Das ist für mich ein himmelweiter Unterschied. Erstens geht es um das Bilden. Das ist ein Prozess, der in der Rückbezüglichkeit des sich bildens geschieht, also ich werde nicht gebildet, sondern ich bilde mich. Und das vorangestellte frei qualifiziert dieses sich-bilden. Daher: frei sich bilden. Im Gegensatz hierzu soll für die Bildung die Institution Schule verantwortlich sein: eine völlig kontraproduktive, in höchstem Masse gefährliche Institution.

Meine Aufgabe besteht darin, in Menschen die Lust zu wecken, frei sich zu bilden. Dieses «Frei sich bilden» bezieht sich auf den Menschen von seinem ersten bis zu seinem letzten Atemzug. Es gibt keine Altersdiskriminierung und es besteht kein Anlass dazu, den Menschen, nur weil er jetzt ein bestimmtes Alter erreicht hat, in eine Institution zu schicken. Vielmehr geht es darum, dass der Mensch von seinem ersten Atemzug an das Bedürfnis hat, sich der Welt zu öffnen und infolgedessen diese Grundfähigkeit tatsächlich zur Entfaltung zu bringen, die ich als «Frei sich bilden» bezeichne.

Im November 2018 ist Ihr Buch «Gabriel – vom Entdecken eines glücklich befreiten Lebens» erschienen. Worum geht es in dem Buch? Kann es Menschen in diesen schwierigen Zeiten Hoffnung geben?

Das Buch beinhaltet Aspekte, die in meiner 50-jährigen Aktivität als Philosoph bedeutsam waren. Es gibt beispielsweise ein Kapitel, in dem ich mich sehr kritisch zum bedingungslosen Grundeinkommen äussere, das ich absolut ablehne: zumal ich mich schon immer kritisch den Themen Arbeit und Geld gewidmet habe. In dem Buch gibt es eine Vielzahl von Aspekten, die unsere elende zivilisatorische Existenz beschreiben und zugleich Momente der Erlösung andeuten.

Auf Ihrer Website steht, dass Sie an die Würde des Subjekts glauben: «Menschen sind also keine Objekte, die man nach Belieben formen kann; sie sind als Subjekte fähig, selbstbestimmt mit ihrem Dasein umzugehen». Gerade die letzten drei Jahre haben gezeigt, dass viele Menschen diese Würde eingebüsst haben. Wie können wir die Würde des Subjekts zurückgewinnen?

Ich denke nicht, dass die Menschen ihre Würde eingebüsst haben, sondern ich denke eher, dass ihre Würde verschüttet wurde. Die Menschen haben ihre Würde nicht verloren, sie haben sie nur untergraben und sich angepasst. Die rekonstruktive und prospektive Aufgabe auch ihres Mediums Transition News besteht darin, diese Würde in den Menschen zu kitzeln und dadurch wieder hervorzuheben, was ein würdevolles Leben bedeutet. Hier stellt sich auch die zentrale Frage, inwieweit das Bundesverfassungsgericht die Würde des Menschen tatsächlich noch akzeptiert und respektiert.

Dieses System ist dermassen korrupt und kaputt, dass ich glaube, es wird eher zusammenbrechen, als wir es annehmen. Deshalb ist es für mich die gute Nachricht, die Sie auch mit Transition News verbreiten, dass der Wandel nicht aufzuhalten ist. Ich glaube, dass eine entschlossene Minderheit, die sich zum Leben bekennt, mehr Dynamik und Energie entfachen kann, als eine versumpfende, dumpfe Masse. Massen sind immer versinkend und dumpf. Deshalb lege ich keinen grossen Wert auf das quantitativ erfolgreiche Echo auf meine Vorträge, sondern darauf, dass zumindest bei einigen der Groschen fällt.

Meinen Sie, dass besonders in der heutigen Zeit, ein glückliches Leben darin besteht, möglichst autark fernab der jenseitigen Zivilisation zu leben? Besteht in Ihren Augen auch ein wichtiger Schritt darin, das Leben zu entschleunigen?

Ich glaube nicht, dass wir uns das so lokal vorstellen können. Wir leben heute in einem anderen Zeitalter und es ist schwer, sich so, wie damals der Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau, in die Wälder zurückzuziehen und zu hoffen, jenseits der Zivilisation leben zu können. Der ruhigste Ort in einem Orkan ist das Zentrum. Wir haben hier eine Aufgabe. Ich kann zwar nachvollziehen, dass Menschen den Wunsch hegen, auszuwandern, aber auch andernorts gibt es diese Zivilisation.

Ich beschäftige mich auch mit dem Thema der Entschleunigung, aber egal welches Thema ich aufgreife, in meinen Vorträgen steht immer die Würdigung des Subjekts im Mittelpunkt. Was hindert uns daran, ein beglückendes Leben zu führen? Es sind die vielen Umwege, die wir einbauen, im Namen zivilisatorischer Versprechungen, die nicht einlösbar sind. Je mehr der Mensch er selbst sein darf, desto geringer wird auch sein Verlangen nach Ersatz sein. Wir haben als Wohlerzogene die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse durch eine künstliche Befriedung einer künstlichen Bedürftigkeit ersetzt. Das ist das Kernproblem. Wenn es uns gelingt, zu unseren eigentlichen, wahren Bedürfnissen zurückzukehren, dann wird uns klar, dass diese Bedürfnisse gar nicht so vielfältig sind. Wenn wir auf diese eigentlichen Bedürfnisse eine befriedigende Antwort haben, dann brauchen wir keine Autarkie, denn dann sind wir autark.

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Bertrand Stern lädt im Seminarhaus Klyngenberg, im Herzen Mecklenburg-Vorpommerns (nördlich von Berlin), zu einer neuntägigen «Erkenntnisreise» ein. Diese beginnt am späten Nachmittag des Freitag, den 17. Februar und endet am Mittag des Sonntag, den 26. Februar. Vormittags wird Stern einen Vortrag halten und anschliessend gibt es eine Gesprächsrunde. Nachmittags bietet der Fortbildungsbeauftragte und Unesco-Bundeskoordinator Heinz-Jürgen Rickert Gruppenaktivitäten an und die Abende gestaltet die Gruppe. Stern betont, dass es sich bei dieser Erkenntnisreise nicht um eine Therapie handelt, sondern es bei den Aktivitäten vielmehr darum geht, die Reflektion mit lebendiger Erfahrung zu verbinden. Angesprochen könnten sich laut Stern insbesondere jene Menschen fühlen, die den klaren Wunsch verspüren, Multiplikatoren des selbstverständlichen Wandels zu sein. Mehr zur Erkenntnisreise inklusive Anmeldemöglichkeit mit folgendem Link.

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Bertrand Stern ist freischaffender Philosoph und Autor. Der Vater eines Sohnes und einer Tochter wurde am 11. November 1948 in Montbéliard geboren und lebt heute in Siegburg. Einen Schwerpunkt seiner Aktivität bilden einerseits Vorträge, Seminare, Werkstattgespräche im In- und Ausland; andererseits Publikationen und Medienauftritte. Näheres ist unter den folgenden Links zu finden.

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