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Wie Deutschland durch das Stromnetz wieder geteilt wird

Published On: 28. Januar 2023 19:43

Konflikte entstehen aus Differenzen, diese können machtpolitischer, wirtschaftlicher oder sozialer Natur sein. Wenn von einem Nord-Süd-Konflikt die Rede ist, denkt jeder an die globale Verteilung von Wirtschaftskraft und Wohlstand – reicher Norden, armer Süden. Auch bei uns gibt es den Trend in diese Richtung, getrieben durch die Energiewende.

Die deutsche Energiewende enthält als Kernstück Abschalttermine, die in Gesetze gegossen sind. Nach Atomgesetz werden die Kettenreaktionen in den Kernreaktoren termingenau gestoppt, für die Braunkohlekraftwerke gibt es eine Sterbeliste, die Tag genau ihr Dahinscheiden vorschreibt. Termine für Zuschaltungen gesicherter, regelbarer Kraftwerksleistung gibt es nicht. Hier begnügt man sich mit „Ausbaukorridoren“, breit wie Bahnhofshallen, ohne Sonne und Wind, aber wertlos. Auf diese Weise gehen immer mehr Windkraftanlagen ans Netz, vor allem dort, wo öfters reichlich Wind weht. Das ist auf See und in Küstennähe der Fall, aber die Standorte sind schon gut zugestellt.

Die Verbrauchszentren im Süden wurden bisher vor allem von konventionellen Kraftwerken versorgt, die relativ dicht bei den Verbrauchszentren stehen. Man kann auch sagen – dezentral. Künftig soll Windstrom von Nord- und Ostsee dafür einspringen. Wenn Ihnen wieder jemand erzählt, die Energieversorgung der Zukunft sei dezentral, so kennen Sie wieder einen mehr, der nichts begriffen hat. Eine zentralere Stromversorgung als die mit Offshore-Windstrom ist kaum denkbar. Und auch nicht machbar, dazu später mehr.

Während also vorwiegend im Norden Windkraftkapazitäten zugebaut werden, wird im Süden vorwiegend abgeschaltet. Die schlichten Gemüter unter Politikern und selbsternannten Experten rufen dann die Bayern und Süddeutschen ganz im Sinne der Windbranche zu Blockierern aus. Die Dominanz Bayerns bei der installierten Photovoltaik wird übrigens ausgeblendet, weil das der Windbranche nicht hilft. Abgesehen von der bürgerfreundlichen 10-H-Regelung gibt es einen wesentlichen anderen Grund für das windspargelarme Süddeutschland. Dafür muss man einen Blick auf den Windatlas Deutschlands richten. Dort ist erkennbar, dass an der niedersächsischen Nordseeküste im Jahresdurchschnitt fast die doppelte Windgeschwindigkeit herrscht wie im bayrischen Wald. Na gut, dann gibt es nur den halben Ertrag?

Das ist falsch, denn die Windgeschwindigkeit geht in der dritten Potenz in die Stromproduktion ein. Die halbe Windgeschwindigkeit bringt nur ein Achtel Produktion. Hier kommt man schwer gegen die Vorstellungskraft unseres Gehirns an, denn wir denken linear und können uns exponentielle Verläufe schwer vorstellen.

Windkraft in Bayern erinnert an die Bananenplantage auf Grönland – kann man machen, bringt aber nichts. Nun steht die deutsche Subventionspolitik schon seit vielen Jahren den Windmüllern eng zur Seite. Grundlage dafür ist das „Referenzertragsmodell“ im Paragrafen 37c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), das an windschwachen Standorten die zusätzliche Vergütung regelt. Trotzdem will kaum jemand dort bauen

Hinweisen statt warnen

Das Abschalten im Süden hat nun Folgen. Zum wiederholten Male rief der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW im Südwesten über seine App „StromGedacht“ zum sparsamen Stromverbrauch am 15. Januar zwischen 17 und 19 Uhr auf.

Dabei legt das Unternehmen Wert auf die Feststellung, dass es sich bei „StromGedacht“ um eine „Hinweis-App“ und keine „Warn-App“ handelt. Die Hinweise beschränken sich auf die Nichtbenutzung von Haushaltsgeräten, Handy-Ladegeräte und anderer Kleinteile. Die Schnellladestationen für die E-Mobilität werden politisch korrekt nicht erwähnt. Es könnte die Bevölkerung und potenzielle Autokäufer verunsichern.

Tichys Einblick Talk vom 26.01.2023

Begründet wird der „Hinweis“ mit einer Mangellage, die durch den unzureichenden Netzausbau begründet sei. Das ist prinzipiell richtig, aber weder unbekannt noch plötzlich. Der Netzausbau war eine der Bedingungen für den Beschluss zum Atomausstieg 2011. Zum Jahr 2022, dem geplanten Aus des letzten deutschen Kernkraftwerks (KKW), sollten die großen Nord-Süd-Leitungen in Betrieb sein. Heute spricht man von 2027 bis 2031, erfahrungsgemäß wird es wohl eher später als früher.

Abgeschaltet wird trotzdem. 2025 wird der 500-Megawatt-Steinkohleblock in Zolling ausgeknipst. Bereits 2024 und 2026 treten die Verbote der Installation von Gas- beziehungsweise Ölheizungen in Kraft, vor allem elektrisch betriebene Wärmepumpen sollen an ihre Stelle treten. Gleichzeitig wirbt TransnetBW mit ganzseitigen Anzeigen für sein Schnellladenetz, dem „EnBWHypernetz“, das weiter ausgebaut wird. Der Stromimport in das Netzgebiet beläuft sich bereits heute fast durchgängig auf zwei bis vier Gigawatt (GW).

Die ehemals systemsichernden neun KKW südlich der Mainlinie sind bald Geschichte, auch fehlen das französische KKW Fessenheim, das vor allem auf deutschen Druck hin abgeschaltet wurde, und das aus Altersgründen stillgelegte KKW Mühleberg in der Schweiz. Einen adäquaten Ersatz gibt es nicht. Das Gleichgewicht im Netz wird fahrlässig gestört.

Der Ausbau des tschechischen KKW in Temelin wird nicht vor 2030 leistungswirksam. Ohnehin wäre es konsequent, den Import von Atomstrom abzulehnen, so wie es Greenpeace für Österreich schon 2011 forderte und wie man es vom moralisch hochstehenden Deutschland auch erwarten könnte. Die Stromkennzeichnungsverordnung sei ein wichtiger Schritt und die Kennzeichnung müsse so wie bei der Fleischherkunft funktionieren, verlautbarte damals Jurrien Westerhof, offenbar ein Experte bei Greenpeace Österreich.

Inzwischen ist Österreich, das selbst die Kernkraft ablehnt, Netto-Stromimporteur. Es war auch schon aus der Kohle ausgestiegen, musste sein letztes Kohlekraftwerk in Mellach aber 2022 wieder aktivieren. Ohne Atomstrom aus Tschechien, Slowenien, noch Deutschland und der Schweiz würden in der Alpenrepublik zeitweise die Lichter ausgehen. Greenpeace und die Gegner des Atomstroms sollten konsequent die Stromnutzung einstellen.

Blau-weiße Illusionen und wenig Wind im Ländle

Das Mitleid mit Bayern wird indes gedämpft. Schon im Mai 2011, vor dem Ausstiegsbeschluss im Bund, beschloss ein CSU-Parteitag den bayrischen Atomausstieg, möglichst bereits 2020. Der damalige bayrische Umweltminister Söder drohte mit grünem Schlips sogar mit Rücktritt, wenn die mitregierende FDP dem Atomausstieg nicht zustimmen würde. „Japan verändert alles“, so Söder damals. 2022 zeigte er sich bei einem (vermutlich erstmaligen) Besuch im KKW Isar 2 beeindruckt von Technik und Sicherheit und trat für den Weiterbetrieb ein. „Södern“ steht synonym für „rotieren“. Die grüne Szene hat ihr Feindbild wieder.

Inflation wird weitergehen

Auch als der Netzausbau sich verzögerte und kaum neue Kohlekraftwerke gebaut wurden, gab es nach 2011 kein Umdenken in der CSU. Seehofer brachte den damaligen Wirtschaftsminister Gabriel zur Zusage von Erdkabeln, um die bayrische Landbevölkerung ruhig zu stellen. Die längere Bauzeit war offenbar kein Problem. Inzwischen rollen die Bürgerinitiativen die Transparente wieder aus, weil sie realisieren, welchen Landschaftseingriff mit welchen Folgen Erdkabel bedeuten. Den achtfachen Preis zahlen ohnehin alle.

Söder moserte 2019 sogar gegen den „zu späten“ Kohleausstieg und gegen die Strukturfördermittel für die Kohleregionen. Der Kohleausstieg solle auf 2030 vorgezogen werden. Heute bezieht Bayern erhebliche Strommengen aus den Braunkohlerevieren in Mitteldeutschland und der Lausitz, dem Rheinland und auch den Atomstrom aus den Nachbarländern.

Indessen schweigt ein alter Mann in Stuttgart. 2022 wurden in Baden-Württemberg ganze neun Windkraftanlagen aufgestellt (in Bayern waren es 14). Als grüner Ministerpräsident wird er aber von den regierungsbegleitenden Medien nicht angegriffen. Er weiß, dass es zu wenig Wind im Ländle gibt, spricht aber darüber aus Gründen der Parteiräson nicht. Die „Südzone“, beschrieben in einem Beitrag von 2019, nimmt Gestalt an.

Auch im Norden wird gestorben

Über die langen Nord-Süd-Trassen wie die Suedlink soll künftig vor allem der Windstrom von See in den Süden gelangen. Wie viel Strom dann kommt, ist eine offene Frage. Der Wind ist ein launischer Geselle, am 23. Januar 2023 um 15 Uhr 30 flossen ganze 50 Megawatt (MW) der Anlagen auf See ins deutsche Netz. Der Ausbau dort soll bis 2030 gut das Vierfache der jetzt installierten Leistung erreichen. Das wären bei analoger Wetterlage dann erhältliche 200 MW.

Die Hälfte davon würde schon in dem Wasserstoffelektrolyseur verschwinden, der auf dem Gelände des ehemaligen Steinkohlekraftwerks Moorburg gebaut werden soll. Der Rest wäre für Hamburg zu wenig und für den Süden würde nichts übrig bleiben.

Der Raum Hamburg als größtes städtisches Industriegebiet Deutschlands wurde bisher von einem ganzen Schwarm von Kraftwerken versorgt, was Produktion und Wohlstand der Hanseaten sicherte. Die KKW-Kaskade an der Elbe von Krümmel über Brokdorf bis Brunsbüttel, dazu die Werke in Stade und Unterweser, dazu das leistungsstarke und moderne Steinkohlekraftwerk Moorburg, das de facto die ganze Stadt hätte versorgen können, produzierten umweltverträglich und zu niedrigen Preisen. Die Schließung der teilungsbedingten Lücke im Höchstspannungsnetz zwischen Schwerin und Hamburg machten die Versorgung nochmals sicherer, insgesamt gute Bedingungen für energieintensive Industrie.

Diese opulente Versorgungslage ist nun Geschichte. Das Kraftwerk Moorburg, das seine Stärken erst mit der Wärme-Kraft-Kopplung hätte richtig ausspielen können, war von Anfang an politisch nicht gewollt und lief nur sechs Jahre. Für die Sicherung der Fernwärmeversorgung muss das Adenauer-Kraftwerk in Wedel weiter räuchern, bis ein neues Gaskraftwerk ans Netz gehen wird. Anfang 2021 wurde erwogen, Buschholz aus Namibia zur Sicherung der Fernwärmeversorgung einzusetzen. Nachdem nun Minister Habeck persönlich im ehemaligen Deutsch-Südwest war, denkt man bundesweit an Wasserstoff von dort, also für später. Die Kohle-Abschaltungen in Bremen und des KKW Emsland bringen Mangel in den ganzen Großraum, nicht später, eher jetzt.

Plötzlich und unerwartet

Plötzlich und unerwartet stellt man fest, dass die Stromproduktion in Hamburg deutlich zurückgegangen ist – um zwei Drittel. Man könnte auch sagen, sie ist eingebrochen. Hauptgrund sei die Stilllegung des Kraftwerks Moorburg. Dafür sei die Stromproduktion deutlich grüner geworden, aber nicht durch den Ausbau der Erneuerbaren, sondern eben anteilig. Da kommt Freude auf.

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Der Senat befürchtet, dass mehr Energie im Ausland zugekauft werden muss. Mit der Norlink-Verbindung von Norwegen steht eine neue Leitung zur Verfügung, über die maximal 1,4 GW Strom bezogen werden kann, das ist weniger, als das Kraftwerk Moorburg liefern konnte (1,7 GW). Voraussetzung ist, dass die Nordländer liefern können und wollen. Die Wertschöpfung aus der eigenen Stromproduktion, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen sind jedenfalls weg, eigener Strom für den Süden auch.

Umweltsenator Kerstan von den Grünen wäre kein guter Grüner, wenn er nicht auch eine Lösung hätte. Die heißt, mehr Solaranlagen auf öffentliche Gebäude zu setzen, eine Solardachpflicht für Neubauten und Windkraftanlagen im Hafengebiet, später. Winternächte, Nieselregen, Nebel und Windstille sind dem Senat offenbar unbekannt. Die Hamburger stehen im Ruf, kühl und seriös kalkulierende Geschäftsleute zu sein. Wieder verabschieden wir uns von einem Klischee.

Diesseits und jenseits der Grenze

Wie am 15. Januar geschehen, führt ein hohes Windaufkommen zu sinkenden Strompreisen im Großhandel. Aber auch dort, wo durch Leitungsengpässe der Windstrom nicht hingelangt und wo teure Redispatchmaßnahmen getroffen werden müssen, also Ersatzkraftwerke anfahren müssen oder Strom im Ausland besorgt werden muss, ist dann der Strom billig. Aber Deutschland ist keine Kupferplatte und ein einheitlicher Strompreis bildet die realen Verhältnisse nicht ab. So fordern norddeutsche Politiker und auch die EU verschiedene Strompreiszonen, die es in anderen Ländern bereits gibt. Es gibt Vorschläge mit zwei bis fünf Zonen. Das Zwei-Zonen-Modell zieht eine neue innerdeutsche Grenze etwa an der Mainlinie.

Im Süden wäre der Strom bei hohem Windaufkommen und auch generell teurer, im Norden billiger. Kurzfristig würde es nur die Preise verschieben, langfristig würde sich die Industrie aus dem Süden zurückziehen, so sie es ohnehin nicht schon tut.

Die Hoffnung der norddeutschen Politik auf wirtschaftlichen Zuzug aus dem Süden wird sich nicht erfüllen. Zum einen, weil im Norden – siehe Hamburg – absehbar Energiemangel mit steigenden Preisen eintreten wird, zum anderen werden sich die Firmen und Konzerne verlässliche Bedingungen suchen und sie werden sie im Ausland finden. Wenn Wirtschaftsbetriebe Standorte aufgeben und auf Reisen gehen, suchen sie sich ihre Ziele sorgfältig aus.

Der Energiemangel im Norden wird dazu führen, dass Süddeutschland nicht mehr ausreichend mit Strom wird beliefert werden können. Die postindustrielle Gesellschaft kommt in Sichtweite, auch das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse: armer Norden, armer Süden.


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