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Wem gehört der Pergamonaltar?

Published On: 29. Januar 2023 16:00

Im vergangenen Dezember reiste die deutsche Außenministerin in den westafrikanischen Bundesstaat Nigeria, um dort 20 der sogenannten Benin-Bronzen zu übergeben, die zuvor dem Bestand deutscher Museen angehörten. Mit dem Geschenk sollten, wie sie in einer Mitteilung auf Facebook vermeldete, während der deutschen Kolonialzeit begangene Untaten gesühnt werden. Denn, so konnte man zuvor allerorten hören und lesen, es handele sich um Kunstwerke, die dem nigerianischen Volk geraubt wurden.

Vermutlich wird die Ministerin noch rechtzeitig erfahren haben, dass Nigeria britische Kolonie war und deutsche Museen ihre Benin-Bronzen nicht durch Raub, sondern auf Auktionen oder als Leihgaben und Schenkungen von Sammlern erworben hatten. Man könnte dafür also bestenfalls den Begriff „Kunstwerke aus Hehlerbesitz“ einführen, aber das war nicht die einzige Enttäuschung, die Frau Baerbock bereitet wurde: Sieht man ab von den Berichten deutscher Medien, dann verlief ihr Besuch trotz einer feierlichen Begegnung im Außenministerium ziemlich unbeachtet.

Das Verlangen der Beschenkten nach Zeugnissen der Vergangenheit war wohl eigennützig überschätzt worden: Nigeria – religiös, politisch und sozial zerrissen – wird von der Gefahr eines Bürgerkrieges bedroht. Das erwartete Interesse, Hochachtung für die Aktion, blieb weithin aus, und Investitionen wären wohl willkommener gewesen. Auch mag es sowohl die Gastgeber als auch die mit der Ministerin reisenden Museumsdirektoren unbehaglich gestimmt haben, wenn während der Ansprachen fortwährend von der Vergangenheit die Rede war, ohne einen gewissen Zeitabschnitt nigerianischer Geschichte zu erwähnen.

Zum Beispiel waren die Metalle, aus denen die Bildwerke gegossen wurden, zum größten Teil einst als Handelsware im Austausch gegen Sklaven ins Land gekommen. Die Herrscher über Benin City – der eine oder andere ihrer Nachfahren war vielleicht unter den Anwesenden – wurden damals reich und mächtig, als sie europäischen Sklavenhändlern an der Bucht von Benin Menschen verkauften, die von arabischen und afrikanischen Sklavenjägern im Landesinneren grausam zusammengetrieben worden waren. Nun mag es sein, dass man der Ministerin daheim im Auswärtigen Amt nichts von der Vorgeschichte der „Raubkunst“ erzählt hatte. Denn, so sagt es ein nigerianisches Sprichwort: „Hinkt der Häuptling, dann hinken auch sogleich die Ratgeber.“

Von unschätzbarem Wert für die gesamte Menschheit

Auch diese Reise der Außenministerin weckte also nicht die Begeisterung, die von den deutschen Medien und den Mitgliedern und Sympathisanten der Grünen Partei gern vermittelt worden wäre. Das mag Saraya Gomis, Staatssekretärin für Vielfalt und Antidiskriminierung in Berlin, unmittelbar nach Frau Baerbocks Rückkehr zu dem in den Medien vornehmlich im Januar verbreiteten Vorschlag bewogen haben, der Türkei den Pergamonaltar zu schenken. Und die Nofretete soll auch gleich wieder zurück nach Ägypten. Wenngleich die Kulturlosigkeit und der Vernichtungswillen von Funktionären der Grünen nicht mehr überraschen können, mag da manchem Leser oder Hörer der Atem gestockt haben.

Doch Frau Gomis ist parteilos und will offenbar nur eine Haltung zur Schau stellen, die ihr gerecht und moralisch erscheint. Es ist schließlich möglich, dass sie nicht weiß, dass Pergamon eine hellenistische Residenz war, dann dem römischen und dem byzantinischen Reich angehörte und erst im 14. Jahrhundert türkischen Eroberern anheimfiel. Sie weiß jedoch sicherlich, dass der Altar das Prunkstück der Museen in ihrer Heimatstadt Berlin und von unschätzbarem Wert für die gesamte Menschheit ist.

Unzählige Besucher haben dort seit 1902 – ausgenommen die Jahre des Museumsneubaus und der Lagerung in Bunkern sowie in der Leningrader Ermitage – die mehr als 2000 Jahre alte Bildhauerarbeit und ihre künstlerische Ausführung bewundert, die den Kampf der von Zeus geführten Götterschar mit Giganten und Fabelwesen darstellt. Es erforderte zuvor zwei Jahrzehnte angestrengter handwerklicher und wissenschaftlicher Bemühungen, tausende von Bruchstücken wieder zu Platten und Friesabschnitten zusammenzufügen.

Damit erstand zum Teil erneut, was einst bunt bemalt und strahlend im Licht des Südens hoch über dem Ägäischen Meer vom Ruhm der Attalidenherrscher, von ihren Siegen über andere Machthaber, über Barbaren und aufbegehrende Untertanen kündete. Aber auch das Leid der Unterlegenen, der Verwundeten und Getöteten findet sich auf dem Skulpturenfries, und überdies haben die Zeit und fremde Eroberer, die Witterung und die Arbeit der Kalkbrenner mit zerstörten Gesichtern und verstümmelten Körpern den früheren Anspruch des Bildwerkes lehrreich verändert.

Vor der Verkalkung gerettet

Mancher wird das kennen: den 300 Meter hohen Burgberg von Pergamon – türkisch Bergama –, die steilen Sitzreihen des Theaters am Westhang, die Terrasse mit dem Altarfundament, das Trajaneum aus römischer Zeit und andere Bautenreste. Pergamon ist schließlich eines der Ziele vieler Touristenreisen zwischen Troja und Ephesos. Sicherlich wird der Reiseführer dabei auf die Grabstätte am Fuß der Tempelhöhe hingewiesen haben und hat den Namen Carl Humann erwähnt. Humann (1839-1896) war ein deutscher Vermessungsingenieur, vorwiegend in türkischen Diensten, der 1865 erstmals die Akropolis von Pergamon besuchte. Da bedeckten wilde Feigenbäume und Gestrüpp die Trümmer der antiken Bauten, und „daneben rauchte der Kalkofen, in den jeder Marmorblock … zerkleinert wanderte“.

Damalige Bewohner von Pergamon zerschlugen nämlich die antiken Tempeltrümmer und Skulpturen aus Marmor, um daraus Kalk als Baustoff und zum Weißen ihrer Häuser zu gewinnen. Es vergingen sechs Jahre, bis Carl Humann die türkischen Behörden von der Bedeutung Pergamons überzeugen und ein Verbot des Kalkbrennens auf dem Burgberg erreichen konnte. Weitere zwei Jahre dauerte es, bis es ihm gelang, drei Friesplatten zu bergen und als Geschenk nach Berlin zu senden.

Zuvor mussten die tonnenschweren Blöcke freilich mit Flaschenzügen auf eigens angefertigte hölzerne Schlitten gehievt werden. Von Büffeln gezogen, erreichten sie dann über einen von Humann vermessenen Serpentinenweg das Flachland und den kleinen, 30 Kilometer von Pergamon entfernten Hafen Dikili. Dort nahmen Leichter die Ladung auf und brachten sie nach Smyrna (heute Izmir). Im Hafen von Smyrna beendete endlich das Ladegeschirr eines Handelsschiffes die mühselige Arbeit mit den Flaschenzügen. Nach Triest verschifft, konnten die Friesteile nun auf Eisenbahnwaggons verladen werden. Später gelangten sie dann auch per Schiff nach Hamburg und von dort mit Binnenschiffen nach Berlin.

Unbezahlte Quittungen

Carl Humann hat jenen ersten Transport aus einer leidenschaftlichen Begeisterung heraus organisiert und finanziert, und es ist ungewiss, ob er dafür Auszeichnung erhoffte. Daheim blieb man jedenfalls tatenlos, vermutlich neidisch auf den Erfolg eines Laien, und Humanns Geschenk verschwand im Keller des Berliner Museums. Erst nachdem Alexander Conze die Leitung der Skulpturenabteilung übernahm, folgten 1878 von den zuständigen Behörden genehmigte Grabungen in Pergamon. Die türkische Regierung fertigte damals einen Firman aus, demzufolge ein Drittel der Funde an Deutschland, eines an die Türkei und das dritte an den Bodenbesitzer fallen sollte.

Neben solchem Entgegenkommen wären freilich auch die Mühen der türkischen Grabungsarbeiter erwähnenswert, die sich zum Beispiel vor die Schlitten spannten, als Büffel sich als untauglich erwiesen. Die Hohe Pforte verzichtete übrigens später auf das ihr zustehende Drittel der Funde und verkaufte dem Deutschen Reich das Bodendrittel für einen geringen Preis. Bis 1886 wurden nun insgesamt etwa 700 Kisten mit Bruchstücken antiker Objekte verschifft – von den 500 Tonnen, die sie auf die Waage brachten, entfielen 135 auf den Pergamonaltar.

Carl Humann wurde berühmt, Ordentliches Mitglied der Deutschen Archäologischen Gesellschaft, Ehrendoktor der Greifswalder Universität und Abteilungsdirektor der Königlichen Museen in Berlin. Die Zeit, in der man dort mehr als zwei Jahre gebraucht hatte, um ihm den Empfang der als Geschenk nach Berlin gesandten drei Friesplatten zu bestätigen, war vorbei. Er leitete hernach zahlreiche Grabungen im Osmanischen Reich und lebte weiterhin in Smyrna, das heute Izmir heißt.

Reich geworden ist er dabei nicht – im Gegenteil. Obwohl er nebenher eine einträgliche Firma für Schleifmittel betrieb, waren seine Einkünfte zu gering, um dem Ansturm von Prominenten und archäologisch Interessierten auf sein gastfreundliches Haus sowie auf den über 100 Kilometer von Smyrna entfernten Burgberg standzuhalten. Seine Gesuche um Aufwandsentschädigung fanden in Berlin nur teilweise Gehör – es ist gut vorstellbar, dass er preußischen Beamten nicht erklären konnte, weshalb es auch im Orient nicht üblich ist, Quittungen für unversteuerte Zuwendungen auszustellen.

„Wenn der Brei billiger wird, dann wächst auch der Bauch.“

Der Kaiser von Brasilien und sein Gefolge kamen ebenso wie Gelehrte oder die Besatzungen deutscher Kanonenboote. Später erinnerte man sich gern an ihn: seine zahlreichen Freunde unter Archäologen und in der türkischen Altertumsverwaltung ebenso wie jene, die mit ihm Athena und Zeus vom Staub befreit und seine Schlitten gezogen hatten oder wie die Räuber am Weg von Smyrna nach Pergamon, von denen ein Mitreisender berichtete, sie hätten Carl Humann „ehrerbietig gegrüßt“. Als die Stadtverwaltung von Izmir in den Sechziger Jahren den katholischen Friedhof einebnen ließ, wurden Carl Humanns Gebeine nach Pergamon gebracht und dort am Hang des Burgberges bestattet.

Weshalb wird hier diese alte Geschichte erzählt? Nun, viele hierzulande besonders gut mit Steuergeldern bedachte Menschen sehen ihre Aufgabe darin, den Zeitgenossen ein Bild der deutschen Geschichte zu vermitteln, das vorwiegend von furchtbarer Schuld bestimmt wird. Dazu gehört am Rande die Behauptung, ein großer Teil aus dem Ausland stammender Museumsgüter sei in aller Welt durch Täuschung und Bestechung erworben oder geraubt worden, manchmal klebe sogar Blut daran, und alle diese Exponate müssten deshalb zurückgegeben werden.

Das wird, wie vieles andere, ohne Sachkenntnis, aber mit Pathos beteuert und klingt moralisch – auch wenn häufig unklar ist, wer denn die rechtmäßigen Empfänger wären, wie es ihnen heute ergeht und ob die Objekte künftig weiterhin viele Besucher anziehen und Wissenschaftlern freizügig zur Verfügung stehen werden. Gewiss führen zustimmende Entscheidungen zu erhöhtem Selbstwertgefühl der Beteiligten, zu Schlagzeilen, Reisen in ferne Länder und schönen Pressefotos, zu Empfängen und bewegenden Reden sowie zu bewunderndem Zuspruch unter den Beschenkten, selbst wenn man dabei die Weisheit eines weiteren afrikanischen Sprichwortes erfahren muss: „Wenn der Brei billiger wird, dann wächst auch der Bauch.“

P. Werner Lange, geb. 1943, ursprünglich Seemann, ist ein deutscher Autor von Biografien, Reisebeschreibungen, erzählenden Sachbüchern und Hörspielen.

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