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Freiheit unterm Rad?

Published On: 4. Februar 2023 14:00

Wissenschaft, Demokratie und Gesellschaft haben unter der Corona-Transformation gelitten, wie der Sammelband „Pandemiepolitik. Freiheit unterm Rad?“ verdeutlicht.

Im Grunde geht es in dem Buch um Religion. „Solange die meisten Wissenschaftler gläubig waren, stand der Unterschied zwischen Glauben und Wissen immer direkt vor ihren Augen“, schreibt Psychologieprofessor Boris Kotchoubey. Doch in säkularen Zeiten gelte laut dem Mediziner: „Wer nicht weiß, dass er glaubt, der glaubt, dass er weiß.“ „Wissenschaft ist eine Methode, keine Religion“, ergänzt die Islamwissenschaftlerin Agnes Imhof, „Gläubigkeit an ‚die‘ Wissenschaft ist nicht Science, sondern Scientology“.

Aussagen, die allgemein gelten, aber zum Thema Coronapolitik erst recht passen. Über das „Purgatorium der Krankheit, vor dem nur das Sakrament der Impfung noch schützen kann“ spottet Literaturwissenschaftler Matthias Fechner. „Der Mensch ist Gottes Ebenbild. Gottes Ebenbild trägt nicht eine Maske allein unter Bäumen mitten im Wald“, bemerkt Jan Dochhorn, Evangelischer Theologe, treffend. Angesichts von Kirchen, die Ungeimpften den Gottesdienstbesuch verweigerten und die Corona-Spritze als „Nächstenliebe“ anpriesen, wie der Christliche Sozialethiker Axel Bernd Kunze kritisiert, geht Dochhorn noch weiter und fragt: „Kann man Christen zu irgendwas gebrauchen? Auf den ersten Blick sieht es im Moment nicht danach aus.“

Kunze wiederum erörtert, „wie ein faktischer Säkularismus die Gewichte der moralischen Debatte von einem christlich fundierten Personalismus zu einem Neokollektivismus verschiebt“. Und übermittelt Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dem zufolge man vieles in der Seuchenregulierung zu verzeihen habe, eine nicht ganz so frohe Botschaft: „Verzeihung und Aussöhnung werden nicht mit billiger Münze zu haben sein. Und sie setzen Mut zur Wahrheit voraus.“

Die Selbstzerstörung von Wissenschaft

Eine Spaltung der Russisch-Orthodoxen Kirche aus dem 17. Jahrhundert dient dem Historiker Klaus Buchenau als Allegorie auf die heutige Situation: Christian Drosten nimmt die Rolle eines damaligen Patriarchen ein, der kritische Mediziner und Politiker Wolfgang Wodarg die des Altgläubigen-Erzpriesters. Der Deutsche Ethikrat habe sich in der Coronafrage, so Imhof, „eher wie eine Staatskirche bzw. eine Glaubenskongregation“ geriert. Und zur Glaubensfrage wird auch, was Sinologe Ole Döring formuliert: „Wer glaubt noch, aufrichtig, an das Menschenbild unseres Grundgesetzes?“

Damit nicht genug der Religion. Einige seiner Professorenkollegen „haben sich statt dem Humboldtschen Ideal einer postmodernen, zugleich nihilistischen und dezisionistischen Ideologie verschrieben“, so Gerd Morgenthaler, der in Siegen Öffentliches Recht lehrt. „Sie […] leugnen überhaupt den Gedanken einer objektiven Wahrheit und positionieren sich stattdessen als Vorkämpfer einer quasireligiösen Agenda, die alle gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen in ihren Dienst stellen oder ‚dekonstruieren‘ will.“

Akademisch Lehrende, darunter viele Professoren, dominieren die Autorenschaft des Sammelbandes „Pandemiepolitik. Freiheit unterm Rad?“, der das Versprechen „einer interdisziplinären Essaysammlung“ hält. Als Herausgeberinnen des im vergangenen Quartal erschienenen Buches fungieren Sandra Kostner, Migrationsforscherin und engagierte Intellektuelle, sowie Initiatorin Tanya Lieske. Sammelbände treten in der Wahrnehmung meist hinter Monographien zurück – zu Unrecht. Hier zeigen sich die Vorzüge deutlich: Unterschiedliche Perspektiven, verschiedene Autoren mit je eigenem Stil – und man kann sich einzelne Beiträge herausgreifen, ohne alles ganz lesen müssen.

„Eine Wissenschaft, die sich verzwecken lässt“

„Einigkeit und Recht und Freiheit haben Schaden genommen in unserem Land“, diagnostiziert der erwähnte Kunze, kurz und knapp. Der Struktur des Buches folgend, sind es Wissenschaft, Demokratie und Gesellschaft, die mehrere Jahre der Corona-Transformation nicht unversehrt gelassen haben.

„Man kann heute nicht mehr von Wissenschaft sprechen, ohne von Geld zu sprechen“, schreibt Kotchoubey. Als Geldgeber dominieren Staat und Pharmaindustrie. Auch andere Autoren des Bandes sprechen den zunehmenden Einfluss von Drittmittelfinanzierung auf (Hochschul-)Forschung kritisch an. „Eine Wissenschaft, die sich verzwecken lässt“, so Philosoph Markus Riedenauer, „lieferte Instrumente für ‚social engineering‘, ‚enhancement‘ und ‚wissenschaftliche fundierte‘ Biopolitik.“ „Die Selbstzerstörung von Wissenschaft wird vorangetrieben durch ihre Institutionen (wie unter anderem Akademien)“, heißt es bei Michael Esfeld.

Der in Lausanne lehrende Philosoph Esfeld gehört selbst einer solchen an, der Leopoldina, die sich in den letzten Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat – zu Esfelds Entsetzen. Er hat sich unter den Autoren des Buches wohl den größten Namen als Kritiker der Coronapolitik gemacht. Aber auch die Beiträge der in der einschlägigen Öffentlichkeit weniger bekannten Wissenschaftler lohnen das Lesen. Manche dieser Stimmen klingen etwas leiser, aber nicht minder klug.

Politik ist nicht immer das, was sie zu sein vorgibt

Wie pandemiepolitische Entscheidungen getroffen wurden, untersuchen unter anderem zwei BWL-Professoren. Robert Obermaier durchforstet den Dschungel von Vorsorgeprinzip, „Whatever-it-takes-Mentalität“ und „Worst-Case-Denken“. Rainer Baule konstatiert: „Weder sollte ein Experte zum Entscheider werden, noch sollte ein Entscheider nur auf Experten mit derselben monofokalen Brille hören.“ So wichtig solche Analyseansätze sind, vernachlässigen sie zuweilen, dass es sich bei den nach außen getragenen Abwägungen oft nur um Fassade und öffentlichkeitswirksame Rechtfertigungen handelt; Politik ist nicht immer das, was sie zu sein vorgibt.

Die Corona-Entscheidungen bewegen sich in ganz anderen Dimensionen der Intensität als das vor Jahren populär diskutierte staatliche Nudging, wie Baule zu Recht bemerkt. Jedoch steht auch dieses Anschubsen für – da sind wir wieder bei der Religion angelangt – „eine Vergottung des Staats“, der es besser wisse als die Bürger, wie Imhof bemerkt, und für ein Menschenbild, „nach dem der Mensch zur Sklaverei geboren“ sei. Mitherausgeberin Kostner bemängelt die „Unbarmherzigkeit“, „emotionale Grausamkeit“, „Empathielosigkeit“, „Indifferenz“ und „Leichtfertigkeit“ in der Pandemiepolitik. Und kritisiert die verlogene Verwendung des Begriffes Solidarität. Allen voran die Partei der Grünen, wie sie zutreffend feststellt, möchte „weg von der Handlungsfreiheit des Individuums“.

16 Beiträge und ein sokratisches Interludium umfasst „Freiheit unterm Rad?“. Auch das Schulwesen, die Musik und – jedenfalls beiläufig – der Transhumanismus werden behandelt. Das Buch enthält weit mehr interessante Gedankenanstöße und Highlights, als in dieser Rezension angerissen. Angenehmerweise ist es fast durchgehend im generischen Maskulinum verfasst, von Gendersternchen und Ähnlichem bleibt man verschont.

Das letzte Wort habe der schon zitierte Pädagoge und Sozialethiker Axel Bernd Kunze: „Eine Politik, die sich zu den altbekannten Prinzipien im Umgang mit ethischen Konflikten bekennen würde, wäre eine Politik, die wieder rote Linien zu akzeptieren bereit ist.“

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo-Argumente.

„Pandemiepolitik. Freiheit unterm Rad?: Eine interdisziplinäre Essaysammlung“ von Sandra Kostner und Tanya Lieske (Herausgeber), ‎2022, ibidem-Verlag: Hannover. Hier bestellbar.

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