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Nachruf auf Ismail TipiEiner von einem Schlage, von denen es viel zu wenige gibt

Published On: 4. Februar 2023 22:34

Es fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen, doch ist schon mehr als zehn Jahre her, daß ich Ismail Tipi das erste Mal persönlich treffen durfte. Damals, im Jahr 2012, war die Asylkrise noch weit entfernt, die AfD noch nicht geboren, die Integrationsdebatte, angestoßen von Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ (2010), noch immer virulent – und islamischer Terrorismus in Europa allgegenwärtig.

Wir hatten uns zu einem Interview im hessischen Landtag verabredet, trafen uns in seinem Abgeordnetenbüro. Obwohl ich seinerzeit nur für einen kleinen, kaum bekannten Blog tätig war, hatte Tipi der Interviewanfrage zugestimmt; auch deshalb, weil wir über sein Herzensthema reden wollten, ein Thema, über das die allermeisten „großen“ Medien auch seinerzeit am liebsten schwiegen: den wachsenden Einfluß von Salafismus und Islamismus in Deutschland.

Am eindrucksvollsten empfand ich, was Ismail Tipi seinerzeit „off the record“ erzählte. Wie er schilderte, welcher Bedrohung er ausgesetzt war, als CDU-Politiker genauso wie vorher, als Journalist und stellvertretender Redaktionsleiter für Europa bei der türkischen Zeitung Hürriyet. Wie er von türkischen Islamisten überfallen wurde, weil diese ihn ihm – zurecht – einen erklärten Gegner ihrer Ambitionen erkannten, jemanden, der ihrem Ziel der stetigen (Re-)Islamisierung der Türkei genauso im Wege stand wie dem stetig wachsenden, islamisierenden Einfluß Recep Tayyip Erdogans auf türkischstämmige Zuwanderer in Deutschland.

Überzeugter Laizist

Als Moslem in der CDU aktiv war Ismail Tipi überzeugter Laizist, sah sich und die Türkei in der Tradition Kemal Atatürks und das Wirken des damaligen und heutigen Präsidenten Erdogan als eine Entfremdung von dieser Tradition, als einen Schritt zurück zu etwas, das die Türken doch eigentlich längst überwunden hatten. Trotzdem war er in der CDU aktiv und sah darin nie einen Widerspruch, ebenso wenig in dem Umstand, daß er sich selbst zum Islam bekannte.

Denn die Trennung von Kirche und Staat, jenes Erbe Atatürks, zählte für ihn hierzulande zur christlichen Tradition, die zu verteidigen er sich auch als Muslim berufen fühlte. Weil „diese Tradition und Kultur unseres Landes keine bloße, graue, halbvergessene Vergangenheit ist, sondern vielmehr Quelle unserer Identität und unserer Werte“, schrieb Tipi noch im November vergangenen Jahres in einem Kolumnenbeitrag bei Tichys Einblick – und führte aus: „Wir sind gegründet auf das christliche Menschenbild, das alle Religionen gleichermaßen annehmen können, da es von Würde, Freiheit und Selbstbestimmtheit sowie von Eigenverantwortung des Individuums und Solidarität der Gesellschaft ausgeht. Wer die christliche Quelle dieser Werte verleugnet, der verleugnet unsere Werte als solche. Und das ist nicht hinnehmbar.“

Sein Engagement war auf allen Ebenen glaubhaft

Wenn Ismail Worte wie „wir“ und „uns“ benutzte, dann waren damit nicht nur Seinesgleichen gemeint. Tipis „Wir“ umfaßte das linke wie das rechte Spektrum, autochthone Deutsche genauso wie Zuwanderer aus aller Herren Länder. Und es beruhte auf der Erkenntnis, daß es in allen Gruppen, an allen Rändern, in allen Spektren jene gibt, die zu weit gehen, die zu radikal, zu extremistisch sind, deren Wirken dem Kern unserer Tradition, der Freiheit, zuwiderläuft. „Aufeinander zugehen, Vorurteile abbauen, vermeintliche Gräben überwinden.“

Als am 19. Februar 2020 der Rassist Tobias R. seinen fürchterlichen Anschlag in Hanau verübte, da zählte Ismail Tipi zu den engagiertesten Politikern auf Landesebene, spendete den Hinterbliebenen Trost, gab ihnen Halt, versprach Aufklärung. Wo viele andere den Anschlag erkennbar für ihren routinierten „Kampf gegen rechts“ instrumentalisierten, da nahm man Ismail Tipi sein Engagement auch in dieser Sache ab, wirkte jedes Wort glaubhaft, jede Geste angemessen.

Er ging dahin, wo es schmerzte

So auch die Worte, die er im vergangenen Jahr zum zweiten Jahrestag des Anschlags wählte: „Demokratie ist kein Selbstzweck, kann nicht aus sich heraus erhalten bleiben. Ebenso Toleranz: Sie entsteht nicht einfach, sondern muß tagtäglich von den Bürgerinnen und Bürgern gelebt werden. Auch dazu mahnt uns der Anschlag von Hanau: Aufeinander zugehen, Vorurteile abbauen, vermeintliche Gräben überwinden. Dieser Auftrag ergeht an uns alle.“

Diesem Auftrag wurde Ismail Tipi Zeit seines Lebens und seines Wirkens als Politiker gerecht, im Gegensatz zu vielen anderen, die zwar gerne dieselben Worte wählen, sie jedoch nie mit Leben füllen. Anders Ismail Tipi. Wer das große Glück hatte, ihn persönlich kennen zu lernen, erlebte – das ist mit keiner Silbe übertrieben! – ein Paradebeispiel gelungener Integration, nicht obwohl, sondern weil er als Muslim Mitglied der CDU war. Und weil er seinen Kampf eben nicht einseitig nur an jener Front führte, wo Gratismut grassiert und Applaus systemisch inklusive ist, sondern auch da, wo es schmerzt, wo es wehtut, wo es Widerstände und gar Repressalien gibt. Weil er diesen Kampf eben nicht nur des Applauses wegen führte, wie so viele, sondern aus Überzeugung, wie viel zu wenige.

Seine Analysen werden fehlen

Mit Ismail Tipi verlieren Hessen und Deutschland einen Politiker von jenem Schlage, von dem man sich viel, viel mehr wünschen würde. Wir verlieren einen Publizisten, dessen Gedanken und Analysen, dessen Meinung und Haltung viel zu selten geworden sind und umso mehr fehlen werden. Wir verlieren einen Aktivisten, der in demselben Maße gegen alle Extremisten kämpfte, wie er unter allen Demokraten Brücken schlug. Vor allem aber verlieren wir einen Menschen, dessen Tod ein tiefes Loch in unsere Gesellschaft, ein noch tieferes in seine Familie reißt.

Ismail Tipi verstarb am Freitag nach schwerer Krankheit im Alter von nur 64 Jahren. Mögest Du in Frieden ruhen.

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