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Cancel Cuisine: Generation Yogurette

Published On: 5. Februar 2023 12:00

Auch ein Feinschmecker kann zuweilen zu industriell erzeugtem Naschwerk greifen. Meine kulinarische Leiche im Keller heißt Ferrero. 

Ich bin ein Geschöpf der Generation Yogurette. Fast jeden Tag, wenn ich von der Schule nach Hause lief, versorgte ich mich unterwegs in einem Supermarkt mit einer Tafel Yogurette. Dabei wechselte ich, wie es Süchtige tun, regelmäßig die Verkaufsstelle, um nicht als jemand zu erscheinen, der, frei nach Karl Lagerfeld, die Kontrolle über seinen Körper verloren hat. Manchmal erstand ich sogar zwei Packungen mit, ich glaube es waren damals zehn (heute acht), einzeln verpackten Riegeln. Sie enthielten eine unwiderstehliche „Erdbeer-Creme“, die alles andere enthielt, nur (so gut wie) keine Erdbeeren, dafür aber viel Fett und noch mehr Zucker. Ein paar Prozente „Magermilchjoghurtpulver“ sollten der Kalorienbombe ein gesundes Image verleihen. Umhüllt war dies alles von billiger Vollmilchschokolade. 

Nach dem Mittagessen legte ich mich auf mein Bett, las „Asterix“ und mümmelte glücklich einen Riegel nach dem anderen. Und zwar auf eine ganz bestimmte Weise. Ich biss nicht ein Stück nach dem anderen ab oder schob mir den Riegel einfach der Länge nach in den Mund, sondern knabberte die glatte Schokoladen-Unterseite des gewölbten Riegels herunter und lutschte dann die Füllung aus dem geöffneten Halbrund. So wie viele Liebhaber der Prinzenrolle, zu denen ich nicht gehöre, von dem Doppelkeks ebenfalls nicht abbeißen, sondern eine runde Keksoberseite mit Zunge und Zähnen rundherum abknabbern oder abheben, um hernach die Schokofüllung abzuschlecken. Da hat jeder seine eigene Technik.

Erfunden wurde der Riegel 1970, also acht Jahre nach meiner Geburt, und war eine der ersten Süßigkeiten, die als „gesund“ vermarktet wurden. Die Organisation Foodwatch bemängelte später nicht zu Unrecht, dass es sich bei der Werbeaussage „Schmeckt joghurt-leicht“ um Verbrauchertäuschung handele. Das Unternehmen entfernte daraufhin die Aussage „joghurt-leicht“ und ersetzte sie durch „himmlisch“. Mir war allerdings schon damals bewusst, dass ich pures Fett und reinen Zucker zu mir nahm und meinem Körper nichts Gutes tat. Der verwandelte die übermäßige Kalorienzufuhr umgehend in für einen Jugendlichen sehr unansehnliche Fettdepots, die ich Jahre später mühsam wieder abhungern musste. Heute lasse ich Yogurette im Supermarktregal liegen, doch meine Liebe zu Ferrero im Allgemeinen hat nicht gelitten, im Gegenteil.

Süßer Genuss ohne Reue

Es mag für den Autor eines gastronomischen Blogs zumindest ungewöhnlich sein, dass er sich als Anhänger eines Lebensmittelkonzerns bekennt, dem gemeinhin das Etikett „umstritten“ angeheftet wird, nicht zuletzt wegen seiner größten Erfindung neben Nutella, der Kinderschokolade, die wie Yogurette keine „gesunde“ Milch enthält und auch nicht, wie im Falle der „Kindermilchschnitte“ das Pausenbrot ersetzt, sondern streng genommen ebenfalls vor allem aus Zucker und Fett besteht. Doch Zucker und Fett sind nun einmal jene unentbehrlichen Energielieferanten, auf die unser Körper seit Anbeginn der humanen Evolution geeicht ist. Warum sollte man sie nicht essen dürfen? Es kommt doch, wie immer, auf die Menge an. Heute würde ich mir natürlich nicht mehr nach dem Mittagessen noch ein, gar zwei Tafeln Yogurette einverleiben. Wenn ich abends einer der zahlreichen Ferrero-Spezialitäten fröne, achte ich darauf, vorher ein wenig zu fasten. Das funktioniert mittlerweile bestens.

Nach Yogurette begann irgendwann im schon deutlich fortgeschrittenen Alter meine Kinderschokolade-Phase, bei der ich die an Yogurette erprobte Verzehrtechnik leicht modifiziert fortführte. Hier kann man zwar auch versuchen, die Schokoumhüllung abzuknabbern oder die Unterseite abzuheben, um an die reine Milchcreme zu gelangen. Doch genussvoll herausschlecken kann man sie nicht, dazu ist die Masse zu hart. 

Irgendwann schien es mir, als habe Ferrero die Rezeptur geändert, jedenfalls schmeckte mir Kinderschokolade nicht mehr so gut, so dass ich zeitweise auf Kinder-Schoko-Bons umstieg. Die kann man im Mund erwärmen, so dass sich die gummierte Schokoumhüllung ablutschen lässt wie bei einem Bonbon. Leider reibt man sich dabei immer den Gaumen wund. Als glänzendes Überzugsmittel wird neben Gummi arabicum, hergestellt aus dem Pflanzensaft von Akazien, auch Schellack verwendet, das aus harzartigen Ausscheidungen der weiblichen Gummilackschildlaus besteht, ein tierisches Produkt also, das Veggies und Veganer zuverlässig auf die Palme bringt. Gesundheitlich ist nichts dagegen einzuwenden.

Beunruhigtes ökologisches Restgewissen

Dann entdeckte ich Ferrero Roche, eine kugelförmige Waffel, die mit Nougat-Creme und einer ganzen Haselnuss gefüllt und mit einer Schicht aus Nuss-Stückchen und Schokolade überzogen ist, dank einfallsreicher Werbung, die Roche ungeachtet der billigen Zutaten und der industriellen Fertigung als Luxusprodukt vermarktet, eine der laut Hersteller meistverkauften Pralinen der Welt. Doch insgesamt erscheint mir Rocher immer als zu süß, weswegen ich irgendwann auf „Raffaello“ umgestiegen bin, eine nach ähnlich sinnlichem, fast schon erotischem Prinzip – Knusperhülle umgibt weichen Kern – konstruierte Praline, die statt mit Haselnüssen von Kokosflocken umhüllt ist und im Inneren eine blanchierte Mandel birgt. Raffaello kommt ohne Schokolade aus, dafür begegnet man hier wieder jener von Yogurette und Kinderschokolade bekannten Milchcreme.

Leider sind die Raffaello-Pralinen infolge ihrer Brüchigkeit und der bröseligen Kokosflocken-Auflage einzeln in Plastikbeutelchen verpackt, was mein ökologisches Restgewissen beunruhigt. Deswegen rangiert momentan Giotto bei mir an erster Stelle, kleine Waffelkugeln, gefüllt mit einer Milchhaselnusscreme und umhüllt mit Haselnusssplittern, verpackt in einer Folienstange, was mir umwelttechnisch vertretbar erscheint. Die kann man an einem Plastikbändchen der Länge nach aufreißen, worauf die Kügelchen in ein bereitstehendes Gefäß kullern. Eine Zeit lang gab es Giotto nicht mehr, jedenfalls nicht in der Originalausführung, sondern umhüllt von viel zu süßen Keksbröseln – vielleicht waren Ferrero zeitweise die Haselnüsse ausgegangen. 

Auf längeren Autofahrten greife ich auch ganz gerne zu Duplo oder Hanuta, die auch bei höheren Geschwindigkeiten relativ bröselfest sind. Keine größere Sympathie habe ich bislang für Mon Chérie entwickeln können, da greife ich lieber ab und an zu handgefertigten Schokostilkirschen einer grandiosen Berliner Manufaktur, die Ferrero bei aller Wertschätzung doch reichlich alt aussehen lassen. Und von Nutella habe ich mich verabschiedet, als ich eine Nussnougatcreme entdeckte, die zu 52 Prozent aus Haselnüssen besteht – beim Ferrero-Klassiker sind es 13 Prozent – und die zum Unwiderstehlichsten zählt, das je meinen Gaumen genetzt hat, der Crema Gianduja aus dem Maison della Nocciola in der Gemeinde Settimo Vittone in Piemont, für das ich hier gerne Werbung mache.

Aber nicht gleich ein ganzes Glas auf einmal essen!

Georg Etscheit schreibt jetzt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

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