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Kultur-Kompass: Intelligenz in der Minderheit

Published On: 5. Februar 2023 14:00

Wer die Mechanismen der „Diskriminierung“ von Intelligenz besser verstehen möchte, sollte zu einem Klassiker der Soziologie greifen. Das Werk erschien zwar bereits 1949, aber es hat kaum an Aktualität verloren.

Die Intelligenz hat es schwer. Im Wissenschaftsbetrieb, in der Medienbranche und im Kulturbetrieb. Statt möglichst objektiv zu beschreiben und zu erklären, wird sich politisch engagiert: Die grün-linke Politisierung verdrängt die Logik des Geistes zum Vorteil der Logik der Macht. Die Intelligenz, sie ist dort in der Minderheit. Um es politisch korrekt zu formulieren: Die Intelligenz wird „diskriminiert“ (gibt es hierfür politisch Förderprogramme?).

Wer eben diese Mechanismen der „Diskriminierung“ von Intelligenz besser verstehen möchte, sollte zu einem Klassiker der Soziologie greifen. Das Werk erschien zwar bereits 1949, aber es hat kaum an Aktualität zur Beschreibung und Erklärung dieser Diskriminierungs-Mechanismen verloren. Denn der deutsch-dänische Soziologe Theodor Geiger besticht in „Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft“ nicht nur mit seiner modern-präzisen wissenschaftlichen Sprache, die fernab von schnörkelig-abgehobener Fachsprache auch für den Laien verständlich ist. Er punktet zudem mit seiner scharf-analytischen, unideologischen und nach Möglichkeit mehrperspektivischen Analyse. Der Aufbau des Buches verdeutlicht dies.

Im ersten Kapitel widmet sich Geiger einer kultursoziologischen Analyse. Konkret geht er der Frage nach, welche Schichten es in den europäischen Gesellschaften der Neuzeiten gegeben habe und gegenwärtig gebe. Hierbei identifiziert er drei Schichten. 1. Akademiker, 2. Gebildete und 3. die sogenannte Intelligenz. Während erstere die „Realisierung geistiger Schöpfungen“ verantworten würden, nehmen die Gebildeten aktiv und unmittelbar an Kulturerzeugnissen teil, indem sie diese konsumierten. Während sie ehemals zur „Kultur-Elite“ zählten, seien sie keiner „spezifischen Schicht“ mehr zuzuordnen. Denn: „Mit Ausbreitung über breitere Schichten, die nur in karger Freizeit mit den Voraussetzungen begrenzter Schulung geistige Interessen pflegen können, muß das Niveau der Bildung sinken, ihr Inhalt flacher, ihre Substanz dünner werden.“

Diesen Prozess treibe zudem eine „Vulgarisierung geistiger Werte“ an; auch die Zunahme von Wissen und Erkenntnissen führe dazu, dass vieles nur noch oberflächlich behandelt werden könne; und die gesellschaftliche Förderung des Spezialistentums – im Gegensatz zur allgemeinen Bildung – unterstütze dies. Nun aber zur Intelligenz. Ihr komme eine kulturschöpferische Leistung ohne jegliche Wertung zu. Der Intellektuelle nehme hierbei eine besondere Position ein. Ihn kennzeichne eine „grundsätzlich-skeptische“ Haltung. Er fordere gerade den Meinungskonflikt. Nicht wie heute, wo unliebsame Positionen durch Etikettierung als „rechts“ oder „populistisch“ ins Diskussions-Abseits geschossen werden.

„Rationalisierung des Lebens“

Nachdem Geiger sich im zweiten Kapitel einer kurzen Geschichte der Intelligenz widmet, vom Zeitalter des Rinascimento über den deutschen Humanismus bis hin zur Epoche des Barock, untersucht er anschließend die gesellschaftliche Aufgabe der Intelligenz. Angelehnt an den Soziologen Karl Mannheim sei es, seiner Ansicht nach, die „Vergeistigung des Dasein“. Kurzer Einschub: Von „Vergeistigung“ kann heutzutage kaum die Rede sein. Statt einer Abstraktion beobachten wir eher eine Konkretisierung des „Daseins“, ja eine Biologisierung durch Gendersprache, und eine Konkretisierung durch Identitätspolitik.

Zurück zu Geiger: Die von Geiger konstatierte Verkümmerung von Wissenschaft aufgrund von Kommerzialisierung und Politisierung sehen wir hingegen noch heute. Geiger spricht von einer „Rationalisierung des Lebens“. Zusätzlich verkomme die politische Diskussion zum „Zungenkampf konträrer Ideologien“. Die Presse wirke als „Agitationsorgan“. Angelehnt an Mannheim beobachtet Geiger einen Anspruch der Intelligenz auf politische Führung. Jedoch: „Die standortbedingte Ideologie enthält Wahrheit, aber Wahrheit in perspektivistischer Verzerrung.“ Deswegen sei eine Diskussion zwischen Ideologen unmöglich.

Das sehen wir auch heute. Im Diskurs mit Klimaschutz-Aktivisten, Gender-Aktivisten und „Woken“. Ihre einseitige Perspektive verhindert eine Diskussion, die auf Argumenten und Fakten beruht, eine Diskussion, die sachlich, möglichst objektiv und lösungsorientiert ist. Hier sollte die Intelligenz eingreifen. Einerseits mache sich, nach Geiger, Intelligenz nicht mit einer Ideologie gemein („Das Wesen des Geistigens fordert Unabhängigkeit von den äußeren Mächten, […]“.) Andererseits sei es ihre Aufgabe, in Übereinstimmung mit Mannheim, die „relativen Wahrheiten konkurrierender Klassenideologien“ zu verbinden.

Die Intelligenz ist nicht massentauglich

Kläglicherweise ließe sich die Intelligenz aber auch von Macht verführen. Das zeige ihr unterschiedliches Verhältnis zur Macht. So könne die Intelligenz, wie es sich für sie gehörte, unabhängig von Macht bleiben. Jedoch sehe man häufiger, dass sie 1. sich der Macht beuge und so zum „ideologischen Überbau der sozialen Verhältnisse“ werde, 2. sie als Berater der Macht in rein wissenschaftlicher, nicht aktivistischer Form, fungiere oder 3. sie die Machthabenden kritisiere, was auch die eigentliche Aufgabe der Intelligenz im Verhältnis zur Macht sei. Grundsätzlich bestehe ihre Aufgabe in einer „machtdestruktiven Rolle“ und ihre Positionierung gegen jegliche Ideologie. „Der Handlungsspielraum der Machthaber würde eingeengt, die Machtverhältnisse wären labiler, der Einfluß der Machtfaktoren auf den gesamten gesellschaftlichen Entwicklungsverlauf würde diese Diffusion vermindern.“

Nach diesem Geiger‘schen Verständnis von Intelligenz (resistent gegen Macht und allgemein Macht-skeptisch), gilt heute als Intelligenz, wer dem Klimaschutz-Aktivismus, der Gendersprache und der „Wokeness“ kritisch gegenübersteht. War die Intelligenz früher politisch links, so ist sie heute im konservativ-liberalen Spektrum zu verorten. Wieso? Sie kritisiert die herrschende Kultur. Um Karl Marx zu zitieren: „Die herrschende Kultur einer Gesellschaft ist die Kultur der herrschenden Klasse.“ Diese ist heute links-grün.

Zurück zu Geigers Werk: In Kapitel vier versucht Geiger, die Intelligenz sozial zu verorten. Sein Befund? Die Intelligenz lasse sich nicht verorten, sie sei „frei schwebend“. Der Handwerker könne ebenso gut Intelligenz sein wie der Wissenschaftler. Andersherum könne der Wissenschaftler ebenfalls, wie der Handwerker, nicht zur Intelligenz gehören. Ausschlaggebend sei hierfür die bereits erwähnte Demokratisierung der Bildung. Infolgedessen fungiere die Intelligenz auch nicht mehr als Vorbild für die breite Öffentlichkeit. Die Intelligenz sei nicht massentauglich.

„Prestige der kultivierten Fassade“

Jedoch gäbe es unterschiedliche Formen von Intelligenz. Ihren verschiedenen Stellungen innerhalb der Gesellschaft widmet sich Geiger im fünften und zugleich letzten Kapitel. Besonders die „sozialwissenschaftliche Intelligenz“ sei gefährdet, sich von Politik einnehmen zu lassen. Wie wahr! Auch hier denkt man an den Klimawandel, Gendersprache und „Wokeness“. Doch Intelligenz sei, so Geiger, „aufrührerisch, revolutionär oder oppositionell“. Um sich dieser politischen Vereinnahmung zu entziehen, sei die Mehrzahl der Intelligenz apolitisch, und engagiere sich schon gar nicht (politisch-)aktivistisch. In den seltenen Fällen, wo sie jedoch aktivistisch oder politisch sei, dann nur als Gegengewicht gegen die herrschende politische Macht.

Intelligenz präferiere grundsätzlich „persönliche Freiheit“ und sei der „geborene Außenseiter“. Um es für unsere Zeiten, mit konkreten Beispielen, zu veranschaulichen: Intelligenz schaut skeptisch auf den aktivistischen und politischen Klimaschutz, stellt sich skeptisch gegen die Gendersprache und die übertriebene „Political Correctness“ und „Wokeness“ – trotz der gut gemeinten Intentionen der Aktivisten. Denn diese drei Felder sind gerade die Bereiche, die von staatlicher Seite massiv gefördert werden. In Kindergärten, Schulen und Universitäten, in Theater-, Opernhäusern und Museen, in Redaktionen von Hörfunk, Fernsehen und (Print-)Medien.

Eine besondere Form der Intelligenz stelle die Bohème dar. Sie sei sogar „hyperintelligent“. Denn sie lasse sich unter keinen Umständen vom Duft der Macht verführen, wolle sich unter keinen Umständen mit der Macht gemein machen. Hierfür nehme sie Einbußen finanzieller Natur und des eigenen sozialen Status in Kauf. Daher kennzeichne sie sich durch ein „kärgliches Einkommen“ und ein „einträchtiges, mustergültiges Familienleben“. Besonders bei größeren politisch-sozialen Umwälzungen käme ihr eine besondere Rolle zu, eben indem sie gegen eine neu-aufkommende ideologische Gesellschaft sei.

Doch das soziale Ansehen der Intelligenz habe inzwischen abgenommen. Stattdessen gelte aufgrund der „Demokratisierung von Bildung“ das „Prestige der kultivierten Fassade“. Und sogar das nicht mehr. Heute gilt eher das „Prestige der moralinsauren Fassade“ (Stichwort: „Wokeness“). Infolgedessen würde die „Kern-Intelligenz“ durch politischen Aktivismus und wirtschaftliches Denken sowie Popularisierung im Sinne von Vermassung karikiert. Daher sei die Intelligenz heimatlos und distanziere sich vom öffentlichen Leben.

Summa summarum: Obwohl sich Geiger bei seiner Analyse auf die Weimarer Republik bezieht, sind seine scharfen Beobachtungen und unideologischen Analysen, mit einigen zeitgemäßen Anpassungen, auf unsere heutige Zeit übertragbar. Das macht das fast 170 Seiten starke Buch so faszinierend. In unserem Zeitalter der Ideologien, oder konträr formuliert, der „Intelligenz-Diskriminierung“. Weil Geigers Analysen immer noch aktueller und stichhaltiger denn je sind.

„Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft“ von Theodor Geiger, 1949/1987, Stuttgart: Ferdinand Enke. Hier bestellbar.

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