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„Die Hersh-Recherche und die Pressefreiheit“

Published On: 16. Februar 2023 16:00

Die amerikanischen Medien haben der US-Regierung nach Bekanntwerden der Hersh-Recherche über die Nord-Stream-Sprengung praktisch keine Fragen dazu gestellt. Was sagt das über die Presse(freiheit) in den USA aus?

Es ist faszinierend, die Berichterstattung der westlichen Medien in diesen Tagen zu verfolgen. Seymour Hersh hat in seinem Artikel berichtet, wie die US-Regierung mit Unterstützung Norwegens die Nord Streams gesprengt hat und just am Tag der Veröffentlichung des Hersh-Artikels war der ehemalige norwegische Regierungschef und heutige NATO-Generalsekretär Stoltenberg bei US-Außenminister Blinken. Die beiden haben sich nach ihrem Treffen sogar der Presse gestellt, aber die „kritischen“ Journalisten haben keine einzige Frage zur Nord-Stream-Sprengung gestellt. Auch die beim Weißen Haus akkreditierten Journalisten fanden andere Themen interessanter und haben nicht mit Fragen zu Nord Stream genervt.

Die deutsche Presse verhält sich genauso. Anstatt die Hersh-Recherche aufzunehmen, selbst dazu zu recherchieren und sie dann mit Fakten zu ergänzen (oder auch zu widerlegen), wird Hersh in den deutschen Medien verunglimpft und die deutschen Medien stellen der Bundesregierung keinerlei kritische Fragen. Ich zum Beispiel würde Bundeskanzler Scholz gerne Fragen, was er gedacht hat, als Biden vor einem Jahr neben Scholz stand und offen sagte:

„Wenn Russland einmarschiert, also Panzer oder Truppen wieder die Grenze zur Ukraine überqueren, wird es kein Nord Stream mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.“

Aber die deutschen Medien verhalten sich genauso, wie die US-amerikanischen und stellen ihrer Regierung keine lästigen Fragen.

Der TASS-Experte Andrej Schitow, der drei Jahrzehnte lang als Korrespondent in den USA gearbeitet hat und die US-Medienszene daher von innen kennt und bestens in den USA vernetzt ist, hat darüber eine sehr interessante Analyse geschrieben, die ich übersetzt habe.

Beginn der Übersetzung:

Die Hersh-Recherche und die Pressefreiheit in den USA: Wer braucht sie, diese Wahrheit?

Amerika nennt sich selbst stolz das „Land, das auf der Idee demokratischer Rechte und Freiheiten gegründet wurde“. Eine der wichtigsten davon ist die Pressefreiheit, das Recht und die Pflicht unabhängiger Medien, dem Volk und der Regierung die Wahrheit zu sagen. Aber wer entscheidet, was die Wahrheit ist und welche Wahrheit die Menschen brauchen? Und wer soll für diese Wahrheit die Verantwortung tragen? Zwei wichtige journalistische Recherchen, die in den USA veröffentlicht wurden, zwingen einen, darüber nachzudenken.

Zwei Geschichten

Eine der beiden Geschichten ist weithin bekannt. Der legendäre Seymour Hersh, der 1970 den Pulitzer-Preis für seinen ehrlichen Bericht über das Massaker des amerikanischen Militärs an den Bewohnern des Dorfes Songmi während des Vietnamkriegs erhielt, hat gerade eine weitere Sensation veröffentlicht: einen detaillierten Bericht darüber, wie der US-Geheimdienst auf persönliche Anweisung von Präsident Joe Biden und mit Hilfe der norwegischen NATO-Verbündeten vor sechs Monaten die Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee sabotiert hat.


Andere Recherchen von Hersh
Hersh hat sich schon immer für die Arbeit der US-Geheimdienste interessiert. 1975 schrieb er beispielsweise über eine verdeckte CIA-Operation zur Bergung des sowjetischen U-Boots K-129 vom Grund des Pazifiks. Er untersuchte auch Themen wie den Sturz der sozialistischen Regierung von Salvador Allende in Chile im Jahr 1973, das provozierte Eindringen der abgeschossenen südkoreanischen Boeing in den sowjetischen Luftraum (1983) und die Folterung und Hinrichtung von Gefangenen im US-Gefängnis Abu Ghraib während des Irak-Kriegs (2004); die Razzia von US-Spezialkräften in Pakistan zur Eliminierung des Anführers der Al-Qaida-Terrorgruppe Osama bin Laden (2011); die Vorfälle mit Chemiewaffen in Syrien (2013 und 2017); die Geschichte der Vergiftung von Sergej und Julia Skripal in Großbritannien (2018), und so weiter und so fort.


Die zweite Veröffentlichung blieb außerhalb von Fachkreisen weitgehend unbemerkt: Jeff Gert, ein langjähriger Freund und Kollege von Hersh, der einst auf seine Empfehlung hin bei der New York Times eingestellt wurde, druckte in der Columbia Journalism Review (CJR) einen ausführlichen Artikel über „Presse gegen den Präsidenten“ ab, also darüber, wie die US-Mainstream-Medien den Mythos der russischen „Einmischung“ in die US-Wahl 2016 auf Seiten des Republikaners Donald Trump geschaffen und aufgeblasen haben.

Der CJR, der von der Columbia University in New York herausgegeben wird, gilt fast als die Bibel des traditionellen amerikanischen Journalismus und erhebt direkt den Anspruch, der „intellektuelle Anführer“ der US-Medienbranche zu sein. Gert ist zwar nicht so berühmt wie Hirsch, aber auch ein Profi mit einem halben Jahrhundert Erfahrung und einem Pulitzer-Preis. Für die neue Recherche, die sich über anderthalb Jahre erstreckte, musste er sich durch einen Berg von Veröffentlichungen, Büchern und Dokumenten wühlen, darunter auch Abschriften von Parlamentsanhörungen und Gerichtsverhandlungen. Außerdem führte er Dutzende von persönlichen Gesprächen, unter anderem mit Trump und seinem Umfeld sowie mit Journalistenkollegen, darunter eine weitere lebende Legende, Bob Woodward von der Washington Post. Er sprach nicht nur mit Anhängern des ehemaligen Präsidenten, sondern auch mit seinen „Feinden“. Zu letzteren gehörten der ehemalige FBI-Beamte Peter Strozk, der Ermittlungen gegen Trump wegen angeblicher „geheimer Absprachen“ mit Russland einleitete, und der ehemalige britische Geheimdienstoffizier Christopher Steele, der von Trumps Konkurrentin Hillary Clinton angeheuert wurde, um Schmutz über den Republikaner zu sammeln und das berüchtigte Dossier über ihn zusammenzustellen.

Überall haben ehrwürdige Journalisten versucht, hinter die Kulissen zu blicken, anstatt sich mit den offiziellen Versionen zufrieden zu geben, und überall wurden ihre Bemühungen entweder zum Schweigen gebracht oder von den Regierungen zurückgewiesen. Hersh sagt, dass das Weiße Haus, bei dem er um einen Kommentar bat, seinen Text als „Fake und vollständige Erfindung“ bezeichnete; die CIA antwortete, dass seine Behauptungen „vollständig und absolut falsch“ seien.

Keine Fragen?

Meines Erachtens war nichts anderes zu erwarten. Wieder schreibt der Autor selbst, dass bei der Erörterung mit der politischen Führung und den Sicherheitskräften in Washington über verschiedene Optionen für einen Angriff auf die Pipelines „jedem klar war, wie viel auf dem Spiel stand“. Und er zitiert seine Quelle (er macht keinen Hehl daraus, dass es sich um eine Person handelt, die „direkt mit der Planung der Operation vertraut war“): „Das ist kein Kinderspiel. Wenn der Angriff auf die USA zurückgeführt werden kann, ist das ein kriegerischer Akt“.

In Russland ist man sich des Ernstes der Lage natürlich auch bewusst. Und auf höchster Ebene, unter anderem durch den Sprecher des russischen Präsidenten Dmitri Peskow, wird betont, dass Hershs Artikel „einmal mehr die Notwendigkeit einer offenen internationalen Untersuchung dieses beispiellosen Angriffs auf internationale kritische Infrastrukturen zeigt.“ „Das unaufgeklärt zu lassen, die Täter nicht zu entlarven zu bestrafen, ist unmöglich“, sagte Peskow vor Reportern. „Aber wir sehen das Gegenteil, es gibt Versuche, diese internationalen Ermittlungen stillschweigend zu verhindern.“

Gleichzeitig zeigte sich der Präsidentensprecher erstaunt darüber, dass die sensationelle Veröffentlichung in den westlichen Medien „keine weite Verbreitung“ gefunden hat, das heißt, sie wurde von ihnen nicht aufgegriffen, zumindest nicht als Thema für weitere Nachforschungen. Und genau das ist es, worum es mir geht. Hier ist ein konkretes Beispiel: Hershs Artikel erschien am Morgen des 8. Februar und ein paar Stunden später führte US-Außenminister Anthony Blinken in seinem Büro Gespräche mit dem NATO-Generalsekretär und ehemaligen norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg. Am Ende des Treffens gingen sie gemeinsam hinaus, um die Fragen der Journalisten zu beantworten. Dabei ging es um die Hilfe für die Ukraine und die Aussichten für die Erweiterung des Bündnisses, um den chinesischen Ballon und das Erdbeben in der Türkei und Syrien. Aber zur Nord Stream-Sabotage stellte man ihnen… keine Frage, obwohl sie beide in der sensationellen Enthüllung als Hauptbeteiligte an den Ereignissen bezeichnet wurden.

Gespielte Empörung

Als ich davon las, traute ich – ehrlich gesagt – zuerst meinen Augen nicht. Ich erinnere mich daran, wie sich Reporter normalerweise bei Pressekonferenzen im Außenministerium und im Weißen Haus verhalten; wie sie brandaktuelle Nachrichten spontan aufgreifen, wie sie auf die kleinsten Details eingehen, wie sie stolz Fragen stellen, auch für die Beamten unbequeme. Aber hier – in diesem Fall haben sie geschwiegen. Ich habe danach sogar einen langjährigen Bekannten aus dem Pressepool des Außenministeriums gefragt, wie das passieren konnte. Er antwortete kurz und bündig, dass er selbst bei dieser Pressekonferenz nicht anwesend war und nicht für andere sprechen könne.

Da wir über die transatlantische Praxis der Kommunikation von Beamten mit Journalisten sprachen, kann ich hinzufügen, dass eine Frage an sich noch keine Garantie für eine Antwort ist, obwohl es in diesem Fall für Blinken und Stoltenberg fast unmöglich gewesen wäre, ihr auszuweichen (übrigens ist das vielleicht der Grund, warum die Frage nicht gestellt wurde). Die Sprecher haben für solche Fälle eine, wie ich es nenne, gespielte Empörung auf Lager: Die Annahme selbst ist so ungeheuerlich und inakzeptabel, dass wir sie nicht „mit einer Antwort würdigen“ werden.

Im Prinzip erleben wir jetzt etwas Ähnliches: Niemand sagt offen, dass sie das, was ihnen vorgeworfen wird, nicht getan haben. Wie ich von den Sprechern selbst gehört habe, versuchen sie, Eindeutigkeit gänzlich zu vermeiden: Erstens verstehen sie, dass sie selbst nicht alles wissen können. Zweitens wollen sie keinen Präzedenzfall schaffen: Wenn man einmal antwortet, wird in unzähligen anderen Situationen das Gleiche von einem verlangt werden. Und schließlich treffen sie einfach Vorsichtsmaßnahmen und lassen sich für den Fall der Fälle einen Ausweg offen.

Noch eine Ergänzung zu diesem Thema: Ich bin sicher, dass niemand Hersh verklagen wird. In einem Land, das sich mit der so genannten Bill of Rights in seiner Verfassung brüstet, vor Gericht mit einem Journalisten zu streiten, richtet zu viel Schaden an. Ich erinnere mich, dass vor drei Jahrzehnten, in den Anfängen meiner eigenen journalistischen Arbeit in den USA, ein zwielichtiger „Geschäftsmann“ aus den Reihen unserer ehemaligen Landsleute versuchte, mir mit rechtlichen Schritten zu drohen. Ich sagte dem Mann, der versuchte, eine Truppe russischer Zirkusartisten mit Knebelverträgen auszubeuten, dass ich das, was ihm an meinem Text nicht gefiel, wohl öffentlich wiederholen und begründen müsse. Daraufhin hat er mich in Ruhe gelassen.

„Tod den Medien!“

Etwas anderes ist es, dass man das von Journalisten natürlich auch fordern muss, und sei es nur, um Verantwortungslosigkeit und moralisches Diktat zu vermeiden. Gert erinnert uns in seiner Veröffentlichung daran, indem er sie mit einem Zitat des berühmten ehemaligen Schriftstellers und Publizisten Walter Lippmann (dem man nachsagt, dass er den Ausdruck „kalter Krieg“ geprägt hat) abschließt. In seinem 1920 erschienenen Buch Freedom and the News warnte Lippmann, dass die Demokratie nicht funktionieren kann (is unworkable), wenn die Journalisten sich selbst das Recht anmaßen, zu beurteilen, was berichtet werden sollte und zu welchem Zweck.

Es ist klar, dass das als Verteidigung von Einschränkungen der Pressefreiheit durch inoffizielle Zensur gesagt wurde, es geht um professionelle Standards, die Objektivität, Unparteilichkeit, sorgfältige Gegenprüfung von Daten, das Recht der Kritiker, ihre Positionen zu verteidigen, und eine klare Trennung von Fakten und Kommentaren erfordern. Gert selbst versucht, diese Regeln strikt zu befolgen, insbesondere indem er gewissenhaft Quellen zitiert, auch in Fällen, in denen Kollegen sich geweigert haben, mit ihm zu sprechen. Das geschah ihm zufolge übrigens in etwa der Hälfte der Fälle; mehr noch: keine der großen Zeitungen nannte ihm einen ihrer Führungskräfte (einen Redaktionsleiter) als Ansprechpartner, um seine Fragen zu beantworten.

Chronologisch gesehen reichen die von der Recherche erfassten Ereignisse von Trumps Eintritt in das Rennen um die Präsidentschaftswahl im Jahr 2015 bis zur versuchten Stürmung des Kongresses durch seine Anhänger im Jahr 2021. Aber der Autor grenzt sie symbolisch auf den Zeitraum vom 6. Januar 2017 bis zum 6. Januar 2021 ein, also von dem Treffen, bei dem der bereits gewählte, aber noch nicht ins Amt eingeführte Präsident Trump den Bericht von FBI-Direktor James Comey über den Inhalt des berüchtigten „Steele-Dossiers“ hörte, bis zu jenem „Aufstand vor den Mauern des Kapitols“, der, wie Gert schreibt, „Trumps Vermächtnis für einen Großteil der Medien besiegelte.“ Auf Russisch würde man sagen, dass der letzte Nagel in den Sargdeckel geschlagen wurde. Während des „Aufstands“ malten und kratzten die Trumpisten neben anderen Aufrufen die Parole „Tod den Medien!“ an die Wände.

Ein Spiegelbild der Unzucht

Es ist unnötig, den Inhalt des Berichts zu wiederholen, da er an sich keine Neuigkeiten enthält. Obwohl ich zum Beispiel nicht wusste oder vergessen habe, dass derselbe Steele vom FBI bereits im Herbst 2016 etwa eine Million Dollar für konkrete Beweise und Belege angeboten bekam, die die Daten in seinem Dossier bestätigen würden. Es wurden keine gefunden; im Gegenteil, es wurde bestätigt, dass die Zusammenstellung auf „Gerüchten und Spekulationen“ (rumor and speculation) beruhte.

Die Zusammenstellung könnte auch dazu dienen, den zentralen Punkt des Berichts zu illustrieren – die Doppelmoral der US-Mainstream-Medien gegenüber Trump im Vergleich zu den Demokraten. Das Dossier enthielt anzügliche Details, bis hin zu Behauptungen, dass Prostituierte in sein Hotel in Moskau gerufen wurden, um angeblich „goldenen Regen auf das Bett regnen zu lassen“, und zwar in dem Zimmer, in dem zuvor Barack Obama, der demokratische Präsident der USA, übernachtet hatte. All das wurde auf den Titelseiten amerikanischer Zeitungen breitgetreten, so dass sich Trump, wie er später selbst zugab, nicht nur vor den Wählern, sondern auch vor seiner eigenen Frau rechtfertigen musste.

„Dann tauchet ein Spiegelbild dieser Geschichte über Trump und Russland auf“, erinnert sich Gert. Die New York Post druckte eine Reihe von Artikeln über „pikante“ Details aus dem Privatleben von Hunter Biden (dem Sohn des amtierenden US-Präsidenten) sowie Insider-Korrespondenz über seine Geschäfte in der Ukraine und China. Das alles kam aus dem Inhalt des Laptops, der 2019 angeblich in einer Werkstatt in [Bidens Heimatstaat] Delaware zurückgelassen wurde.“

„Dieselben Reporter, die alle Details der FBI-Ermittlungen gegen Trumps Wahlkampf ausgegraben hatten, waren nicht in der Lage oder nicht willens, die Ermittlungen des Justizministeriums gegen den Sohn des zukünftigen Präsidenten zu bestätigen“, so der Autor weiter. „Während das Gespenst von Trumps angeblichen Verbindungen zu Russland zuvor eine Explosion des Interesses bei Journalisten und sozialen Medien ausgelöst hatte, haben Twitter und Facebook diesmal die Verbreitung der Meldungen der New York Post vorübergehend eingeschränkt.“ Übrigens erfahren wir jetzt im Nachhinein von Elon Musk, dem neuen Eigentümer des Unternehmens, auch, wie die anti-russische Zensur bei Twitter damals eingeführt wurde.

„Klageschrift“ oder Nachsicht?

Vielleicht könnte man Gert aufgrund der zitierten Passage selbst der Befangenheit verdächtigen. Aber er ist, wie bereits erwähnt, ein Spatz in der Hand, denn er arbeitet seit fast 30 Jahren für die New York Times. Und wenn er für eine professionelle Zeitung über die Arbeitsweise der Presse recherchiert, hält er sich ausdrücklich mit eigenen Werturteilen zurück und vertraut auf seine Quellen. Woodward sagte ihm zum Beispiel, dass seiner Meinung nach die Russiagate-Berichterstattung „nicht gut gehandhabt wurde“ (wasn’t handled well), dass Leser und Zuschauer dadurch „betrogen“ (cheated) wurden und dass Redaktionen gut daran täten, „den schmerzhaften Weg der Selbstbeobachtung zu beschreiten“.

Das ist, wie man sagt, eine rückblickende Nachbesprechung; bisher haben das noch lange nicht alle getan. Obwohl der damalige Chefredakteur der New York Times, Dean Baquet, im Jahr 2019, kurz nach der Bekanntgabe, dass Sonderermittler Robert Mueller keine Spur von Trumps geheimen Absprachen mit Russland gefunden hatte, öffentlich verärgert darüber scherzte, dass seine Zeitung „ein kleines bisschen auf dem falschen Fuß“ erwischt worden sei (was caught „a little tiny bit flat-footed“).

Ich sollte hinzufügen, dass ich selbst Gerts Werk keineswegs fehlerfrei finde. Meiner Meinung nach ist sein wichtigster Mangel das, was nicht darin ist. Die Recherche zeigt, was passiert, aber sie erklärt nicht, warum und wie. Sie macht allerdings deutlich, dass das Steele-Dossier von Clintons Leuten in Auftrag gegeben wurde, weil sie selbst gewisse Verbindungen mit Russland hatte. Auch das Vorgehen der Geheimdienste, die die Anweisungen des Weißen Hauses ausgeführt haben, wird dargelegt. Aber wer die Arbeit der Presse wie dirigiert hat, bleibt außen vor.

Der Bericht ist übermäßig lang und detailliert, so sehr, dass man, wie ein Kritiker es ausdrückte, manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Der Text ist sogar in sechs Kapitel aufgeteilt, mit einer Einleitung und einem Nachwort. Meiner Meinung nach hatte der Autor die Absicht, ein Buch zu schreiben, aber das Ergebnis ist weder Fisch noch Fleisch: weniger als ein Buch, aber mehr als ein Artikel. CJR-Chefredakteur Kyle Pope nannte die Veröffentlichung „einen enzyklopädischen Blick auf einen der bedeutendsten Momente der amerikanischen Mediengeschichte.“

Eine Enzyklopädie sollte jedoch vollkommen korrekt sein. Ich habe zum Beispiel gerade ironisch gekichert, als ich las, dass der Ausdruck „Feind des Volkes“, mit dem Trump Journalisten und Medien, die ihm nicht wohlgesonnen sind, gerne brandmarkt, von dem verstorbenen amerikanischen Politikwissenschaftler Pat Caddell „vor über einem Jahrzehnt“ geprägt wurde. Und ich stimme Rich Lowry zu, dem Chefredakteur des konservativen Magazins The National Review, der auf die logische Lücke hinwies: Wenn Trump 2016 wirklich versucht hat, mit Moskau zu konspirieren, dann kann es per Definition kein Treffen seiner engsten Mitarbeiter im Trump Tower mit einem angeblichen „Kreml-Verbindungsmann“ gegeben haben.

Dessen ungeachtet begrüßt derselbe Lowry das Erscheinen von Gerts Arbeit als einen willkommenen Schritt in die richtige Richtung; sein Kommentar trägt den Titel: „Natürlich hat Jeff Gert über Russiagate recht – Endlich etwas Medienverantwortung“ (media accountability). Der Kommentator befürchtet nur, dass der Effekt das Gegenteil von dem sein könnte, was beabsichtigt war, und dass die Recherche nicht als „Anklageschrift“, sondern eher als eine Art Nachsicht wahrgenommen wird: Die Nachbesprechung ist jetzt also abgeschlossen und es gibt keinen Grund mehr zur Sorge.

„Schwindendes Vertrauen und Polarisierung“

Der Autor selbst sieht den Sinn seiner Arbeit als eine Warnung an seine Kollegen für die Zukunft. Gert erinnert uns daran, dass Amerika vor einem neuen Vorwahlzyklus steht, der zwangsläufig eine „intensive politische Berichterstattung“ mit sich bringen wird, und warnt davor, dass Fehler, die nicht aus der Vergangenheit gelernt wurden, „fast sicher“ wiederholt werden. Ich sehe den Hauptwert und die Relevanz seiner Arbeit in der Tat auch darin, dass die USA auf eine neue Wahl unter den gleichen, wenn nicht sogar schlechteren Bedingungen wie 2016 und 2020 zusteuern und dass Biden und Trump im Finale wieder aufeinandertreffen könnten.

In der Einleitung seiner Arbeit beklagt Gert, dass die USA in Bezug auf das Vertrauen in die Presse (26 %) den letzten Platz von 46 Ländern einnehmen, die in der Profilstudie des Reuter-Instituts zum Journalismus im Jahr 2022 untersucht wurden. Im Nachwort weist er darauf hin, dass die meisten Amerikaner (60 %) gerne unvoreingenommene Nachrichtenquellen hätten, aber fast alle (86 %) ihre Medien für parteiisch halten. Und sie suchen ihre Fakten nach ihrem Glauben aus: 83 % der Fox-News-Zuschauer sind für die Republikaner, 91 % der New-York-Times-Leser sind für die Demokraten.

„Ich bin alarmiert über das schwindende Vertrauen in den Journalismus und die zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft. Ich glaube, dass diese beiden Trends miteinander verbunden sind“, schreibt Gert. Und er fügt hinzu: „Meine wichtigste Schlussfolgerung ist, dass die Kernaufgaben des Journalismus – die Öffentlichkeit zu informieren und Staatsmacht herauszufordern – durch eine Aushöhlung der journalistischen Normen und einen Mangel an Transparenz der Medien über ihre eigene Arbeit untergraben werden.“

Nicht einmal ein Hauch von Versöhnung

Die Probleme sind bekannt und für viele alarmierend. Der Spectator bezeichnete die Veröffentlichung des CJR als „Vietnam für die amerikanischen Medien“ und änderte die Definition von Russiagate: „Von Trumps fragwürdigen Kontakten zum Kreml in eine langwierige Medienkampagne, um einen amtierenden Präsidenten aus dem Amt zu entfernen.“ Noch bevor die Recherche bekannt wurde, hatte ich mir einen Kommentar des Historikers und Politikwissenschaftlers Michael Barone im Washington Examiner zu Gemüte geführt, in dem er „Wahrheit und Versöhnung mit [Trumps] falschen geheimen Absprachen mit Russland“ forderte.

Doch von Versöhnung ist nichts zu spüren. Die Reaktionen auf diese Veröffentlichung in liberalen Zeitungen und sozialen Medien sind voller Empörung: Wozu wurde so etwas geschrieben und warum hat der CJR zugestimmt, das zu drucken? Das Magazin Mother Jones, das als erstes die Aufmerksamkeit der US-Medien auf das Steele-Dossier lenkte, beschuldigt Gert unverblümt der Sabotage. Es sagt, er habe den Hauptpunkt nicht verstanden: Wie auch immer der Sonderermittler über geheime Absprachen entscheiden wird, die böswillige russische Einmischung in die Wahlen hat stattgefunden, dies sollte den Menschen vermittelt werden, und die Presse hat zu Recht darauf hingewiesen, tut es und wird es weiterhin tun.

Wenn ich diese Art von Argumenten lese, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass niemand Lehren aus der Vergangenheit zieht oder ziehen will. Nun hat Seymour Hersh also offen geschrieben, was alle schon wussten, und was nun? Kürzlich wurde der 20. Jahrestag von Colin Powells berühmter Rede vor der UNO zur Rechtfertigung des Irak-Krieges begangen, und auch hier gilt: Na und? Niemand wurde für seine Taten zur Rechenschaft gezogen, und ich fürchte, es wird auch nie jemand zur Rechenschaft gezogen werden.

Eine Lektion für die guten Jungs

Ich habe Hersh angerufen und ihn gefragt, was er von der Reaktion auf seinen Artikel halte. Er antwortete, indem er einen „jungen, aber klugen“ Freund von ihm zitierte, der ihn einen „Meister der Dekonstruktion des Offensichtlichen“ nannte. Und er sagte, er warte darauf, dass in den Entwicklungen „etwas bricht“ (waiting for something to break). Man kann das verstehen, wie man will. Ich persönlich verstehe es im Sinne des russischen Sprichworts „am Meer auf das Wetter warten“. Allerdings scheint es, als habe Hersh nicht nur ein Netz in das Informationsmeer geworfen, sondern auch noch einen Goldfisch herausgeholt.

Es gibt aber auch modernere Texte über dieselben Dinge. Erinnern Sie sich an das berühmte Gleichnis von Vladimir Vysotsky, in dem die reine Wahrheit nicht nur gestohlen, sondern auch durch eine plumpe Lüge verleumdet wird? Und in der Erzählung von Leonid Filatow verlangt der Zar zunächst, alles „so zu berichten“, wie es ist, und warnt dann: „Wenn diese Nachricht allerdings schlecht ist, kannst du für diese Wahrheit zehn Jahre ins Gefängnis gehen!“ Wie das Sprichwort sagt: Ein Märchen ist eine Lüge, aber darin steckt ein Hauch…

Ende der Übersetzung


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