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Jagd auf Trump, Popanz Putin

Published On: 21. Februar 2023 6:59

Die Columbia Journalism Review ist die Zeitschrift einer der renommiertesten Journalismusschulen der Welt. Im Januar veröffentlichte sie einen ausführlichen Artikel von Jeff Gerth, einem ehemaligen Top-Journalisten der New York Times, über die Konfrontation zwischen den amerikanischen Medien und Donald Trump.

Im Kern geht es um die „Russiagate“ genannte Russland-Affäre, also die Fake News über Trumps angebliche „geheime Absprachen“ mit Präsident Putin. Für seinen Artikel hatte Gerth mit Trump gesprochen. Gerth schreibt darin: „Er (Trump) machte deutlich, dass er in den ersten Wochen des Jahres 2017 von einer Welle an Berichten zur Russland-Affäre überschwemmt worden sei, nachdem er gehofft hatte, mit der Presse auszukommen.“ Und Trump wörtlich: „Mir wurde schon früh klar, dass ich zwei Jobs hatte. Der erste war, das Land zu regieren, und der zweite war, zu überleben. Ich musste überleben: Die Geschichten waren unglaublich falsch.“

Zum Thema Russland-Affäre sprach Gerth auch mit Bob Woodward, dem berühmten Watergate-Reporter: „Bob Woodward von der ‚Post‘ sagte mir, die Berichterstattung über die Russland-Untersuchung sei ‚nicht gut gehandhabt worden‘. Er glaube, das Publikum sei ‚betrogen‘ wurden. Er forderte die Redaktionen auf, ‚den schmerzhaften Weg der Selbstreflexion zu gehen‘.“

Die Fake News über Trump führten zu einem massiven Verlust von Vertrauen der amerikanischen Bürger in ihre Medien: Eine Reuters-Umfrage aus dem Jahr 2022 ergab, dass nur noch 26 Prozent der Bevölkerung den Medien Glauben schenken.

Hunter Bidens Laptop

Die ersten Gerüchte über Trumps Verrat kamen durch das gefälschte Steele-Dossier auf. Die Medien suchten nach einer Erklärung für Hillary Clintons Niederlage, und anstatt zu analysieren, warum Trump den Mittleren Westen für sich gewonnen hatte, konzentrierten sich die Medien auf Gerüchte über Trumps Loyalität gegenüber Putin. Darin liege der Schlüssel, nämlich bei Putin, behaupteten die Verfasser des Dossiers.

Kurz vor der Wahl 2020 kam zur Russland-Affäre der Skandal um Hunter Bidens Laptop hinzu. Joe Bidens Sohn hatte vergessen, seinen Rechner in einer Computerwerkstatt abzuholen. Auf der Festplatte befanden sich ausführliche Aufzeichnungen über sein Leben. Prostituierte, Drogenpartys, alles war dabei, ebenso Korrespondenzen zu (auch für seinen Vater) kompromittierenden Geschäften mit russischen, chinesischen und ukrainischen Firmen.

Die meisten Medien taten so, als gäbe es den Laptop nicht, Facebook und Twitter blockierten Berichte, und Dutzende ehemaliger Chefs der CIA und anderer Geheimdienste bezeichneten den Laptop in einem offenen Brief als Inszenierung der Russen.

In diesem Fall lag der Skandal genau andersherum: Der Laptop war echt, wie Medien wie die Washington Post kürzlich eingestanden. Die Geheimdienstchefs, die wussten, dass kein Russe je den Laptop berührt hatte, schreckten jedoch nicht davor zurück, das amerikanische Volk in die Irre zu führen und Putin als das reine Böse hinter Trump zu dämonisieren.

Ich erlaube mir, hier zu psychologisieren und zu spekulieren: Putin kann das nicht überrascht haben. Aus seiner Sicht, denke ich, hat der Westen Russlands einzigartige Position nach dem Fall der Sowjetunion 1991 untergraben. Und die Ukraine spielte dabei eine zentrale Rolle. Denn mit der Ukraine ist Russland eine Weltmacht, ohne die Ukraine jedoch nur eine Regionalmacht.

Putin hatte den westlichen Staats- und Regierungschefs gegenüber immer wieder betont, dass die Bedeutung der Ukraine für Russland nicht verhandelbar sei. Er erklärte, Russland habe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von den Westmächten im Gegenzug für die Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands Garantien erhalten, dass die Nato nicht nach Osten expandieren würde.

Es gibt Beweise dafür, dass diese Vereinbarungen getroffen wurden. Laut Putin hat sich der Westen nicht daran gehalten. Widerwillig akzeptierte er den Beitritt ehemaliger Warschauer-Pakt-Staaten zur Nato, doch die Mitgliedschaft der Ukraine war für ihn inakzeptabel.

Putins böse Machenschaften

Im Jahr 2014 traten amerikanische und europäische Funktionäre bei Demonstrationen in Kiew und anderswo auf und ermutigten die Anti-Kreml-Demonstranten, auf der Annullation der Wahlergebnisse zu bestehen. Darin sah der Kreml einen Beweis dafür, dass sich der Westen offen in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einmischte, mit dem Ziel, die Ukraine in das westliche Lager zu bringen. Daraufhin bereitete sich Putin auf eine Konfrontation vor, ebenso die Nato: Ukrainische Einheiten wurden im Westen für eine mögliche Auseinandersetzung mit Russland ausgebildet.

Die Entwicklungen rings um die Ukraine und im Land selbst verliefen nun zunehmend parallel mit der Russland-Affäre um Donald Trump, die Mitte 2016 ihren Anfang nahm und in der für Wladimir Putin eine Hauptrolle vorgesehen war. Nur ein mit allen Wassern gewaschener, allmächtiger Herrscher wie Putin sei in der Lage, einen Präsidentschaftskandidaten zu manipulieren, so der Tenor von Medien und Regierungsbeamten.

Putin wurde nicht nur als Eroberer der Krim verteufelt, sondern auch als derjenige, der die amerikanischen Wahlen ins Chaos gestürzt hatte. Trumps Sieg im Jahr 2016 sei die Krönung von Putins Machenschaften gewesen, behaupteten die Eliten. Ihm sei es gelungen, dem politischen Establishment Amerikas einen Störenfried auf den Hals zu hetzen. Diese Eliten wussten genau, dass es nicht den geringsten Beweis dafür gab, dass Trump von Putin nach Washington gebracht worden war, aber das Manöver traf ins Schwarze: Der verachtete Trump wurde in einem Atemzug mit Putin genannt.

Ein gefälschtes Dossier

Nachdem die Medien über das Steele-Dossier berichtet hatten, wurde mit Robert Mueller ein ehemaliger FBI-Direktor als Sonderermittler eingesetzt. Dieser untersuchte die Beziehungen zwischen Trump und Putin, die Art und Weise, wie sie miteinander kommunizierten, und er recherchierte die Fakten, die dem Steele-Dossier zugrunde lagen. Aber diese Beziehungen und Fakten gab es nicht, und das wussten die Ermittler, schon bevor sie mit ihrer Arbeit begannen, denn es war klar, dass das Steele-Dossier eine Fälschung war.

Die Erwartung bestand jedoch, dass in den Tiefen von Trumps Karriere noch mehr Schmutz zu finden sein würde. Jahrelang wurde gesucht, doch nichts wurde gefunden.

Auf der Suche nach diesem Schmutz wurden rücksichtslos Menschen in Trumps Umgebung zerstört und ihr Ruf ruiniert. General Michael Flynn, ein unbestechlicher Hardliner, der für drei Wochen Trumps Sicherheitsberater war, wurde durch Berichte über eine angebliche Beziehung zu einer Russin sowie wegen eines Anrufs beim russischen Botschafter in Washington, der lediglich der Routine galt, zerstört. Hohe Anwaltskosten zwangen ihn, sein Haus zu verkaufen, und er wurde, obwohl hoch dekoriert und geschätzt, zu einem Paria ebenso wie die kompromittierte Russin.

Grenzenlose teuflische Macht

Wie muss all das auf Putin gewirkt haben, wenn ich fragen darf? Was Putin der Ukraine angetan hat, ist in keiner Weise zu verteidigen, und doch versuche ich zu begreifen, in welchem Maße „Russiagate“ zur Entscheidungsfindung des Mannes beigetragen hat, der ganze ukrainische Städte dem Erdboden gleichmachen lässt.

Ebenso wie Trump wusste auch Putin, dass sämtliche Geschichten über mögliche geheime Absprachen aus der Luft gegriffen waren. Aber die Demokraten und ihre Medien brauchten einen Feind hinter dem Feind Trump, denn ein Windbeutel wie Trump hätte die Wahl doch wohl kaum allein gewinnen können. Ohne einen Feind hinter dem Feind wäre die Blamage für Hillary Clinton noch grösser gewesen.

Putin war der dringend benötigte böse Geist mit überlegener Intelligenz, der Trump ins Weiße Haus gebracht hatte. Ich vermute, dass seine erfundene Rolle in der Russland-Affäre bei Putin nur zu einer Gewissheit geführt hat: Die wahren Mächte in den USA werden nicht gewählt, sondern sitzen in den Institutionen. Putin hat jahrelang die Narrative des Gerüchtezirkus miterlebt, und auch er muss, wie Trump, von der Flut der Lügen verbittert worden sein.

Auf große Teile der westlichen Öffentlichkeit hatte die Eroberung der Krim durch Russland 2014 wenig Eindruck gemacht. Die Geschichte der Krim war für viele nebulös, und zugleich war offensichtlich, dass in der Ukraine ein Berg von Konflikten schwelte. Der Medienkrieg um die Russland-Affäre weckte intensivere Gefühle als die Invasion der Krim: Es ging nicht um einen Palast irgendwo am Schwarzen Meer, sondern um das Weiße Haus in Washington. Putins teuflische Macht sei grenzenlos, berichteten die Medien. Putin wurde zum Popanz in jenem Theaterstück aufgeblasen, das von Vertretern der amerikanischen Geheimdienste inszeniert wurde.

Damit wurde Putin zum Kollateralschaden bei der Jagd auf Trump. Tag für Tag wurden Trump und Putin von Politikern und Medien verunglimpft. Ich glaube, dass dies Putins Argwohn genährt hat, der Westen würde seine rote Linie überschreiten und die Ukraine in die Nato aufnehmen. Putin beschloss, die Ukraine zu erobern, bevor die Nato dort Fuß fassen konnte.

In einem überraschenden Interview hat Israels ehemaliger Ministerpräsident Naftali Bennett kürzlich erzählt, dass er kurz nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine große Schritte in Richtung Waffenstillstand erzielt habe. Selensky habe zugesichert, dass die Ukraine auf die Mitgliedschaft in der Nato verzichten würde, und Putin hatte seinerseits zugesagt, die „Entnazifizierung“ der Ukraine bzw. die Besetzung der Ukraine nicht weiterzuverfolgen. Die Lösung der Donbass-Frage würde in 99 Jahren behandelt werden.

Die vorläufige Einigung, die Bennett erzielt hatte, wurde von Joe Biden und Boris Johnson zurückgewiesen, die eine Übereinkunft mit Putin ablehnten und Präsident Selensky ermutigten, den Kampf fortzusetzen. Bennett sagt in diesem Interview diplomatisch, er wisse nicht, ob das klug gewesen sei.

Das laute Echo im Kreml

„Russiagate“ hat in Amerika großen Schaden angerichtet und die Bevölkerung in zwei feindliche Lager gespalten. Für viele haben die Medien an Glaubwürdigkeit verloren, ebenso Regierungsbehörden wie das FBI, das sich als Vollstrecker der Interessen der Demokratischen Partei betätigt hat. Es kann nicht anders sein – wieder wage ich zu spekulieren –, als dass die Russland-Affäre den Kreml in Aufruhr versetzt hat. Wie musste das alles auf den Kreml wirken?

Amerika und China bereiteten sich auf eine Konfrontation vor, und dabei war es für Amerika entscheidend, Russland zu neutralisieren. Das amerikanische Establishment kämpfte also nicht nur gegen Trump, sondern auch gegen Putin.

Es ist keineswegs meine Absicht, Wladimir Putin zu entlasten. Ich möchte lediglich die Auswirkungen der Russland-Affäre betrachten. Sie sollte Trumps Sieg ungeschehen machen, und nebenbei wurde Putin vorgeworfen, an Entwicklungen schuld zu sein, an denen er (der sich vieler anderer Verfehlungen schuldig gemacht hat) weder Teil noch Anteil hatte.

Wollen Sie meine Meinung hören? „Russiagate“, ein sorgfältig konstruiertes Täuschungsmanöver, hat nicht nur Trump und seine Entourage betroffen. Es hat auch im Kreml ein lautes Echo gefunden – gerade auch im Hinblick auf Russlands Einmarsch in der Ukraine.

Leon de Winter ist ein niederländischer Schriftsteller. – Aus dem Niederländischen übersetzt von Stefanie Schäfer.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 16.2.2023 erschienen in: Neue Zürcher Zeitung / © Neue Zürcher Zeitung

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