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Die Macht des Stärkeren

Published On: 25. Februar 2023 14:00

„Reiß dein Maul bloß nicht so weit auf, du wirst schon sehen, was du davon hast.“

Sprache ist das wichtigste Instrument, das uns zur Verfügung steht: Wir wollen gehört werden; wir wollen verstanden werden — und wir wollen ernst genommen werden.

„Behandle mich nicht wie ein Kind, ich bin erwachsen und entscheide selbst.“ Wer will schon gerne wie ein Kind behandelt werden?

Milo und der Pirat

Sommer 2018. Lautes Gebrüll im Supermarkt: „Nein, das gehört dir nicht, häng das weg.“ Gegengebrüll: „Das gehört mir, das ist meins.“ „Nein, das ist nicht deins, häng das sofort wieder weg!“ „Ich will aber nicht, das gehört mir.“ Die erwachsene weibliche Stimme wird immer lauter und die Stimme eines sehr jungen Menschen immer verzweifelter …

Ich höre die Stimmen in einem Nebengang des Supermarktes und befürchte, dass es zu einer Gewalteskalation kommen könnte. Also will ich wissen, was los ist. Ich sehe eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn, den sie am Arm packt und zu einem Regal mit Spielzeug zerrt, damit er das, was er sich genommen hat, wieder zurückhängt. Das Gesicht der Mutter ist wutverzerrt, das ihres kleinen Sohnes verzweifelt — er weint und wehrt sich gegen die Übergriffigkeit seiner Mutter.

Ich gehe zu den beiden, hocke mich auf Augenhöhe des kleinen Jungen und frage ihn: „Was hast du da, was du unbedingt behalten möchtest?“ Er zeigt mir einen Playmobil-Piraten, mit Augenbinde, Hut und Waffe. „Der sieht wirklich toll aus! Hast du das Piratenschiff von Playmobil?“ Er nickt ganz stolz und erzählt mir, dass sein bester Freund — der mit den struppigen Haaren — diesen Piraten hat, ihn aber nie damit spielen lässt. Ich schaue ihn an und sage: „Das macht dich traurig, weil dir dieser Pirat auf deinem Schiff fehlt.“

Der Junge nickt wieder, und eine Träne kullert über sein kleines Gesicht. Die Mutter schaut auf ihren kleinen Sohn und sagt: „Milo, das wusste ich nicht, dass hättest du mir doch sagen können.“ Ich sehe die Mutter an: „Sie haben Ihren Sohn gar nicht gefragt?“ Ihre Antwort: „Das stimmt, ich war einfach nur wütend, dass er sich diese Figur genommen hat, ohne mich vorher zu fragen.“ Der Junge ist höchstens drei Jahre alt und hat noch kein Gefühl dafür, dass Dinge in einem Supermarkt bezahlt werden müssen und nicht einfach mitgenommen werden dürfen.

Ich erkläre Milo, dass dieser Pirat dem Supermarkt gehört und, wenn er den haben möchte, Geld kostet. Er schaut mich traurig an: „Ich habe aber kein Geld.“ „Ja, ich weiß, aber wenn es deine Mama erlaubt, gebe ich dir das Geld für den Piraten, dann kannst du ihn dir kaufen.“

Die Mutter hat uns beiden aufmerksam zugehört und sagt nun: „Kommt gar nicht infrage. Ich gebe Milo das Geld, dann kann er sich den Piraten kaufen. Wenn ich gewusst hätte, wie wichtig dieser Pirat Milo ist, dann hätte ich anders reagiert.“ Inzwischen hat sich eine weitere Frau zu uns gesellt und zeigt mir ein Foto auf ihrem Handy von ihrem Sohn: „Das ist der Freund von Milo, der mit den struppigen Haaren“ — und wir müssen alle herzlich lachen.

Milo darf sich den Piraten kaufen, und Mama und Sohn strahlen. Seine Mutter bedankt sich bei mir mit den Worten: „Jetzt habe ich gelernt, meinen Sohn zu fragen und nicht einfach nur wütend zu reagieren — Sie haben mich und meinen Sohn glücklich gemacht.“ Meine Antwort: „Und Sie haben einen Sohn mit einem starken Willen, und das bedeutet, Sie sind eine tolle Mama für Milo.“

Macht und Ohnmacht

Szenenwechsel: Wir haben „Maskenball“, und ich mache diesen Zirkus aus Überzeugung nicht mit. Wieder einmal muss ich einkaufen gehen. In normalen Zeiten kein problematisches Unterfangen, doch während der Maskenpflicht eine Tortur für mich.

Ich nehme mir einen Einkaufswagen und betrete den Supermarkt. Alle Menschen haben ihr Gesicht verhüllt, und ich ernte strenge Blicke. Ein Maske tragendes kleines Mädchen sagt zu mir: „Du musst eine Maske tragen, sonst darfst du hier nicht einkaufen.“ Ich antworte ihr: „Ich mag keine Maske tragen, weil ich darunter schlecht Luft bekomme.“ Sie schaut mich an: „Ja, ich bekomme auch schlecht Luft.“ Der Vater schaut mich böse an und zerrt seine kleine Tochter am Arm weg.

Es dauert nicht lange und der stellvertretende Marktleiter rauscht auf mich zu.

Er brüllt mich an: „Ziehen Sie sofort eine Maske auf, sonst müssen Sie den Markt verlassen!“ Ich brülle zurück: „Ich muss gar nichts. Erklären Sie mir doch bitte, warum ich als gesunder Mensch so ein Ding im Gesicht tragen soll, das mir die Luft zum Atmen nimmt?“ Jetzt schreit er: „Weil das unsere Regierung so angeordnet hat, und deshalb muss jeder, der hier einkaufen will, eine Maske tragen.“

„Und, haben Sie diese Anordnung mal hinterfragt, haben Sie sich mal schlau gemacht, was für einen Sinn dieser Maskenball überhaupt hat?“ „Das interessiert mich nicht, ich vertraue meiner Regierung.“ „Ach so, Sie vertrauen IHRER Regierung! Sie sind also ein braver Befehlsempfänger, und wenn die Anordnung kommt, Menschen, die keine Maske tragen, in die Psychiatrie einzuweisen, dann folgen Sie dieser Anordnung auch?“ Er schaut mich zornig an und nickt, mit den Worten: „Wenn Sie nicht sofort eine Maske aufsetzen, verlassen Sie den Markt, oder ich hole die Polizei.“

Ich bin wütend und verletzt in meiner Würde, doch ich weiß, ich komme gegen diesen Menschen nicht an, ohne dass diese absurde Situation noch weiter eskaliert. Ich sage noch einen letzten Satz, bevor ich den Markt verlasse: „Sie sind faschistoid“ (1).

Zwei ganz unterschiedliche Szenen, die aber ein und dasselbe zum Ausdruck bringen: Macht und Ohnmacht.

In der ersten Szene hat die Mutter die Macht über ihren Sohn, die sie aber zum Glück nicht ausübt. Die Szene hätte auch ganz anders enden können. So hätte mir die Mutter das Einmischen in den Streit mit ihrem Sohn verbieten können und auf ihre „Erziehungsgewalt“ pochen können. Wie anders hätte diese Szene dann geendet?

In der zweiten Szene stand ich alleine da, obwohl sehr viele Menschen um uns herum waren, aber niemand wagte es, sich einzumischen, alle verstummten, einige nickten dem stellvertretenden Marktleiter zustimmend zu, andere wiederum wandten sich schweigend ab. Wie anders hätte diese Szene verlaufen können, wenn ich Beistand von anderen Menschen erhalten hätte?

Solche Momente — alleine dazustehen — hat es zuhauf gegeben. Und ich weiß, dass es nicht nur mir so ergangen ist, sondern vielen Menschen, die die Maskenpflicht als einen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit empfunden haben. Um Streitereien, Auseinandersetzungen und Demütigungen zu entgehen, trugen auch jene Menschen eine Maske, die ebenso fühlten und dachten wie ich, denen es aber an Mut fehlte, dies auch zum Ausdruck zu bringen. Ich mache diesen Menschen keinen Vorwurf, lediglich traurig macht es mich, bei solchen Begebenheiten nie auch nur die kleinste Unterstützung bekommen zu haben.

Solidaritätskonzert, Zugfahrt und Rauswurf

Eine dritte Szene: Pfingsten 2022. Mein Mann und ich hatten in Berlin das Solidaritätskonzert für Julian Assange (2) besucht, ausgerichtet von meinen inzwischen lieben Freunden Jens Fischer Rodrian (3) und Ulli Gellermann (4). Ein wundervolles Konzert mit wundervollen Menschen.

Es herrschte immer noch Maskenpflicht, egal wie heiß und stickig es ist. Lediglich in Restaurants beim Sitzenbleiben am Platz musste keine getragen werden. Für die Rückfahrt im ICE wählten mein Mann und ich deshalb wieder das Bordrestaurant aus — auf der Hinfahrt hatte das auch prima geklappt, niemand trug eine Maske oder versuchte uns zu drangsalieren.

Im Bordrestaurant saßen nur wenige Menschen. Ein Herr auf der gegenüberliegenden Seite unseres Tisches trug eine FFP2-Maske und ein junges Pärchen weiter hinten im Restaurant ebenfalls. Ich saß mit dem Rücken zur Bordküche, als ich von dort auf einmal eine schrille Stimme vernahm: „Sie müssen Ihre Maske aufsetzen, Sie müssen Ihre Maske tragen.“ Ich war wohl kaum gemeint, weil die Dame mit der schrillen Stimme mich gar nicht sehen konnte und meinen Mann auch nicht.

Dann hörte ich eine männliche Stimme in leicht gebrochenem Deutsch: „Entschuldigen Sie bitte, ich sitze hier in einem Restaurant, möchte etwas essen und trinken, und außerdem will ich gerade mit meiner Frau telefonieren, und die versteht mich nicht, wenn ich Maske trage.“

Die schrille Frauenstimme wurde lauter: „Das ist egal, Sie müssen eine Maske tragen, das ist Vorschrift, setzen Sie sofort Ihre Maske auf.“ Völlig irritiert drehte ich mich um, um mir die Dame anzuschauen, die dermaßen hysterisch auf einen Menschen ohne Maske reagierte. Sie stand da wie eine Furie, und ich sagte in wirklich noch ruhigem Ton: „Hören Sie bitte, wir sitzen hier im Bordrestaurant, wir wollen etwas trinken und essen, wir bewegen uns nicht vom Fleck, vor was haben Sie so eine große Angst?“ „Ich habe keine Angst, aber es ist Vorschrift, eine Maske zu tragen, wenn nicht gegessen und getrunken wird.“ „Ach so, es ist Vorschrift, und haben Sie diese Vorschrift einmal nach ihrem Sinngehalt hinterfragt?“ Die schrille Stimme erwiderte: „Das ist mir egal, hier herrscht Maskenpflicht, und wer sich nicht daran hält, muss das Restaurant verlassen.“

Inzwischen hatte sich der Herr, der so angebrüllt worden war, zu uns umgedreht und freute sich über meine Unterstützung.

Der maskenbewehrte Gast auf der gegenüberliegenden Seite stimmte der Frau mit der schrillen Stimme zu, die eigentlich für unser leibliches Wohl im Bordrestaurant zuständig war: „Wir haben immer noch die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr, daran müssen sich alle halten, und das gilt auch hier im Bordrestaurant, die Frau hat recht.“ Ich: „Dann ist es also so, dass sich unhinterfragt an Vorschriften gehalten werden muss, egal wie sinnbefreit die sind?“ „Ja, so ist das nun einmal“, war seine Erwiderung. Diese Antwort gab der Frau mit der schrillen Stimme Wasser auf ihre Mühlen, ihre Stimme wurde noch schriller, und nun beschimpfte sie auch mich und meinen Mann.

Und jetzt kam ich mit dem ganz, ganz schlimmen Vergleich: dass mich dieses Verhalten hinsichtlich sinnbefreiter und nicht hinterfragter Vorschriften doch an sehr, sehr dunkle Zeiten in unserer Geschichte erinnere.

Nie und nimmer hätte ich das sagen dürfen, denn jetzt eskalierte die Situation. Der Mann mit der Maske, die er nun unter sein Kinn geschoben hatte, sagte zornig: „Da verwechseln Sie aber massiv die Ebenen, was hat die Maskenpflicht mit dem Dritten Reich zu tun?“ Meine Antwort: „Platzverweise, Ausgrenzung, Denunziation und Diskriminierung Andersdenkender – schon einmal davon gehört?“

Die Maske hing immer noch unter seinem Kinn, während er mich wütend anging: „Sie wollen doch nicht ernsthaft mit solchen Vergleichen kommen, das sind die typischen Relativierungen aus der ‚Querdenkerfront‘, und so etwas muss ich mir nicht anhören.“ Zustimmung bekam ich selbstverständlich von meinem Mann und dem Herrn, der willkürlich unter die Maske gezwungen werden sollte.

Ich versuchte noch, die Situation etwas zu entschärfen, indem ich sagte: „Könnten wir jetzt bitte unsere Bestellung aufgeben, und wenn wir dann etwas zu essen und zu trinken haben, wird sich diese leidige Diskussion sowieso in Luft auflösen.“ Die Dame mit der schrillen Stimme blähte sich noch einmal so richtig auf und brüllte mich an: „Sie, Sie bekommen hier gar nichts, verlassen Sie sofort das Restaurant.“.

Ich verlangte den zuständigen Verantwortlichen für das Restaurant zu sprechen, der auch umgehend kam und uns zu verstehen gab, jetzt endlich die erforderliche Maske aufzusetzen oder den Zug an der nächsten Haltestelle zu verlassen, ansonsten sehe er sich gezwungen, die Polizei zu benachrichtigen.

In meinem aufgewühlten Zustand war meine Antwort: „Gut, dann holen Sie die Polizei, das ist doch einfach nur noch lächerlich.“

Wir sind zu dritt

Der Herr mit dem leicht gebrochenen Deutsch hatte sich inzwischen zu uns an den Tisch gesetzt — immerhin waren wir jetzt zu dritt, und das alleine tat schon gut! Das junge Pärchen, das weiter hinten im Restaurant saß, sah eher erschreckt aus und wagte nichts zu sagen.

Da saßen wir nun und überlegten gemeinsam, wie die Fahrt weitergehen könnte. Inzwischen hatten wir erfahren, dass „unser“ Mitreisender gebürtiger Palästinenser ist, schon sehr lange in Deutschland lebt und dass sein Reiseziel Braunschweig ist. Er verstehe die Menschen in Deutschland nicht mehr, sagte er uns, und er sei sehr froh, zum ersten Mal die Erfahrung zu machen, nicht alleine mit seinem Unverständnis dazustehen — so erging es mir und meinem Mann auch!

Wir haben uns dann gemeinsam entschieden, in Berlin-Spandau den Zug zu verlassen und nach neuen Reisemöglichkeiten zu suchen. Das klappte auch wunderbar, und obwohl unser Mitstreiter eigentlich nach Braunschweig wollte, entschied er sich, mit uns nach Hannover zu fahren, damit wir noch mehr Zeit miteinander verbringen konnten.

Wieder nahmen wir Platz im Bordrestaurant — zum Glück bekamen wir noch einen Platz —, und niemand trug dort eine Maske. So konnten wir ganz unbehelligt weiterreisen.
In Hannover angekommen, mussten wir in den Metronom (Privatbahn) umsteigen — zu Pfingsten hatte das 9-Euro-Ticket Hochkonjunktur. Mein Mann und ich bekamen gerade noch einen Stehplatz im Türbereich, der Zug war pickepacke voll. Es war heiß und stickig, und die Masken der Mitfahrenden hingen ihnen allen unter dem Kinn. Ich musste lauthals loslachen und wurde etwas irritiert angeschaut. Niemand konnte wissen, dass mein Mann und ich kurz vorher aus einem fast leeren Bordrestaurant mit Klimaanlage herausgeworfen worden waren.

Das Gute an der Geschichte ist: Wir haben neue Freunde gewonnen. Die Frau unseres Mitstreiters rief mich sofort an, als wir wieder zu Hause waren, und bedankte sich sehr bei uns, dass wir ihrem Mann so sehr zur Seite gestanden hatten, das sei das erste Mal gewesen. Zwei Wochen später haben wir bei unseren neuen Freunden in Braunschweig eine tolle Party gefeiert. Eine Party mit sogenannten Schwurblern, was sich ja fast noch nett anhört.

Aber in Wirklichkeit werden wir bezeichnet als Coronaleugner, Antisemiten, Nazis, Holocaust-Relativierer, Querdenker, Impfverweigerer, antisoziales Gesocks, Solidaritätsverweigerer, Pandemietreiber, Menschen, die weggesperrt gehören, Sozialschädlinge, Blinddärme, von denen die Gesellschaft befreit werden müsste — alles nachzulesen und nachzuhören in den so hoch gelobten Qualitätsmedien, von Politikern, Journalisten, Kabarettisten und unseren ach so klugen Intellektuellen (5).

Adultismus – jeder ist betroffen

Immer noch suche ich nach Erklärungen, wie so etwas passieren kann. Und ja, die Traumatheorie nach Professor Dr. Franz Ruppert, mit der ich seit vielen Jahren arbeite, erklärt so manches, aber nicht alles. Schließlich leiden die Menschen, die sich den Maßnahmen nicht unterworfen haben, nicht weniger an Verletzungen und Machtmissbrauch aus ihrer Kindheit als die, die sich anpassen, alles unhinterfragt glauben und nach harter Ausgrenzung verlangen.

Kennen Sie den Begriff „Adultismus“? Schon einmal gehört? Nein? Dann versuche ich hier eine Erklärung — und dann wird auch die erste von mir beschriebene Szene verständlicher, die mit dem kleinen Jungen und seiner Mutter im Supermarkt. Etwas schon einmal vorweg: Die Mutter mit dem kleinen Jungen hat es geschafft, ihre Macht nicht weiter zu missbrauchen, sondern hat eingelenkt — leider ist das nur selten der Fall.

Adultismus kann auch die Macht der Erwachsenen über Kinder genannt werden, und diese Macht haben wir alle erlebt. Kinder werden auch heute noch nicht als vollwertige Menschen betrachtet, sondern in der Regel nicht ernst genommen. Adultismus ist Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund des Alters.

Wer kann sich noch an Fragen von Erwachsenen erinnern wie: Wie alt bist du denn? Gehst du schon in den Kindergarten? Ach, dann bist du ja schon ein Schulkind? Mit 16 bist du ja schon fast erwachsen.

In der Erwachsenenwelt werden junge Menschen — je nach Alter — mit bestimmten Eigenschaften belegt und als Kinder (6) bezeichnet. Kinder gelten als unmündig, sie wissen noch nicht, was gut für sie ist. Erwachsene haben die Macht, ihnen Befehle zu geben, die sie möglichst brav und gehorsam auszuführen haben — und die nicht hinterfragt werden dürfen.

Der ausagierte Adultismus war in der Coronakrise besonders schlimm; junge Menschen hatten überhaupt keine Stimme mehr, es wurde gnadenlos über sie hinwegbestimmt und -regiert. Aber das verwundert mich nicht wirklich, Adultismus gehört zur gesellschaftlichen Norm und wird nur selten infrage gestellt. Die meisten Menschen sind sich ihrer eigenen Betroffenheit gar nicht bewusst und geben das weiter, was sie selbst erfahren haben. Ältere junge Menschen handeln jüngeren Menschen gegenüber auch oft adultistisch.

Das kannst du noch nicht!

Eine Auswahl von Sätzen, die Erwachsene zu Kindern sagen.
Da gibt es die Kategorie der beschämenden Sätze:

Dafür bist du noch zu klein.
Weil ich mehr Lebenserfahrung habe als du.
Andere wären froh, wenn sie das hätten.
Wäre schön, wenn du auch mal mithilfst.
Ich bin doch nicht eure Haushälterin!
Du musst noch „Danke“ sagen.
Ich bin auch müde und schreie hier nicht so rum.
Wie heißt das Zauberwort?
Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?
Erst kauen, dann runterschlucken.
Stopf dir nicht so viel auf einmal in den Mund.
Man muss nicht ständig Neues kaufen.

Und dann gibt es Sätze, die den Willen des Kindes untergraben und in denen Drohungen mitschwingen:

Es ist mir egal, was die anderen dürfen.
Du setzt die Mütze jetzt trotzdem auf.
Man muss auch mal was essen, was einem nicht so schmeckt.
Ich sage es jetzt zum allerletzten Mal!
Jetzt aber ab ins Bett!
Nach einer halben Stunde machst du den Fernseher aus.
Weil ich das sage.
Hast du mal auf die Uhr geguckt?
Sonst gibt es keinen Nachtisch.
Ich zähle jetzt bis 3 …
Nein, nicht gleich — sofort!

Und Sätze, die entweder manipulierend wirken oder Kindern zeigen sollen, wie dumm sie noch sind:

Aber mit Butter ist das Brot nicht so trocken.
Du musst wenigstens probieren.
Hmm, sooo lecker, du weißt gar nicht, was du verpasst.
Wollt ihr nicht mal rausgehen? Ist so schönes Wetter!
In Mathe lernst du ganz viel fürs Leben.
Hast du deine Hände gewaschen?
Putz dir auch den Po ab!
Schatz, ich unterhalt mich grad.
Komm du mal in mein Alter.
Zieh das Unterhemd bitte rein.
Sonst hast du nachher beim Abendessen keinen Hunger.
Vergiss nicht, die Oma zum Geburtstag anzurufen. Die freut sich doch so, wenn du dich meldest.
Nicht mit dreckigen Schuhen hier durch! Ich hab doch gerade geputzt!
Mach das Licht an, sonst verdirbst du dir die Augen.
Nicht schielen, sonst bleiben die Augen stehen!
Ich sage das nicht, um dich zu ärgern, sondern weil es besser für dich ist.
Irgendwann wirst du das verstehen.
Ich kann auch nicht nur Sachen machen, die mir Spaß machen.
Das ist eben so im Leben
(7).

Das sind Sätze, die wir wohl alle als junge Menschen mal mehr, mal weniger zu hören bekamen und die wir als Eltern dann auch zu unseren Kindern sagen.

In früheren Generationen wurde Kindern ganz offen mit körperlicher Gewalt gedroht:
Wenn du nicht sofort aufhörst, setzt es was.
Du hast mal wieder einen Satz heiße Ohren verdient.
Ich verprügele dich, dass du nicht mehr weißt, was vorne und hinten ist.
Du verdienst es mal wieder, ordentlich übers Knie gelegt zu werden.
Es ist mal wieder Zeit für eine „Jagdreise“.
Noch ein Widerwort und ich vergesse mich.
Wer nicht hören will, muss fühlen.
Tu endlich, was ich dir sage, oder du lernst mich kennen.

Das ist nur eine kleine Auswahl, ich schätze mal, einige Leser können die Liste der Sätze noch beliebig verlängern.

Adultismus und seine Folgen

Die Frage, die ich mir stelle: Wurde schon immer mit jungen Menschen so umgegangen? Oder gab es eine Zeit, in der Erwachsene jungen Menschen würdevoll begegnet sind, weil ihnen selbst, als sie klein waren, würdevoll begegnet wurde? Eine Zeit, in der junge Menschen nicht entwürdigt und zu Befehlsempfängern degradiert wurden? In der nicht mit ihnen gesprochen wurde, als hätten sie nicht alle Tassen im Schrank?

Wann fing dieser Adultismus an? Seit wann erleben junge Menschen Geringschätzung, Missachtung, Entwürdigung, Unterstellung, Entwertung, Stigmatisierung, Vereinnahmung, Überwältigung, Fremdbestimmung, Unterwerfung, Benachteiligung und Bestrafung (8)?

„Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer!“ Ein Satz, der von heute sein könnte. Gesagt hat ihn Sokrates vor fast 2.500 Jahren (9).

Im Jahr 1690 schrieb John Locke, ein englischer Arzt sowie einflussreicher Philosoph und Vordenker der Aufklärung, dass Eltern nur „eine Art Herrschaft oder Gerichtsbarkeit“ über die Kinder haben, deren Ernährung und Erziehung die natürliche Pflicht der Eltern ist. Der naturbedingten Unmündigkeit der Kinder, die „ohne Wissen und Verstand“ geboren werden, muss auf erzieherische Weise entsprochen werden, bis die „Fesseln“ der erzieherischen Macht verschwinden „und der Mensch der eigenen freien Leitung überlassen wird“, um „sich selbst und anderen nützlich zu sein“ (10).

Es ist also müßig für mich, auf Spurensuche zu gehen, weil für mich immer offensichtlicher wird, dass die meisten heutigen und damaligen Erwachsenen die Erinnerungen an ihre Gefühle aus eigenen Kinderzeiten einfach vergessen haben oder ihre Kindheitserlebnisse abspalten mussten, um die erlittene Pein nicht zu fühlen.

Adultistische Macht- und Diskriminierungsverhältnisse wurden auch als Gefahr für die demokratische Staatsform — sollte es sie je gegeben haben — und als Einfallstor für den Faschismus dargestellt.

Davon ausgehend, dass jeder Leser meines Artikels den Adultismus als junger Mensch erlebt hat, wird er für sein Erwachsenenleben entsprechende Schlüsse für sich gezogen haben, die sehr unterschiedliche Verhaltensweisen hervorbringen können:

Einige Erwachsene setzen ihre Macht bewusst oder unbewusst ein, um bestimmte Ziele zu erreichen und eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Mit Kontroll- und Dominanzverhalten entziehen sie sich den eigenen Ängsten oder wenden dies an, um sich das Leben bequemer zu machen.

Der erlebte Adultismus kann zu Unsicherheit, Hilflosigkeit und Selbstentwertung und auf der anderen Seite auch zu Wut, Frustration und Widerstand führen. Eine weitere Möglichkeit ist, zu resignieren, zu verstummen oder den erlebten Schmerz an Schwächere weiterzugeben.

Wenn Erwachsene Eltern werden, sind ihre Töchter und Söhne die Schwächeren, und das bedeutet unter Umständen, wir bewegen uns in einer nicht endenden Spirale, weil wir die Macht, die wir über unseren Nachwuchs haben, missbrauchen, ohne uns dessen wirklich bewusst zu sein.

Während der Coronakrise haben aufgrund von erlassenen Gesetzen und Vorschriften erwachsene Menschen Macht über andere erwachsene Menschen erlangt, was sie zuvor noch niemals hatten. Das hat zu einem Machtmissbrauch geführt, den viele — und dazu zähle ich mich auch — seit ihrer Kindheit nicht mehr erlebt haben.

Eine Minderheit, die sich weigerte, unsinnigen Gesetzen, Maßnahmen und Vorschriften blind zu folgen, wurde Opfer von Machtmissbrauch, nicht aufgrund ihres Alters, sondern wegen ihrer Weigerung, zu gehorchen; die Folgen waren Geringschätzung, Missachtung, Entwürdigung, Unterstellung, Entwertung, Stigmatisierung, Vereinnahmung, Überwältigung, Fremdbestimmung, Unterwerfung, Benachteiligung und Bestrafung.

Zum Glück haben wir als erwachsene Menschen Handlungsmöglichkeiten, die junge Menschen nicht haben. Wir konnten uns mit Gleichgesinnten treffen, wir haben eigene Gruppen gegründet, wir haben neue Freunde gefunden — vielleicht zum ersten Mal wirkliche Freunde? Kurzum, wir haben uns neue „Räume“ erschaffen, die uns zuvor verschlossen waren. Umso wichtiger und drängender stellt sich die Frage: Wie wollen wir leben?

Damit wir uns diese Frage wirklich beantworten können, werden wir sehr wahrscheinlich nicht darum herumkommen, genau dahin zu schauen, wo es weh tut: Wir müssen uns eingestehen, dass wir als junge Menschen keine Macht hatten, sondern die erwachsene Welt über uns bestimmte — auch wenn wir Lücken fanden, dieser Macht kurzzeitig zu entfliehen. Und wir müssen uns eingestehen, an welchen Stellen wir unsere Macht als Erwachsene selbst missbraucht haben — dabei ist es egal, ob wir das bewusst oder unbewusst taten.

Machtmissbrauch kann auch als vermeintliche Liebe daherkommen, indem sie einengt, überbehütet, manipuliert oder mit bestimmten Erwartungen verknüpft ist (11).

„Wenn man Liebe nicht bedingungslos geben und nehmen kann, ist es keine Liebe, sondern ein Handel“ (Emma Goldmann) (12).

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Milo und seiner Mama bedanken — in dieser Erfahrung liegt so viel Hoffnung für mich! Ich bin den beiden nie wieder begegnet.

Nachtrag zur Szene im Supermarkt:

Nach Beendigung des Maskentheaters im Supermarkt sprach ich den noch sehr jungen stellvertretenden Marktleiter auf meinen Rauswurf an, ich konnte das nicht auf mir sitzen lassen. Seine ersten Worte waren: „Sie haben bei uns für immer Hausverbot.“ „Ach, ehrlich? Das wusste ich gar nicht.“ Sein Blick verengte sich: „Sie haben Nazi zu mir gesagt.“ Ich grinste: „Nö, habe ich nicht, ich habe gesagt, Sie sind faschistoid, für mich war Ihr Verhalten mir gegenüber entwürdigend, und das wegen so einer bescheuerten Maske.“ Er holte tief Luft: „Können Sie sich vorstellen, wie sehr ich mich über jeden Kunden hier geärgert habe, der dieses blöde Ding nicht einmal zehn Minuten beim Einkaufen tragen konnte, während ich als Asthmatiker über acht Stunden damit herumlaufen musste? Das war schrecklich für mich.“

Ich bekam Mitgefühl mit ihm und fragte ihn, ob ich ihn in den Arm nehmen dürfe, was er gerne annahm. Diese Umarmung tat uns beiden gut. Ich konnte ihm sagen, dass es mir leid tue, ihn als faschistoid bezeichnet zu haben, und er entschuldigte sich bei mir für sein Verhalten. Den Zettel mit dem lebenslänglichen Hausverbot zerriss er vor meinen Augen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Faschistoid
(2) https://protestnoten.de/solidaritaet-mit-assange/
(3) https://www.wahnundsinn.com/
(4) https://www.rationalgalerie.de/
(5) Jens Fischer Rodrian: Die Armada der Irren, Seite 98 folgende
(6) https://www.kinderrechtskonvention.info/kind-3401/
(7) https://www.brigitte.de/familie/mitfuehlen/50-typische-eltern-saetze-10886650.html
(8) Manfred Liebel, Phillip Meade: Adultismus – Die Macht der Erwachsenen über Kinder, Seite 15
(9) https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/lernen/geschichte_der_erziehung/index.html
(10) https://www.pedocs.de/volltexte/2011/4414/pdf/ZfPaed_2007_5_Brueggen_Autoritaet_paedagogisch_D_A.pdf
(11) Manfred Liebel, Phillip Meade: Adultismus – Die Macht der Erwachsenen über Kinder, Seite 15
(12) https://gutezitate.com/zitat/182658

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