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Antje Vollmers Vermächtnis

Published On: 27. Februar 2023 19:05

Warum Europa nicht zum Zentrum einer friedlichen Vision wurde, Berliner Zeitung 23.2.2023

von KARENINA

Antje Vollmer hat – so steht es in der Überschrift der Berliner Zeitung – das „Vermächtnis einer Pazifistin“ verfasst. Es handle sich um „eine große Abrechnung mit dem Zeitgeist“.

Womit hat die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags abzurechnen, die Pazifistin, die auch das sehr kontrovers diskutierteund heftig kritisierte „Manifest für Frieden“ unterzeichnet hat? Offenbar fürchtet sie beim Krieg in der Ukraine eine Eskalation, eine „Konfrontation mit möglicherweise apokalyptischem Ausgang“. Die Einordnung als „Vermächtnis“ lässt sich begründen in der Aussage: „Alles, wogegen ich mein Leben lang politisch gekämpft habe, war mir in diesem Moment präsent als eine einzige riesige Niederlage.“

Ihre zentrale Frage: „Warum nur fand ausgerechnet Europa, dieser Kontinent mit all seinen historischen Tragödien und machtpolitischen Irrwegen, nicht die Kraft, zum Zentrum einer friedlichen Vision für den bedrohten Planeten zu werden?“

Ihre Antworten sucht sie auch in der Zeit vor 2014: 1989 sei eine Ordnung zerbrochen, die sie als „Pax atomica“ bezeichnet, aber keine neue Friedensordnung entstanden. „Diese zu schaffen, wäre die Aufgabe der Stunde gewesen. Aber die visionäre Phantasie Europas und des Westens in der Wendezeit reichte nicht aus, um sich das haltbare Konzept einer stabilen europäischen Friedensordnung auszudenken, das allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion einen Platz verlässlicher Sicherheit und Zukunftshoffnungen anzubieten vermocht hätte.“

Stattdessen sei der Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 „einseitig als triumphaler Sieg des Westens im Systemkonflikt zwischen Ost und West interpretiert“ worden. Vollmer nennt das „eine alte westliche Hybris“; diese sei „seit jeher Grund für viele Demütigungen, die das ungleiche Verhältnis zum Osten prägen“. Gorbatschows Vorleistung eines Gewaltverzichts sei „mit einer verblüffenden Ignoranz als gerngesehenes Geschenk der Geschichte eingeordnet“ worden.

Offenbar verstört sie, dass heute als schwach und irrelevant gelte, wer „den Weg des Konsenses, der Kooperation, der Verständigung und der Versöhnung sucht“. Sie beklagt „das scheinbar unausrottbare Bedürfnis nach nationalem Chauvinismus“ in Europa. „Jahrhundertelang haben nationale Exzesse die Geschichte unseres Kontinents geprägt. Keine Nation war frei davon: nicht die Franzosen, schon gar nicht die Briten, nicht die Spanier, nicht die Polen, nicht die Ukrainer, nicht die Balten, nicht die Schweden, nicht die Russen, noch nicht einmal die Tschechen – und schon gar nicht die Deutschen.“

Von 2008 habe Putin begonnen, „dem Status quo zu misstrauen und seinen Machtbereich gegen den Westen auszurichten“. Deutschland habe begonnen, „sich als europäischer Riegenführer im neuen Konzept der Nato zu definieren. Im Rahmen der Reaktionen auf den Ukrainekrieg rückte es endgültig ins Zentrum der antirussischen Gegenstrategien. Das begrüßenswerte, aber medial vielgescholtene Zögern des Kanzlers Olaf Scholz war zu wenig von einer haltbaren politischen Alternative unterfüttert und geriet so ins Rutschen.“

Ihre ganz persönliche Niederlage

Inzwischen verschlinge der Krieg „sinnlos die Milliarden, die für die Rettung des Planeten und gegen die Armut des globalen Südens dringend gebraucht würden“. Mit Blick auch auf China schreibt sie, der Westen müsse „einfach lernen, dass die übrige Welt unser Selbstbild nicht teilt und uns nicht beistehen wird“.

Als ihre „ganz persönliche Niederlage“ sieht sie, dass ihre Partei (die Grünen) einst wirklich für eine neue Ordnung, eine gerechtere Welt eingetreten sei. „Wir waren nicht eingebunden in die machtpolitische Blocklogik des Kalten Krieges. Wir waren per se Dissidenten. Wir waren gleichermaßen gegen die Aufrüstung in Ost wie West, wir sahen die Gefährdung des Planeten durch ungebremstes Wirtschaftswachstum und Konsumismus. Wer die Welt retten wollte, musste ein festes Bündnis zwischen Friedens- und Umweltbewegung anstreben, das war eine klare historische Notwendigkeit, die wir lebten. Wir hatten dieses Zukunftsbündnis greifbar in den Händen.“

Heute gebe die Partei all das auf „für das bloße Ziel, mitzuspielen beim großen geopolitischen Machtpoker“ und mache dabei „ihre wertvollsten Wurzeln als lautstarke Antipazifisten verächtlich“.

In der Süddeutschen Zeitung nannte Heribert Prantl diese Wortmeldung einer verdienstvolle Politikerin einen „bewegenden Text“ und „bitterer Abschiedsbrief“, das sei „bewegend, das ist ergreifend, todernst und tiefschürfend, da verbietet sich jede Häme“. Vollmer sei „eine Politikerin, die in ihrer ganzen politischen Laufbahn für Versöhnung geworben hat“. Und so beklagte Prantl „die Leichtfertigkeit und Selbstgerechtigkeit“ von Vollmers Kritikern. „Vielleicht lernt man an und mit Antje Vollmer, dass unsere Diskussionen über Krieg und Frieden bösartige Unterstellungen vermeiden müssen und die verächtliche Abwertung derer, die anderer Meinung sind.“  PHK

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