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Das andere «Wort zum Sonntag» oder: Die Sehnsucht der «kleinen Minderheit»

Published On: 5. März 2023 3:17

Veröffentlicht am 5. März 2023 von LM.

Zu meiner derzeitigen Urlaubslektüre gehört das alte Büchlein des amerikanischen Soziologen und Philosophen Eric Hoffer: «Der Fanatiker. Eine Pathologie des Parteigängers». Er zeichnet dort die Grundmuster jeglicher Massenbewegung nach: Wie sammelt sie, wen sammelt sie, was geht ihr voraus, aus welchen Quellen lebt sie, wie prägen Mitglieder und Bewegung einander, wann und wie endet sie? Deutsche Ausgabe bei Rowohlt 1965; amerikanisches Original 1951.

Ein kleiner Absatz in den einleitenden Kapiteln hat mir einen wesentlichen Teil unserer Gegenwart aufgeschlossen. Er schreibt dort:

«Wo Freiheit Wirklichkeit ist, da ist Gleichheit die leidenschaftliche Sehnsucht der Masse. Wo Gleichheit herrscht, ist Freiheit die leidenschaftliche Sehnsucht einer kleinen Minderheit» (Seite 24).

Diese Sätze beschreiben auch unsere Zeit. Denn wir stehen bereits wieder vor der erschreckend altbekannten Frage: Wie konnte es so weit kommen? Wie konnte es so weit kommen, dass sich an oberer Stelle amtliche Lügenbarone und -baronessen zu Wortführern haben aufschwingen können? So weit, dass eine breite Mehrheit aufs Denken verzichtet und sich stattdessen angstvoll-willig hat gleichschalten lassen?

Nach Hoffer liegt das an der Unfähigkeit, Freiheit zu gestalten. Sie wurde im wesentlichen als ein Vakuum erlebt, scheingefüllt mit Geschäftigkeit und Vergnügen, wie er an anderer Stelle ausführt. Die berühmte Sinnfrage blieb unberührt. Besser gesagt: Die «leidenschaftliche Sehnsucht» nach Gleichheit ist diese Frage nach Sinn, formuliert von einem schwachen Ich und in der Horizontalen gestellt.

«Wenn wir so vor uns selbst weglaufen, fallen wir entweder unserm Nachbarn zur Last oder springen ihm an die Kehle» (Seite 19). Oder eben: «Du bist nichts, die Volksgesundheit ist alles», wie auf den Standarten der medizinischen Kampfgruppen zu lesen war. Und in welch martialischer Gleichheit waren die neuen Schwarzen Trupps aufgezogen, unerreichbar für jeden Ruf zur Freiheit!

Noch bevor diese Front von der Macht hereinstürmender Fakten und heranbrechenden Leides vollends zusammenbricht, wurde und wird eine neue aufgebaut. Der Kampf gegen den «Feind im Osten» löst den Krieg gegen das Virus ab. Im geistiger Gleichheit: Marsch – auch hier.

Doch «wo Gleichheit herrscht, ist Freiheit die leidenschaftliche Sehnsucht einer kleinen Minderheit», schreibt Hoffer. Eine nicht zu kleine Minderheit hat die Menschenwürde, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper und das Recht hochgehalten. Die individuelle Freiheit darf nie und nimmer einer kollektiven Gleichheit geopfert werden. Soviel Selbstverleugnung ist gerade einem allzu gutdeutschen geschichtsvergessenen Schuld-und-Scham-Mythos keinesfalls zuzugestehen.

«Was nützt die Gleichheit der Masse, wenn sie das Ich schwächt und die Masse selber ins Verderben führt?» frage ich, angelehnt an Hoffer. Auflehnung und Protest müssen hier das Normale sein; Auflehnung, Protest – und Sammlung, Sammlung der jeweiligen Minderheit auch zum Wohle der verängstigten, verhärteten oder auch still vor sich hin leidenden Masse-Teilchen.

Aufrufe zum Protest «haben wir drauf» seit rund drei Jahren. Mit dem Sammeln und Stärken der Minderheit scheint es mir noch zu hapern. Zehn- und Hunderttausende auf der Straße «geben etwas her»; kleinen alternativen Gruppen und Gemeinschaften hingegen haftet schnell einmal der Geruch eines esoterisch-biedermeierlichen Rückzugs aus der «bösen Welt» an.

Einen dritten Weg war der spätere König David gegangen. Als Feldherr seines noch amtierenden Vorgängers Saul war er diesem zu mächtig geworden. Er liess David nachstellen, so dass dieser fliehen musste und sich schlussendlich in eine Höhle rettete. Dort geschieht zweierlei: ein Wachstum nach innen und nach aussen. Von innen her stärkte ihn seine eigene Familie. Übertragen gesprochen: In der Enge erweisen sich die wahren Freunde. Es werden nicht viele sein, aber sie werden sich erweisen. Von aussen stossen Gleichgesinnte zu ihm:

Es «schlossen sich ihm viele Männer an, die unter Druck standen, sowie alle möglichen Leute, die Schulden hatten oder verbittert waren, und er wurde ihr Anführer»; 1. Samuel 22,1.

Sammlung um einen Kern also, und diesen Kern bilden damals wie heute einzelne, denen bereits das widerfahren ist, was sich bald als Zeichen der Zeit offenbar wird: die Verachtung und Zurücksetzung durch die Noch-Mächtigen. Zum Aufbäumen zu schwach, aber zum Aufgeben zu stark üben sie den notgedrungenen Rückzug – und sammeln dabei Gleichgesinnte; Menschen, die wie sie selber unter Druck stehen und nichts mehr zu verlieren haben. «Das geformte Leben zieht immer das formlosere an», nennt das Eugen Rosenstock-Huessy.

Interessanterweise umschreibt Eric Hoffer genau diese Personengruppen als «potentielle Konvertiten» für eine neue Massenbewegung. Wie dem auch sei: Im Widerstand gegen den andauernden Gesundheitswahn, gegen wirtschaftliche Selbstmordattacken und morbide Kriegslüsternheit müssen wir nicht pendeln zwischen möglichst eindrücklichen Manifestationen im grossen und umso trüberer Resignation im kleinen.

Sammlung der Kräfte ist angesagt, Zurüstung und Ermutigung in den Höhlen und Hohlräumen unserer Existenz, ausgerichtet nach Themen wie auch nach Berufsgruppen, um von dort her «souverän in diese Gesellschaft einzudringen und damit die Widerstandsbewegung (…) bis in die niedrigsten, ungreifbarsten Bereiche dieser Zwangsordnung hineinzuführen», wie das Werner von Trott zu Solz in seinem wegweisenden Buch von 1958 ausdrückte: «Widerstand heute oder Das Abenteuer der Freiheit».

Der Haufen aus der Höhle fungierte im wesentlichen als persönliche Schutztruppe für den späteren König David. Ähnlich vielfältig werden unsere neuzeitlichen Gruppen unterwegs sein: zum eigenen Überleben ihrer Mitglieder, als Schutz für ihre allzu exponierten und bereits aus ihren Verhältnissen ausgestossenen Leiter und als Einübung in die neue Zeit. Fachspezifische Lehrgemeinschaften um ausgebootete Professoren, Studiengruppen um inspirierende Vordenker, Versorgungsnetze für zeitweise Untergetauchte bilden die säkulare Form christlicher Untergrundgemeinden.

Die physische und mediale Gewalt der anderen Seite wird ins Leere laufen, wenn wir in dieser Zwischenzeit so weise wie gewaltfrei in beweglichen Gruppen zusammenrücken, äusserlich unscheinbar, aber nach innen gefestigt im Glauben an den lebendigen Gott der Freiheit und des Rechtes.

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Wort zum Sonntag vom 26. Februar 2023: «Dosierte Einsicht statt ganzer Umkehr?

Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft auch an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf.

Telegram-Kanal: @StimmeundWort
Website: www.stimme-und-wort.ch

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