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Alexander Dugin: Gefahr für wen? | Von Jochen Mitschka

Published On: 9. März 2023 15:02

Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Meine Neubeurteilung von Brasiliens Lula muss noch etwas warten. Denn hier kommt ein vielleicht wichtigeres Thema. Als ich 2012 zum ersten Mal von Alexander Dugin hörte, war es die Warnung, man dürfe ihn nicht lesen, weil er ein russischer Nazi sei, ein Einflüsterer Putins. Da Dugin aber nicht wirklich einflussreich war, gar keinen direkten Zugang zu Putin hatte, und oft nur in russischer Sprache ungekürzt verfügbar war, blieb er mir bis 2021 weitgehend fremd. Als dann seine Tochter Dugina am 23. August 2022 einem Bombenattentat vermutlich ukrainischen Nationalisten zum Opfer fiel, begann ich mich doch näher mit diesem „ultranationalistischen“ bzw. „neofaschistischen Politiker und Politologen Russlands“ (Wikipedia) zu beschäftigen. Während er bis zum Mord seiner Tochter ein eher wenig bekannter Intellektueller war, dessen schwer verständlichen, oft philosophischen Aussagen nur in einer kleinen Blase verehrt wurden, könnte er durch dieses radikale Ereignis nun doch zu einer Gefahr werden. Für wen, versuche ich in diesem Artikel herauszuarbeiten.

Dugins Entwicklung

Um dieses Format nicht zu sprengen, bitte ich das Kapitel über Dugins Entwicklung im Anhang 1) zu lesen.

Einordnung

Wenn man ein Äquivalent Dugins im Westen sucht, wird man schnell in der Person von Zbigniew Brzeziński und seinem Buch „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“4) fündig. Mit dem Unterschied, dass hier der Weg zu einer Weltherrschaft aufgezeigt wird, während Dugin sich auf eine Führerschaft in Eurasien fokussiert. Außerdem war Brzeziński Berater mehrerer Regierungen, was auf Dugin nie zutraf.

Während man den Eindruck hat, dass Brzezińskis Buch als eine Art Drehbuch für die Geopolitik aller folgenden US-Regierungen diente und dient, war Dugins Einfluss ganz eindeutig bis zur Krise in der Ukraine nur gering. Insbesondere Putin hatte lange versucht, Russland in den Westen zu integrieren, statt eine eurasische Großmachtposition in kultureller Distanz zum Westen aufzubauen.

In der Zwischenzeit jedoch sind Dugins Ideen von den Rändern her in den politischen Mainstream Russlands vorgedrungen. Dies ganz eindeutig als Folge der offensichtlichen Verachtung des Westens gegenüber Russland, der NATO-Erweiterung, den Kündigungen von Rüstungsvereinbarungen, den militärischen Drohungen und nuklearen Erstschlagphantasien in Teilen der US-Elite, und nicht zuletzt durch die Krise in der Ukraine.

Dadurch erhält eine nationalistische Strömung, die schon jetzt nach den Kommunisten die stärksten oppositionellen Kräfte gegenüber der regierenden Partei Putins darstellt, immer mehr Zulauf. Was nicht zuletzt Putin zwang, seine bis 2014 eher abwartend, und auf Verbesserung der Beziehungen mit dem Westen hoffende Politik, neu zu formulieren.

Dugins heutige Analyse

Um Dugins heutige Rolle zu erkennen, hilft vielleicht eine Analyse der Ukraine Krise, welche er am 1. März in Geopolitika.ru veröffentlichte.5) Dugin beschreibt darin sechs Phasen der „Militärischen Sonderoperation“ in der Ukraine.

Die erste Phase sei von russischen Erfolgen geprägt gewesen: Während dieser Phase überrannten die russischen Streitkräfte Sumy und Tschernigow und erreichten Kiew von Norden her, was den Zorn des Westens erregt habe. Moskau hätte jedoch damit seine Ernsthaftigkeit bei der Befreiung des Donbass demonstriert und durch einen schnellen Vorstoß von der Krim die Kontrolle über zwei weitere Regionen, Cherson und Saporoshje, sowie über einen Teil der Region Charkow erlangt.

Allerdings sei Mariupol, eine strategisch wichtige Stadt der „Volksrepublik Donezk“, nur mit Mühen eingenommen worden. Trotzdem habe Russland mit seinem schnellen und überraschenden Handeln zu Beginn der Operation einen bedeutenden Erfolg erzielt. Aber, so Dugin, man wisse noch nicht genau, welche Fehler in dieser Phase gemacht wurden, welche dann später zu Misserfolgen geführt hätten.

Diese erste Phase habe 6 Monate gedauert, und zu noch nie dagewesenen Sanktionen und Druck durch NATO-Länder und ihre Verbündeten geführt. Angesichts der sichtbaren und greifbaren Erfolge sei Moskau bereit gewesen für Verhandlungen, um die militärischen Eroberungen durch politische Erfolge zu konsolidieren. Kiew habe aber gezögert, Verhandlungen zu akzeptieren.

Die zweite Phase des militärischen Eingreifens Russland sei durch das logische Scheitern der Verhandlungen gekennzeichnet gewesen.

„Doch dann begann die zweite Phase. Es handelte sich um eine strategisch-militärische Fehleinschätzung bei der Planung der Operation, die Ungenauigkeit der Prognosen und das Scheitern der unerfüllten Erwartungen, sowohl seitens der lokalen Bevölkerung als auch der Bereitschaft einiger ukrainischer Oligarchen, Moskau unter bestimmten Bedingungen zu unterstützen.“5)

Die Offensive sei ins Stocken geraten, und in einigen Richtungen war Russland gezwungen, sich von seinen Stellungen zurückzuziehen. Die militärische Führung habe versucht, durch Verhandlungen in Istanbul einige Ergebnisse zu erzielen, was jedoch zu keinem Erfolg geführt habe. Die Verhandlungen seien im Sande verlaufen, da Kiew geglaubt habe, den Konflikt militärisch zu seinen Gunsten lösen zu können.

Von da an habe der Westen begonnen, nachdem er die öffentliche Meinung mit der wütenden Russophobie der ersten Phase vorbereitet habe, die Ukraine mit allen Arten von tödlichen Waffen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß zu versorgen. Die Situation habe sich allmählich zum Nachteil Russlands entwickelt.

Die dritte Phase, so Dugin, sei von einem Patt gekennzeichnet gewesen. Im Sommer 2022 habe sich die Lage zu entspannen begonnen, obwohl Russland in einigen Bereichen Erfolge erzielte. Ende Mai wurde Mariupol eingenommen. Diese 3. Phase habe bis August angehalten.

„In dieser Zeit zeigte sich der Widerspruch zwischen der Konzeption der Sonderoperation als schnelle und rasche Operation, die in die politische Phase eintreten sollte, und der Notwendigkeit, gegen einen gut bewaffneten Feind zu kämpfen, der über die logistische, nachrichtendienstliche, technologische, kommunikationstechnische und politische Unterstützung des gesamten Westens verfügte und an einer Front von enormer Länge stand, in aller Deutlichkeit.“5)

Moskau habe immer noch versucht, das ursprüngliche Szenario zu verwirklichen, ohne die Gesellschaft als Ganzes zu stören oder die Bevölkerung direkt anzusprechen. Dies habe zu einem Widerspruch zwischen den Gefühlen an der Front und an der Heimatfront geführt, und zu Fehlern in der militärischen Befehlskette. Die russische Führung habe einen vollumfänglichen Krieg verhindern wollen, und deshalb eine inzwischen dringende Teilmobilisierung auf alle möglichen Arten hinausgezögert.

Das habe Kiew und den Westen ermutigt, zu terroristischen Taktiken überzugehen. Sie töteten Zivilisten in Russland selbst, sprengten die Krim-Brücke und dann die Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2, schreibt Dugin in seiner Analyse.

Es folgte die vierte Phase des Konfliktes, und die sei gekennzeichnet gewesen durch Gegenangriffe Kiews.

„Wir sind also in die vierte Phase eingetreten, die durch eine Gegenoffensive der AFU in der Region Charkiw gekennzeichnet ist, die bereits zu Beginn der Operation teilweise unter russischer Kontrolle stand. Die massiven Lieferungen von HIMARS-Einheiten und die Bereitstellung des geschlossenen Satellitenkommunikationssystems Starlink sowie zahlreicher anderer militärischer und technischer Mittel stellten die russische Armee vor ernsthafte Probleme, auf die sie in der ersten Phase nicht vorbereitet gewesen war.“5)

Der Rückzug in das Gebiet Charkiw, der Verlust von Kupjansk und sogar von Krasny Liman, einer Stadt in der DNR, seien das Ergebnis eines halben Krieges gewesen. Auch die Angriffe auf die alten Gebiete hätten zugenommen: Die Regionen Belgorod und Kursk seien regelmäßig bombardiert worden. Einige Ziele wurden auch von Drohnen tief im russischen Staatsgebiet getroffen. Es sei nicht mehr möglich gewesen, gleichzeitig zu kämpfen und nicht zu kämpfen, d. h. die Gesellschaft auf Distanz zu halten zu dem, was in den neuen Gebieten geschah.

An diesem Punkt sei der vollwertige Krieg entbrannt. „Genauer gesagt, wurde diese vollendete Tatsache in den oberen Etagen Russlands endlich ernsthaft umgesetzt.“5)

Diese 5. Phase habe den Wendepunkt markiert, als Putin einige Maßnahmen ergriffen habe. Darunter die Teilmobilisierung, eine Neuordnung der militärischen Führung, einen Koordinierungsrat für Sondereinsätze. Außerdem habe Putin die Rüstungsindustrie in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Der Höhepunkt dieser Phase sei das Referendum über den Beitritt von vier Subjekten – der DNR, der LNR, der Regionen Cherson und Saporoshje – zu Russland gewesen. Und in der Folge Putins Entscheidung, sie in Russland aufzunehmen, sowie seine Grundsatzrede zu diesem Anlass am 30. September, in der er zum ersten Mal freimütig erklärt habe, dass Russland sich der liberalen Hegemonie des Westens widersetze. Er habe zum Ausdruck gebracht, dass Russland uneingeschränkt und unumkehrbar entschlossen sei, eine multipolare Welt aufzubauen, und dass die akute Phase eines Krieges der Zivilisationen beginne, in dem die moderne Zivilisation des Westens als satanisch bezeichnet werde. In seiner anschließenden Rede vor dem Valdai-Kongress habe Putin die wichtigsten Thesen noch einmal vertieft.

Obwohl Russland gezwungen gewesen sei, Cherson aufzugeben, seien die Angriffe der AFU gestoppt, die Verteidigungslinien verstärkt worden, und der Krieg sei in eine neue Phase eingetreten.

Als nächste Stufe der Eskalation habe Russland begonnen, die militärisch-technische und manchmal auch die Energieinfrastruktur der Ukraine regelmäßig mit Raketenbeschuss zu zerstören. Und innerhalb Russlands habe die Säuberung der Gesellschaft begonnen.

„Verräter und Kollaborateure des Feindes verließen Russland, Patrioten waren keine Randgruppe mehr und ihre Positionen der selbstlosen Hingabe an das Vaterland wurden – zumindest nach außen hin – zum ethischen Mainstream. Während die Liberalen früher systematische Denunziationen gegen jeden anstellten, der auch nur den geringsten Anflug von Linkssinn oder Konservatismus zeigte und den Liberalen, dem Westen usw. kritisch gegenüberstand, wurde nun im Gegensatz dazu jeder, der liberale Ansichten vertrat, automatisch verdächtigt, zumindest ein ausländischer Agent oder sogar ein Verräter, Saboteur und Sympathisant des Terrorismus zu sein. Konzerte und öffentliche Reden von erklärten Gegnern begannen verboten zu werden. Russland startete seinen Weg der ideologischen Transformation.“5)

Dann beschreibt Dugin die Stufe einer Neuausrichtung der Gesellschaft.

Allmählich habe sich die Front stabilisiert und es sei eine neue Pattsituation entstanden. Keiner der Kontrahenten habe die Situation mehr umstoßen können. Russland hatte sich mit einer mobilisierten Reserve verstärkt. Moskau habe die Freiwilligen unterstützt. Ihnen und der privaten Söldnerorganisation Wagner sei es gelungen, die Situation auf den lokalen Kriegsschauplätzen erheblich zu verbessern. Viele notwendige Schritte seien unternommen worden, um die Armee und die notwendige Ausrüstung zu versorgen, während die Freiwilligenbewegung in vollem Gange gewesen sei.

Nun sei der Krieg in die russisches Gesellschaft eingezogen, stellt Dugin fest. Diese Phase sei bis heute zu beobachten. Sie werde außerdem durch ein relatives Gleichgewicht der Kräfte an der Front charakterisiert. In diesem Zustand könnten beide Seiten keine entscheidenden Erfolge erzielen, aber sowohl Moskau, Kiew als auch Washington seien bereit, die Konfrontation so lange wie nötig fortzusetzen.

Mit anderen Worten: Die Frage, wie schnell der Konflikt in der Ukraine enden wird, habe ihre Bedeutung und Relevanz verloren.

„Erst jetzt sind wir wirklich in den Krieg eingetreten, wir sind uns seiner bewusst geworden. Es ist eine Art ‚Im-Krieg-Sein‘. Es ist ein schwieriges, tragisches und schmerzhaftes Dasein, an das sich die russische Gesellschaft schon lange nicht mehr gewöhnt hatte und das die meisten Menschen nicht einmal wirklich kannten.“5)

Dugin vs westlichen Wokismus

Es erscheint unzutreffend, Alexander Dugin, der eine nationalistische, konservative und religiöse Werteordnung als Alternative zur westlichen, liberal internationalistischen Ordnung vertritt, als Faschist zu bezeichnen, während man Weltherrschaftsträume von US-Autoren und Vordenkern, als ganz normal und liberal ansieht. Obwohl eben diese genau das beschreiben, was man von faschistisch autoritären Systemen erwartet. Nämlich das Bestreben, die Herrschaft der Welt unter der Führung einer selbsternannten Elite zu erreichen. Neben dem genannten Buch von Brzeziński sei noch das Papier „Rebuilding America’s Defenses – Strategy, Forces and Resources For a New Century“6) genannt, wer sich näher mit dem Thema befassen möchte.

Während Dugins Arbeit sich fast immer um die nationale Identität, um die Souveränität Russlands und um kulturelle, religiöse Identität dreht, geht es bei westlichen Denkfabriken um die Zerstörung anderer Kulturen, Gesellschaften und Lebensweisen, zugunsten der einzig wahren, der westlichen. Was m.E. Dugins Ideologie mit dem Faschismus verbindet, ist der Versuch, durch eine Begeisterung der Menschen für eine gemeinsame Idee, ihre Initiative zugunsten eines starken Staates zu aktivieren.

Wenn Dugin von Säuberung in dem Artikel sprach, war dies vergleichbar mit dem, was wir derzeit in Deutschland erleben. Das Ausgrenzen von Menschen, die dem gemeinsamen Narrativ widersprechen. Insofern beschreibt Dugin das Gegenstück dessen, was bei uns inzwischen auch im Mainstream angekommen ist. Auftrittsverbote, Hausdurchsuchungen bei Richtern, Entlassungen bei Wissenschaftlern, Inhaftierungen bei Demonstrationsführern, umstrittene Anklageerhebungen, juristische Verfolgung von Journalisten, Verfolgung von Internetseiten, Verbot von Auslandssendern usw.

Der große Unterschied zwischen Dugins Ideologie und der des Westens besteht darin, dass sie im Prinzip auf die Verteidigung ausgelegt ist, und auch die Forderung nach einem „Imperium“ Russland nur als Werkzeug angesehen wird, die eigene Identität und Souveränität zu bewahren. Während die Ideologie des Westens darauf ausgerichtet ist, die eigenen Vorstellungen dessen, wie eine Gesellschaft sein sollte, der ganzen Welt aufzuzwingen. Wobei der Versuch der Durchsetzung einer kulturellen Hegemonie lediglich den Weg zur wirtschaftlichen Beherrschung und Ausbeutung ebnen soll.

Dugin: Gefahr für wen?

Andreas Umland, einer der „Faschismus-Fachleute“ mit hohem Ansehen, hatte sich im Rahmen einer westlichen Propagandaorganisation, genannt „Zentrum Liberale Moderne“ über Dugins Ansichten teils lustig gemacht, teils sie verachtet, teils als gefährlich bezeichnet. Aber schon in der Einführung macht Umland einen entscheidenden Fehler:

„Dugins Hochzeit als Ideengeber des autoritären Regimes Putins scheint zwar vorüber, er spielt aber immer noch eine Rolle als radikaler Ideologe und als Verbindungsmann zu anti­westlich-nationalistischen Gruppierungen im Ausland.“7)

Dugins Einfluss war bis 2014 noch gar nicht gegeben. Das wird auch im weiteren Text durch die angeblich unzulänglichen akademischen Würden bestätigt. Sein Einfluss steigt aber seit 2022 erheblich, da sich ein großer Teil seiner Aussagen hinsichtlich westlicher Politik bewahrheitet hatte.

Es würde den Rahmen dieses Formats sprengen, auf alle Widersprüche und Vereinfachungen einzugehen, welche Dugin teils lächerlich machen sollen, teils als gefährlich darstellen sollen. Tatsächlich ist die Arbeit vermutlich gedacht zur Dämonisierung eines von Putin beherrschten, und angeblich von Demagogen wie Dugin beeinflussten Russlands gedacht. Die Auseinandersetzung mit „solchen“ soll als unmöglich dargestellt werden. Weil sie Feinde der liberalen Weltanschauung, z.B. von Marieluise Beck sind, eine der Denkerinnen in der Fabrik.

Umland führt bessere Beispiele als Wikipedia dafür an, dass Dugin vor über 30 Jahren Sympathien für den Nationalsozialismus hatte. Was nun aber erstaunlich viele, und heute beliebte und umworbene Politiker in der Ukraine leider auch, und zwar in ihrer aktuellen Vita, nachweisbar haben. Es scheint so, dass man nicht nur in der Ukraine und Russland einen Unterschied zwischen dem Ideengebilde des Nationalsozialismus und der real existierenden Geschichte seiner Gräueltaten sieht. Und natürlich ist dies eine große Gefahr. Denn wie man derzeit in der Ukraine sehen kann, wird schnell durch eine ideologischen Strömung ein Instrumentarium entwickelt, das schließlich die Ideen des Faschismus entlarvt. So wie in der Ukraine das Schleifen von Denkmälern, das Verbot der russischen Sprache, das Verbot von Fernsehsendern und Internetseiten, das Verbot von Oppositionsparteien und Mordserien von unangepassten Dissidenten und schließlich ein Krieg bis zum letzten Bluttropfen.

Nun ist dies in erster Linie eine nach Innen gerichtete Bedrohung. Während der aggressive Liberalismus des Westens, zum Beispiel, durch seine wirtschaftliche Macht verhindert, dass russische Medien in Afrika über die üblichen Kanäle zu empfangen sind. Oder krasser, Länder bombardiert werden, um sie für angebliche Menschenrechtsverletzungen zu bestrafen. Weshalb dieser Liberalismus ganz im Sinne der alten Kreuzritter, nach außen wirkt.

Nun wird man einwenden, dass Russland, und im Fall des Krieges gegen die Ost-Ukraine, auch Kiew, auch eine Gefahr nach Außen darstellen. Wenn man in der Ukraine die Provinzen, welche nach Autonomie gestrebt hatten, aber dann nach jahrelanger Bombardierung ihre Sezession erklärten, auch als außen ansieht, nicht mehr als Teil der Ukraine.

Allerdings hätte es in Kiew nicht zu einem zweiten Versuch der gewaltsamen Wiedereingliederung der östlichen Provinzen geführt, wenn es nicht die Unterstützung der ukrainischen ultranationalistischen Kräfte durch die USA und Großbritannien gegeben hätte. Oder in westlicher Lesart, wenn es nicht Russlands Annexion der Krim gegeben hätte. Wäre Kiew durch die westlichen Mächte gezwungen worden, seine Verpflichtungen aus Minsk2 zu erfüllen, hätte es keinen Krieg gegeben, und hunderttausende Menschen würden noch leben.

Im Fall von Russland fallen die Beispiele für eine historische Aggression nach Außen in sich zusammen, wenn man die gerne angeführten Beispiele genauer anschaut. So wie der Georgienkrieg durch den georgischen Präsidenten Saakaschwili begonnen wurde, wie auch eine EU-Untersuchung festgestellt hatte.10) Oder wenn man berücksichtigt, dass Russland auf Einladung der Regierung Syriens Terroristen bombardiert, und kein illegaler Besatzer und Aggressor wie die USA ist, und Deutschland teilweise war.

Allerdings kann eine nach Innen gerichtete Bedrohung im Fall einer Atommacht wie Russland schnell zu einer nach Außen wirkenden Bedrohung anwachsen. Und hieraus erklärt sich die Gefahr für die Welt: Wird Russland weiter bedrängt, wird weiter seine Zerschlagung in Einzelstaaten versucht, liefert Dugin die ideologische Legitimation für den Einsatz von Atomwaffen, genauer gesagt von Kernwaffen. Wie ein ehemaliger und ein amtierender Präsident der russischen Föderation bereits ankündigten: „Niemand braucht eine Welt ohne Russland“. Damit hat Russland nun auch seine „Samson-Option“ 9).

Fazit

Alexander Dugin hat in der Vergangenheit keinen relevanten Einfluss auf die russische Politik gehabt. Das ändert sich jedoch gerade. Auf Grund der aggressiven Politik des Westens, mit dem Ziel wahlweise Russland auf die Knie zu zwingen (frei nach Baerbock) oder zu Entkolonialisieren, d.h. in Einzelstaaten zu zerschlagen (frei nach führenden US-Politikern und der „Helsinki-Kommission“8)) erfährt eine Politik des Patriotismus und Nationalismus gerade einen großen Aufschwung in Russland. Bisher wird dieser genutzt, um die Richtungsänderung des Staates in Richtung Osten zu unterstützen. Aber sollte die Einheit Russlands ernsthaft bedroht werden, z.B. durch eine Niederlage im Krieg gegen die NATO in der Ukraine, wird diese Ideologie die Anwendung von Kernwaffen in der Bevölkerung Russlands als akzeptabel durchsetzen.

Übrigens arbeitet man im Westen durch eine immer stärkere Dämonisierung des Feindes Russland, und nun auch Chinas, an der gleichen Zielsetzung. Die Propaganda versucht schon lange zu erklären, dass ein Atomkrieg gar nicht so schlimm sei. Und dass ein solcher möglicherweise als notwendiges Übel durch die Bevölkerung akzeptiert werden müsse.

Nur ein schnellstmöglicher Waffenstillstand, und ein Einfrieren des Konfliktes, z.B. wie in dem Friedensplan Chinas vorgesehen, kann Europa und Russland vor einer weiteren Eskalation retten. Leider, muss man wohl sagen, sind die Politiker der europäischen NATO-Länder inzwischen durch Medien, transatlantische Politiker und Denkfabriken, sowie internationale Konzerne und so genannte NGOs stark in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt. Nicht das Interesse der eigenen Länder bestimmt ihr Handeln, sondern das Interesse, der Wille des Hegemons, der USA.

Und so handeln sie wie eine Opferanode. Sie opfern Deutschland und westeuropäische Länder, um den Niedergang der USA als Welthegemon so lange wie möglich aufzuhalten. z.B. indem hunderte, ja tausende von Milliarden Euro an Steuergeldern der Verbraucher für preislich vollkommen überhöhte Rüstungs- und Gaslieferungen in die USA fließen, und weitere Steuern in die Unterstützung von Kriegen, welche das Imperium führt.

Solange es nur die wirtschaftlichen Folgen sind, mag es als eine Bestrafung für die Ignoranz der Gesellschaft in die Geschichte eingehen, und als Beweis für die Unzulänglichkeit der Repräsentativen Demokratie, die ganz offensichtlich nicht die Interessen der angeblich Vertretenen vertritt. Hoffen wir, dass nichts Schlimmeres passiert.

Jochen Mitschka twittert zu aktuellen Themen unter @Jochen_Mitschka

Anhang und Quellen:

1) Dugin, der Sohn einer russischen Offiziersfamilie, geboren 1962, trat in den frühen 1990er Jahren während der Auflösung der Sowjetunion als Autor für eine nationalistisch orientierte Zeitung auf. 1991 und 1992 wurde von ihm in einer Artikelserie das Essay mit dem Titel „The Great War of the Continent“ (Der große Krieg des Kontinents) 2) veröffentlicht. Mit dieser Arbeit beschrieb er Russland als das Eurasien führende Imperium, welches sich gegen einen dekadenten Westen rüsten müsse. Eine Arbeit, die heute gerne in Russland als eigentümlich vorausschauend angesehen wird.

Im Jahr 1997 erschien sein angeblich wichtigstes Werk, „The foundations of Geopolitics“ (Die Grundlagen der Geopolitik) 3). Westliche Medien berichteten, es sei Pflichtlektüre an der Führungsakademie der russischen Streitkräfte gewesen. Darin forderte er Russland auf, durch Kooperationen und Bündnisse seinen Einfluss wieder herzustellen, allerdings ohne die kommunistische Ideologie der Sowjetunion zu reaktivieren. Bezogen auf den Ukraine-Konflikt sei erwähnt, dass er der Ukraine eine ethnische Exklusivität absprach.

Unter anderem daraus entwickelte sich im Westen die Behauptung, dass Dugin faschistische Ideen so aufbereite, dass sie für die russische Realität anwendbar würden, und die Politik der Regierung beeinflusse. Tatsächlich aber hatte Dugin ganz offensichtlich wenig Einfluss auf die russische Führung, was man zuletzt an der Untätigkeit des Kremls während der Entwicklungen auf dem Maidan im Jahr 2014 sah.

Dugin war zwar nie in den inneren Zirkel von Putins Entscheidungsgremien vorgedrungen, allerdings hatte seine zweifellose philosophische Schärfe und sein Intellekt dazu geführt, dass er eine Reihe von wichtigen Posten erhielt. So zum Beispiel von 2009 bis zum Jahr des Maidan 2014 die Führung des Lehrstuhls für Soziologie der internationalen Beziehungen an der staatlichen Universität Moskau.

2) https://4threvolutionarywar.wordpress.com/2015/07/23/alexander-dugin-the-great-war-of-the-continents/

3) https://www.goodreads.com/book/show/35887243-foundations-of-geopolitics

4) (englischer Titel: The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives, 1997) https://de.wikipedia.org/wiki/Die_einzige_Weltmacht:_Amerikas_Strategie_der_Vorherrschaft

5) https://www.geopolitika.ru/en/article/russia-coming-out-anaesthesia-six-phases-special-military-operation

6) https://resistir.info/livros/rebuilding_americas_defenses.pdf

7) https://gegneranalyse.de/personen/alexandr-dugin/#einfuehrung

8) https://www.csce.gov/international-impact/events/decolonizing-russia

9) Die “Samson-Option” Israels bedeutet, dass die Regierungen Israels sich im Falle einer existentiellen Bedrohung des Landes vorbehalten, eher die ganze Welt in den atomaren Untergang zu reißen. Als eine Niederlage im Krieg gegen Ägypten drohte, waren bereits einmal Kernwaffen in Bomber geladen worden. Der Einsatz war dann durch die Waffenlieferungen der USA quasi im letzten Moment verhindert worden. https://www.diepresse.com/1458625/als-israel-schon-zur-atombombe-griff

10) https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/untersuchungskommission-georgien-hat-den-krieg-begonnen-1854145.html

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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