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Besuch an der Front nahe Donezk und mehrere Interviews

Published On: 19. März 2023 18:45

Ich war am Wochenende in Donezk und habe ein Dorf direkt an der Front und eine Kinderklinik besucht, in der Kinder mit Schusswunden und Verletzungen durch Minen behandelt werden.

Nach meinem Interview mit Dmitri Rogosin sind wir in Kontakt geblieben und er hat mich eingeladen, ihn zusammen mit dem Kameramann, der auch unser Interview gefilmt hat, in Donezk zu besuchen. Daher bin ich nach der Konferenz in Moskau wieder nach Südrussland gereist und am Freitag nach Donezk gefahren.

Die Unterbringung

Direkt hinter der ehemaligen Grenze wurden wir von Soldaten in Empfang genommen, die uns nach Donezk gebracht haben. Wir wussten zu dem Zeitpunkt nicht, was man uns in Donezk zeigen wollte, wir wussten nicht einmal, wo wir übernachten würden. In Donezk angekommen wurden uns die Augen verbunden, damit wir den Ort, an dem wir leben würden, nicht identifizieren können. Die Soldaten fanden das lustig und haben uns natürlich so fotografiert.

Den Grund dafür erfuhren wir, als wir am Ziel angekommen waren. Da Donezk derzeit heftig beschossen wird, wurde beschlossen, dass wir nicht in einem Hotel übernachten würden, sondern wir wurden zu einem zukünftigen Befehlsstand gebracht, der derzeit für eine neue Brigade hergerichtet wird. Dessen genauen Standort sollten wir aus Sicherheitsgründen nicht erfahren. So haben wir den Freitagabend in einem Bunker zusammen mit den Soldaten verbracht, die den Befehlsstand vorbereiten. Lediglich für die Erledigung menschlicher Bedürfnisse sind wir nach oben gegangen, weil es unten noch keine sanitären Einrichtungen gibt.

Wir waren so dicht an der Front, dass man sogar im Bunker die Explosionen der Artillerie hörte und einmal habe ich sogar Maschinengewehrfeuer gehört, als ich oben war.

Von den Soldaten wurden wir sehr gut aufgenommen und ich war überrascht von dem guten Essen. Die Gruppe hat einen Koch, mit dem ich mich angefreundet habe. Er ist ein Freiwilliger, dem in seiner Heimatstadt eines der besten Restaurants gehört und ich bin sicher, dass ich da später einmal hinfahren und ihn besuchen werde. Das Essen war jedenfalls wirklich hervorragend, am Abend gab es sogar einen riesigen Topf mit hervorragendem Schaschlik, wie man ihn auch in guten Restaurants nur selten bekommt.

Geschlafen haben wir in dem Bunker auf Feldbetten.

Soldaten und Haustiere

In dem Bunker leben die Soldaten mit einer Katze zusammen, die gerade Junge bekommen hat. Die Katzen sind so etwas wie der Talisman der Einheit.

Ein Soldat hat mir erzählt, dass sie sehr schnell gelernt haben, Hunde und Katzen bei sich zu haben, weil die Tiere es etwa drei Sekunden früher als ein Mensch spüren und an ihrem Verhalten zeigen, wenn eine Granate im Anflug ist. Die Haustiere retten den Soldaten Leben, weshalb die Tiere von den Soldaten besonders rührend umsorgt werden.

Er hat mir von einem verlassenen Schäferhund erzählt, den seine Einheit vor einigen Monaten in einem Dorf gefunden hat. Zunächst war der Hund des Soldaten gegenüber aggressiv, aber nachdem sie ihn einige Tage gefüttert hatten, wurde er zutraulich und begann sie sogar zu bewachen. Der Hund hat ihnen mehrmals durch seine Warnungen vor anfliegenden Geschossen das Leben gerettet.

Schließlich hat der Soldat mit einem Kameraden eine „Geheimoperation“ durchgeführt, wie er es formuliert hat. Der Hund tat ihnen leid, weil sich die Zusammensetzung der Einheit immer wieder ändert und am Ende wohl niemand den Hund mit nach Hause nehmen könnte, sodass sie ihn früher oder später sich selbst überlassen müssten. Daraufhin haben er und sein Kamerad, der in Südrussland, also nur wenige Stunden von der Front entfernt, lebt, sich heimlich und unerlaubt von der Truppe entfernt und den Hund zu dem Kameraden gebracht, wo er nun in einer Familie in einem Haus auf dem Lande lebt und ein neues zu Hause hat.

Als bemerkt wurde, dass der Hund fehlt, haben sie Bilder des Hundes in seinem neuen zu Hause gezeigt und „gestanden“, was sie getan hatten. Bestraft wurden sie nicht, weil alle dem Hund dankbar waren und sich für ihn gefreut haben, dass er in gute Hände gekommen ist. In dem gemeinsamen Telegram-Chat der Gruppe werden seitdem immer wieder kleine Videos von dem Hund in seinem neuen zu Hause gepostet.

Das Dorf an der Front

Am Samstagmorgen sind wir gegen 10.00 Uhr aufgebrochen und – wieder mit zunächst verbundenen Augen – in Richtung Front gefahren. Wir sollten Familien kennenlernen, die seit nun neun Jahren an der Front leben.

Das Problem bei Donezk ist, dass sich die ukrainische Armee rund um Donezk acht Jahre lang sehr gut eingegraben hat. Ganze Städte wurden zu Betonfestungen ausgebaut, die großflächig untertunnelt sind. Ganze LKW-Kolonnen können schon außerhalb der Stadt in den Tunneln verschwinden.

Bei dem Dorf, das wir besucht haben, verlief die Front acht Jahre lang direkt an der Dorfgrenze, inzwischen wurde sie ein wenig zurückgedrängt und verläuft etwa einen Kilometer vom Dorf entfernt. Auf dem Weg dorthin sahen wir Raketenartillerie auf den Feldern stehen, was sehr surreal war, denn das war nur wenige Kilometer außerhalb von Donezk. Eben noch war man in einer Stadt mit vielen Autos und Fußgängern und nur zehn Minuten Autofahrt entfernt steht Artillerie feuerbereit auf den Feldern.

In dem Dorf an der Front sind viele Häuser noch bewohnt und die Soldaten hatten Kartons gepackt, um den Familien Lebensmittel und Süßigkeiten für die Kinder zu bringen. Der erste, den wir in dem Dorf gesprochen haben, war Michail. Michail ist ein achtjähriger Junge, der unter den Soldaten bekannt ist, weil er sich selbst eine Uniform gemacht hat und eine wirklich echt aussehende Schutzweste aus Karton gebastelt hat.

Vor seinem Haus hat er einen „Checkpoint“ eingerichtet und er grüßt jedes vorbeifahrende Militärfahrzeug, weshalb viele Soldaten bei ihm anhalten und ihm schenken, was sie gerade dabei haben, zum Beispiel Schokolade oder ähnliches. Michail ist unter den Soldaten dort sehr bekannt.

Der Junge war sehr gesprächig. Als ich ihn gefragt habe, ob er schon mal woanders als in seinem Dorf gewesen ist, erzählte er, dass er mal in der russischen Stadt Krasnodar gewesen ist. Auf meine Frage, wo es ihm besser gefallen hat, in Krasnodar oder in seinem Dorf, kam die Antwort sofort: „Hier! In der Stadt wohnen die in Wohnungen, hier kann ich auf der Straße spielen!“ Während des Gespräches waren die ganze Zeit Explosionen zu hören und ich fragte ihn, ob ihm das Angst macht. Seine Antwort war „nein“.

Das gleiche erzählten uns auch Kinder in einem anderen Haus, wo ein neunjähriger Junge und seine sechsjährige Schwester mit ihrer Mutter leben. Das Mädchen war wirklich niedlich und hat alle sofort zur Begrüßung umarmt. Sie steht auch oft an der Straße und sie umarmt ausnahmslos jeden herzlich, der eine Uniform trägt.

Aber als wir wegfuhren, ist uns vor allem in Erinnerung geblieben, dass die kleinen Jungs die Augen von Erwachsenen hatten. Es sind Kinder, die in ihrem Leben nie etwas anderes als den Krieg erlebt haben, der dort seit 2014 tobt. Die Explosionen machen ihnen anscheinend wirklich keine große Angst, obwohl Granaten auch auf ihren Grundstücken eingeschlagen sind und viele Nachbarhäuser mehr oder weniger stark von Beschuss beschädigt wurden. Sie kennen kein anderes Leben.

Auch einige Frauen kamen zu unserem Wagen, die sich beschwert haben, dass die humanitäre Hilfe nicht bis zu ihnen kommt. Auf meine Frage, ob sie woanders leben wollen, sagten sie, dass sie nicht wüssten, wohin. In Wohnungen leben wollen sie nicht. Würde man ihnen woanders ein gleichwertiges Haus mit Grundstück bieten, würden sie darüber nachdenken. Aber sie wollten ihr Dorf nicht verlassen. Die Soldaten versprachen, ihnen in den nächsten Tagen Lebensmittel zu bringen, weil die humanitäre Hilfe das Dorf nicht erreicht. Aus diesem Grund fahren die Soldaten dort immer wieder hin: Um den Familien Kartons mit dem zu bringen, was sie zum Leben brauchen.

Ich habe auf Telegram ein kurzes Video veröffentlicht, das ein paar Bilder aus dem Dorf zeigt. Eine Reportage darüber ist in Vorbereitung.

Der Arzt

Danach haben wir ein Kinderkrankenhaus in Donezk besucht, wo ich den leitenden Chirurgen interviewt habe. Er hat sehr viel zu erzählen und ist ebenfalls eine örtliche Berühmtheit, weil er wahre Wunder vollbringt. Seit der Krieg 2014 angefangen hat, ist er zu dem vielleicht weltweit erfahrensten Arzt geworden, wenn es um die Rettung von Gliedmaßen bei Kindern geht. In dem Krankenhaus sind derzeit etwa zehn Kinder, die durch Schmetterlingsminen verletzt wurden, die die ukrainische Armee immer noch fast täglich über Donezk abwirft.

Schmetterlingsmine im Größenvergleich mit einem Feuerzeug

Der Arzt hat bei hunderten Kindern, die durch diese Minen verletzt wurden, nur sehr wenige Gliedmaßen amputieren müssen. Meist gelingt es ihm, selbst fast vollständig abgetrennte Arme und Beine zu retten. Er zeigte uns viele Fotos, die ich hier jedoch nicht zeigen werde. In dem Interview, das ich demnächst veröffentlichen werde, werde ich jedoch zwei Beispiele zeigen, denn die nach dem Interview wurden wir auch auf der Station herumgeführt und konnten mit den Kindern und ihren Eltern reden. Darunter sind auch zwei Jungen, bei denen der Arzt wahre Wunder vollbracht hat. Einem hat er den nur noch an Hautfetzen hängenden Arm gerettet, nachdem ein ukrainisches Artilleriegeschoss in seiner Wohnung eingeschlagen ist. Bei dem anderen Jungen hat der Arzt fast den ganzen Fuß retten können, obwohl vom dem Fuß nichts mehr übrig gewesen ist, nachdem der Junge auf eine der Schmetterlingsminen getreten ist. Eigentlich war der Junge ein Fall für eine Amputation vom Knie abwärts.

10 Tage nachdem dieser Junge beinahe seinen Arm verloren hätte

Das Interview war auch deshalb sehr beeindruckend, weil er immer wieder betont hat, dass er nicht über Politik reden wollte (was ich auch gar nicht vorhatte), sondern nur über seine Arbeit. Er hat immer wieder betont, dass er jeden behandelt, der eingeliefert wird und dass es ihm und seinem Team egal ist, wer da kommt – um jeden Patient wird gleichermaßen gekämpft.

Dennoch ging es nicht vollkommen ohne Politik, denn er hat mehrmals Maria Lwowa-Belowa dankend erwähnt, die seinem Krankenhaus sehr helfe und die dafür sorgt, dass jedes Kind, nachdem es aus dem Krankenhaus entlassen werden kann, in Russland eine kostenlose Reha angeboten bekommt. Maria Lwowa-Belowa ist die Kinderbeauftragte des russischen Präsidenten, gegen die der Internationale Gerichtshof gerade einen Haftbefehl ausgesprochen hat, weil sie angeblich – zusammen mit Präsident Putin – ukrainische Kinder nach Russland „deportieren“ würde. Dass sie Kindern, die durch ukrainische Minen und aus dem Westen gelieferte Artillerie verletzt werden, in Russland eine Reha organisiert, wertet der Westen als „Deportation“ von „ukrainischen“ Kindern nach Russland.

Da musste ich den Arzt natürlich fragen, was er über den Haftbefehl denkt. Seine Antwort war eindeutig: Er hat betont, wie sehr Maria Lwowa-Belowa seinem Krankenhaus und seinen kleinen Patienten hilft. Von „Deportationen“ könne keine Rede sein, die Kinder reisen immer mit mindestens einem Verwandten nach Russland und die Menschen sind einfach nur dankbar dafür, dass die Kinder in Russland eine Reha bekommen, die man ihnen im Donbass nicht anbieten kann. Nach der Reha kehren die meisten nach Hause in den Donbass zurück.

Dmitri Rogosin

Wie gesagt wurde mir diese Reise in den Donbass von Dmitri Rogosin angeboten, mit dem ich vor einigen Wochen ein Interview geführt habe, das – soweit ich gesehen hat – praktisch nur sehr positive Kommentare von den Zuschauern bekommen hat. Rogosin und ich haben noch ein interessantes Gespräch vor der Kamera geführt. Das Gespräch fand in der „Kantine“ des Befehlsstandes statt, in dem wir übernachtet haben.

Die Interviews und die Reportage von dem Dorf direkt an der Front werden derzeit von meinem Kollegen und Freund Alfred Chlebin, der als Kameramann dabei war, geschnitten. Dann müssen sie noch übersetzt und untertitelt werden. Ich werde sie daher im Laufe der nächsten Tage veröffentlichen, wenn sie fertig sind. Alfred war auch schon sehr oft im Donbass und er hat einen kleinen Telegram-Kanal, in dem er, neben seinen Erlebnissen im Donbass, unter der Überschrift „ПОРТРЕТЫ ПОБЕДЫ“ („Portraits des Sieges“) einfache Soldaten an der Front fotografiert. Darunter sind sehr beeindruckende Bilder.

Mit Herrn Rogosin bleibe ich in Kontakt und wir haben bereits eine weitere Reise in Donbass vereinbart, über die ich aber erst berichten werden, wenn es soweit ist. Aber eines kann ich schon sicher sagen: Die Reise könnte meine bisher interessanteste Reise in das Konfliktgebiet werden.


In meinem neuen Buch „„Putins Plan – Mit Europa und den USA endet die Welt nicht – Wie das westliche System gerade selbst zerstört ““ gehe ich der der Frage, worum es in dem Endkampf der Systeme – den wir gerade erleben – wirklich geht. Wir erleben nichts weniger als den Kampf zweier Systeme, in dem Vladimir Putin der Welt eine Alternative zum neoliberalen Globalismus anbietet. Wurden die Bürger im Westen gefragt, ob sie all das wollen, ob sie zu Gunsten des neoliberalen Globalismus auf ihren Wohlstand und ihre Freiheiten verzichten wollen?

Das Buch ist aktuell erschienen und ausschließlich hier direkt über den J.K. Fischer Verlag bestellbar.

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