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Zum 100. von Ralph Giordano

Published On: 20. März 2023 14:28

Heute, am 20. März 2023 wäre Ralph Giordano hundert Jahre alt geworden. Es gibt keinen besseren Weg, den Geburtstag von Ralph Giordano zu feiern, als seine Texte wieder zur Hand zu nehmen.

„Hieße in Deutschland bleiben nicht auch, auf den Ämtern immer wieder solchen Ehemaligen gegenüberzustehen, ihren Anordnungen, ihrer Willkür, ihrer Amtsgewalt unterworfen und ausgeliefert zu sein? Sich von ihnen reglementieren, schurigeln, hin und her stoßen zu lassen, und zwar um so heftiger, je frecher ihr vorübergehend verloren-gegangenes Selbstvertrauen wieder ins Kraut schoß?“

Das sind die Gedanken von Roman Bertini aus dem Roman „Die Bertinis“ von Ralph Giordano. Heute habe ich das Buch wieder aus meinem Regal geholt, denn heute wäre Ralph Giordano hundert Jahre alt geworden. 

„Hieße in Deutschland bleiben also nicht auch: zusammenleben mit Millionen, die jede humane Orientierung verloren hatten, deren moralische Substanz in den zwölf Jahren, vielleicht für immer, zerstört worden war? Würde er ein solches Leben, solche Nachbarschaft aushalten können?“

Ralph Giordano blieb. Er hielt aus. Deutschland war schließlich seine Heimat, und er kämpfte für sie und für sich in ihr. 

Als Sohn einer jüdischen Klavierlehrerin tauchte er zusammen mit seiner Familie in den letzten Jahren des Krieges in Hamburg unter. Er hatte durch lange Vorbereitung dafür gesorgt, dass die Familie in einem unter Wasser stehenden Keller überleben konnte. Auch in dem Roman wird das Überleben in einem Keller beschrieben. Beim Durchblättern des Romans stolperte ich über die Beschreibung des Kampfes mit den Ratten. Ein Bild, das mich nie mehr losgelassen hat. 

„Der Verfall der Kräfte und der Nerven setzte schlagartig ein – und es waren die Ratten, die es am ehesten spürten. Die Tiere waren immer dreister geworden. Nach so langer Gewöhnung an die Gegenwart von Menschen wagten sie sich im Dunkeln mitten zwischen die Bertinis, tappten, huschten, verschwanden aber schon bei Aufflammen eines Streichholzes. (…) Alle Bertinis wurden von Ratten angenagt, an Armen und Beinen, Alf auch im Gesicht. In den kleinen, aber tiefen Wunden zeichneten sich deutlich die Hauer ab. Da die Tiere immer wieder in dieselben Stellen bissen, gerann das Blut schwerer. Obwohl die Schmerzen unerträglich waren, mußten die Bertinis sie über sich ergehen lassen. Das mechanische, hilflose Wedeln ihrer Hände schreckte die Ratten nicht ab. So konzentrierte sich ihr einziger Wunsch, eine gierige, allmächtige Sehnsucht, auf jenen Zustand, der allein ihnen Linderung verschaffen konnte und in dem sie nun die meiste Zeit dahindämmerten – Bewußtlosigkeit.“

Auch die Beschreibung der Befreiung der Familie aus dem Keller wird jedem auf ewig in Erinnerung bleiben, der diese Zeilen gelesen hat.

Er liebte das Leben, und er war bereit, dafür zu kämpfen

Ralph Giordano war ein Mann, der gelernt hatte, zu überleben. Dieser Wille blieb bei ihm, bis zu seinem Tod am 10. Dezember 2014. Er liebte das Leben, und er war bereit, dafür zu kämpfen. Als es in Deutschland im Jahr 1992 zu vermehrten Ausschreitungen von Rechtsradikalen kam, und in Hoyerswerda und in Mölln Brandanschläge und Morde verübt wurden, schrieb Giordano einen offenen Brief an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Auch diesen Brief habe ich heute wieder erneut gelesen:

„Da wir nach den jüngsten Mordfällen den Glauben und die Hoffnung verloren haben, daß Sie und Ihre Regierung einen wirksamen Schutz gegen den Rechtsextremismus und seine antisemitischen Gewalttäter bieten könnten, teile ich Ihnen mit, daß nunmehr Juden in Deutschland, darunter auch ich, dazu übergegangen sind, die Abwehr von potentiellen Angriffen auf unsere Angehörigen und uns in die eigenen Hände zu nehmen, und zwar bis in den bewaffneten Selbstschutz hinein. Ich warne Regierung, Bundestag, Länderparlamente, Verfassungsschutz und Polizei davor, die Entschlossenheit dazu zu unterschätzen. Nie wieder werden wir Überlebenden des Holocaust unseren Todfeinden wehrlos gegenüberstehen – niemals!“

Nie wieder! Das war für Ralph Giordano keine bloße Floskel, sondern ein Lebensmotto. Ralph Giordano richtete sein Licht der Kritik in alle Ecken, und er war auf keinem Auge blind. Im Jahr 2007 zum Beispiel kritisierte er den Bau der Zentralmoschee in Köln mit diesen Worten:

„Ich werde mich auch weiterhin tabulos wenden gegen alle grundgesetzwidrigen und damit integrationsfeindlichen Verhältnisse und Zustände innerhalb der muslimischen Minderheit, allen voran gegen die inakzeptable Stellung der Frau, wie sie niemand erschütternder dokumentiert hat als die türkische Soziologin Necla Kelek, im Namen aller anderen entwürdigten und bedrohten Leidensgenossinnen. Ich werde auch weiterhin kritisch Stellung nehmen gegen jene Imame und Verbandsfunktionäre, die den liberalen Rahmen und die Toleranz der freiheitlichen Verfassung nutzen, um totalitäre Ansichten von Staat und Religion in ihren Enklaven durchzusetzen; die die Spielregeln rechtsstaatlicher Verfasstheit unterminieren, die mit antiwestlicher Indoktrination einen an der Scharia orientierten Unterricht geben und die Standards der Demokratie wie Koedukation, Sexualunterricht, gemischten Sport, Klassenfahrten, Geschlechtergleichheit verweigern.“

Mit welchen Worten würde er heute die Freiheit zu verteidigen?

Ralph Giordano war einer der ersten öffentlichen Personen, die die gescheiterten Integration mit klaren Worten kritisiert hatten. Dafür erhielt er mehrere Morddrohungen. Das hielt ihn aber nicht davon an, deutliche Worte zu finden:

„Die Scharia, das Gesetz des Islam, ist notorisch grundgesetzwidrig, ein skandalöser Anachronismus, das Fossil einer überholten Menschheitsepoche und ein schweres Hindernis auf dem Weg zur Reformierung und Modernisierung des Islam. Sie wird von mir genauso selbstverständlich in die kritische Methode einbezogen wie der Koran, die Biographie Mohammeds und das Alte und das Neue Testament. Und ich will das sagen, schreiben, denken dürfen – offizielle Fatwa-Drohung hin, inoffizielle her.“

Heute, am 20. März 2023 wäre Ralph Giordano hundert Jahre alt geworden. Er fehlt, gerade heute. Was würde er wohl heute schreiben? Zu welchen Worten würde er greifen, um heute das Leben, die Lust daran und die Freiheit zu verteidigen? Wir werden es nicht erfahren. Dafür aber können wir seine alten Texte wieder zur Hand nehmen, sie lesen und staunen. 

Da fällt mir direkt eine weitere Szene aus dem Roman „Die Bertinis“ ein. Es ist der Moment, wo die Versteckten in dem Keller von dem Tod Hitlers erfahren. Ralph Giordano schreibt:

„Schärfer zogen die Bertinis den Atem ein, rasselnder, hohler. Dann entzündete Roman ein Streichholz, steckte aber nicht eine einzelne Kerze an, sondern alle sieben in der Menora. Ungewöhnlich hell wurde es im Versteck, ja gleißend, daß die Ratten rasender noch als sonst flüchteten und jeder Riß an der niedrigen Decke und den glitschigen Mauern sichtbar wurde.

Und in diesem Licht nun geschah es, daß die drei Brüder sich aufstützten, daß sie zeitlupenhaft langsam, die abgemagerten Gesichter vor Anstrengung verzerrt, auf die Beine kamen und mit gleichsam ungeschmierten Gelenken zu tanzen begannen.“

Tanzen werde ich heute, tanzen, weil es einen Mann wie Ralph Giordano gab, dessen ungewöhnlich helles Licht des Geistes dafür sorgte, dass Ratten flüchteten und sich kein Riss im Gemäuer verstecken konnte.

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