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Was ist ein Antisemit?

Published On: 21. März 2023 7:30

Der Begriff des Antisemitismus hat sich in den letzten Jahrzehnten auf eine sehr eigenartige Art und Weise verändert. Der Antisemit der 70iger unterscheidet sich doch eklatant von dem, der heute so bezeichnet wird.

Die Typen mit den Springerstiefeln, gegen die wir in meiner Jugend auf den Anti-Nazi-Demos in Frankfurt oder bei Rock-gegen-Rechts protestierten, haben wenig mit den heutigen Antisemiten gemein. So wird beispielsweise ein Dr. Daniele Ganser von den Medien in die antisemitische Ecke gerückt, ihm werden in Deutschland und Österreich Auftritte untersagt. Dr. Ganser ein Antisemit? Ein Erklärungsversuch.

Deutsche Antisemiten – die Bedrohung jüdischer Menschen in den 70iger und 80iger Jahren

In meiner Jugend war das Leben noch einfach. Antisemiten waren Neo-Nazis, die Mitglieder jüdischer Gemeinden oder Menschen mit jüdischen Wurzeln hassten, abwerteten oder bedrohten. Da hatte man in Deutschland (und auch Österreich) entsprechende historische Erfahrungen. Die sogenannte Entnazifizierung hat in beiden Ländern teilweise doch recht zu wünschen übrig gelassen.

Ich war zugegebenermaßen sehr dankbar, dass das Frankfurter Büro der Zionistischen Jugend Deutschlands, bei der ich einige Zeit im Rahmen der Kibbutzvermittlung tätig war, einen direkten Draht in Form eines roten Knopfes zum Polizeirevier um die Ecke hatte. Bedrohungen jüdischer Organisationen waren im Deutschland der 70iger und 80iger Jahre leider keine Seltenheit. Aufgrund des Wiedererstarkens der Neo-Nazis in dieser Zeit in Deutschland fühlte auch ich mich bedroht. Meinen David-Stern, den ich damals immer trug, verdeckte ich am Frankfurter Hauptbahnhof sicherheitshalber. Auch wenn ich mal in Langen war, zog ich einen Schal an, weil sich damals dort eine Hochburg von Springerstiefelträgern befand, mit denen ich keinen persönlichen Kontakt haben wollte. Wohl gefühlt habe ich mich dort nicht. Das waren Antisemiten, die ich fürchtete, die bei mir damals den Gedanken ausgelöst haben, Deutschland zu verlassen und nach Israel zu gehen. Deutschland war nicht mein Land.

Leider hat sich mir Israel damals bereits als Land präsentiert, dessen politische Werte ich nicht unbedingt teilen konnte. Eine Drei-Klassen-Gesellschaft – bestehend aus Askenasim, Sephardim und Arabern – war zu deutlich erkennbar. Eine andere Form des Rassismus, die mich damals entsetzte, weil ich sie im Land der Nazi-Opfer nicht vermutet hatte. Dann schon lieber den Antisemitismus in Europa ertragen – und nur „im Notfall“ auswandern.

Antisemitismus als Mittel der Propaganda – spätestens seit 2002 benannt

Dass der Begriff des Antisemitismus eine eigenartige Bedeutung annahm, wurde mir erst durch Shulamit Aloni deutlich.

Die inzwischen verstorbene frühere israelische Ministerin für Erziehungsfragen, Knesset-Abgeordneten, Chefin der Meretz-Partei und Menschenrechtsaktivistin  wurde 2002 von Democracy Now! durch die jüdisch-US-amerikanische Journalistin Amy Goodman interviewt. Auf deren Frage: „Häufig, wenn Widerspruch in den USA gegen die israelische Regierung geäußert wird, dann werden diese Leute hier antisemitisch genannt. Was ist Ihre Antwort darauf als eine israelische Jüdin?“, antwortete sie: „Nun, das ist ein Trick. Den wenden wir immer an, wenn jemand aus Europa Israel kritisiert, dann bringen wir den Holocaust hoch. Wenn Leute in diesem Land (USA) Israel kritisieren, dann sind sie antisemitisch.

Diese Vorgehensweise ist eine Propaganda-Methode, die in der PR verwendet wird und ideal zum „Framing“ dient. Auch mir wurde das aber erst irgendwann in den Jahren nach 2007 bewusst, als mir die eigenartige Diffamierung von Menschen als Antisemiten auffiel, die die Geschehnisse um den 11.9.2001 in Frage stellten. Ich erkannte erstmals, dass Kritik an Israel sehr schnell in eine Ecke gedrängt wurde, wo sie in meinen Augen nicht hingehörte. Dazu später mehr.

2011 machte Ken Jebsen in einem Mailaustausch mit Henryk M. Broder die Bemerkung: „wer den Holocaust als PR erfunden hat“ – eine zugegebenermaßen missverständliche und ungeschickte Formulierung. Damit war der beliebte Moderator des RBB, ein Antisemit – was zum späteren Framing der Friedensmahnwachen beitrug, zu deren bekanntesten Protagonisten er gehörte.

Dabei war er, wie man dem Buch von Mathias Broeckers entnehmen kann eher ein „Anti-Antisemit“, der Israel oft bereist und seine Verwandten dort besucht hat und mit 545 Folgen „RückblickKEN“ den ARD-Rekord im Warnen vor Faschismus und Holocaust hält.

Aber die eigenartige Verwendung des Begriffs Antisemitismus fand ich nicht nur im Umfeld vom 11.9.2001 oder im Rahmen der Israelkritik.

Kritik am Finanzsystem – struktureller Antisemitismus

Antisemit ist man, wenn man das Bankensystem kritisiert, da im Bankensystem viele Menschen mit jüdischen Wurzeln tätig sind, was eine nicht zu übersehende Tatsache darstellt. Dass das Ursachen hat, die in der Geschichte des Christentums liegen, wird dabei gerne übersehen.

In einem Spiegelartikel aus 2009 erfährt man: „Im späten 14. Jahrhundert war der Geldmarkt in Mitteleuropa hart umkämpft. Ein jüdisches Monopol gab es nicht, wenn auch israelitische Geldhändler nicht selten waren. Juden durften nach dem Talmud, ihrer religiösen Lehre, zwar nicht unter sich, wohl aber von Christen Zinsen nehmen. Das verschaffte ihnen eine Sonderstellung in der von der mächtigen katholischen Kirche geprägten mittelalterlichen Gesellschaft, in der Zins als Sünde galt und verboten war. Zudem war der Geldhandel eine der wenigen Berufsnischen, die den Juden überhaupt noch geblieben waren. Seit dem Ersten Kreuzzug von 1096 herrschte eine latente Pogromstimmung gegen sie. Schon länger waren sie aus den Zünften ausgeschlossen und schrittweise entrechtet worden. Es blieb die Finanzbranche – wofür sie dann auch noch stigmatisiert wurden.“

Vereinfacht gesagt: Aus diesem Geldmarkt entwickelten sich mit der Zeit Banken, die insbesondere von jenen betrieben wurden, die Erfahrung im Geldhandel hatten. Und es ist nun mal so: genauso wie der Bäcker seinem Bäckersohn die Bäckerei vererbt, gibt der Bankier seinem Bankierssohn die eigene Bank weiter. Ja. Selbst mein Urgroßvater war noch im Vorstand einer Bank. Wäre 33-45 nicht dazwischengekommen, wäre vielleicht auch ich heute noch im Bankwesen tätig.

So entstand die Konzentration, die bis heute weiterlebt. Kritik am Finanzsystem ist aber nicht Kritik an der jüdischen Religion oder Ethnie. Kritik am Finanzsystem mit der Geldschöpfung aus dem Nichts sowie der Zinseszins-Entwicklung, die zu einer Zerstörung jeden Wirtschaftssystems und der Verarmung der Menschen führt, die wir gerade erleben, ist eine Kritik an eben diesem System und seinen Auswirkungen.

Allerdings durfte ich als Aktivistin bei den Mahnwachen, wo das Finanzsystem ebenfalls thematisiert wurde, voller Überraschung erfahren, dass wir – lt. Jutta Ditfurth – strukturelle Antisemiten sind, die einfach nur Codes verwenden, um unseren Antisemitismus zu verbergen.

Die Menschen, die ich bei den Friedensmahnwachen persönlichen kennengelernt habe, hatten und haben mit diesen Codes aber in etwa ebem so viel zu tun, wie der durchschnittliche Autofahrer der Hansestadt Hamburg, sein Autokennzeichnen als heimlichen Gruß des ehemaligen deutschen Diktators verwendet.

Ja, vielleicht haben sich 2014 auch einzelne Rechtsextreme unter den Mahnwachen-Demonstranten befunden. Das „Problem“ hat sich aber mit Aufkommen der Demonstrationen durch PEGIDA ziemlich von allein erledigt, da deren politische Ausrichtung dem rechtsextremen Spektrum deutlich eher entsprachen als die friedenspolitisch orientierten Mahnwachen.

Israelkritik = Antisemitismus

Völlig „klar“ ist, jeder der Israel kritisiert, ist ein Antisemit. Diesem Thema habe ich bereits im Januar 2018 einen ausführlichen Artikel gewidmet, da die geänderte Gesetzgebung Deutschland mich Böses erahnen ließ:

Die Definition von „Antisemitismus“ wurde im September 2017 vom Bundeskabinett in Deutschland ergänzt, sodass bereits Kritik an Israel als Antisemitismus gedeutet und mit Haftstrafen geahndet werden kann. Laut FAZ gilt jetzt: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.

In Deutschland hat sich die Gleichsetzung der Begriffe Antisemitismus und Antizionismus bereits seit Jahren erfolgreich in den Massenmedien und damit in den Köpfen der Menschen etabliert. So las man 2008 beispielsweise: „Da nach dem Holocaust offener Antisemitismus kurzfristig nicht mehr opportun war, versteckt er sich heute hinter der Maske des Antizionismus.“ Und der Spiegel titelte im gleichen Jahr : „Gysi geißelt linken Antizionismus“ und berichtete über die „Kehrtwende bei den Linken: Fraktionschef Gysi stimmt neue Töne gegenüber Israel an. Statt einseitiger Bekenntnisse zum ‚Befreiungskampf des palästinensischen Volkes‘ fordert er jetzt in einer Rede ‚Solidarität mit Israel‘ – und warnt vor linkem Antizionismus.

Diese Haltung von Herrn Gysi und der deutschen Regierung wird – wie ich in diesem Artikel damals herausgearbeitet habe – von zahlreichen religiösen Juden und Menschen mit jüdischem Hintergrund weltweit nicht unbedingt geteilt.

Israel-Kritik kommt von einer mutigen Minderheit aus Israel, es gibt israelkritische Nachgeborene der Opfer im „Land der Täter“, Exilanten aus Israel, die es aus Entsetzen über die Situation im Land erneut in die Diaspora verschlagen hat und auch jüdische Israel-Kritik aus den USA. Es gibt diese jüdischen Kritiker zuhauf – nur in Deutschland und Österreich sind das dann eben Antisemiten. Wer sie kennen lernen möchte: viel Spaß beim Lesen, es kostet aber Zeit.

Die „antisemitische“ Szene der Corona-Maßnahmenkritiker

Die Kritik am Finanzsystem als antisemitisch zu bezeichnen, da jüdische Protagonisten im Finanzsystem eine führende Rolle spielen, lässt zumindest noch einen geringen möglichen Zusammenhang erkennen.

Ganz absurd wird es aber, wenn Kritik an Bill Gates als struktureller Antisemitismus bezeichnet wird. Bill Gates hat meines Wissens keine jüdischen Wurzeln. Aber da er zur gleichen Oligarchen-Clique in den USA gehört wie jüdische Bankiers, wird auch hier das Argumente des Antisemitismus gegen Menschen hervor gezogen, die es wagten, sich scharf gegen die Impfagenda eines Bill Gates zu äußern.

Wer Gates kritisiert, kritisiert die sogenannten „Eliten“. Zu diesen sogenannten „Eliten“ gehören überdurchschnittlich viele jüdische Menschen, also ist man ein Antisemit, wenn man Bill Gates und sein Wirtschaftsimperium – versteckt in einer angeblich wohltätigen Stiftung – kritisiert. Und damit war dann eigentlich die gesamte Szene der Corona-Maßnahmenkritiker und Gegner der von ihm forcierten Gentherapie erfolgreich als antisemitisch gebrandmarkt.

Als die Demonstrationen der Corona-Maßnahmenkritiker als antisemitisch bezeichnet wurden, konnte ich innerlich darüber nur grinsen. „Sie“ haben sich nichts neues einfallen lassen.

Viele, die 2020 erstmals auf der Straße gegangen sind, waren sehr betroffen. Clemens G. Arvay kam mit dieser derartigen medialen Hetze überhaupt nicht zurecht. Die Folgen sind bekannt.

Antisemitismus 2023

Telepolis titelte im März 2023: „Antisemitismus als Waffe: Frankfurt cancelt Konzert von Roger Waters“.  Und diese Waffe wird weiter fleißig gegen unliebsame Zeitgenossen wie eben Dr. Daniele Ganser eingesetzt.

So findet T-Online strukturellen Antisemitismus in seinen Interviews und begründet das wie folgt: Apropos Verschwörungstheorien: Glaubt man Daniele Ganser, so ist die Corona-Pandemie eine Krise, die von einer kleinen Gruppe sehr mächtiger Menschen erschaffen oder erfunden wurde, um die Gesellschaft zu töten, zu kontrollieren, unterwerfen und gefügig zu machen: mit Angst und einer Impfung etwa. Das sei nicht nur widersprüchlich – weil eine Gesellschaft nicht gleichzeitig getötet und gefügig gemacht werden kann –, sondern auch struktureller Antisemitismus, weil diese Erzählung das antisemitische Narrativ der “Neuen Weltordnung” bediene, schreibt beispielsweise der BR. Also die Erzählung einer jüdischen Weltverschwörung. 

Wenn die „Neue Weltordnung“ ein antisemitisches Narrativ und damit die Erzählung einer jüdischen Weltverschwörung bedient, stellt sich mir die Frage, ob die USA bzw. der frühere Präsident Georg Bush nicht ebenfalls üble Antisemiten sind bzw. waren. Der sicher nicht der Verschwörungstheorie verdächtigen Wikipedia kann man (Stand 20.3.2023) nämlich entnehmen:

Neue Weltordnung (englisch: new world order) ist ein politisches Schlagwort für Konzepte, international eine Friedens- und Rechtsordnung durch ein System der kollektiven Sicherheit zu etablieren. Der Begriff ist insbesondere in der Außenpolitik der Vereinigten Staaten des 20. Jahrhunderts eine wiederkehrende Redewendung. …

… Bush sprach am 11. September 1990 in einer Rede vor beiden Kammern des Kongresses von einer „neuen Weltordnung“ („new world order“), die nach dem Ende des Kalten Krieges notwendig und wünschenswert sei.

Allerdings kann sich die Wikipedia nicht mit sich selbst einigen. Neben dem o.g. Artikel unterscheidet sie zwischen der politischen Idee und der Verschwörungstheorie. „Dieser Artikel behandelt eine politische Idee. Für die Verschwörungstheorie siehe Neue Weltordnung (Verschwörungstheorie) gibt es eine eigene Seite.”

Eigentlich ganz praktisch, zwei Definitionen zu einem Begriff zu haben – die eine, um die Aussagen mainstream-konformer Politiker zu dokumentieren, die andere, um unangenehme Kritiker zu diskreditieren.

Die Waffe wird langsam stumpf

Was an Dr. Daniele Ganser antisemitisch sein soll, erschließt sich mir nicht. Ich habe nie von ihm eine Aussage gehört, die auch nur in irgendeiner Form abwertend gegenüber Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft war. Wobei. …

… Er kritisiert die USA, greift das Imperium an, stellt das Mainstream-Narrativ zu WTC 7 am 11.9.2001 in Frage, spricht über das Finanzsystem und war kein Befürworter der mRNA-Impfung oder gar eines Impfzwangs. Und jetzt erklärt er den Menschen auch noch die Rolle von USA und Nato beim Ukraine-Krieg, der ja ausschließlich und nur durch Russland verschuldet ist. Das macht ihn natürlich zu einem ganz besonders unangenehmen Antisemiten.

Am besten lässt sich der Begriff des Antisemiten wohl folgendermaßen zusammenfassen:

Jeder der dem System nicht gefällt, der das System lautstark und überzeugend kritisiert, ist ein Antisemit.

Weit sind wir gekommen in Deutschland und Österreich.

Bildquelle


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