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Der NSU-Komplex lebt

Published On: 4. April 2023 11:00

Der zweite Untersuchungsausschuss in Bayern zum NSU scheint wie aus der Zeit gefallen, dabei stößt er permanent auf bislang unbekannte Dinge der ungeklärten Mordserie, die das bisherige Narrativ vom Trio erschüttern könnten. Von Thomas Moser.

Eigentlich war der NSU-Skandal doch abgeschlossen. Die Urteile sind gesprochen, die Revisionen abgelehnt, Ermittlungen wurden eingestellt und die Geschichtsbücher warten auf die versteinerten Erzählungen der einstigen Terrortaten. Endlich Ende dieses unangenehmen Kapitels. Doch nun das: Reaktionen und Zuckungen, der Mordkomplex lebt.

Ende Oktober 2022 erschien der 42 Jahre alte Deutsch-Türke Serkan Y. im bayerischen Landtag. Geladen hatte ihn der NSU-Untersuchungsausschuss. Y. war am 23. Juni 1999 Opfer einer Sprengfalle in seiner Kneipe in Nürnberg geworden.

Der Zeugenauftritt dokumentierte gleich zweierlei: Serkan Y. wird in den Medien das „erste Opfer des NSU“ genannt. Das erste Opfer wird also als letztes bekannt. Tatsächlich ist der Bombenanschlag immer noch Gegenstand der Untersuchung, weil viele Unklarheiten existieren.

Die zweite Neuigkeit ist, dass es immer noch parlamentarische NSU-Untersuchungsausschüsse gibt. In Mecklenburg-Vorpommern läuft seit Januar 2022 der vierzehnte, in Bayern seit Juni 2022 der fünfzehnte. In der Öffentlichkeit ist das wenig bekannt.

In Bayern wurden fünf der zehn Morde verübt, die dem NSU zugeschrieben werden, ohne dass es dafür bisher eine Erklärung gibt. Während der aktuelle Ausschuss in Mecklenburg-Vorpommern nahtlos an Ausschuss No. 1, der bis 2021 lief, anschließt, erscheint der Ausschuss in Bayern, eingesetzt vier Jahre nach dem Ende des Strafprozesses und sogar neun Jahre nach seinem Vorgängerausschuss, wie aus der Zeit gefallen. Doch offensichtlich bewegt sich die Zeit mit.

Der bayerische U-Ausschuss No. 2 pflegt eine offene Fragestellung, die nicht wie selbstverständlich davon ausgeht, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die alleinigen und exklusiven Täter bei den knapp 30 Taten (Morde, Sprengstoffanschläge, Raubüberfälle) waren. Im Fall der Taschenlampenbombe von Nürnberg lautet die Fragestellung: „Wer hat den Anschlag begangen und von wem wurde die Tat vorbereitet?“ Das ist ein distanzierter Umgang mit dem bisherigen NSU-Narrativ. Der Fall, bei dem Serkan Y. zum Opfer wurde, könnte eine Art Schlüsselfall für den gesamten NSU-Terrorkomplex darstellen: Wer hat die Morde verübt, wer hat sie vorbereitet, wer hat davon gewusst?

Der Sprengfallen-Anschlag von Nürnberg ist im übrigen einer der Gründe für die Einrichtung des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses in Bayern. Die Tat kam erst 2013 im NSU-Prozess in München zur Sprache. Ob sie von Mundlos und Böhnhardt begangen wurde, ist bislang fraglicher denn je. Das aber heißt zugleich: Es muss im NSU-Komplex noch andere Täter geben, noch mehr. Und wenn das für die Tatstadt Nürnberg zutrifft, warum dann nicht auch für die anderen Tatstädte: München, Hamburg, Rostock, Dortmund, Kassel, Köln, Heilbronn? Das bedeutet schließlich: Wissen wir überhaupt, wer oder was der „NSU“, der „Nationalsozialistische Untergrund“, war?

Noch ehe U-Ausschuss No. 2 in München mit seiner Arbeit begonnen hatte, waren im Landeskriminalamt Daten in großem Stil gelöscht worden: 565.000 Daten, darunter 29.000 Personendaten – „versehentlich“, wie es hieß. Doch das Versehen wiederholte sich, die Verflüchtigung von Daten und Akten ging weiter: Bei der Staatsanwaltschaft wurden 20 Akten von Ermittlungs- und Strafverfahren vernichtet.

Dann wurde dem Landtagsgremium eine digitale Datei, die 200.000 Seiten (!) umfasste, vorenthalten, weil sie als „besonders geheimhaltungsbedürftig“ eingestuft ist. 565.000 Daten, 200.000 Seiten – Zahlen, die offensichtlich für eine Parallelwelt stehen, das Darknet des NSU.

Auffällig ist, dass darunter wiederholt Akten einer zentralen Figur waren: Kai Dalek, Führungskader in der rechtsextremen Szene und zugleich führender V-Mann des Verfassungsschutzes. Mindestens V-Mann, denn sein eigenes Verhalten, wie der behördliche Umgang mit ihm, legen nahe, dass Dalek so etwas wie ein „Hauptamtlicher“ war oder noch ist. Ein Einflussagent und kein ordinärer Spitzel. Ein Landtagsabgeordneter goss Daleks Tun einmal in folgenden Satz: „Er ist dafür bezahlt worden, über Vorgänge zu berichten, die es nicht gegeben hätte, wenn er nicht als V-Mann eingesetzt worden wäre.“ Die Person Dalek steht für die fundamentale Rolle, die die Sicherheitsstellen im NSU-Komplex gespielt haben müssen.

Dalek konnte bisher nicht vom U-Ausschuss vernommen werden. Im Gegensatz zu Tino Brandt, ebenfalls einmal führender Neonazi und zugleich V-Mann des Verfassungsschutzes in Thüringen, der eine ähnliche Rolle wie Dalek spielte. Seine Vernehmung durch den U-Ausschuss litt darunter, dass der Thüringer Verfassungsschutz die Akten zu Brandt nicht geliefert hat. Damit fehlte die entscheidende Befragungsgrundlage, die Befragung musste oberflächlich bleiben. Man sollte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass das Landesverfassungsschutzamt in Thüringen einem SPD-geführten Innenministerium untersteht, das wiederum zu einer Regierungskoalition gehört, die von einem Linkspartei-Ministerpräsidenten angeführt wird.

Ist es in Bayern noch eine CSU-Freie Wähler-Landesregierung, die die NSU-Aufklärung behindert, so handelt es sich im Nachbarbundesland um eine rot-rot-grüne Regierungsverbindung. Die fehlende Aufklärung ist offensichtlich also nicht nur eine Frage der Sicherheitsbehörden, die mauern, sondern vor allem der Politik, die diese Behörden machen lässt und sie deckt – ganz gleich, welche Parteien nun an der Macht sind.

Die Parteien haben es bisher geschafft, ihre eigene Rolle im NSU-Desaster zu verstecken. Vor allem, indem sie sich mit viel Rhetorik als Aufklärer und Bekämpfer von Rechtsterrorismus inszenieren. Viele Worte, die die wenigen Taten vernebeln.

Auch die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die oberste Strafverfolgungsbehörde des Staates, inszeniert sich in Sachen NSU als konsequente und fehlerlose Aufklärerin.

Konfrontiert man sie aber mit den vielen Widersprüchen und Ungereimtheiten, muss sie kapitulieren: „In den 14 Jahren NSU-Existenz gibt es viel mehr Lücken und blinde Flecken als das, was bekannt ist“, gestand Bundesanwalt Jochen Weingarten vor den Ausschussmitgliedern in München.

Dennoch, trotz blinder Flecken und während noch zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse laufen, immerhin hoheitliche Organe des Staates, hat die Bundesanwaltschaft (BAW) im Herbst 2022 Verfahren gegen fünf Verdächtige eingestellt und mit dem Schlussstrich unter den Skandal begonnen. Gegen vier Beschuldigte laufen die Ermittlungsverfahren formal noch.

Doch dann, ein paar Monate später im März 2023, setzte der Generalbundesanwalt die Ermittlungen auf einmal wieder fort und strafte sich damit in gewisser Weise selber Lügen. In seinem Auftrag vernahm das BKA einen Zeugen, den der bayerische U-Ausschuss zur Befragung geladen hatte, noch bevor er dort befragt werden konnte.

Bei diesen aktuellen NSU-Ermittlungen geht es darum, dass ein Mann aus Nürnberg wahrscheinlich jene Paulchen-Panther-Propaganda-DVD, die ein Video der NSU-Verbrechen enthielt, nach dem Auffliegen des Trios im November 2011 bei den Nürnberger Nachrichten in den Hausbriefkasten eingeworfen hat. Da die zwei Uwes tot waren und Beate Zschäpe in Haft war, könnte es sich also um einen Mittäter gehandelt haben. Sollte sich das bewahrheiten, konstatiert der Ausschussvorsitzende Toni Schuberl (Grüne), bekomme die Theorie vom NSU-Trio Risse.

All das, sowohl der Umgang der Ministerien mit dem Untersuchungsausschuss von Bayern als auch die Reaktionen der Ermittlungsbehörden auf dessen Arbeit, belegt jedenfalls, dass dieser Ausschuss ganz offensichtlich eben nicht aus der Zeit gefallen ist. Eher im Gegenteil: Die NSU-Vergangenheit reicht bis ins Jahr 2023 hinein.

Dazu gehört auch eine diskret begonnene Veränderung des amtlichen NSU-Narrativs. Keine geringere Behörde als das Bundeskriminalamt vertritt mittlerweile die Ansicht, dass Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 in ihrem Wohnmobil in Eisenach nicht etwa gemeinsam Selbstmord begangen haben, indem Mundlos zuerst Böhnhardt erschoss und dann sich selbst. Inzwischen lautet die amtliche Version des BKA, vorgetragen im Juli 2022 im bayerischen NSU-Ausschuss durch den Leitenden Kriminaldirektor Frank Heimann, so: Mundlos habe Böhnhardt aus Versehen erschossen und daraufhin sich selbst.

Das hieße nicht nur, dass Böhnhardt gegen seinen Willen getötet wurde, sondern lässt auch den angeblichen Selbstmord von Mundlos fraglich erscheinen. Tatsächlich ist durch diese BKA-Version attestiert, dass nicht geklärt ist, was an jenem Tag in dem Fahrzeug genau geschah. Streng genommen können BKA und BAW auch einen Mord an Böhnhardt und Mundlos nicht ausschließen. Spätestens dann stimmt vom NSU-Narrativ nichts mehr.

Stehen wir möglicherweise vor einem Narrativwechsel? Das ist eine der Fragen, mit der sich die Arbeit dieses U-Ausschusses allen Widrigkeiten zum Trotz zusammenfassen lässt. Ein Narrativwechsel auch hinsichtlich der Morde und ihrer Motive. In mehreren Fällen sind Kontakte zwischen den Opfern und der Neonaziszene bekannt. Handelte es sich vielleicht um Auftragsmorde innerhalb der Szene gegenüber Migranten?

Und dann stößt der Bayern-Ausschuss immer wieder auch auf Kurioses. So kam eine der NSU-DVD-Scheiben Ende November 2011 bei dem rechtsextremen Versandhandel Patria an. Nebenbei ein weiterer Beleg, dass noch andere Personen außer Zschäpe bei der Verbreitung des NSU-Tatenvideos ihre Finger im Spiel gehabt haben müssen. Bei der Befragung des ehemaligen Eigentümers von Patria, einem langjährigen NPD-Mitglied, kam heraus, dass er damals sein Geschäft dem Verfassungsschutz zum Kauf angeboten hatte. Das ist durch einen Vermerk in den Polizeiakten belegt, den bis dahin niemand kannte. Zumindest die Kundendatei mit 20.000 Namen wanderte im Verlauf der Geschichte zum Verfassungsschutz von Baden-Württemberg.

Ist diese enge Beziehung zwischen Nachrichtendienst und rechtsextremer Szene nur kurios oder vielleicht eher typisch? Jedenfalls ein Hintergrund, vor dem sich die NSU-Handlungen ereigneten.

Der NSU-Ausschuss von Bayern hatte nur ein Jahr Zeit und die ist so gut wie vorbei. Im Juli endet die Legislatur, im Herbst wird neu gewählt.

Titelbild: Mehaniq/shutterstock.com

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