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Moskaus Atomraketen in Belarus

Published On: 4. April 2023 6:33

Putins Ankündigung, taktische Atomwaffen in Belarus zu stationieren, ist in der westlichen Öffentlichkeit aufmerksam registriert worden. Zwar hat US-Präsident Biden diesen Schritt als „gefährlich“ eingestuft, und Polen sieht darin gar eine Bedrohung für den Frieden in Europa. Auffällig ist jedoch, dass insgesamt die Ankündigung westlicherseits abwiegelnd und mit auffallender Gelassenheit kommentiert wurde. Dies liegt nicht nur daran, dass diese Entwicklung schon im letzten Jahr im Raum stand und daher erwartet wurde. Von vielen westlichen Politikern wird in der Ankündigung Putins lediglich ein erneuter russischer Einschüchterungsversuch gesehen, um westliche Staaten zu verängstigen und von weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine abzuhalten.

Mag deshalb ein Herunterspielen durch westliche Politiker als taktisch motiviert eingeordnet werden, so ist doch entscheidend, ob die angekündigte Atomwaffenstationierung tatsächlich die militärische Lage verändert. Dies ist im wesentlichen zu verneinen. Nicht nur verfügt Russland über strategische Atomwaffen großer Reichweite, mit denen jeder Punkt der Erde ins Visier genommen werden könnte. Und selbst wenn Russland einen taktischen Atomsprengkopf mit geringerer Sprengkraft aus einem nicht zu weit von der Ukraine entfernten Ort einsetzen wollte, so könnte es das jetzt schon.

So böte sich beispielsweise die Nutzung der Luftwaffenbasis Engels an, die nur circa 600 Kilometer von der ukrainischen Ostgrenze entfernt ist; die relative Nähe hat die Ukraine auch bereits für Drohnenangriffe auf die Basis genutzt. Russische Bomber könnten aus dem nur etwa 35 Kilometer südlich von Engels gelegenen Atomwaffenlager Saratow 63 mit taktischen Atomwaffen bestückt werden. Aber auch an anderen Orten nahe seinen Grenzen zu europäischen Staaten hat Russland Atomsprengköpfe und Trägermittel stationiert; das gilt beispielsweise auch für die russische Exklave Kaliningrad.

Was sagt China dazu?  

Durch seine Ankündigung ändert Putin jedoch die seit langem von Russland vertretene Ansicht, dass die nukleare Teilhabe der Nato nicht mit dem Atomwaffensperrvertrag vereinbar sei. Jetzt will er selbst ein System schaffen, mit dem in Belarus gelagerte russische Atomwaffen durch belarussische Kampfflugzeuge oder in Belarus dislozierte Iskander-Raketen eingesetzt werden. Er erachtet dies jetzt in Anlehnung an das Nato-Beispiel als vertragskonform, da Russland weiterhin die strikte Kontrolle über die in Belarus gelagerten Atomsprengköpfe und deren Einsatz wahrt.

Diese Positionsänderung wie auch die an den Haaren herbeigezogene Begründung mit der damit in keinerlei Zusammenhang zu bringenden britischen Erklärung, panzerbrechende Munition mit abgereichertem Uran an die Ukraine liefern zu wollen, mag man als Ausweis russischer Verzweiflung interpretieren.

Politisch ungleich bedeutsamer ist, dass Putin sich mit seiner Ankündigung von einer wenige Tage zuvor beim Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Russland vereinbarten Erklärung absetzt, derzufolge alle Atomwaffenstaaten aufgerufen werden, „auf die Stationierung von Atomwaffen im Ausland zu verzichten und dort stationierte Atomwaffen abzuziehen“. Diese Erklärung mag sich in erster Linie gegen die nukleare Teilhabe der Nato richten, im Rahmen derer auch in Deutschland Atomwaffen gelagert werden. Dennoch dürfte in China schon übel aufstoßen, dass Putin so kurz nach deren Abschluss gegen die gemeinsame Forderung selbst in so offensichtlicher Weise verstößt.

Allerdings ist es verfehlt, darin ein grundlegendes Zerwürfnis zwischen China und Russland zu sehen oder gar einen Bruch zwischen beiden zu konstruieren. Beide verbinden als autokratische Gegenspieler der USA in der sich zuspitzenden, künftig die internationale Ordnung zunehmend beherrschenden Großmächterivalität fundamentale Interessen, die durch einen Dissens in einer Detailfrage nicht ausgehebelt werden.

Zwar mag Russland im Verhältnis zu China auf die Rolle eines Juniorpartners reduziert sein; dies war eines der Leitmotive in der Bewertung des jüngsten Besuchs von Xi in Moskau. Aber der jetzt offenbar werdende Dissens macht deutlich, dass Putin sich das Heft des Handelns nicht völlig aus der Hand nehmen lassen will. Dies legt nahe, dass die Annahme verfehlt ist, China könnte den Einsatz von russischen Atomwaffen letztlich verhindern, da es ihn ablehne.

Steigt jetzt die Gefahr eines Atomkriegs?

Das Risiko einer nuklearen Eskalation im Ukrainekrieg bleibt bestehen. Dies festzustellen, hat nichts mit Ängstlichkeit oder Appeasement zu tun. Im Gegenteil: Dies ins Kalkül einzubeziehen, ist nur realpolitisch folgerichtig; und richtigerweise war und ist dies eine zentrale Leitlinie der USA und anderer Nato-Staaten für Art und Auflagen der Waffenlieferungen an die Ukraine. Davon jetzt abzuweichen, wäre falsch.

Zwar glauben viele auch in Washington, jetzt die sogenannten „roten Linien“ des Kreml besser zu kennen und das nukleare Eskalationsrisiko besser beurteilen zu können. Es ist zu hoffen, dass dies kein Trugschluss ist. In jedem Fall sollte zu denken geben, mit welcher Konsequenz Putin bisher auch einen hohen Blutzoll der russischen Streitkräfte in Kauf zu nehmen bereit ist. Letztlich ist er es, der über das Ob und den Zeitpunkt eines Atomwaffeneinsatzes entscheidet.

Viele Analysten schätzen einen russischen Atomwaffeneinsatz zum jetzigen Zeitpunkt als sehr unwahrscheinlich ein. Putin scheint sich in der Tat auf einen langen, verlustreichen Abnutzungskrieg und möglicherweise auf einen Regierungswechsel in Washington und einen damit verbundenen Einbruch der militärischen Unterstützung der Ukraine einzustellen. Dennoch ist ein Atomwaffeneinsatz im Fall einer drohenden katastrophalen Niederlage der russischen Streitkräfte keinesfalls auszuschließen.

Unkluge Politik des Westens

Daher bleiben Umsicht und die zielgerichtete Auslotung diplomatischer Anstrengungen zur Beendigung des Kriegs zentrale Aufgaben. Schon gar nicht sollte sich Deutschland von Staaten des „neuen Europa“ (Rumsfeld) wie Polen auf ein alleiniges Setzen auf die militärische Karte einlassen. Besonders unverantwortlich, aber auch bezeichnend ist es, wenn beispielsweise der polnische Botschafter in Paris vor etwa zwei Wochen die Auffassung zum Besten gab, dass, sofern die Ukraine den Krieg verliere, der Westen gezwungen sei, in den Krieg einzutreten.

Politische Klugheit verlangt, nicht jeden Eskalationsschritt Putins ostentativ mit einem eigenen Eskalationsschritt zu beantworten. Es verwundert, dass Polen nicht schon als Reaktion auf Putins Ankündigung seine bereits im April letzten Jahres geäußerte Bereitschaft zur Aufnahme von Atomwaffen wiederholt bzw. die Einbeziehung in die nukleare Teilhabe geradezu gefordert hat. Dabei stünde es der Nato gut zu Gesicht, nicht weiter das russische Narrativ zu bedienen, dass der Ukrainekrieg in Wahrheit ein Krieg nicht allein mit der Ukraine, sondern mit der gesamten Nato sei. Deshalb sollte die Nato zumindest in der Öffentlichkeit ihre Bereitschaft unterstreichen, die im 2+4-Vertrag von 1990 und in der Nato-Russland-Grundakte von 1997 eingegangenen Verpflichtungen zum Verzicht auf die Dislozierung von Atomwaffen in den neuen Bundesländern wie in den Nato-Beitrittsstaaten zu honorieren. Von dieser Haltung öffentlich abzugehen, wäre ein unter den obwaltenden Umständen sicherheitspolitisch unkluger Eskalationsschritt.

Ohnehin scheint die Nato das für eine umsichtige und effektive Außen- und Sicherheitspolitik geltende Motto „Speak softly, but carry a big stick“ kaum zu beherzigen. Dies gilt für beide Teile dieses Mottos. Einerseits sind öffentliche markig-militante Erklärungen und Maßnahmen vorherrschend. So hinterlassen beispielsweise der vom Internationalen Strafgerichtshof gegen Putin erlassene Haftbefehl und die nachdrücklich erklärte Unterstützung dafür vielleicht das wohlige Gefühl, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen, selbst wenn dies keinerlei unmittelbare Konsequenz zeitigen wird.

Gleichzeitig wird dabei jedoch übersehen, dass damit ein neuer Eskalationsschritt vorliegt, der eine politische Lösung nur noch weiter erschwert und hinauszögert. Es ist schon überraschend, wie wenig harter realpolitischer Diplomatie hinter verschlossenen Türen jenseits öffentlich-plakativer Positionierungen zugetraut wird.

Andererseits tun wir aber auch zu wenig, um unserer politischen Position mit einem „dicken Knüppel“ Nachdruck zu verleihen. Die seit 1967 bis heute gültige Doppelstrategie der Nato (Harmel-Bericht) geht richtigerweise davon aus, dass eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit die Voraussetzung für Dialog und Entspannung ist. Es ist schon skandalös, dass das kurz nach Kriegsbeginn verabschiedete Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro noch keine Wirkungen entfaltet hat.

Zudem – auch das ist jetzt schon überdeutlich – reicht der Betrag nicht, um die bestehenden Ausrüstungs- und Fähigkeitsdefizite der Streitkräfte zu beseitigen. Schnelles und effektives Handeln ist überfällig. Dies betrifft auch die Wiedereinführung von Wehr- und Dienstpflicht; diese aus Kosten- oder Praktikabilitätsgründen abzulehnen, ist nicht sachgerecht.

Selbst wenn es andere unabwendbare Aufgaben des Staates gibt, die gerade jetzt zur Wahrung des Zusammenhalts unserer Gesellschaft, der Einstellung auf den Klimawandel und der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft politische Aufmerksamkeit und nicht unbeträchtliche Ressourcen erfordern: Der Wahrung der äußeren Sicherheit muss als einer vordringlichen Staatsaufgabe die erforderliche Priorität zugemessen werden. Ohne dies kann auch die von der Bundesregierung reklamierte sicherheitspolitische Führungsrolle nicht wahrgenommen werden.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in Cicero online erschienen. Wir danken dem Autor für die Erlaubnis, den Text auch auf KARENINA zu veröffentlichen.

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