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Parlamentsjuristen hinterfragen bisherige Pressearbeit der Bundesregierung und deren Berufung auf die Bundespressekonferenz

Published On: 6. April 2023 11:00

Der Bundestag hat diese Woche ein Gutachten mit dem Titel „Zur Pressearbeit von staatlichen Stellen – Erteilung von Informationen mit der Auflage, nicht als Informationsquelle benannt zu werden“ veröffentlicht. In diesem Gutachten stellen die Fachjuristen des Wissenschaftlichen Dienstes klar, dass die bisherige Informationspraxis der Bundesregierung unter Berufung auf die Satzung des privaten Vereins Bundespressekonferenz e.V. (BPK) keine gültige Rechtsgrundlage darstellt. Die Satzung der BPK erlaubt es, dass Regierungsvertreter Journalisten Informationen zur Verfügung stellen können, ohne darin als Quelle benannt zu werden („zur Verwertung ohne Quelle“). Exemplarisch zeigt sich Relevanz und Brisanz des Gutachtens angesichts der Instrumentalisierung bundesdeutscher Medien durch staatliche Stellen hinsichtlich der Berichterstattung zum Terroranschlag auf Nord Stream. Von Florian Warweg.

Einleitend scheibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages (WD), dass er um eine Einschätzung gebeten worden sei, „ob im Rahmen der Pressearbeit Behörden oder sonstige staatliche Stellen Pressevertretern Informationen zur Veröffentlichung mit der Auflage zur Verfügung stellen dürfen, gegenüber der Öffentlichkeit nicht als Informationsquelle benannt zu werden“.

„Kanzleramt und Ministerien als Undercover-Quellen für Medien“

Die Parlamentsjuristen erörtern dann die derzeit existierenden „Kategorien der Pressearbeit“ und verweisen dabei als Referenz interessanterweise ausschließlich auf die Satzung der Bundespressekonferenz, einem privatrechtlich organisierten Verein, der aber in Deutschland über das De-facto-Monopol zur Ausrichtung von Regierungspressekonferenzen verfügt. Dort heißt es unter Paragraf 16:

„(1) Die Mitteilungen auf den Pressekonferenzen erfolgen: unter 1. zu beliebiger Verwendung oder unter 2. zur Verwertung ohne Quelle und ohne Nennung des Auskunftsgebenden oder unter 3. vertraulich

(2) Die Auskunftsgebenden können erklären, wie ihre Mitteilungen behandelt werden sollen. Die Mitglieder des Vereins und die Teilnehmer der Konferenz sind an diese Erklärung über die Verwertung dieser Mitteilungen gebunden. Wird keine Erklärung abgegeben, so gilt das Material als beliebig verwendbar. Eine Verletzung dieser Regeln über die Verwertung der Mitteilungen kann den Ausschluss aus dem Verein oder die Rücknahme der Zulassung als Ständiger Gast zur Folge haben.“

Darauf aufbauend führt der WD weiter aus:

„Informationen der zweiten Kategorie dürfen zwar weiter verwendet werden, aber nur unter der zu Beginn erläuterten Bedingung, dass die Informationsquelle nicht benannt werden darf. Insofern ist jedenfalls in der BPK-Satzung vorgesehen, die Erteilung von Staatsinformationen und die Erlaubnis der Veröffentlichung von der Bedingung abhängig zu machen, nicht als Informationsquelle benannt zu werden.“

Dies führt in Konsequenz dazu, wie selbst der Tagesspiegel in einem Beitrag zu dem WD-Gutachten schreibt, „dass sich Kanzleramt und Ministerien als Undercover-Quellen für Medien betätigen“. Für das Publikum, so die weitere Argumentation, sei in Folge oft nicht erkennbar, ob Informationen in Medienberichten aus staatlichen Quellen stammen oder nicht.

„Bedrohung der Pressefreiheit“

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (DIE LINKE), die das Gutachten in Auftrag gegeben hatte, sieht darin eine direkte Bedrohung der Pressefreiheit. Gegenüber den NachDenkSeiten erklärt sie unter Verweis auf den Umgang mit den Recherchen des Investigativreporters Seymour Hersh:

„Die Streuung anonymer Informationen aus den Regierungs- oder Sicherheitskreisen über handverlesene Journalisten, die auch noch durch Behörden belohnt werden, ist eine Bedrohung der Pressefreiheit. Das Lancieren politisch gewünschter Gegenerzählungen von Geheimdiensten etwa nach den Enthüllungen des US-Investigativreporters Seymour Hersh zur Verantwortung der USA für die Terroranschläge auf Nord Stream ist lehrbuchhaft, wie Medien gezielt instrumentalisiert werden.“

Die Parlamentsjuristen verweisen im weiteren Verlauf des Sachstandes auf das, wie sie es nennen „rechtswissenschaftliche Schrifttum“ zum Thema, insbesondere die Fachveröffentlichungen des Hamburger Rechtswissenschaftlers Tobias Mast. Dort würde argumentiert, „dass verdeckte oder verschleierte staatliche Informationstätigkeit unter dem Deckmantel privater Akteure unzulässig und verboten sei“. Weiter heißt es dazu in dem Gutachten:

„Aufgrund des Grundsatzes der Kommunikatorklarheit müsse die staatliche Informationsquelle stets offengelegt werden und als solche transparent sein.“

Begründet wird dieser Ansatz mit dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip aus Artikel 20 des Grundgesetzes (GG) sowie der Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG. Bürger könnten sich gegen Akte der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG, einschließlich staatliches Informationshandeln, nur wehren und entsprechend effektiven Rechtsschutz geltend machen, wenn sie sich über den staatlichen Ursprung im Klaren seien.

Zum anderen folge ein Verbot verdeckter Informationstätigkeit, so die weitere Argumentation, „aus den objektiven Vorgaben der Meinungsfreiheit und des demokratischen Meinungsbildungsprozesses nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Ohne Offenlegung der staatlichen Informationsquelle könnten sich Bürger in den exemplarisch beschriebenen Konstellationen nicht mehr das zur Meinungsbildung notwendige Bild machen“.

Für die Bundesregierung stellt diese Art der „verdeckten Informationstätigkeit“ nach eigener Aussage jedoch kein Problem dar. So erklärt Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf eine entsprechende Anfrage im März 2023:

„Die Bundesregierung achtet die grundrechtlich garantierte Presse- und Rundfunkfreiheit gleichermaßen wie die verfassungsrechtlichen Grundsätze und Schranken der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. (…) Auch individuelle Kommunikationsformen wie vertrauliche Hintergrundgespräche sind von der Befugnis zur behördlichen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit umfasst und unterliegen als Form der Informationsbeschaffung für Journalistinnen und Journalisten zudem dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Diese von der Rechtsprechung anerkannte, allgemeine journalistische Praxis sieht z.B. auch die Bundespressekonferenz e.V. für ihre Pressekonferenzen vor (vgl. § 16 Abs. 1 Satzung der Bundespressekonferenz e.V.).“

Doch genau diese Berufung auf die Satzung des privatrechtlich organisierten Vereins „Bundespressekonferenz e.V.“ durch Regierungsstellen stellt der Wissenschaftliche Dienst in seinem Gutachten infrage. Es handle sich bei der Satzungsvorschrift der BPK „nicht um verbindliches Recht, auf das sich staatliche Stellen berufen dürften“, so die Parlamentsjuristen in ihrem Fazit.

Auch der Verweis der Bundesregierung auf Artikel 5 des GG als angeblich rechtliche Grundlage ihrer Informationspolitik ohne Quellennennung wird von den Parlamentsjuristen nicht gelten gelassen. Auch hier ist das Fazit des WD in dieser Hinsicht eindeutig:

„Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich staatliche Stellen auf Informanten- oder Geheimhaltungsschutz nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen können. Auf Grundrechte können sich lediglich Grundrechtsträger berufen, zu denen staatliche Stellen nicht gehören.“

Diese bisherige Praxis wird auch von der Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, Dagdelen, scharf kritisiert. Von der Bundesregierung und nachgeordneten Behörden ausgegebene Informationen müssten überprüfbar sein, so ihre Forderung, sonst leiste „ein quasi regierungsamtliches Unterschlagen der Quelle einer gezielten Verbreitung von Fake-News Vorschub.“

Abschließend fordert Sie im Gespräch mit den NachDenkSeiten eine Wiederbesinnung der Medien auf ihre Aufgabe als „vierte Gewalt“ und mehr Distanz zu Informationen von Regierungsstellen:

„Wenn die Presse als vierte Gewalt Regierungshandeln wirklich kontrollieren will, darf sie sich in Hintergrundgesprächen nicht einlullen und zur fünften Kolonne machen lassen. Es muss wieder ins Bewusstsein gehoben werden, dass Journalismus die Ausübung staatlicher Macht mit kontrollieren sollte statt sich mit einem Verlautbarungsjournalismus zu Lautsprechern von Informationsstrategien der Regierung degradieren zu lassen.”

Titelbild: Screenshot vom Dokument „Sachstand – Zur Pressearbeit von staatlichen Stellen“

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