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Journalismus hinter Gittern

Published On: 3. Mai 2023 6:30

Journalismus – genauer – Journalisten hinter Gittern sind nicht nur am 3.5., dem Tag der Pressefreiheit, ein No-Go. Dass so etwas nicht passiert, sollte für alle Medien unabhängig davon, ob Mainstream- oder Alternativmedium, ein klares Ziel sein. Dass das aber nicht immer der Fall ist, wird nicht nur bei Julian Assange überdeutlich.

Thomas Röper berichtete am 28.4.2023 darüber, inwieweit Medien aktuell mit zweierlei Maß messen. Die Inhaftierung des US-Journalist Evan Gershkovich, der nach russischen Angaben auf frischer Tat bei der Spionage ertappt wurde, erzeugte eine enormes Medienecho in den westlichen Medien. Weniger lautstark, respektive kaum vorhanden, war die Reaktion in Bezug auf die Inhaftierung von Tatjana Andrijets in Lettland, Marat Kasem ebenfalls in Lettland oder Pablo González, einem spanischen Journalisten, der Ende Februar 2022 in Polen wegen angeblicher Spionage verhaftet wurde – wie man im Antispiegel nachlesen kann.

Auch ist mir nicht bekannt, dass in westlichen Medien jemals auf das Schicksal kritischer Journalisten in der Ukraine hingewiesen worden ist. Über deren Situation berichtete Thomas Röper unter dem Titel „Ukraine: Journalisten werden erschossen oder verschwinden, Opposition wurde verboten“ bereits am 24.4.2022.

Aber sei‘s drum.

In Zeiten des Krieges wird gehobelt und entsprechend fallen Späne. Das darf man nicht so eng sehen.

ZYNISMUS ENDE!

Dass dieses Zweierlei-Maßmessen aber nichts Neues ist, zeigen die Fälle von Deniz Yücel und Billy Six. 2017/2018 rief die Inhaftierung von Deniz Yücel einen Aufstand von Medien und Politik hervor. Weniger mediale Unterstützung fand man beim Fall von Billy Six, der 2018/2019 in Venezuela inhaftiert war. Und noch viel schlimmer: nicht nur, dass die Mainstream-Medien keine lautstarke Unterstützung für Billy Six waren, auch die Bundesrepublik Deutschland kam ihrer Verpflichtung gegenüber einem Bundesbürger in Haft kaum nach. Ein erstmaliger Besuch des in Caracas inhaftierten Journalisten fand erst 56 Tage nach seiner Verhaftung statt.

Wer ist Billy Six?

Wer erst seit Corona auf Mainstream Medien verzichtet, dem ist Billy Six vermutlich noch nicht begegnet. Man könnte ihn als Hasardeur im Journalismus bezeichnen. Man könnte aber auch sagen, er ist ein Journalist, der seinen Beruf sehr, sehr, ernst nimmt.

In seinem Buch „Marsch ins Ungewisse: Gefangen im Syrien-Krieg“ kann man die Geschichte seiner ersten politischen Gefangennahme 2012 / 13 während des Syrienkriegs nachlesen. Dem Fall MH17 – dem Flugzeug-Abschuss in der Ukraine im Juli 2014 – hat er einen Film gewidmet.

Zu Beginn der Corona-Pandemie berichte er aus einem Krankenhaus, wo er keine Überfüllung fand, die in den Medien so dramatisch hochgespielt wurde. Er dokumentierte auch die Lage in Weißrussland, einem der wenigen Länder, in denen es keine Corona-Maßnahmen – aber trotzdem keine Leichenberge auf der Straße – gab. Er war 2022 in der Westukraine – und berichtete von dort über die Stimmungslage. Obwohl er in meinen Augen neutral – wenn überhaupt, dann russlandkritisch – berichtet hat, brachte ihm das einen Platz auf der Todesliste der Ukraine Myrotvorets ein.

Billy Six war während der andauernden Unruhen seit 2017 in Venezuela, um sich vor Ort ein eigenes Bild zu machen. Dort wurde er von der Regierung verhaftet und kam nur dank der Unterstützung seitens verschiedener freier Medien, der Initiative seiner Eltern, der AFD und des russischen Außenministers Sergej Lavrovs wieder frei.

jFoto: Bei Rückkehr am Flughafen Berlin-Tegel am 19. März 2019

Ich sprach mit diesem mutigen Journalisten, den ich seit Jahren verfolge – auch wenn mir zugegebenermaßen seine Arbeit bei der Jungen Freiheit nicht besonders zusagt. Sein unerschrockenes Vorgehen imponiert mir aber enorm. Anlass für unserer Gespräch war die anstehende Klage gegen den deutschen Staat aufgrund der unterlassenen Hilfeleistung im Rahmen seiner Verhaftung in Venezuela, die am 16. Mai 2023 erstmals vor Gericht verhandelt wird.

Was hast Du Dir von Deiner Reise nach Venezuela versprochen?

Ich bin Journalist, recherchiere vor Ort und tippe nicht einfach ab, was DPA, Reuters oder Bloomberg verbreiten wollen. Ich wollte die Auswirkungen der Wirtschaftskatastrophe verstehen, die Hintergründe kennenlernen, warum das Land in der Situation ist, über die berichtet wurde. Ich wollte auch wissen, ob das, was wir hören, überhaupt stimmt.

Es ist wichtig, immer viel Zeit in einem Land zu verbringen, um eine umfassende Sicht auf die Situation zu bekommen. Wenn man sich vor Ort informiert, ist das unbedingt notwendig. Die gut bezahlten Kollegen von der Systempresse sind viel zu schnell unterwegs – zwei Tage im Hotel, ein kurzer Dreh und schon wieder im Flieger nach Hause. So ist ein authentischer Eindruck nicht möglich. Ist man aber so lang dort wie ich, zieht man zusehends die Aufmerksamkeit auf sich – und das kann dann schon mal schief gehen. Ich war – kurze Unterbrechungen in Kolumbien und Argentinien eingerechnet – von Juni 2017 bis zu meiner Haftentlassung im März 2019 dort.

Aufgrund Deiner Zeit in Haft verklagst Du jetzt die Bundesrepublik Deutschland – warum?

Meine viermonatige Haftzeit hätte deutlich verkürzt werden können. Die Bundesrepublik Deutschland ist verpflichtet, Staatsbürgern in Not zu helfen und die Pressefreiheit zu schützen, zumindest muss sie versuchen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun. Dass sie das kann, hat sie mehrfach gezeigt. Mir fallen verschiedene Fälle von Journalisten in Not ein, bei denen offizielle deutsche Behörden tätig wurden: Iran, Weißrussland, Russland, Türkei – und dabei handelte es sich nicht mal immer um deutsche Staatsbürger.

In meinem Fall gab es aber keinen Protest gegen die willkürliche Inhaftierung und keine Forderung nach Freilassung. Es wurde auch nichts zur Verbesserung der Haftbedingungen getan – abgesehen von privaten Hilfsleistungen einiger Diplomaten, so wie zum Beispiel die Bananen-Tüte nach drei Monaten.

Hinzu kommt, dass während meiner Haft acht andere Kollegen aus Kolumbien, Chile, Spanien, Frankreich und den USA innerhalb von Stunden aus der Haft befreit werden konnten. Venezuela ist einem diplomatischen Protest unter Verweis auf die Wahrung der Pressefreiheit bislang immer nachgekommen.

Die politischen Entscheidungsträger haben jedoch dafür gesorgt, dass sich meine Haft verlängert hat: Sie forderten offiziell einen Prozess zur Klärung der Vorwürfe, während Venezuela gleichzeitig die Rechtsstaatlichkeit durch den damaligen Außenminister Heiko Maas abgesprochen wurde. Und dann wollten sie noch nicht mal einen Anwalt vermitteln.

Was heißt denn das?

Die Gefängnisleitung hat sich den Standpunkt gestellt, dass die Botschaft sich um einen Anwalt kümmern werde – und wir dann in einem Prozess die Sache verhandeln könnten. Die Botschaft tat aber nichts. Der Botschafter und die Chefin der Rechtsabteilung sagten mir sogar ins Gesicht, dass sich keiner trauen würde, mich zu vertreten – und man nur warten und hoffen könne. Inzwischen haben wir aus den Akten erfahren, dass sich eine französische Anwaltskanzlei für Menschenrechte damals bei den deutschen Behörden gemeldet hat, die mich sogar pro bono vertreten wollte. Das haben die BRD-Offiziellen gegenüber meiner Familie und mir aber einfach geheim gehalten. Es war ein rein politischer Fall, der politisch gelöst werden musste und wurde.

Wie kannst Du das behaupten?

Als der russische Außenminister dank des AFD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron von meinem Fall direkt erfuhr, war ich innerhalb von 48 Stunden draußen. Hätte sich die BRD genauso bei der Regierung Venezuelas eingesetzt, hätte ich nicht vier Monate unter schwierigen Bedingungen in der Haft verbringen müssen.

Wie kam es zur Unterstützung durch den russischen Außenminister?

Der AFD-Abgeordnete ist verheiratet mit Stepanka Bystronova, die den russischen Botschafter in Wien aus früherer beruflicher Tätigkeit persönlich kannte. Der Rest war Zufall, denn in jenen Tagen, als sie ihn anfragte, war ohnehin eine Reise von Außenminister Lavrov nach Wien geplant – anlässlich der UN-Drogenkonferenz. Auch der Außenminister Venezuelas sollte kommen und kam auch. Als beide sich dann bilateral am 14. März 2019 trafen, wurde mein Fall auf Initiative von Botschafter Ljubinski angesprochen – und ich wurde entlassen. Dazu gibt es auch eine offizielle Mitteilung des russischen Außenministeriums, die man bei der TASS nachlesen kann. https://tass.com/politics/1050997 – Dank gab es seitens der Bundesrepublik dafür keinen. Im Gegenteil: Sie leugnen eine russländische Beteiligung bis heute – und deshalb tun sich gerade die deutschen Medien auch so schwer, über den Fall korrekt zu berichten.

Was hat man Dir eigentlich vorgeworfen?

Es waren fünf Punkte: Spionage, Rebellion, Verletzung von Sicherheitszonen, Terrorismus und Vaterlandsverrat. Das waren einfach alles Anklagepunkte, die man nennen konnte – um dann zu schauen, was irgendwie juristisch haltbar wäre. Alles Quatsch natürlich. Ich stand ja sogar als Zivilist vor einem Militärgericht, da ich vom Militärgeheimdienst festgenommen worden war. Unsere Diplomaten wussten, dass das rechtlich nicht zulässig war, ich war – wenn überhaupt – nach venezolanischem Recht ein Fall für die Zivilgerichtsbarkeit. Aber die BRD hat dann auch noch gesagt, dass man sich für “ein faires und rechtsstaatliches Verfahren” einsetzen würde. Sie haben also meinen Prozess für rechtmäßig erklärt, obwohl der offizielle Standpunkt der Bundesregierung damals war, dass Venezuela keine legitime Regierung und keine Rechtsstaatlichkeit habe. Zeitgleich setzten sie sich deshalb intensiv für meinen Zellen-Nachbarn ein, einen Venezolaner.

Wie bitte? Für Dich als Deutschen gab es seitens der deutschen Behörden keine Unterstützung aber für einen Venezolaner schon?

Ja. Die Bundesregierung hat mindestens zwei Mal öffentlich und offiziell gegen die Inhaftierung des Abgeordneten Juan Requesens protestiert, der wegen Beteiligung am Drohnenbomben-Anschlag vom 4. August 2018 angeklagt ist.

In der aktuellen Verwaltungsstreit-Akte sind viele Dokumente, die das Zusammenwirken von Botschaft und Requesens belegen, geschwärzt. Die Geschäftsträgerin der Botschaft hat mir den regelmäßigen Kontakt bestätigt – Requensens selbst hat mir erzählt, dass Angela Merkel seiner Schwester gegenüber Unterstützung zugesagt habe.

Was erwartest Du Dir von dieser Klage?

Es geht mir zunächst darum, dass festgestellt wird, dass das Verhalten rechtswidrig war. Auch das Auswärtige Amt muss sich an Regeln halten. Sie scheinen sich ihrer Position nicht sicher zu sein, denn sie lassen sich nicht von ihren eigenen Hausjuristen vertreten, sondern haben die internationa(e Kanzlei “Redeker Sellner Dahs Rechtsanwälte PartGmbB” damit beauftragt, die sich happig vergüten lässt. Der Steuerzahler zahlt also extra – unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. Argumentiert wird mit der sogenannten Einschätzungsprärogative (Wikipedia: Als Einschätzungsprärogative wird das Vorrecht des Gesetzgebers bezeichnet, über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer bestimmten gesetzlichen Regelung zur Erreichung eines legitimen Ziels letztverbindlich zu entscheiden. https://de.wikipedia.org/wiki/Einsch%C3%A4tzungspr%C3%A4rogative)

Damit sei das Auswärtige Amt die einzige Instanz, die aufgrund des komplexen Sachverhaltes kompetent entscheiden könne und das Gericht sei gar nicht zuständig. Mein Anwalt fragt ganz konkret, warum man in meinem Fall so vorgegangen sei, warum Menschen unterschiedlich behandelt wurden und werden. Am 16.5. erfahren wir vor Gericht, ob die Richter willens sind zu verhandeln oder ob die Justiz dem Auswärtigen Amt recht gibt. Es wäre ein Hammer, wenn ein derartig beliebiges Verhalten zur Staatsräson erklärt würde.

Wer unterstützt Dich, so etwas will ja auch finanziert werden?

Der Anwalt wird von Medien gesponsert. Trotz aller anderslautenden Gerüchte: Weder die Russen noch die CIA, Illuminaten oder irgendeine Partei stecken dahinter.

Du warst zuletzt westlich der Kontaktlinie (Frontlinie) in der Ukraine tätig und hast auch sehr kritisch über den russischen Einmarsch und seine Folgen berichtet Als Folge bist Du auf der Todesliste der Ukraine gelandet. Hast Du eine Idee warum?

Da ich 2014/15 über MH17 berichtet habe, haben sich einige Hardliner über Twitter aufgeregt. Für die bin ich Spion für Putin. Man müsse mich aufgreifen. Das wurde mir dann zu brenzlig und ich bin über die Karpaten ausgereist. Dort waren die Kontrollen noch nicht intensiv.

Bei Myrotvorets kann man u.a. über mich lesen, ich sei ein Provokateur, der mit russischen Spezialdiensten zusammenarbeitet. Beschuldigt werde ich der „Teilnahme an Informations- und Propagandaaktivitäten Russlands (Aggressorland und Terrorist). Teilnahme an Akten der humanitären Aggression gegen die Ukraine. Vorsätzliche Verletzung der Staatsgrenze der Ukraine. Zusammenarbeit mit terroristischen Organisationen “l / dnr”.

Hast Du vor, nochmals in die Ukraine zu fahren? Wieder in den Osten?

Ja – unbedingt! Aber ich muss noch vorsichtiger sein. Ich werde es auf beiden Seiten probieren – als nächstes aber auf der russischen Seite. Ich möchte aber auch über die Grenze dann in den Westen gehen, möchte wissen, ob die mich noch reinlassen. Ich habe die ukrainische Botschaft angeschrieben und meinen Fall geschildert. Bis jetzt gab es aber keine Reaktion.

Warum lässt Du Dich immer auf solche halsbrecherischen Aktionen ein?

Das ist nicht halsbrecherisch, ich bin recht vorsichtig. Ich bin nur länger vor Ort als andere. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, ist dann natürlich höher. Viele fahren an die Front – machen Bilder und ziehen sich wieder zurück. Die meisten haben Glück. Als ich von westlicher Seite direkt an die Front gefahren bin, habe ich das nur an Regentagen gemacht. Da die russischen Drohnen technisch nicht in der Lage sind, während des Regens zu operieren, ist das dann deutlich sicherer, sich dort zu bewegen. Das ist eben meine Arbeit als freischaffender Journalist – ich traue niemandem, will mich von allem vor Ort überzeugen.

Was steht als Nächstes auf dem Programm?

Das weiß ich nicht so genau – ich habe X verschiedene Sachen im Kopf, das entscheidet sich spontan. Jetzt steht aber erst einmal der Gerichtstermin an. Der ist übrigens öffentlich.

Wann und wohin können Interessierte kommen?

Am 16. Mai 2023 um 11:00 Uhr zum Verwaltungsgericht Berlin, in der Kirchstraße 7 in 10557 Berlin. Je mehr Zuschauer, desto besser. Schließlich geht es ja um ein ganz grundsätzliches Verfahren, das für deutsche Staatsbürger auf Reisen von großen Interesse sein sollte.

Dann drücke ich Dir und uns die Daumen, dass es hier zu einer Entscheidung im Sinne von uns Menschen und insbesondere Journalisten kommt. Vielen Dank für Dein Engagement.

Bildquelle Beitragsbild

Sonstige Bilder: Aus dem Archiv von Billy Six


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