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Bekenntnisse eines Depressiven

Published On: 27. Oktober 2021 14:52

Ein Kommentar von Dirk C. Fleck.

Ich war zwei Menschen ins südliche Österreich gefolgt, um einen Roman zu schreiben, den ich schon lange in mir trage. Ich wollte eine Literaturgattung wiederbeleben, die eigentlich schon ausgestorben ist: den Sittenroman. Der Sittenroman macht den Geschmack einer Epoche spürbar, indem er seine Protagonisten durch das Minenfeld gesellschaftlicher Umstände führt. Madame Bovary von Gustave Flaubert war einer, Émile Zolas Nana oder Theodor Fontanes Effi Briest ebenfalls. Der letzte war wohl Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil.

Das klassische Grundprinzip eines so genannten Sittenromans ist die Offenlegung der jeweiligen gesellschaftlichen Sozialmechanismen anhand der persönlichen intellektuellen und sexuellen Emanzipation eines Individuums. Oft bleiben die sozialen Werte auf der Strecke, um so der Gesellschaft ihren anprangernden Spiegel vorzuhalten.“ – (Wikipedia).

Die Protagonisten meines noch ungeschriebenen Romans befinden sich in einer Dreiecksbeziehung und erkämpfen sich inmitten unserer pornografischen Epoche mit all ihren Unwägbarkeiten den Weg ins Glück. Es ist die Geschichte einer Erlösung, die allein durch die höchste Form der Liebe, der totalen Hingabe, erreicht werden kann. Wenn ich von einer pornografischen Epoche spreche, so fasse ich den Begriff natürlich weiter, als das, was allgemein unter ihm verstanden wird. Für mich ist unsere Epoche durch und durch versifft, also pornografisch. Die Politik ist es, die Wirtschaft sowieso, das gesamte System, das uns zu Bewohnern eines anderen Planeten machen will, ist durch und durch schmutzig, dirty eben.

Im Burgenland wurde ich nun Zeuge, wie das Dreier-Experiment krachend scheiterte. Unsere Li(äh)son wurde von uns in Hamburg erkämpft, gewollt und mit den Girlanden schönster Versprechungen behangen. Das alles ereignete sich im See der Sinnlichkeit. Bis ich im Alltag ertränkt und erwürgt wurde. Ich werde niemals mehr die Höhen erklimmen können, auf denen ich mit diesen Menschen so traumwandlerisch sicher herum jonglieren konnte. Ich war nahe davor, meinen Frieden zu finden und fühle mich nun wie ein Vertriebener in nasser Kleidung auf dem Weg in die Hölle. Ich habe das Licht gesehen und werde wieder in den dunklen deutschen Alltag verbannt. Bei dem Gedanken schnürt es mir die Kehle zu.

Ich bin ein Hungernder geworden, ich leide unter einem entsetzlichen Mangelzustand des ganzen Wesens, das von nichts anderem als von quälender Leere erfüllt ist. Von dem Flehen, dass, wo nichts war, etwas sein möge. Dieses Fieber, dieses Elend, das mich wach hielt, dieses Gefühl, dass mir nun zeitlebens etwas vorenthalten wird, macht mich krank. Ich suche nach der Wahrheit hinter den Dingen und stehe stets mit leeren Händen da.“ Das schrieb Amélie Nothomb in ihrem beeindruckendem Buch Biographie des Hungers. Auch ich komme mir vor wie ein Kieselstein, der bei Erdarbeiten von einem Schaufelbagger vor sich hergeschoben wird, nutz- und orientierungslos.

In einem der zahlreichen Bücher, die ich in letzter Zeit konsumiert habe, las ich, dass Langeweile die einzige Form der Ewigkeit ist, die wir Sterbliche erleben können. Der Satz wirkt zunächst befremdlich, ist aber erstaunlich wahr. Ich erlebe das jeden Tag. Seit meiner Rückkehr aus dem Burgenland versuche ich fortzuführen, was ich dort gegen meinen Liebesschmerz im wahrsten Sinne des Wortes täglich ins Feld geführt hatte: lange, manchmal stundenlange Spaziergänge, auf denen ich die Wunden zu kühlen versuche. Ich ertrinke in Selbstmitleid und kann nichts dagegen tun. Alles, was ich um mich herum wahrnehme, scheint mir sattsam bekannt zu sein. Jedes Ereignis, jede Geste, jeder Ton – alles wie gehabt, alles nur kurze vergängliche Schaumspritzer auf dem Meer der Stille. Was ich zur Zeit wohl dringend brauche ist so etwas wie ein Seelensekretariat, das mir alle Anrufe von draußen vom Hals hält.

Da fällt mir ein Text von Peter Handke ein, in dem er die „ersten Male“ in einer poetischen Rührung besang, die selbst das Allerbanalste auflädt, wenn es nur eine neue Erfahrung, ein neuer Anfang ist. Irgendwann,“ schrieb er, „habe ich beschlossen, dass alles fremd ist und alles neu ist und alles unentdeckt. Und das hilft mir auf die Sprünge. Es ist noch nichts erzählt. Doch, ist es, nur noch nicht von jedem, wie Karl Valentin sagen würde. Und nicht in allen Facetten, das ist wohl war. Aber will man daran teilnehmen? Dazu bedarf es einer Unbeschwertheit, über die ich zur Zeit nicht verfüge. Also schlage ich wieder einmal bei Prentice Mulford (1834 – 1891) nach, diesem großartigen US-amerikanischen Schriftsteller und Philosophen, der alleine in einem Segelboot treibend vor Long Island tot aufgefunden wurde:

Alle wilden Geschöpfe haben in ihren natürlichen Lebensbedingungen eine Art Seligkeit, denn sie sind wahre Ausdrucksformen des großen Unbekannten, das wir in Ermangelung eines besseren Wortes das unendliche Bewusstsein nennen wollen. In der wahnsinnigen, jubelnden Ekstase des Liebesschreis, mit der der große Vogel einsam in der Morgendämmerung über die Tannen hin nach einer Unbekannten ruft, ist seines Lebens Schönheit, Wahrheit und Glück, wie es gleichermaßen der unvergleichliche Sprung für die Wildkatze ist, mit dem sie, ein Dämon der Anmut, ihm den Jubelruf in der Kehle durchbeißt. Wo aber ist diese Wahrheit und Anmut, wenn der Mensch sein Geselchtes mit Bier hinunter schwemmt? Dann nähert sich sein Ausdruck in ganz verdächtigem Maße dem Geschöpf, in das er den starken, mutigen Eber verzüchtet verschweinzt hat (), denn das Schwein ist Menschenwerk und zeigt so recht, was aus einer Wahrheitwird, die er in seine Finger bekommt. Die ebenmäßige, starkbeschwingte, sich selbst erhaltende Wildgans ist eine Wahrheit: ist einer der Ausdrücke des unendlichen Bewusstseins. Die watschelnde, hilflose, flügellahme, leberkranke, geschoppte Gans ist das, was von einer Wahrheit übrig bleibt, wenn der Mensch dazukommt.

Ich weiß, dieser Artikel ist so düster wie meine momentane Verfassung. Lassen Sie sich nur nicht anstecken, obwohl es heute genügend Gründe gibt, auch ohne Liebesschmerz in tiefste Depressionen zu verfallen. Falls Sie das nicht wollen, lassen Sie sich impfen. Dann nimmt man Sie wieder auf in dieser schrecklichen Solidargemeinschaft.

Ich hör jetzt auf, ist besser so ….

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Artikels.

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Bildquelle: irnburch / Shutterstock

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