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Ganz linke Leute von rechts | Von Roberto de Lapuente

Published On: 2. November 2021 12:38

Die größte Gefahr für unsere Zukunft, darüber sind wir uns hoffentlich mittlerweile im Klaren, sind nicht irgendwelche Rechte – es sind die Jünger der Wokeness, die jeden Diskurs zerstören und als Sprach- und Boykott-SS auflaufen.

Ein Kommentar von Roberto de Lapuente.

Jasmina Kuhnke war keine besonders prominente Autorin oder Bloggerin in Deutschland. Bis die Buchmesse sie zu einer machte. Aber nicht, indem sie dort recht wortgewandt auffiel, nein, ganz im Gegenteil: Weil sie nicht dort war, die Buchmesse boykottierte. Grund dafür war, dass auch rechte Verlage auf der Messe Stände haben durften. Für sie, die sie sonst aus rechten Kreisen Drohungen bekomme, sei das nicht zumutbar. Die dunkelhäutige Frau, die so Sachen twittert wie “privilegierte weiße Deutsche sollten sterilisiert werden, um die Umwelt zu schonen”, stand auf diese Weise für fünfzehn Minuten im Mittelpunkt jenes fadenscheinigen Ruhmes, den unser Medienbetrieb zuweilen abwirft. Sie wurde dabei fast hymnisch von etlichen Mitstreitern verteidigt – und die Buchmesse, die sachlich und nüchtern darlegte, dass es zur Kultur des Dialogs und der Meinungsfreiheit gehöre, auch die zu ertragen, deren Ansichten man nicht teilt, stand freilich am Pranger.

Man könnte nun natürlich empathisch auf Frau Kuhnke zugehen, Verständnis für ihre Situation haben. Mal großzügig an dem Umstand vorbeisehen, dass jene rechten Verlage sicher nicht die waren, die ihr irgendwann vorher mal Drohungen zukommen ließen. Man könnte rücksichtsvoll mit ihr umgehen, ihr einen Safe Space zugestehen. Die Frage wäre dann aber: Warum eigentlich? Woken Leuten wie ihr geht es doch so oder so nicht um Dialog. Sie hat ihren Boykott doch auch nicht gestartet, um ihre verletzte Seele darzulegen. Solche Aktionen sollen ja was bewirken, sollen Druck ausüben, die Buchmesse im nächsten Jahr zur Duckmäuserei anhalten. Da ist nichts Verletzliches in solchen Kampagnen – es geht um Druck, Manipulation und um ein Ringen um Deutungshoheit mit den dreckigsten Mitteln, die man sich denken kann: Mit der Selbstinszenierung als Opfer.

Rechte haben doch keine Deutungshoheit …

Wie, ich spreche einer dunkelhäutigen Frau in Deutschland die Opferrolle ab? Ja, das tue ich. Wie kann ich das wagen? Ganz einfach: Ich habe genug von diesem Opfer-Abo, das man allerorten vorgesetzt bekommt. Jeder ist nur noch Opfer irgendwelcher Umstände. Manche sind es doppelt oder dreifach. Weil sie Frau, homosexuell und anders aussehend sind etwa. Sie erzählen aber auch dauernd, ja ohne Unterlass, dass sie total anders als die andern sind. Und sie sprechen anderen ab, dass sie für sie sprechen können, weil sie ja nicht im gleichen Boot sitzen; weil sie weiß sind, heterosexuell sind und nicht wissen wie es ist als Schwuler oder Schwarzer. In endlosen Exegesen erläutern sie die Dinge, die sie von der Allgemeinheit trennen. Diversität wird gefeiert, Gleichheiten abgelehnt. Aber bitte, wir haben alle gleich zu sein, erklären sie paradoxerweise. Wie geht das eigentlich zusammen, wenn man dauernd darum bemüht ist, Unterschiede hervorzuheben?

Menschen als Opfer zu sehen, lehne ich mittlerweile völlig ab. Denn das ist eine “Opferfalle” – so nannte der italienische Literaturwissenschaftler Daniele Giglioli dieses Phänomen in seiner Kampfschrift von 2015. Darin thematisiert er die in heutiger Zeit verbreitete Lust, sich als Opfer zu sehen, was aber gleichzeitig eine politische Suche nach der Zukunft erschwert oder sogar ersetzt. Das Gefühl der Viktimisierung suggeriert eine Ohnmacht, die es eigentlich abzustellen gilt, sofern man als Subjekt der Geschichte gestalterisch werden möchte. Die Opferfalle macht wehrlos, wo politisch um Mitbestimmung und Veränderung gekämpft werden sollte.

Giglioli hat die Zeichen der Zeit erkannt, aber falsch eingeschätzt. Die Opferfalle macht nicht etwa stumm: Sie erpresst den Diskurs, engt die Meinungsfreiheit ein und skandalisiert in einem fort, um auf diese Weise unliebsame Debattenbeiträge a priori zu diskreditieren. All das wirft man aber den Rechten vor, wer immer das dann sein mag – AfD oder rechte Verlage, unbequeme Blogger oder skeptische Bürger? Dabei haben die schon lange die Deutungshoheit verloren. Ihre Positionen haben überhaupt keine Chance auf Kenntnisnahme. Was bei dem vielen Unsinn, den sie erzählen, sicher kein Verlust ist – aber sie haben ja nicht nur Quatsch im Sortiment, sondern treffen hier und da auch mal richtige Töne, bilden ab, was die Menschen bewegt, wie sie die Welt und die Gesellschaft sehen. Doch mittlerweile sind wir so weit, AfD und Konsorten könnten behaupten, dass heute der Himmel grau ist und jene Kreise würden wider besseren Wissens Zweifel anmelden.

… aber vermeintlich links sind alle

Die woken Vorturner würden nicht einfach das Gegenteil behaupten, sie würden lang und breit Textanalyse betreiben und Silbe für Silbe dekonstruieren, um danach zu beweisen: Nein, der Himmel ist nicht grau, er ist eigentlich hellblau, es sei nur eine Frage der richtigen Haltung, die man seiner eigenen Wahrnehmung bitte endlich zumuten sollte. Und je kurioser die Begründung, je abgefahrener das Urteil, desto mehr Aufmerksamkeit schenkt man einem solchen Giganten der Realitätsverdrehung. Wenn er das auch noch mit dem Brustton von Selbstvorwürfen und Selbstkasteiung fertigbringt, ist ihm ein Platz im Olymp des völlig abgehobenen Feuilletons sicher, wird er als neuer Stern am Firmament der Philosophie gefeiert. Dass seine Hirngrütze keinem Realitätscheck standhält, er nur Micky-Maus-Argumente anführt, kümmert dabei keinen aus dem Medien- und Politikbetrieb. Ganz im Gegenteil, der woke Kapitalismus ist einfach zu praktisch, um alle sozialen Nöte zu bedecken.

In den Vereinigten Staaten haben das die Eliten längst kapiert. Und seit Jahren drängen sie dieses Modell auch ihren “Freunden” auf. In Deutschland ist das Modell der Wokeness besonders erfolgreich, weil sie hier auf eine besonders artverwandte Weltanschauung stößt, die den normalen Wokeness-Wahnsinn aus Übersee blendend ergänzt: Nämlich auf die Weltsicht der Antideutschen. Das behauptet jedenfalls die Autorin Eva C. Schweitzer sehr beredt und argumentativ reichhaltig in ihrem aktuellen Buch. Die deutschen Woker adaptieren einfach die amerikanischen Verhältnisse und tun so, als sei bei uns alles ganz genauso. Dabei sei es für einen Schwarzen in den USA ungleich schwieriger als in der Bundesrepublik. Schweitzer, die selbst in den Staaten lebt, erklärt, dass das recht amerikanische Phänomen der Wokeness von den Antideutschen nur zu gerne aufgegriffen wurde, weil es das verspricht, was sie antreibt: Selbsthass und die Abneigung gegen dieses Deutschland, das sie gerne verrecken sehen würden.

Und sie docken hierzulande auch überall an, wie Judith Sevinç Basad unlängst in ihrem Buch »Schäm dich! Wie Ideologinnen und Ideologen bestimmen, was gut und böse ist« darlegte. Antideutsche Thesen, Rassismus gegen Weiße und Deutsche etwa, werden in diesem Lande nicht nur geduldet, sondern an vielen Stellen sogar staatlich subventioniert und gefördert. Das alles verkauft man den Bürgern dann als fortschrittlichen Antirassismus, der aber mit strikten manichäischen Versatzstücken arbeitet und einen kruden bis esoterisch eingefärbten Schuldkomplex nährt.

Wir woken uns zu Tode

Die Antideutschen sind in dieser Beziehung den amerikanischen Neocons recht nahe. Auch sie speisen ihr Weltbild aus einem Gut-Böse-Schema, das ein bisschen wie vom Christentum abgekupfert scheint. Dass die Antideutschen und die Neocons sich so gut ergänzen, gemeinsam die bellizistischen Stützen der Atlantikbrücke sind, ist damit gar kein Zufall, erklärt Schweitzer in dem bereits vorher erwähnten Buch. Die Antideutschen sind dabei so urdeutsch, wie man sich das nur gerade vorstellen kann. Denn sie treiben die woke Ideologie auf die Spitze, frei nach Brecht: “Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen übertreiben.” Für sie ist es eine Manie, ein Projekt, dem sie sich mit Haut und Haaren verschrieben haben – sie wollen die Gesellschaft vom Grunde auf umkrempeln, jeden falschen Gedanken, der in den Köpfen der Menschen irrlichtert, verbannen und verbieten. Drunter machen sie es nicht.

Entspannt sein, Fünfe gerade sein lassen, mal wegsehen, nicht überbewerten, auch mal lächeln und Humor zeigen: Das ist diesen Leuten absolut nicht möglich. Sie wirken dabei wie das Stereotyp des preußischen Beamten, für den Dienst Dienst und Schnaps Schnaps ist. Wobei sie sicher keinen Schnaps trinken, da könnten sie ja außer Kontrolle geraten und mal kurz die Contenance verlieren. In ihrer Weltwahrnehmung gibt es nichts zu lachen, keine Leichtigkeit – jeder Satz muss zerlegt, geprüft und eingeordnet werden; Menschen kommen darin nur als Ideologiemaschinen vor, als Roboter politischer Korrektheit. Humor ist ein Frevel, daher ist auch jede Ausrede, dieser oder jener von der Öffentlichkeit kritisierte Tweet sei nur Spaß, nur Satire gewesen, total unglaubhaft: Solche Leute lachen nicht. Nie! Sie erwachen jeden Tag nur dafür, das Gute in die Welt zu bringen, etablieren aber mehr und mehr ganz böse Umstände. Sie diskreditieren, diffamieren und vorverurteilen, betreiben einen als Antirassismus verbrämten Rassismus, kanzeln ältere Generationen ab und nehmen eine Opferrolle ein, die ihnen der Täter namens alter weißer Mann angeheftet haben soll.

Die Woken haben sich dabei eine auf Erpressung basierende Deutungshoheit erschlichen, die sich einen progressiven Anstrich gibt, aber degressive Folgen zeitigt. Wenn man jemand fürchten muss, dann diese Fanatiker, die drauf und dran sind, Gesellschaft zu einem sehr ungemütlichen Ort der Überwachung, Kontrolle und Bekenntnisschule auswachsen zu lassen. Sie sind totalitär, übergriffig und menschenverachtend, während sie so tun, als seien sie die Opfer. Von den Lebens- und Arbeitsumständen der Menschen haben sie keinen blassen Schimmer – aber darum geht es ihnen auch nicht. In ihrer Welt sind alle Weißen begünstigt – auch der Penner am Hauptbahnhof. In so einer Haltung schlummert widerlichster Sozialdarwinismus und Elitarismus. Nein, wirklich nicht, mit solchen Leuten hat man kein Mitleid, da wiederhole ich mich: Als Demokrat bekämpft man sie.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 02. November 2021 bei neulandrebellen.de

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Bildquelle: Drazen Zigic / shutterstock

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