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Die bagatellisierte Diskriminierung | Von Roberto J. De Lapuente

Published On: 15. November 2021 11:27

Es gibt keinen Grund, weswegen man sich für seine Nicht-Impfung rechtfertigen müsste — es doch zu verlangen, ist übergriffig.

Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

Ein Kommentar von Roberto J. De Lapuente.

Diskriminierung ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Semantisch wurde dieser Begriff ausgehöhlt und durcheinandergewirbelt. Bedurfte es früher noch handfester, klar messbarer Merkmale, anhand derer man eine reale Diskriminierung ausmachen konnte, reicht heute zuweilen schlicht das Gefühl aus. Häufig ist das vage Gefühl der Benachteiligung bei der schillernden Gruppierung der „Woken“ anzutreffen. Niemand ist noch davor gefeit, über halsbrecherische Argumentationsketten als Täter ausgewiesen zu werden oder als Relikt aus einer rassistisch-kolonialistischen Zeit. Ob der „Täter“ diese Diskriminierung überhaupt beabsichtigte, gilt als irrelevant. Ganz im Gegensatz zu dieser verbreiteten Praxis müssen sich dieser Tage nun Menschen, die wirklich diskriminiert werden, anhören, sie sollten sich nicht so anstellen. Dass man aufgrund von Entscheidungen, die man eigenverantwortlich für seinen eigenen Körper getroffen hat, von weiten Teilen der Gesellschaft ausgeschlossen wird, gilt vielen nicht als Diskriminierung. Häufig kommt diese Bagatellisierung der himmelschreienden 3G/2G-Segregation ausgerechnet von denen, die sich schon wegen eines falschen Blickes oder Wortes als geschundene Opfer inszenieren und die Twitter-Tweets heiß laufen lassen. Eine beängstigende Entwicklung nimmt ihren Lauf, die selbst Hartgesottenen ein mulmiges Bauchgefühl bereitet.

Neulich bei einem meiner Quartalstermine beim Facharzt. „Sind Sie geimpft, Herr De Lapuente?“, wollte der Mediziner von mir wissen. Ich verneinte. „Warum nicht?“, bohrte er nach. „Ich möchte das Thema nicht vertiefen, vielen Dank.“ Neuer Versuch: „Warum nicht?“ Ich wiederholte stur: „Ich möchte das Thema nicht vertiefen, vielen Dank.“ Er klimperte auf der Tastatur, stierte in den Bildschirm. „Beim letzten Mal sagten Sie, Sie würden zunächst die Priorisierung abwarten, damit Sie mit Ihrer Lebensgefährtin zusammen geimpft werden können.“ Das schien er abzulesen, er hat sich offenbar sehr genaue Notizen gemacht. Eine solche Genauigkeit gemachter Aussagen kommt eher bei der Polizei als im Gesundheitswesen vor.

Ich blieb bei meiner Aussage: „Ich möchte das Thema nicht vertiefen, vielen Dank.“ Dieses sture Wiederholen habe ich von manchem Sportfunktionär gelernt, der auf jede Frage gleich mit „Kein Kommentar!“ retourniert. Er gab es auf. Aber zurück blieb ein komisches Gefühl, eine Anklage im Raum, Bedrängung irgendwie. Das war übergriffig. Ein Mediziner kann mir eine Impfung anraten, argumentativ und sachlich — wenn ich das will. Aber mich löchern, meine Motive hinterfragen: Das geht zu weit.

Eingebildete Diskriminierung

Das habe ich als zu persönlich empfunden, fühlte sich geradewegs zudringlich an. Und damit auf eine peinliche Art und Weise auch entwürdigend. Ich bin doch keinem Rechenschaft schuldig. Schon gar nicht einem Arzt, der mich aus anderen Gründen behandelt. Und dass er so genau Protokoll über meine Aussagen verfasst zu haben schien: Ich glaubte mich auf einer Anklagebank, ohne einen konkreten Anklagepunkt beschuldigt.

Einige Tage später wartete ich an der Haltestelle auf die nächste Tram. Ich stand abseits, ohne Maske, las ein Buch. Maskenpflicht herrschte eh nicht. Nach einer Weile merkte ich, dass mich jemand anstarrte, jemand mit FFP2-Maske. Nach einigen Sekunden erkannte ich ihn: Es war er, der genannte Mediziner. Ich grüßte, er aber wandte den Blick ab und stieg in die eben vorfahrende Straßenbahn ein. Diese morgendliche Begegnung war unheimlich, auch irgendwie irrational. Warum stierte er mich so an? Ich dachte noch eine Weile darüber nach, was den Mann wohl antrieb. Ist er mir persönlich gegenüber beleidigt? Sauer? Hält er mich für einen Parasiten?

Ist es das, fühlt sich so Diskriminierung an? Klar, er hat nicht mit dem Finger auf mich gezeigt, niemanden aufgehetzt. Mich nicht beschimpft.

Aber diese Blicke, diese genaue Nachfrage: Das hat in mir ein flaues Gefühl ausgelöst. Ein Gefühl, als Mensch, als autonomes, Entscheidungen treffendes Wesen nicht akzeptiert zu sein. Jemand, den man nicht da haben will.

Ich unterstelle ihm das alles nicht, ich interpretiere es so. Vielleicht tue ich dem Mann ja auch Unrecht. Aber dieses gesamte Gesellschaftsklima macht es mir ja nicht gerade leichter, gelassener damit umzugehen.

Ich werde den Facharzt nicht fragen, wenn ich demnächst mal wieder vorstellig werden muss. Denn wenn meine Vermutungen doch nicht falsch sind, möchte ich seine Ausführungen gar nicht hören, sie würden die Interaktion belasten. Und wie der Arzt meines Vertrauens meine Entscheidungen nüchtern zur Kenntnis nehmen sollte, bin auch ich zur Nüchternheit gegenüber den Vorstellungen meines Arztes verpflichtet. Ich will keine politischen Debatten führen mit ihm. Unter Umständen würde er mir ohnehin sagen, dass ich nicht diskriminiert werde, es mir nur einbilde. Keiner muss sich impfen lassen, muss dann aber auch bitte mit der Kritik und Ausgrenzung leben. Und mein Empfinden: Ist das nur eingebildete Diskriminierung?

Gefühle, die gelten — und solche, die keine Geltung haben

Möglich. Aber sind es nicht unsere Freunde der Wokeness, die genau diese Gefühlsduseligkeit für sich in Anspruch nehmen und damit auf Verständnis stoßen? Vieles von dem, was sie bewegt, ist ja auch Teil einer gefühlten Wirklichkeit. Nehmen wir doch nur mal die Stimmen, die bei #metoo zu vernehmen waren. Ein Großteil der Meldungen ging nach dem Prinzip: „Ich war einkaufen, da hat mich ein Mann angegafft.“ Mehr passierte nicht. Schon alleine das reichte aus, um behaupten zu dürfen, dass auch hier ein Vorfall von Sexismus stattfand.

Wenn man das nun kritisiert hat, war man schnell der gefühlskalte alte weiße Mann von nebenan. Denn allein dass sich eine Frau so fühlen muss, auch wenn gar nichts weiter passiert ist, zeigt doch schon an, dass der Sexismus tief verankert ist in unserer Kultur. Beim Rassismus läuft das ganz ähnlich ab. Wir diskutieren allen Ernstes, ob der Mohrenkopf ein rassistisch bezeichnetes Schaumgebäck ist und — ganz aktuell — dass Toast Hawaii und Pizza Hawaii kulturelle Aneignungen sind, die die Gefühle von Menschen aus anderen Kulturen verletzen können.

In diesen Fällen lassen wir alleine das Gefühl gelten, sind wir kulant genug, auch nur die gefühlten Realitäten als zumindest diskussionswürdig zu erachten. Wollen wir „Safe Spaces“ einrichten.

Wenn aber der Ungeimpfte dergleichen anmerkt, heißt es lapidar, er solle sich nicht so anstellen; zwei Pikse — dieses infantile Wort hört man jetzt ständig und überall —, und man kann sich der Einschränkungen entledigen. Daher sei die Diskriminierung gar keine Diskriminierung.

Sagen Sie mal einer übersensiblen Frau, die im Supermarkt kurz von einem Mann angeguckt wurde, sie soll sich nicht so anstellen. Da kriegen Sie aber was zu hören, erklärt man Sie zum Sexistenversteher.

Der Punkt ist aber aus meiner Perspektive: Sie kann in den Supermarkt. In meiner Situation sieht es so aus, dass ich täglich fürchten muss, auch die Grundversorgung nicht mehr aufrechterhalten zu können. Mit Kino und Theater, mit Restaurant und manchem Geschäft habe ich bereits abgeschlossen. Ich wäre als Getesteter in solchen Läden wahrscheinlich der sicherste Gast, würde aber die abstandslose Heimeligkeit diverser 2G-Veranstaltungen gar nicht sprengen wollen, denn wo Superspreader unter sich sind, muss man sich ja nicht hineindrängen.

Die Angst eines ansonsten eher angstlosen Menschen

Aber einige Bereiche gibt es wohl, die mir Tag für Tag Sorgen bereiten, weil ich nicht weiß, ob ich dort noch lange geduldet werde. Eben der Supermarkt oder der Nahverkehr. Ja, der Arbeitsplatz. Selbst Ärzte wenden G-Modelle an, obwohl sie es so nicht dürfen. Aber wen kümmert denn in diesem Chaos noch, was man darf und was nicht? Auf Rechtssicherheit sollte man wirklich nicht mehr viel geben. Das Recht sitzt ohnehin lieber im Kanzleramt zum Abendessen. Wie sich diese Sorge anfühlt? Schlecht, sie besetzt mein Denken zuweilen voll. Ich sitze da, gucke einen Film und kriege kaum was mit, weil es in mir arbeitet, ich mich sorge, wie ich meinen Alltag noch bewerkstelligen soll.

Die meisten geimpften Menschen, die ich kenne, machen keinen Unterschied zu mir. Sie wissen, dass da ein Narrativ bedient wird. Das ist die erfreuliche Seite meines derzeitigen Lebens. Die Menschen sind nicht so dumm, wie es die Meinungsmacher glauben. Ausnahmen tummeln sich meist bei Facebook und Twitter, modernen Irrenanstalten, die niemanden mehr wegsperren, sondern kommentieren und posten lassen. Dennoch merke ich an mir, wie ich demütig werde, mich niemandem mehr aufdrängen will, weil ich ja ein Aussätziger bin, jemand, den man ausschließt, ein Paria.

Nur damit Sie das verstehen: Ich bin eigentlich kein Duckmäuser, habe Selbstbewusstsein und eine große Klappe. Aber ich bin zurückhaltend geworden, sehr bedächtig, teilweise ängstlich. Ja, ich gebe es zu: Ich habe Angst. Bin phasenweise wie gelähmt, muss mich aufrappeln, länger rauszugehen. Ich will nicht Ihr Mitleid, lieber Leser. Und ich will hier auch keine Therapie auf Ihre Kosten anleiern. Wie geht es da erst jemandem, der immer schon ängstlicher war? Was ich sagen will ist, dass Diskriminierung — auch wenn es nur mein subjektives Gefühl sein sollte — reale Auswirkungen hat.

Wie über den Entzug von Grundrechten, Eingrenzungsstrategien oder sogar Markierung ungeimpfter Menschen gesprochen wird, das ist so entwürdigend, dass mir fast die Worte fehlen, es zu umschreiben. Es ist, als ob man sich dazu entschlossen hätte, mir meinen Status als Mensch abzuerkennen.

Und so verspüre ich bei jedem Alltagsgespräch eine Furcht, dass gleich die Frage kommt, die es früher nicht gab: „Bist du geimpft?“ Nicht, dass ich sie beantworten würde. Aber auf das Terrain will ich nicht. Denn dort lauert meine Entmenschlichung. Und noch will ich Mensch sein. In einigen Tagen habe ich noch mal einen Termin bei jenem Facharzt. Ich muss hin, Alternativen gibt es keine. Eigentlich mochte ich den Mann ja auch immer. Jetzt unbefangen dort hinzugehen: Ich muss es versuchen. Gelingt mir das noch? Gelingt ihm das noch? Gelingt es uns allen irgendwie, wieder in menschliche Bahnen einzulenken? Oder soll es weiter diese Hölle sein? Wie lange halten wir das noch durch?

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Seit 2017 ist er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. 2012 wurde er Kolumnist beim “Neuen Deutschland” und seit 2018 schreibt er regelmäßig für Makroskop. De Lapuente hat eine Tochter und wohnt mit seiner Lebensgefährtin in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 10. November 2021 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse.

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Bildquelle: Clare Louise Jackson / shutterstock

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