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Ein Bericht über meine Zeit in Donezk

Published On: 9. August 2022 14:00

Ich bin noch nicht dazu gekommen, einen Bericht über persönliche Erlebnisse in Donezk zu schreiben. Das hole ich nun nach, immerhin war ich fast einen Monat dort.

Hier möchte ich über einige der Erlebnisse berichten, die ich in Donezk mit einfachen Menschen hatte, die dort leben. Seit acht Jahren unter Beschuss der ukrainischen Armee zu leben, verändert Menschen. Das habe ich sowohl vor Ort, als auch nach nur wenigen Wochen vor Ort am eigenen Leib erlebt.

Die Explosionen

In Donezk hört man fast ständig Explosionen. Mal sind es viele in wenigen Minuten, manchmal gibt es auch ein paar Stunden völlige Ruhe. Die meisten Explosionen sind weit entfernt und sie sind leise, manchmal sind sie auch lauter und manchmal sind sie so nahe, dass die Wände in der Wohnung zittern. Gott sei dank habe ich keine so nahen Einschläge miterlebt, dass ich sie auch gesehen hätte oder gar in Gefahr gewesen wäre.

Aber auch so macht es etwas mit einem Menschen. Man bemerkt es nicht, solange man dort ist. Man gewöhnt sich einfach daran und schon nach kurzer Zeit hebt man nur noch bei sehr lauten Explosionen kurz den Kopf. Meistens ignoriert man das einfach. Dass man deswegen unter Anspannung steht, merkt man nicht.

Das merkt man erst, wenn man wieder in einer friedlichen Stadt ist. Bei mir war es so, dass ich es bemerkt habe, als es in Moskau ein Feuerwerk gab, von dem ich nichts wusste. Ich hörte nur das weit entfernte und leise knallen, aber ich bin sofort zusammengezuckt. Auch auf Geräusche, wie das Rücken schwerer Möbel nebenan, reagiert man so. Oder auf das Grollen eines weit entfernten Gewitters. All das habe ich in den letzten Tagen am eigenen Leib erfahren.

Anscheinend steht man in Donezk doch unter Dauerspannung, die man aber nicht bemerkt. Erst, wenn man woanders ist, wo das Grollen im Hintergrund nicht normal ist, reagiert auf jedes Grollen unwillkürlich erschrocken. Kollegen sagten mir, dass das ein halbes Jahr anhalten kann.

Die Babuschkas

Vor dem Haus, in dem ich in Donezk gewohnt habe, ist eine Bank, auf der die alten Babuschkas gerne sitzen und sich unterhalten. Ich bin oft mit einer Tasse Kaffee und einer Zigarette rausgekommen und habe deren Gespräche zwangsläufig gehört. Es ist surreal, alte Frauen auf einer Bank sitzen zu sehen, die darüber sinnieren, ob die Explosionen, die gerade zu hören sind, Abschüsse oder Einschläge sind, wie weit sie wohl entfernt sein mögen und welche Waffen das wohl sein könnten. Aber das sind die normalen Gespräche, bevor dann wieder andere Themen des Alltags besprochen werden.

Ein anderes Mal bin rausgegangen, als es gerade sehr laut donnerte und eine vorbeigehende alte Frau fragte, ob ich extra rausgegangen sei, um mir das anzuhören. Als ich ihr sagte, dass man ja irgendwo rauchen müsse, hat sie nur gelacht und ist in aller Ruhe weitergegangen.

Wasser

Wasser ist in Donezk das größte Problem im Alltag, denn wenn es gut läuft hat, man von 16.00 Uhr bis 10.00 fließendes Wasser. Oft aber gibt es tagelang gar kein Wasser.

Daher gibt es in Donezk überall Stellen, an denen man große Kanister mit Wasser füllen kann, um zumindest das Klo spülen zu können. Und man lernt, sein Wasser auf dem Herd heiß zu machen und sich damit dann sehr sparsam zu waschen. Vom Waschen der Kleidung will ich gar nicht reden, das tut man meistens per Hand, denn ob das Wasser abgeschaltet wird, während die Waschmaschine läuft, weiß man vorher nie.

Kriegsgeschichten

Alle Menschen in Donezk können nach acht Jahren Beschuss durch die Ukraine Kriegsgeschichten aus eigenem Erleben erzählen. Nachbarn wurden zerfetzt oder es sind Granaten in Häusern eingeschlagen, in denen man sich oft aufhält. Oder es wurde eine Straße beschossen, wobei es viele Tote gab, und man selbst ist zwei Minuten vorher noch dort gewesen. Solche Geschichten kann in Donezk jeder Einwohner erzählen.

Dass man sich dabei selbst psychologisch schützen muss, ist klar. Das tun die Menschen mit schwarzem Humor. So hat mir zum Beispiel eine Frau erzählt, wie eine alte Nachbarin mit ihrer Enkelin auf der Straße war. Die Enkelin ist auf einen Baum geklettert und als sie oben war, ist unten ein Geschoss eingeschlagen, das die Großmutter in Stücke gerissen hat.

Die Frau erzählte das ganz sachlich, sogar mit humoristischen Ausfärbungen, wobei sie am Ende ernsthaft hinzufügte, dass das für das Kind natürlich traumatisch gewesen sei. Wenn solche Dinge seit Jahren zum Alltag gehören, kann man sich wohl nur mit sehr schwarzem Humor davor schützen, den Verstand zu verlieren.

Straßencafés

Donezk ist eine unglaublich grüne Stadt, vor allem das Zentrum ist wie ein riesiger Park. Vor dem Krieg war Donezk als die „Stadt der tausend Rosen“ bekannt, wovon man nun nur noch eine Ahnung bekommt, wenn man an den Rosenbeeten im Stadtzentrum entlang geht.

Auch wenn Donezk derzeit weitgehend evakuiert ist und daher teilweise wie eine Geisterstadt wirkt, sind die Straßencafés im Zentrum geöffnet. Ich habe dort oft gearbeitet, denn so konnte ich beim Schreiben an der frischen Luft sitzen und musste nicht einmal meinen Kaffee selbst machen. In Donezk ist alles sehr günstig, weshalb das kein Problem ist.

Wenn man dort sitzt, dann hat man manchmal das Gefühl, man sei im Urlaub. Die Sonne scheint, alles ist grün, man hat gutes Essen und so weiter. Leider stören dann die Explosionen die Idylle, die das Stadtzentrum trotzdem noch ausstrahlt.

Das Bild stören auch die Soldaten nicht. Donezk ist Frontstadt, die Front bei Avdeevka ist kaum 20 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Daher kommen viele Soldaten, wenn sie nicht direkt an der Front sind, kurzerhand in die Stadt, um dort in einem Restaurant zu essen. Dann stehen die Kalaschnikows neben dem Tisch im Restaurant, das ist dort vollkommen normal.

Und die einheimischen Soldaten kommen alle paar Tage von der Front nach Hause, um sich – wenn möglich – zu Hause zu waschen und in einem normalen Bett zu schlafen.

Es ist wie gesagt ein sehr surreales Erlebnis, Donezk in diesen Tagen zu besuchen.

Eine Reise wert

Wenn all das, was wir derzeit leider erleben müssen, endlich vorbei ist, dann kann ich jedem nur empfehlen, Donezk einmal zu besuchen. Die Stadt ist wirklich eine Reise wert und übrigens kann man dort – wie überall im Süden Russlands – hervorragend essen.

Besonders beeindruckend sind jedoch die Menschen, die trotz der Hölle, in der sie seit acht Jahren leben, noch immer Humor haben und jederzeit hilfsbereit sind. Da ich die Stadt nicht kannte, musste ich oft nach dem Weg fragen oder um andere Hilfe bitten. Die Menschen haben immer geholfen und waren immer herzlich und offen.


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