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Durch alles geht ein Riss

Published On: 20. August 2022 13:00

Das Traurige ist gerade die Berechnung und Systematik, die immer wieder hinter kriegerischen Auseinandersetzungen steckt. Es ist ein Paradox, dass das eigentlich Primitivste und Unzivilisierteste im Repertoire menschlicher Handlungen, nämlich Gewalt und Gemetzel, auf so komplexe Weise mit allen Mitteln der Zivilisation berechnend geplant, inszeniert und umgesetzt wird.

Was Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bereits 1944 als Dialektik von Kultur und Barbarei erkannten, ist in unserer bis zum Erbrechen verdinglichten, technisierten und digitalisierten Welt längst in Vergessenheit geraten. Ein weiteres Mal scheint der Mensch seine Schaffenskraft in etwas zutiefst Destruktives zu lenken. Doch das ist weder etwas, worüber es sich lohnt zu verzweifeln, noch etwas, dessen ewige Fortsetzung wir akzeptieren müssen.

Mit seiner gewohnt kraftvollen, sonoren Stimmfarbe singt Leonard Cohen, begleitet von Band und Chor, von Mördern in hohen Positionen, die eine Gewitterwolke heraufbeschwören, und dem metaphorischen Bild der geschundenen Friedenstaube, die immer wieder gekauft, verkauft und verletzt wird. Doch es gibt Hoffnung in der Dunkelheit. Cohen singt: „Ring the bells that still can ring“ („Läute die Glocken, die noch klingen können“).

Uns mag es vorkommen, als hätten wir nicht viel Macht, um diesen Krieg zu beenden, und dennoch müssen wir die Glocken des Friedens läuten, die noch klingen können, weil uns schlicht nichts anderes übrig bleibt. Über jene Glocken aus dieser Textzeile soll Cohen, der es sonst strikt ablehnte, seine oft vielschichtigen Texte zu erklären, gesagt haben: „Sie sind rar gesät, aber wir können sie finden.“

Anthem ist eine Absage an Perfektion und Ansprüche. Eine friedliche und grundsätzlich gute Gesellschaft existiert zumindest noch nicht. Letztlich ist das Versehrte das Einzige, womit wir im Leben arbeiten können, weil der Mensch an sich versehrt ist. Man kann eben nur mit dem Material arbeiten, das man hat. Paradoxerweise, und das bringt Cohen so schön und poetisch zum Ausdruck, ist es aber das Versehrte, in dem wir die Schönheit und das Licht finden, nämlich das, was den Menschen im Positiven ausmacht — nicht zivilisatorische Kulturleistungen, sondern dass universal Allgemeingültige, was uns zu Menschen macht: Liebe, Rührung, Musik, Hingabe, Humor.

All das finden wir nicht immer da, wo wir es suchen oder wenn wir es suchen. Oft kommt es durch die Risse der Grausamkeit und Destruktivität zu uns. Hier können wir beginnen uns ihm zu widmen. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.

Krieg braucht drei bis vier Generationen, bis das transgenerationale Grauen aus einer Gesellschaft entwachsen ist. 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg könnte die erste Generation, die der Kriegsururenkel, ein Leben führen, dass nicht mehr durch die Nachwehen dieses Krieges in Mitleidenschaft gezogen wird. Dass diese Ururenkel wieder zu neuen Kriegskindern werden könnten, ist eine zutiefst traurige Vorstellung, und es gilt alles daran zu setzen, sie zu verhindern.

Vielleicht vermag es die Hoffnung, die in diesem Lied zum Tragen kommt, einen auf diesem Weg zu begleiten.


Leonard Cohen — „Anthem“


Nacktes Niveau (Paul Brandenburg), Punkt.preradovic, Kaiser TV,

Hinter den Schlagzeilen, Demokratischer Widerstand,

Eugen Zentner (Kulturzentner), rationalgalerie (Uli Gellermann), Protestnoten, Radio München (Eva Schmidt), Basta Berlin, Kontrafunk und Ständige Publikumskonferenz.

Weitere können folgen.

Samstag 9.7.2022 SONG Fortunate Son (Creedence Clearwater Revival)

TEXT Marcus Klöckner, Die Doppelmoral der Kriegsmacher — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 15.7.2022 SONG Redemption Song (Bob Marley)

TEXT Jens Fischer Rodrian, Botschafter für eine gerechte Welt — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 23.7.2022 SONG Friedensbewegung (Kilez More)

TEXT Eugen Zentner, Liebe und Leidenschaft — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 30.7.2022 SONG Es ist an der Zeit (Hannes Wader)

TEXT Roland Rottenfußer, Der wirkliche Feind — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 6.8.2022 SONG War — what is it good for? (Edwin Starr)

TEXT Lüül, Wozu ist Krieg gut? — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 13.8.2022 SONG Another brick in the wall (Pink Floyd)

TEXT Alexa Rodrian, Der Ziegel in der Wand — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 20.8.2022 SONG Anthem (Leonard Cohen)

TEXT Madita Hampe, In Allem ist ein Riss — zur Aktion Friedensnoten

Samstag 27.8.2022 SONG Feeding off the love of the land (Stevie Wonder)

TEXT Nina Maleika, Zurück zur Verbundenheit — zur Aktion Friedensnoten

Die Reihe wird fortgesetzt.

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Madita  Hampe

Madita Hampe, Jahrgang 2002, lebt in Leipzig und sieht sich gezwungenermaßen als Autodidaktin. Sie verleiht ihrem politischen und philosophischen Interesse vorwiegend journalistisch Ausdruck, da dies der nahezu einzige gesellschaftspolitische Bereich ist, in dem Analyse und Aktivismus sich auf Augenhöhe begegnen und kooperieren können. Ihr Anliegen ist es, ihre Energie, Kraft und Kreativität in eine friedlichere, gerechtere und demokratischere Welt ohne Herrschaftsverhältnisse zu lenken. Sie ist Mitglied der Rubikon-Jugendredaktion und schreibt für die Kolumne „Junge Federn“.

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