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Genossen und Kameraden: Die Geburt der Querfront

Published On: 24. August 2022 17:04

In der Weimarer Republik gab es ein politisches Intermezzo, das heute unvorstellbar scheint: Kommunisten und völkische Rechte diskutierten über ein gemeinsames Vorgehen gegen das verhasste System und warben für ein Bündnis mit der Sowjetunion. In unserer Geschichtsausgabe „Babylon Berlin“ haben wir die historischen Hintergründe der Serie beleuchtet – und dabei eine Menge Querfront und Subversion aufgetan. Das schmeckt der Produktionsfirma überhaupt nicht – unser Heft will sie verbieten lassen. Die Ausgabe ist nur noch bis zum 30. August hier erhältlich

_ von Benedikt Kaiser

Ruth Fischer 1925. Ein Jahr später wurde sie aus der KPD ausgeschlossen, später wandelte sie sich zur Antikommunistin. Foto: Ullstein Bild

Als 1923 das Ruhrgebiet durch Franzosen und Belgier besetzt wurde, leisteten unterschiedliche Gruppen Widerstand. Nationalisten und Kommunisten einte die Wut über die politische Lage: Wut über die Armut bringende Inflation, ohnmächtige Wut auf die Westmächte und ihr anmaßendes Verhalten.

Die Atmosphäre war aufgeheizt, Versammlungen und Sabotageakte wechselten sich ab. Im Juli jenes Jahres rief dann eine Frau vor patriotischen Studenten zur Einheit gegen Besatzung und Ausbeutung auf. Ihr Name: Ruth Fischer. Sie war keine Völkische, keine Reaktionärin. Ruth Fischer war eine der bekanntesten kommunistischen Frauen ihrer Zeit. In der Weimarer Republik war sie sogar vorübergehend Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Bewarb sie also vor den jungen Rechten das, was man – mit Achtung oder mit Verachtung in der Stimme – „Nationalbolschewismus” nannte?

Fischer plädierte vor allem für ein zeitweiliges Zusammengehen unterschiedlicher Kräfte, um gegen Imperialismus und Kapitalismus vorzugehen. Orientiert man sich am Historiker Otto-Ernst Schüddekopf, kann man sie, zumindest in der Weimarer Zeit, zum Epochenphänomen des Nationalbolschewismus zählen.

In seinem gleichnamigen, bis heute maßgeblichen Standardwerk unterschied er grob drei Haupttypen. Erstens: nationale Strömungen innerhalb des Kommunismus. Zweitens: sozialistische Bestrebungen im rechten Milieu. Drittens: ein vorübergehendes Kooperieren von links und rechts, die sogenannte Querfront; einerseits gegen das liberalkapitalistische System des Westens, andererseits für eine Ostorientierung, also für ein gutes Verhältnis zur bolschewistischen Sowjetunion.

Es ist unstrittig, dass eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Strömungen mitunter schwierig ist, weil die Grenzen fließend waren, und dass viele der damals agierenden Personen das Attribut „nationalbolschewistisch” abgelehnt hätten. Folgt man jedoch Schüddekopf, kann man für jeden dieser drei Typen repräsentative Beispiele finden. Für einen ersten Überblick erscheint seine Einteilung jedenfalls praktikabel.

Nationale Kommunisten

Der bekannteste Vertreter dieser Richtung war wohl Richard Scheringer. Nach ihm wurde sogar der Prozess des Überwechselns von rechts nach links benannt, das „Scheringern”. Der Offizier wurde 1930 im Ulmer Reichswehrprozess verurteilt, für die Nationalsozialisten in der Armee agitiert zu haben.

Hitler ließ ihn öffentlich fallen. In der Haft kam der Verratene dann mit Kommunisten in Kontakt und lernte diese schätzen. Er trat von der NSDAP in die KPD über und wollte dort, im Zuge des 1930 verabschiedeten „Programms zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes”, die nationale Komponente stärken. Neben ihm versuchten unter anderem Bruno von Salomon und Bodo Uhse ähnliches zu erreichen. Doch die Angst vor dem ewigen Rechten war in weiten Teilen der Linken zu groß. Letzte Versuche, die Machtergreifung Hitlers durch eine Querfront zu verhindern, scheiterten.

Französische Soldaten während der Ruhrbesetzung, 1923, in Essen. Foto: picture-alliance/dpa

Heute gilt es als erwiesen, dass die Aktivisten vom Schlage Scheringers eine intellektuelle Kleingruppe innerhalb der KPD bildeten, die von Stalins Moskauer Zentrale und der Kommunistischen Internationalen (Komintern) geduldet wurde, um der NSDAP und rechten Ideenzirkeln – dem bunten Feld der sogenannten Konservativen Revolution – geistige Substanz zu entziehen. Zu Einfluss haben es die Scheringer-Kommunisten zwar nie gebracht, aber der Versuch einer modernen Fusion aus kommunistischen Ideen und patriotischen Gefühlen ist aus der Geschichte der ersten deutschen Demokratie nicht wegzudenken.

Sozialisten von rechts

Eine der wichtigsten Gruppen formierte sich ab 1929 um die Zeitschrift Die Tat von Hans Zehrer. Ihre Bedeutung lag in der Rolle als „Sammelplatz der jüngeren nationalen Bewegung” (Ernst Robert Curtius), die Druckauflage betrug bis zu 20.000 Exemplare.

Diese eigentlich bürgerliche Bewegung zielte auf die Überwindung des Kapitalismus ab und nährte sich von der verbreiteten Skepsis gegenüber einem Marktliberalismus westlicher Art. Deutschland sollte durch die Loslösung vom Welthandel sowie durch die Überwindung des Versailler Systems eine selbstständige wirtschaftliche Einheit werden.

Weil ihnen die Sowjetunion nicht als Feind galt, wurden auch die Tat-Vertreter mitunter als „Nationalbolschewisten” bezeichnet. Enge Beziehungen unterhielten sie zum antiimperialistischen NS-Flügel um den Hitler-Rivalen Otto Strasser. Außerdem gab es Sympathien für die bäuerliche Landvolk-Bewegung – die „APO der 20er Jahre” (Armin Mohler).

Zu den Sozialisten von rechts kann man auch die Nationalrevolutionäre rechnen, die immer wieder mit dem Grenzgänger-Etikett versehen wurden: linke Leute von rechts, rechte Leute von links. Dieses Milieu rekrutierte wie kein anderes seine eifrigsten Mitstreiter aus dem Kreis der Frontsoldaten. Wie alle anderen Strömungen war auch sie nicht einheitlich: Ihren rechten Flügel bildeten die Neuen Nationalisten um den Schriftsteller Ernst Jünger und seinen Bruder Friedrich Georg; ihr linker Flügel beteiligte sich an den Querfront-Bestrebungen.

Das Querfront-Lager

Ernst Niekisch (1889–1967) gehörte zu den führenden Nationalrevolutionären der Weimarer Republik. Nach 1945 schloss er sich zunächst der SED an, siedelte jedoch 1963 nach West-Berlin über. Zuletzt unterstützte er den SDS. Foto: gdw-berlin.de

Dominanter Vertreter dieses Ansatzes war Ernst Niekisch. Hervorzuheben ist seine linke Sozialisation: Das SPD-Mitglied war 1919 Vorsitzender des bayerischen Zentralrats der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte, ging später zur radikalen Abspaltung USPD über und wurde schließlich geistiger Kopf der Alten Sozialdemokratischen Partei (ASP) in Sachsen. Ab 1926 gab er die bis zu ihrem Verbot 1934 monatlich erscheinende Zeitschrift Widerstand heraus. Im Dritten Reich wurde er ins Konzentrationslager gesperrt und gefoltert.

Vorher, zu Weimarer Zeiten, hoffte Niekisch auf ein Zusammengehen patriotischer Kommunisten und sozialistischer Völkischer. Er überschätzte den Einfluss des Komintern-Kaders Karl Radek, dessen berühmte Schlageter-Rede bei der antikapitalistischen Rechten eifrig gelesen wurde.

Der Kommunist zollte in dieser Rede Albert Leo Schlageter Respekt, einem jungen Nationalisten, der im Mai 1923 von französischen Besatzungstruppen hingerichtet wurde. Radeks Vorstoß war eines der wenigen offenen Gesprächsangebote der sowjethörigen KPD an die Nationalisten.

Niekisch meinte zu dem Thema, er sei „um der Nation willen des Kommunismus fähig” – wenn es Deutschland helfen würde, der Ausbeutung durch den Weltkapitalismus mit Hilfe der UdSSR zu entgehen. Der Historiker Sebastian Haffner würdigte den Vordenker später als den „wahren Theoretiker der Weltrevolution”, dessen Bedeutung einst gewaltig sein würde.

Durch den jüdischstämmigen Sozialisten und Pazifisten Kurt Hiller, auf den das bis heute gebrauchte Bonmot „linke Leute von rechts” zurückgeht, wurde außerdem Karl Otto Paetels Gruppe sozialrevolutionärer Nationalisten (GSRN) bekannt. Hiller lobte bei Paetels Ideologie die strikte Verneinung des Rassismus, die eindeutige Sympathie für die Sowjetunion, den ehrlichen Sozialismus. Eine Gleichsetzung mit dem Hitler-NS sei böswillig; der Paetelkreis stehe mit ihm nicht in einer Reihe, sondern befinde sich „in schärfstem Gegensatz” zu ihm.

Gewiss: Die als nationalbolschewistisch geltenden Querfront-Zirkel der Jahre 1918 bis 1933 waren klein. Aber sie vertraten höchst spannende Ideenmixturen. Und: Sie sind ein Ausdruck der damals herrschenden Debattenkultur, die heute aufgrund des Antifa-Ungeistes undenkbar erscheint: Damals war man noch zu einer Auseinandersetzung mit dem politischen Kontrahenten bereit!

Das Symbol des Widerstandskreises von Ernst Niekisch. Foto: CC0

Dass diese Diskussionen nicht nur auf dem Papier stattfanden, wird etwa in den Terminhinweisen der linksintellektuellen Zeitschrift Weltbühne deutlich: Noch Anfang Januar 1933 wurde dort für ein von Kurt Hiller geleitetes Streitgespräch geworben, an dem Ernst Toller, Johannes R. Becher und Walter Mehring auf der Linken, Friedrich Wilhelm Heinz, Franz Schauwecker und Otto Strasser auf der Rechten teilnahmen.

Mit einem Augenzwinkern ins Hier und Heute übertragen könnte das heißen: Jakob Augstein, Dietmar Dath und Sahra Wagenknecht auf der einen Seite des Podiums – Jürgen Elsässer, Götz Kubitschek und Björn Höcke auf der anderen. Der ideologische Gegner verdient Gehör, man muss auch im politischen „Feind” den Menschen erkennen. Das könnte man in Hillers Geist als Fazit der nationalbolschewistischen beziehungsweise rechts- wie linksintellektuellen Streitkultur der Weimarer Tage formulieren. Eine Renaissance dieses Miteinander-Redens wäre auch in der Gegenwart begrüßenswert.

Verboten gut: Man will COMPACT-Geschichte „Babylon Berlin – Historische Hintergründe der großen Kultserie“ aus dem Verkehr ziehen. Besorgen Sie sich schnell noch ein Heft – oder gleich mehrere Exemplare, damit sie diese auch dann noch verteilen und verschenken können, wenn wir es nicht mehr dürfen. Die Ausgabe ist nur noch bis zum 30. August hier erhältlich.

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