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Wie das russische Fernsehen auf das Leben und Wirken von Gorbatschow zurückblickt

Published On: 31. August 2022 14:22

Michail Gorbatschow ist im Alter von über 90 Jahren gestorben. Hier zeige ich, wie das russische Fernsehen in seinem Nachruf auf Gorbatschows Leben zurückblickt.

Gorbatschow war sicherlich die umstrittenste Figur der jüngeren Geschuchte Russlands. Er ist von Hoffnungsträger der Menschen in der Sowjetunion zum Totengräber der Sowjetunion geworden. Im Westen wurde er gefeiert, als er aber in den letzten Jahren zunehmend kritisch gegenüber dem Westen wurde und Verständnis für die russische Politik gezeigt hat, wurde er im Westen kaum noch zitiert.

Ich habe den Nachruf des russischen Fernsehens auf Gorbatschow übersetzt, auch wenn er sehr stark aus der russischen Sicht formuliert und daher für diejenigen, die Russland überhaupt nicht kennen, nur schwer verständlich sein dürfte.

Beginn der Übersetzung:

Er wollte die UdSSR retten und alle Mauern niederreißen: Michail Gorbatschow ist tot

Wladimir Putin bekundete sein tiefes Beileid zum Tod von Michail Gorbatschow. Der erste und einzige Präsident der Sowjetunion ist nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 92 Jahren gestorben. Während der Tätigkeit von Gorbatschow fanden wichtigste geopolitische Veränderungen statt. Der Politiker wird neben seiner Frau auf dem Nowodewitschi-Friedhof in Moskau beigesetzt.

Er erschien, als er am meisten gebraucht wurde. Im Jahr 1985 erlangte er die nahezu absolute Macht im größten Land der Welt. Der lächelnde Generalsekretär mit dem südrussischem Dialekt im guten Anzug hat das Land in sich verliebt. Gorbatschow unterschied sich von seinen Vorgängern so sehr, wie seine Vorschläge für Perestroika und Glasnost von den düsteren sowjetischen Losungen abwichen. Perestroika bedeutete, selbst etwas zu tun und nicht nur Befehle zu befolgen. Glasnost bedeutete reden, nicht flüstern. Für die Lektüre von Solschenizyn, Dowlatow, Nabokow, Rybakow, Brodski sollte man nicht mehr ins Gefängnis kommen und auch nicht mehr entlassen werden.

So begeistert wurde er überall begrüßt. Er sprach mit den Leuten wie ein normaler Mensch. Selbst das Wort „Perestroika“ gelangte nicht erst nach dem Plenum des Zentralkomitees im Januar 1987 in das politische Bewusstsein, sondern bereits im April 1986, nach der Rede des Generalsekretärs vor den Arbeitern des Wolga-Automobilwerks. Damals wurde die Entscheidung getroffen, AvtoVAZ zu gründen.

Er holte Andrej Sacharow aus dem Exil zurück, schickte fast das gesamte Breschnew-Politbüro in den Ruhestand und bestand auf dem Abzug unserer Truppen aus Afghanistan. Das wurde als gute Vorzeichen gewertet. Er hat so viele Hoffnungen in sich vereint, dass kein Mensch auf der Welt sie hätte erfüllen können. Gorbatschow schien von der Liebe des Volkes berauscht zu sein. Und mit ihm das Volk.

In einem naiven demokratischen Impuls werden die Direktoren der größten Fabriken allmählich von den Arbeitern gewählt. Die Folge war, dass viele Unternehmen zusammenbrachen und zu Genossenschaften wurden. So sah die Volksinitiative in Aktion aus. Er startete die Anti-Alkohol-Kampagne, um die Zahl der Todesfälle zu senken. Die Folgen waren die Abholzung von Weinbergen, Zucker auf Bezugsscheine, 62 Milliarden verlorene sowjetische Rubel und Witze über alkoholfreie Hochzeiten. Die ersten alternativen Wahlen waren ebenso ein Zeichen der Zeit, wie die leeren Regale in den Geschäften. Und dann waren da noch die Katastrophe von Tschernobyl und das Erdbeben in Armenien – schlechte Vorzeichen.

Die Sowjetunion geriet ins Wanken. Wenn sich nichts änderte, gaben Ökonomen ihr noch 10 bis 15 Jahre. Aber man kann nicht alles gleichzeitig ändern – die Wirtschaft und die politische Struktur des Staates, sagten sie Gorbatschow. Aber er wollte alles auf einmal. Er glaubte, er würde die Sowjetunion retten.

Der Fall der Berliner Mauer ist das deutlichste Beispiel dafür, wie die sowjetische Perestroika die Weltordnung verändert hat. Von der Tribüne der Vereinten Nationen aus verkündete Gorbatschow 1988, dass die Sowjetunion zum Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR übergehe. Und ein Jahr später stürzte die Mauer, obwohl Großbritannien und Frankreich dagegen waren. Auch in der BRD haben viele gesagt: Wir brauchen eine Übergangszeit.

Doch Gorbatschow wollte alle Mauern auf einmal niederreißen. Gorbatschow war im Westen so populär wie ein Rockstar. Margaret Thatcher war schon bei den ersten Gesprächen von Gorbatschow fasziniert. Auch weil er ihr eine Karte mit Zielen der sowjetischen Raketen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten zeigte. Die „Eiserne Lady“ warf ihre Schuhe ab und legte die Füßen auf den Sessel, wobei sie ihre Verwunderung nicht verbarg. Dann ging sie in die USA und dort sagte sie den berühmten Satz:

„Ich mag Herrn Gorbatschow. Mit ihm kann man reden. Wir glauben an unsere politische Systeme. Er glaubt fest an seines und ich glaube an meines. Keiner von uns kann den anderen zwingen, sein System zu ändern.“

Aber nur wenige erinnern sich heute daran, dass sie auch dies zu Gorbatschow sagte:

„Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht glaube, dass wir die Atomwaffen abschaffen sollten. Nuklearwaffen sind die beste Abschreckung. Wenn sie abgeschafft werden, besteht ein erhöhtes Risiko für konventionelle Kriege oder den Einsatz von chemischen Waffen.“

Gorbatschow traf während seiner sechsjährigen Amtszeit elfmal mit US-Präsidenten zusammen: fünfmal mit Reagan und sechsmal mit Bush Senior.

Und wir Sowjetmenschen waren zum ersten Mal stolz darauf, wie unser Staatschef im Westen begrüßt wurde. Die Sowjetunion erklärte zunächst einseitig ein Moratorium für Kernwaffentests und unterzeichnete dann mit den Vereinigten Staaten den Vertrag über die Abschaffung von Kurz- und Mittelstreckenraketen. Der Westen empfand diese Schritte als Zeichen der Schwäche, schließlich hat Moskau nicht einmal Garantien dafür verlangt, dass die NATO nicht an unsere Grenzen heranrückt. Das haben sie in Worten versprochen.

Jedenfalls hat das Land, das damals an Gorbatschow glaubte, nicht an die Gefahr eines ausländischen Militärblocks in der Nähe seiner Grenzen gedacht. Die Konfrontation mit dem Westen schien der Vergangenheit anzugehören. Und in den beengten sowjetischen Küchen wurde nicht mehr über die Altersschwäche der Staatschef oder über äußere Feinde gesprochen. Das spannende neue Thema waren Gorbatschow und Raisa, dass ein kommunistischer Generalsekretär so entwaffnend lieben und so innig geliebt werden kann. Jahre später, nachdem Raisa von uns gegangen war, sagte Gorbatschow, als er alles, was er erlebt hatte, eingeordnet hat, dass das Schlimmste in seinem Leben die zwei Monate waren, in denen sie vor seinen Augen verblasste.

Jetzt ist es unverständlich, wann es zu diesem Bruch kam, nach dem es sozusagen zwei Gorbatschows gab. Der eine wird von den Bürgern der westlichen Länder für die Freiheit verehrt, der andere wirft in seinem eigenen Land immer mehr Fragen auf. Er kämpfte einerseits gegen Nachhilfelehrer und private Taxifahrer, aber ermutigte sie andererseits auf jede erdenkliche Weise. Zunächst lehnte er den Wunsch der baltischen Länder nach Abspaltung recht scharf ab, dann winkte er einfach ab. Die Ereignisse in Tiflis hat er gar nicht bemerkt. Er wurde vom Kongress der Volksdeputierten zum Präsidenten gewählt, nicht bei nationalen Wahlen.

Dann verlor er gegen Jelzin. Aber er wird immer der erste und der letzte Präsident des jetzt nicht mehr existierenden Landes bleiben. Und Foros auf der Krim wird immer die Erinnerung an den Staatsstreich von 1991 sein. Die Bürger haben Gorbatschow die unerfüllten Hoffnungen nicht verziehen und auch die Schwergewichte der kommunistischen und antikommunistischen Apparate haben ihm nicht verziehen, dass er sich nicht auf eine der Seiten gestellt hat. Foros ist der einzige sowjetische Staatsstreich, der nicht hinter den Kulissen stattgefunden hat, es war der Spott von Glasnost.

Alle haben ihn verlassen, er blieb ganz alleine. Er hatte das Maximum durchlebt, das einem Menschen möglich ist – von der Anbetung durch alle bis zur Erniedrigung durch alle, den Tod des Landes, das er liebte und das er doch wiederbeleben wollte.

Nach seinem Rücktritt fand er die Kraft zu zeigen, dass ein normales, erfülltes Leben nach der Macht möglich ist. Und zwar in seinem eigenen Land. Er verließ Russland nicht, obwohl er im Ausland Vorträge hielt. Und er feierte seinen 80. Geburtstag in London mit Sharon Stone und Arnold Schwarzenegger. Der russische Sänger Makarevitsch sang ihm ein Ständchen auf Englisch.

Die Experten der Library of Congress haben Gorbatschow in die Liste der 100 meiststudierten Persönlichkeiten der Weltgeschichte aufgenommen. Das heißt, bei Gorbatschow ist für sie alles klar. Für uns sind die Dinge etwas komplizierter. Im Juni 2014 gab er eines seiner letzten Fernsehinterviews über die Geschehnisse in der Ukraine.

Darin bezeichnete Gorbatschow die Wiedervereinigung der Krim mit Russland als Korrektur eines historischen Fehlers. Er hat nicht erklärt, wessen Fehler es war. Schließlich ging die Krim für Moskau verloren, als die sowjetische Flagge vom Kreml entfernt wurde.

Die Zeit, die seit er an der Macht war, vergangen ist, ist zu kurz, um alles abschließend zu verstehen. In den von Gorbatschow eröffneten Raum der Freiheit stürmten alle. Nur hat dort nicht jeder gefunden, was er erwartet hat. Gorbatschow hat uns nicht nur von der kommunistischen Enge, sondern auch von postkommunistischen Illusionen befreit. Und diese Befreiung war sehr schmerzhaft. Auch für ihn.

Ende der Übersetzung


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