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Berserker im Blutrausch

Published On: 24. Oktober 2022 16:25

In seinem ersten Leben war Arkadi Babtschenko Soldat der russischen Armee. So wie viele Babtschenkos vor ihm über mehrere Generationen. „Immer war ich dort, wo es meinem Land schlecht ging“, schreibt er: Weißes Haus 1993 (da war er 16 und noch nicht Soldat), Tschetschenien I und II, Südossetien et cetera. Auf dem Maidan war er auch, gibt er zu, „Seite an Seite mit Russen, Juden, Krimtataren und Armeniern“.

Er und die Soldaten seiner Familie waren Russen, „so wie es sich gehört“. Aber heute, nach seiner Flucht in den Westen? „Heute bin ich für meine Heimat ein Jude, ein ukrainischer Faschist, fünfte Kolonne und Nationalverräter.“

Babtschenko war ein Krieger, aber er hat sich vom Saulus zum Paulus gewandelt. Er verdammte in Büchern und auf Facebook Russlands Kriege im Donbass und die Bombardierung von Aleppo in Syrien. 2017, nach zahlreichen Drohungen wegen seines Mangels an Patriotismus, verließ er Moskau, lebte in Prag, später in Kiew.

Babtschenko: Russland hat „verkackt“

„Bei einem Menschen, der im Krieg war, kann der Krieg nur ein einziges Gefühl hervorrufen – Grausen“, schreibt er in seinem neuen Buch „Im Rausch. Russlands Krieg“.

Tatsächlich ist Russlands Kriegspolitik eine durchweg trunkene, ein ganzes Land scheint im Blutrausch zu sein. Aber auch Arkadi Babtschenko schreibt wie „Im Rausch“. Das Buch versammelt wortgewaltige Facebookeinträge über und gegen Putin-Russlands Gewalt vom April 2014 an (Krim und Ostukraine) bis heute.

Arkadi Babtschenko

Im Rausch. Russlands Krieg

Aus dem Russischen von Olaf Kühl

Rowohlt Berlin

320 Seiten

Hardcover

22 Euro

ISBN 978-3-7371-0177-6

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Babtschenko, das ist nicht zu übersehen, steht beim Schreiben gehörig unter Dampf. Denn sie muss heraus, diese Wut! Er ist wütend auf Russland, wütend auf Putin, und wütend darauf, „dass sich ein ganzes Volk innerhalb weniger Jahre in eine Masse von Charakteridioten verwandeln lässt“. Er ist wütend auf die russischen Staatsmedien, „Russlands furchtbarste Waffe“, weil sie „die Menschen in Zombies verwandelt“.

Es bedrücke ihn, schrieb er im April 2014, „mit welcher Leichtigkeit sie die Zivilisation ablegen und wie bereitwillig sie wieder ins Mittelalter eintauchen“. Russland ist für ihn ein „Territorium, das von Idioten mit Atomwaffen bevölkert ist“, die es vor 30 Jahren schon „verkackt“ hätten, als Russland die einmalige Chance erhalten hatte, „zu einem der tatsächlich führenden Staaten der Weltwirtschaft zu werden“. Stattdessen habe Russland wieder nur eines bewiesen: „dass wir unfähig sind, Demokratie, Technologie, Wirtschaft, Stabilität, Entwicklung und Sicherheit zu generieren“.

Infantilismus, Primitivität und „kindliche Grausamkeit“ wirft Babtschenko den Russen vor. Sie seien Kriminelle, Okupanten, Orks, also voller Hass und von Natur aus böse. Das heutige Mordor namens Russland ist für ihn „ein zynisches Land, das auf Scham wie auf Stolz pfeift“. Es sei „ein Mörderland, ein Erobererland, eine Missgeburt“.

Der Zar will ein Imperium, schreibt er. Und deshalb ist der „kleine Pisser“, der „wahnsinnige Diktator“ in der Ukraine einmarschiert. Aber nicht er allein tat das, Babtschenko spricht von „Kollektivschuld“. Er klagt den „mythischen Größenwahn wegen eines überzähligen Chromosoms“.

Voller Schadenfreude spottet er über den misslungenen Blitzkrieg, jeden abgeschossenen Helikopter, den versenkten Flugzeugträger. Schon früh prophezeit er die berserkerhaften Bombardierungen ukrainischer Wohnbezirke als Rachefeldzug für ukrainische Siege.

Er kündigt die Massenflucht der Klugen, Intelligenten und Experten aus Russland an. Unerbittlich ist er jenen gegenüber, die jahrelang mitgemacht haben; sie sind für Babtschenko offenbar nicht Mittäufer, sondern Mittäter.

Verachtung bringt er denen entgegen, die nach ihrer Mitmachzeit in Russland nun im Westen leben, arbeiten und viel Geld verdienen, etwa Marina Owsjannikowa die zwar während einer Nachrichtensendung im Ersten TV-Kanal ein Plakat hochgehalten habe, dort aber acht Jahre lang geholfen hätte, Lügen zu verbreiten.

Worauf Babtschenko hofft

Babtschenko verspricht Putin im Fall der dauerhaften Besatzung von Teilen der Ukraine einen andauernden Partisanenkampf. Und er hofft auf das Ende des Diktators: Der Zar wird still und heimlich in den Hinterhöfen des Kremls erwürgt“ oder am Dscherschinski-Denkmal auf der Lubjanka erhängt.

Und Russland? Es solle zerfallen, meint Babtschenko; er brauche kein Russland, kein Imperium. Er brauche „ein kleines und dann auch wirklich freies und demokratisches Moskowien. … Moskowien nach Mordor“, dem „menschenfresserischen Land“.

In der EU habe sich „ein Chancenfenster geöffnet“. Und der Krieg sorge für Einigkeit und Zusammenhalt der Menschen in der Ukraine: „Eine Nation ist im Werden“, schreibt er am Tag 3 des Überfalls. „Ein Land entsteht. Und wir werden endgültig zu Granit.“

Er ist sicher: „Die Enkel der heutigen Ukrainer werden Ukrainisch sprechen.“ Die Ukraine werde den endgültigen Sieg an dem Tag feiern, an dem „sämtliche Fäden in die imperiale Vergangenheit zerrissen sind“.

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