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Panikmache. Mit Schmutzigen Bomben. Von Ralph Bosshard

Published On: 16. November 2022 13:24

In einer Atmosphäre, in welcher vor allem die westliche Seite die Gefahr eines Atomkriegs als Eskalationsstufe des aktuellen Kriegs in der Ukraine beschwor, mussten die Spekulationen über eine „schmutzige“ Bombe die Öffentlichkeit besonders beunruhigen. Im Lichte der Schwierigkeiten von Beschaffung des Materials, Bau und Einsatz einer Schmutzigen Bombe fragt man sich aber, was die jüngste Diskussion über eine solche in der Ukraine wirklich bezwecken soll. – Dieser Text ist hier zuerst erschienen.



Gemäß dem deutschen Bundesamt für Strahlenschutz sind Schmutzige Bomben Vorrichtungen mit konventionellem Sprengstoff, denen radioaktive Stoffe beigemischt oder beigefügt sind. Der konventionelle Sprengstoff soll bei diesen Sprengsätzen dazu dienen, die radioaktiven Stoffe in der Umwelt zu verteilen [1].

Strahlenunfälle

Bisher ereigneten sich weltweit drei radiologische Unfälle, bei denen eine größere Anzahl Menschen zu Schaden kamen und bedeutende Areale in Mitleidenschaft gezogen wurden:

Der erste derartige Unfall ereignete sich zur Jahreswende 1983 auf 1984 in Ciudad Juárez im Norden Mexikos. Quelle des radioaktiven Materials war eine jahrelang nicht mehr genutzte sogenannte Kobaltkanone, d.h. ein Gerät zur medizinischen Strahlentherapie, welche Ende des Jahres 1983 an einen Schrotthändler verkauft worden war. Dieser war sich der Gefahr, die von diesem Gerät ausging, nicht bewusst und brach dessen Schutzhülle auf, wodurch über 6.000 kleine Kügelchen aus Kobalt-60 freigesetzt wurden. Zahlreiche dieser Kügelchen fielen vom Lastwagen des Schrotthändlers auf die Straßen der Stadt und auf das Gelände des Schrottplatzes. Weitere der 1 mm großen Kügelchen drangen ins Profil der Reifen des Lastwagens ein und wurden so weiterverbreitet, ohne dass dies zunächst bemerkt wurde. Vermischt mit anderem Altmetall wurden die verbliebenen Kobalt-Kügelchen eingeschmolzen und zu Armierungseisen, Elektromotoren und Bestandteilen von Möbeln weiterverarbeitet. Der kontaminierte Stahl verbreitete sich so in ganz Nordamerika. Erst Mitte Januar 1984 wurde die Kontamination durch Zufall entdeckt, als ein mit kontaminiertem Stahl beladener Lastwagen an einer Messstation in der Nähe des Los Alamos National Laboratory (New Mexico, USA) vorbeifuhr und dort Alarm auslöste [2].

Auch am Anfang des Unfalls in der brasilianischen Stadt Goiânia im September 1987 stand ein medizinisches Gerät zur Strahlentherapie, welches bei einem Einbruch in eine stillgelegte Klinik gestohlen worden war. Die Müllsammler hielten das Metall für wertvoll und zerlegten das Gerät, sodass hochradioaktives Caesium-Chlorid, bestehend aus dem Caesium-Isotop Cs-137 austrat. Durch unsachgemäßen Umgang mit dem nachts leuchtenden Pulver und Weiterverkauf des Metalls an einen weiteren Schrotthändler verteilte sich das strahlende Material in der ganzen Stadt weiter, bis am 28. September im Krankenhaus von Goiânia die Ursache der bei zahlreichen Menschen aufgetretenen Strahlenkrankheit entdeckt wurde [3].

Beim Nuklearunfall in Samut Prakan, einem Stadtteil von Bangkok, wurde im Februar 2000 Kobalt-60 aus einem ausgedienten medizinischen Bestrahlungsgerät freigesetzt, als Schrottsammler einen der darin enthaltenen Behälter mit Kobalt-60 zu einem Schrottplatz verbrachten und dort aufbrachen. Auch hier dauerte es über zwei Wochen, bis die Strahlenquelle entdeckt wurde. Da diese mittlerweile unter einem Haufen anderen Schrotts lag, gestaltete sich ihre Bergung schwierig [4].

Abbildung: Warnsymbol vor gefährlichen radioaktiven Stoffen

Quelle: IAEA [Stand: 15.11.2022]

Die Unfälle von Ciudad Juarez, Goiânia und Samut Prakarn weisen interessante Parallelen auf: In allen drei Fällen war schwach radioaktives Material aus medizinischen Geräten die auslösende Strahlenquelle, die durch Schrotthändler weiterverbreitet wurde. In allen drei Fällen dauerte es mindestens zwei Wochen, bis die Herkunft der Strahlung ermittelt und die Strahlenquelle beseitigt werden konnte. In Ciudad Juarez und Goiânia wurde das strahlende Material unbeabsichtigt durch Menschen verbreitet, die sich der davon ausgehenden Gefahr nicht bewusst waren. Es wurden aufwändige Maßnahmen zur Dekontamination und Behandlung der Opfer notwendig. Die Dekontamination von Immobilien und Infrastruktur gelang nicht überall in befriedigendem Ausmaß, sodass Häuser abgerissen werden mussten.

Terroranschläge

Terroranschlägen mit strahlendem Material wurden bislang zwei Mal versucht. Im November 1995 wurde im Ismailowsky-Park in Moskau eine Kiste mit radioaktivem Cäsium gefunden, nachdem eine lokale Zeitungsredaktion eine entsprechende Mitteilung erhalten hatte. Der Ismailowsky-Park ist ein beliebter Ausflugsort für Einheimische und Touristen aus aller Welt mitten in Moskau, wo Heimwerker Souvenirs und Flohhändler allerlei Antikes verkaufen. Als Urheber des Anschlags wurde über eine tschetschenische Gruppierung vermutet. Die ganze Aktion war wohl eine Warnung an die Moskauer Behörden gedacht, welche die Mittel und Möglichkeiten der Tschetschenen demonstrieren sollte [5].

Am 30. Mai 2003 nahmen Sicherheitskräfte in Bangladesch vier Mitglieder der militant-islamistischen Jamaat-ul-Mujahideen Bangladesh fest, in deren Besitz sich 225 Gramm Uranoxid befanden, das mutmaßlich aus Kasachstan stammte. Der einzige Kernreaktor in Kasachstan, Aktau, (früher Shevchenko), war 1999 stillgelegt worden [6].

In Form von sogenannten Pellets ist Urandioxid [7] der wichtigste Kernbrennstoff in Kernreaktoren. Staubwolken aus einem feinen Gemisch von Urandioxid und Luft sind explosiv. Nach so einer Staubexplosion kann radioaktiver Staub durch Menschen mit der Atemluft aufgenommen werden und entfaltet im Organismus eine verheerende Wirkung. Nach Unfällen mit Uranverbindungen müssen Hilfskräfte von der Umgebungsluft unabhängige Atemschutzgeräte verwenden, und Schutzanzüge tragen. Die Eigengefährdung von Hilfskräften ist hoch [8]. Ein Anschlag, bei dem Uranverbindungen in einem weiteren Umfeld freigesetzt werden, wäre demnach besonders perfid.

Generell ist schwach radioaktives Material relativ leicht zu beschaffen. Im Juni 2003 richteten die Internationale Atomenergie-Agentur IAEA, die USA und Russland eine gemeinsame Arbeitsgruppe zur Sicherung radioaktiver Quellen ein, die sich mit der Lokalisierung, Rückgewinnung, Sicherung und Wiederverwertung verwaister radioaktiver Strahlenquellen in der ehemaligen Sowjetunion beschäftigte [9]. Aber das Problem beschränkt sich nicht nur auf den Raum der ehemaligen Sowjetunion: Auch in Nordamerika und Europa kommen den Behörden Jahr für Jahr bedeutende Mengen an radioaktivem Material „abhanden“ [10]. Im Zusammenhang mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine ist sicherlich von Bedeutung, dass auf dem Gelände des stillgelegten Kernkraftwerks von Tschernobyl und darum herum Tonnen hochverstrahlter und langlebiger radioaktiver Abfälle liegen, die überwiegend in Gräben und Abfallgruben deponiert wurden, welche nicht den geltenden Standards entsprechen [11].

Reiner Medienzirkus?

Trotz der weiten Verbreitung von radioaktiven Stoffen in Energiegewinnung, Medizin und Lebensmittelindustrie [12] blieb es bislang glücklicherweise bei wenigen radiologischen Vorfällen. Stark strahlende Abfälle aus Kernkraftwerken, wie beispielsweise abgebrannte Brennstäbe, sind schwierig zu handhaben, denn abgesehen von ihrer starken Strahlung sind sie auch sehr heiß. Wenn es auch einem Selbstmordattentäter egal wäre, ob er sich beim Bau einer Schmutzigen Bombe aus solchen Abfällen selbst tödlich verstrahlt, wäre er wohl kaum in der Lage, die heißen Materialien zu handhaben und würde riskieren, dass er infolge Strahlenkrankheit früher ausfällt, als er die Bombe bauen und an den Einsatzort bringen kann. Aufbewahrung und Transport stark strahlenden Materials bedingen schwere Behälter mit integrierter Kühlung. Schwach strahlende Materialen muss ein Attentäter aber fein in einem begrenzten Raum in der Luft zerstäuben, damit Menschen diesen einatmen, denn Inhalation ist für den menschlichen Organismus besonders gefährlich. Unauffälliger wäre da schon die Verteilung mittels eines speziellen Versprüh-Geräts, denn die Explosion des konventionellen Sprengstoffs einer Schmutzigen Bombe stellt natürlich eine Warnung dar [13]. Und in allen Vorgehensweisen ist der Transport strahlenden Materials nicht einfach, denn heutzutage überwachen Staaten die radiologische Lage auf ihrem Territorium permanent und flächendeckend [14]. Der Attentäter würde als Gefahr laufen, schon beim Transport des Materials aufzufallen.

Angesichts der Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Materials, beim Bau und Einsatz der Bombe stellte das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz deshalb schon vor Jahren fest:

„Die radiologischen Gefahren einer „Schmutzigen Bombe“ werden im Allgemeinen überschätzt“ [15]

Zu ähnlichen Schlüssen kamen auch andere Wissenschaftler. Am Hacker-Kongress Berlin kolportierten Internet-Spione gar, der Mythos von der Schmutzigen Bombe sei wohl vor allem ein Produkt der Medien [16]. Das ist wohl zu verharmlosend, denn die drei erwähnten radiologischen Unfälle der Vergangenheit zeigen, dass ein Attentäter, dem Menschenleben egal sind, Panik stiften und Infrastruktur auf lange Frist hinaus unbenutzbar machen kann, damit seine Tat lange in Erinnerung bleibt.

Vom Attentat zur nationalen Katastrophe

Einem Terroristen, der es darauf anlegt, möglichst viele Menschen zu töten oder zu verletzen, stehen andere, einfacher zu beschaffende und einzusetzende Mittel zur Verfügung. Wenn es ihm hingegen darum geht, die Bevölkerung ganzer Städte in Angst und Schrecken zu versetzen, dann weisen ihm die Zwischenfälle von Ciudad Juarez, Goiânia und Samut Prakarn möglicherweise den Weg, wie strahlendes Material verbreitet werden kann: Unwissende oder auch kriminelle Altstoff-Händler könnten als Mittel der Verbreitung genutzt werden. Das Entsetzen in einer Stadt, in welcher Tausende von Menschen nicht wissen, ob sie allenfalls mit der Strahlenquelle in Berührung kamen, wäre wohl groß, besonders wenn bekannt würde, dass das Material schon tage- oder wochenlang in der Stadt zirkulierte.

In der Ukraine wurden in den Jahren 2014 bis 2022 oftmals Männer zu Opfern von Blindgängern und explosiven Hinterlassenschaften des Kriegs, als sie metallische Gegenstände an sich nahmen, in der Hoffnung, sie irgendwie verwerten zu können. Eine zweite Gruppe stellen Kinder dar, deren Neugier sie offenbar die Gefahren vergessen ließ. Eine besonders skrupellose Täterschaft könnte gerade diese Personengruppen nutzen, um radioaktives Material möglichst weit zu verbreiten.

Der enorme Aufwand, den Katastrophenhilfe-Organisationen treiben müssten, und die Gefahren für Helfer würde Hilfsaktionen zu einer Herausforderung machen. Wenn Rettungspersonal, Ambulanzen, Krankenhäuser und sonstige Einrichtungen verstrahlt werden, kann sich so ein Zwischenfall zu einer Katastrophe nationalen Ausmaßes ausweiten. Dazu kommt wohl noch der Schaden, der entsteht, wenn große Mengen radioaktiven Staubs in die Kanalisation einer Stadt geschwemmt werden. Wenn es darum geht, Infrastruktur unbenutzbar zu machen, dann stellen chemische Kampfstoffe, die in Farbanstriche, Beton, Asphalt und alle porösen Materialen eindringen und über lange Zeit die Gefahr von Kontaktvergiftungen schaffen, aber ein ähnlich wirksames Mittel dar.

Allein, die genauen Folgen eines Attentats mit strahlenden Stoffen einzuschätzen, dürfte für einen Attentäter schwierig sein. Die Neuartigkeit des Mittels würde ihm jedoch weltweite Aufmerksamkeit sichern. Das ist der Grund, weshalb die Gefahr einer Schmutzigen Bombe trotzdem nicht ganz vernachlässigt werden darf, zumal der angerichtete Schaden denjenigen konventioneller Attentate bei weitem übersteigen kann.

Schmutzige Bombe in der Ukraine

In der aktuellen Diskussion manifestiert sich der Charakter des Kriegs in der Ukraine seit 2014 als Informationskrieg. Die politische und militärische Führung Russlands hat die Diskussion sofort als Vorbereitungshandlung im Informationsbereich interpretiert, mit welcher ähnlich wie im Fall Syriens 2013 eine „rote Linie“ gezogen werden soll, deren Überschreiten eine Reaktion des Westens nach sich ziehen muss [17]. Ob diese Interpretation richtig war, ist derzeit kaum zu beurteilen.

Ukrainische Diplomaten wiesen in der Vergangenheit immer gerne darauf hin, dass ihr Land 1994 die aus Sowjetzeiten verbliebenen Kernwaffen an Russland abgegeben habe und im Gegenzug Sicherheitsgarantien der USA, Großbritanniens und Russlands erhalten habe, die sich als wirkungslos herausgestellt hätten. Deshalb – so wurde argumentiert – müsse die Ukraine jetzt das Recht erhalten, Kernwaffen zu beschaffen [18]. Dass die Unterzeichner des Atomwaffen-Sperrvertrags der Ukraine solches erlauben werden, ist eher unwahrscheinlich. Durchaus denkbar ist aber, dass die Ukraine nach einem NATO-Beitritt im Rahmen der nuklearen Teilhabe Zugriff auf Kernwaffen fordert.

Der Westen dürfte ein Interesse an Diskussionen um Schmutzige Bomben und Kernwaffen haben, weil die Thematik geeignet ist, die Öffentlichkeit aufzurütteln und Russland an den Pranger zu stellen. Russland wiederum ist an der Thematik interessiert, weil sie an die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen West und Ost zur Bekämpfung sogenannter transnationaler Bedrohungen erinnert. Eine solche Diskussion will Moskau über die aktuelle Thematik der Ukraine hinaus führen. Unabhängig von der Wahrscheinlichkeit eines Anschlags mit einer Schmutzigen Bombe verdient das Thema erhöhte Aufmerksamkeit, denn im Informationskrieg wird keine Diskussion um ihrer selbst willen geführt. Es wird vielsagend sein zu erfahren, wer die Thematik als nächstes aufgreift.

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