War der Holodomor ein Völkermord?

Mord durch Verhungern in der Ukraine ein Genozid? Maritta Adam-Tkalec meldet Zweifel an, Berliner Zeitung 30.1.2022

von KARENINA

In der Ukraine heißt den Mord durch Verhungern, verursacht durch Stalin 1932/33, Holodomor. Der Bundestag hat das Geschehen vorige Woche als Völkermord anerkannt. Insgesamt starben durch Stalins Politik der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und deren Folgen acht bis neun Millionen Menschen – mehr als 3,5 Millionen in der Ukraine, etwa 3 Millionen in Russland, 1,5 Millionen in Kasachstan.

Maritta Adam-Tkalec beklagt, der Bundestag habe damit „dem Wunsch der heutigen ukrainischen Regierung“ entsprochen. In der Petition heiße es „verdächtig, ‚aus heutiger Perspektive liegt eine historisch-politische Einordnung als Völkermord nahe‘“.

Juristisch sei „die Lage nicht eindeutig“, meint sie. „War die Vernichtung der Ukrainer die Absicht? Es traf ja ebenso Millionen Russen.“ Erst Putins Überfall auf die Ukraine habe diese „heutige Perspektive“ geschaffen, schreibt Adam-Tkalec, „in der historische Urteilsgerechtigkeit keine Rolle spielt. Bundestagsabgeordnete haben politisch entschieden.“

In anderen Fällen habe der Bundestag anders entschieden – oder gar nicht: Sie nennt die Blockade Leningrads durch die Wehrmacht („Dort war der Tod der Millionenbevölkerung durch Aushungern klar beabsichtigt.“), „die genozidale Absicht der Niederschlagung des Warschauer Aufstands“, den „Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika“. Die Kommentatorin fragt: Warum nicht? Ihr Antwort: „Solche Beschlüsse zögen Entschädigungsforderungen nach sich.“

Während sich die Abgeordneten beim durch Deutschland verursachten Unheil aus der Geschichte stehlen, so Adam-Tkalec, beugten sie sich ukrainischem Druck. „Doch historische Fakten je nach politischer Opportunität zu drehen, ist ein Merkmal von Diktaturen.“ Dass die Ukraine dränge, sei verständlich. „Aber deutsche Politik wird nicht in Kiew gemacht.“  PHK