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Auch Waffenkauf schafft Abhängigkeit

Published On: 27. Januar 2023 14:23

Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius war von Journalisten umgeben, Mikrofone streckten sich ihm entgegen. Er sollte wiederholen, was er kurz zuvor bereits im Tagungssaal der Ukraine-Unterstützungsgruppe auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein gesagt hatte. Die Regierung in Berlin, so der Sozialdemokrat gegenüber seinen Amtskollegen aus mehr als fünfzig Ländern, habe noch nicht entschieden, ob sie die Lieferung von Leopard 2 durch andere Staaten genehmige.

Dabei benötigt die Ukraine Kampfpanzer, um sich weiter gegen den russischen Angriff verteidigen zu können. Doch Bundeskanzler Olaf Scholz zögert und steht deshalb massiv unter dem Druck vieler Verbündeter. Pistorius antwortete auf die Frage, warum sich Deutschland immer noch nicht bewege, mit zwei Sätzen: Es gebe gute Gründe für die Lieferung und gute Gründe dagegen. Und: Alle Argumente müssten sorgfältig abgewogen werden.

Das klang ausweichend, und die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Die Lieferung sei dringend nötig, „um die russische Aggression zu stoppen, der Ukraine zu helfen und den Frieden in Europa schnell wieder herzustellen“, teilte am Samstag der lettische Außenminister Edgars Rinkevics mit. Deutschland habe als europäische Führungsmacht diesbezüglich eine besondere Verantwortung. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter erklärte, er sehe Deutschland durch die zögerliche Haltung der Bundesregierung inzwischen isoliert.

Gründe dafür, Gründe dagegen

Als in Ramstein kurz nach Pistorius der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin vor die Presse trat, wurde er gefragt, ob sich Deutschland in Europa ausreichend als Führungsmacht engagiere. Austin konnte sich daraufhin ein Lächeln nicht verkneifen, erwiderte dann aber, Deutschland tue genug und sei ein „zuverlässiger Verbündeter“. Dabei dürfte er genau wissen, warum Pistorius von guten Gründen für und guten Gründen gegen Panzerlieferungen sprach.

Die Gründe dafür sind militärischer Natur: Ohne Panzer kann sich die Ukraine nicht erfolgreich verteidigen. Die Gründe dagegen wurden bisher von der deutschen Regierung eher ausweichend benannt.

Aus der deutschen Rüstungsindustrie ist jedoch die Sorge zu hören, dass die Amerikaner nur darauf warteten, den Europäern für ihre Leopard-Lieferung Ersatz durch eigene Panzer zu offerieren. Der Ukraine-Krieg biete den USA gerade die Gelegenheit, nach Helikoptern, Kampfjets und Raketen nun auch mit Panzerfahrzeugen auf dem europäischen Rüstungsmarkt Fuß zu fassen und die deutsche Konkurrenz zu verdrängen.

Staaten sollen US-Waffen kaufen

Dafür spricht, dass die Amerikaner aus ihren rüstungspolitischen Interessen seit Jahrzehnten kein Geheimnis machen. In den 1960er-Jahren gründeten sie die „Defense Security Cooperation Agency“, eine Agentur, die dem US-Verteidigungsministerium untersteht. Ihre Aufgabe ist es, Staaten davon zu überzeugen, amerikanische Waffen zu kaufen. Das Ziel besteht darin, sie auf diese Weise nachhaltig an die USA zu binden. Für die Amerikaner hat das mehrere Vorteile.

Partner mit den gleichen Waffen sind leichter in von den USA geführte Militärkoalitionen einzubinden. Durch Waffenkäufe sorgen sie zudem dafür, dass die Stückzahlen steigen und damit die Kosten sinken. Das nützt dem Pentagon, das für seine Waffen weniger bezahlen muss.

Die amerikanische Rüstungsindustrie schließlich kann die zusätzlichen Einnahmen in die Verbesserung und die Entwicklung neuer Waffen investieren. Das stärkt nicht nur ihre Kapazitäten, es steigert auch „unsere Fähigkeit, das tödlichste Militär der Welt zu bleiben“. So steht es zumindest auf der Website der „Defense Security Cooperation Agency“.

Scholz‘ Dilemma

Wenn Lloyd Austin die deutsche Regierung drängt, die Genehmigung zur Lieferung von Leopard 2 in die Ukraine zu erteilen, dann muss er auch amerikanische Interessen im Blick haben. Für die Deutschen ist das ein Dilemma. Gibt Scholz nach, schadet er den deutschen Interessen. Bleibt er hart, riskiert er, dass die Ukraine weitere Gebiete verliert, und schadet damit ebenfalls den deutschen Interessen. Wie es zu dieser vertrackten Situation kommen konnte, hat mit der deutschen Sicherheitspolitik der vergangenen dreißig Jahre zu tun.

Regierungen alle Couleur strichen das Budget für die deutsche Bundeswehr zusammen. Es gab kaum noch Geld für neue Waffen. Die Rüstungsunternehmen bekamen keine Aufträge mehr und mussten Kapazitäten abbauen. Panzer wie der Leopard 2 wurden nicht mehr industriell, sondern in Manufakturarbeit hergestellt. Das dauert länger und ist teurer. Von der Produktion des Panzerstahls bis hin zur Übergabe des Fahrzeugs an den Kunden vergingen mitunter zwei Jahre. Doch die Kunden hatten keine Eile, es war Frieden. Und Panzer schienen ohnehin ein militärisches Auslaufmodell zu sein. Alle Welt sprach von Cyber- und Drohnenkrieg.

Kapazitäten zu stark abgebaut

Dann kam der russische Überfall auf die Ukraine, und plötzlich erkannten nicht nur die deutsche Bundeswehr, sondern auch andere westliche Streitkräfte, dass sie ihre Kapazitäten zu stark abgebaut hatten. Wenn sie ihre ohnehin zu wenigen Kampfpanzer nun an die Ukraine abgeben sollen, brauchen sie Ersatz. Nicht irgendwann, bis die deutsche Panzerindustrie liefern kann, sondern sofort. Niemand will blank dastehen, wie es der deutsche Heeresinspekteur bei Kriegsausbruch am 24. Februar 2022 für die Bundeswehr beklagte.

Die deutsche Panzerindustrie hat einen hervorragenden Ruf im Ausland. Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall haben mit dem Leopard 2 den besten Panzer weltweit gebaut, aber auch einen der teuersten (7 bis 8 Millionen Euro in der Version 2A7). Allein in der Nato und der EU gibt es sechzehn Länder, die den Leopard 2 gekauft haben. Manche besitzen mehrere hundert Stück, etwa die Türkei, Griechenland, Spanien, Polen und Finnland. Andere haben nur fünfzig oder noch weniger, zum Beispiel Norwegen, Dänemark und Kanada.

Auch Rüstungskauf schafft Abhängigkeiten

Die Wahl eines Panzermodells ist eine langfristige Bindung. Die Ausbildung und das Training der Soldaten, die Infrastruktur für Wartung und Reparatur, die Versorgung mit Ersatzteilen – das alles lässt sich nicht von heute auf morgen von einem Panzertyp auf den anderen umstellen. Wer einmal im Geschäft ist, bleibt auf Jahrzehnte. Im Umkehrschluss: Wer einmal aus dem Geschäft ist, bleibt für lange Zeit draußen.

Das ist nicht nur wirtschaftlich ein Verlust. Der Verkauf von Waffen sichert dem Staat Steuern und Arbeitsplätze und den Unternehmen ihre Renditen. Vor allem aber sind Rüstungsexporte Bestandteil der Außen- und Sicherheitspolitik. Wer einem anderen Staat das liefert, womit er seine eigenen Streitkräfte ausrüstet, sorgt für Vertrauen und zugleich auch für wirtschaftliche Abhängigkeit – und gewinnt damit an Einfluss.

Ein U-Boot mit einem beschädigten Propeller kann beispielsweise nur dann wieder in den Einsatz geschickt werden, wenn der Produzent einen neuen Propeller liefert. Damit kann das Herstellerland die Kampffähigkeit des Kundenstaats direkt beeinflussen. In Deutschland aber wurden Rüstungsexporte jahrzehntelang nicht unter diesem Aspekt betrachtet, sondern unter wirtschaftlichen, vor allem aber unter ethischen Gesichtspunkten.

Politiker insbesondere aus dem linken Spektrum wollten, dass am liebsten gar keine Waffen aus Deutschland mehr ins Ausland exportiert werden. Sie waren überzeugt, dass die Welt dadurch friedlicher würde.

Die Amerikaner verfolgen eine andere Politik. Frankreich bekam das vor zwei Jahren zu spüren, als Australien einen Vertrag über den Bau von U-Booten im Wert von 56 Milliarden Euro kurzerhand kündigte, um amerikanische Boote zu kaufen. Zuvor hatte die US-Regierung mit der australischen Regierung und Großbritannien ein Sicherheitsbündnis geschlossen, das den Australiern den Beistand der Vereinigten Staaten zusicherte. Als Gegenleistung sollten die Australier ihre Waffen in den USA kaufen.

US-Rüstungsindustrie drängt nach Europa

Aus Kreisen der deutschen Rüstungsindustrie heißt es, dass die US-Regierung schon seit Jahren versuche, ihre Waffenverkäufe in Europa zu intensivieren. Das Geschäft scheint gut für beide Seiten zu sein, amerikanische Waffen gehören ebenfalls zu den besten der Welt. Doch der Handel hat auch seinen Preis. Im Januar 2022 vereinbarten die Amerikaner mit Kroatien die Lieferung von 89 gebrauchten Schützenpanzern Bradley, darunter 22 als Ersatzteilspender. Der Verkaufspreis betrug 130 Millionen Euro abzüglich 46 Millionen Euro, die das US-Verteidigungsministerium übernahm.

Doch was zunächst wie ein Schnäppchen klang, entpuppte sich als teures Unterfangen. Die Bradley sind mehr als dreißig Jahre alt. Kroatien musste ein Gesamtpaket inklusive Ersatzteile, Instandhaltung und Wartung kaufen. Gesamtvolumen: 630 Millionen Euro.

Besonders schmerzhaft für die deutsche Panzerindustrie ist die Entwicklung in Polen. In den vergangenen zwanzig Jahren hat das Land mehr als 200 Leopard 2 in Deutschland gekauft. Nach der russischen Annexion der Krim verschlechterte sich das deutsch-polnische Verhältnis. Die Regierung in Warschau warf Berlin eine viel zu unkritische Politik gegenüber Moskau vor. Deutschland galt für Polen als zunehmend unsicherer Kantonist, auch bei Waffenkäufen.

Im Juli 2021 kündigte Verteidigungsminister Mariusz Blazczak an, in den USA 250 neue und 116 gebrauchte Kampfpanzer M1 Abrams zum Gesamtpreis von 8,85 Milliarden Euro zu kaufen. Im Sommer vorigen Jahres vereinbarte Polen zudem den Kauf von eintausend Kampfpanzern K-2 in Südkorea.

Der Hersteller wird dazu ein Werk in Polen aufbauen. Auch die deutsche Industrie hatte sich um den Auftrag beworben, ging aber leer aus.

Polen kauft inzwischen Panzer aus den USA und Südkorea. Für Deutschland ist dies auch politisch schmerzhaft, weil mit den polnischen Entscheidungen eines klar geworden ist: Deutschland, der Nachbar, ist kein strategischer, kein vertrauenswürdiger Partner mehr. Das sind jetzt die weit entfernten USA und das noch weiter entfernte Südkorea.

Deutsche Industrie verliert an Boden

Vertreter von Rüstungsfirmen, die anonym bleiben wollen, berichten, die Amerikaner böten Ländern, die Leopard 2 an die Ukraine liefern könnten, gebrauchte Panzer als Ersatz aus dem eigenen Bestand und eine langfristige Industriepartnerschaft an. Jedes Land, das auf das amerikanische Angebot eingehe, sei für die deutsche Panzerindustrie kaum zurückzugewinnen. Darüber hinaus sinke auch der rüstungspolitische Einfluss Berlins.

Ob die Befürchtungen der deutschen Rüstungsindustrie für Kanzler Scholz eine entscheidende Rolle bei seiner zögerlichen Haltung zu den Panzerlieferungen spielen, sei dahingestellt. Auch die Wehrwirtschaft in Deutschland muss sich fragen, ob sie nicht längst wieder ihre Kapazitäten signifikant hätte erhöhen müssen. Der wachsende Bedarf nicht nur der Ukraine, sondern auch der westlichen Staaten an Kampfpanzern liegt spätestens seit dem 24. Februar 2022 auf der Hand. Das erste Mal seit Jahrzehnten boomt im Westen die Nachfrage nach Waffen, doch die deutschen Produzenten können kaum liefern.

In den USA indes zählt man bereits zusammen, was die Waffenverkäufe an europäische Verbündete als Ersatz für deren Lieferungen an die Ukraine einbringen könnten. Das „Center on Military and Political Power“ der Foundation for Defense of Democracies, eine offenbar von Israel finanzierte Lobbyorganisation in Washington, berichtete vor kurzem, dass ein Gesamtvolumen in Höhe von 21,7 Milliarden Dollar zu erwarten sei, unabhängig davon, ob es sich um gebrauchte oder fabrikneue Waffen handele.

Vor einigen Tagen klagte Olaf Scholz, in Anbetracht der geringen Stückzahlen, die die deutschen Rüstungsunternehmen produzierten, könne „von einer wirklichen Industrie“ nicht gesprochen werden. Er forderte, die Produktion von Waffen und Munition deutlich auszuweiten. Am Samstag schlug der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil einen „Pakt mit der Rüstungsindustrie“ vor.

Beide Aussagen zeigen einmal mehr, dass in der deutschen Sicherheitspolitik kein Mangel an Erkenntnis, sondern ein Mangel an Umsetzung besteht. Es bleibt die Frage, warum es diesen Pakt nach knapp einem Jahr Ukraine-Krieg mit der Industrie nicht schon längst gibt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 23.1.2023 erschienen in: Neue Zürcher Zeitung / © Neue Zürcher Zeitung

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