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Hoffnung für die Bundeswehr

Published On: 7. Februar 2023 6:24

Die schlechte Ausstattung der Bundeswehr ist seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ein immer präsentes Thema und steht oft in der Kritik. Doch es besteht Hoffnung: Seit der Genehmigung des Sondervermögens gibt es erste gute Ansätze der Verbesserung.

Als ich 2018 nach Afghanistan reiste, habe ich eigene Erfahrungen mit der Ausstattung der Bundeswehr gemacht. Der Hubschrauber Mi 44, der mich und zwei andere Gäste der Militärseelsorge von der nördlich im Land gelegenen Stadt Masar i Sharif ins südlich gelegene Kabul bringen sollte, stammte aus russischen Beständen. Für alle Fälle wurden Schutzwesten, Helme und Gehörschutz ausgegeben.

Hauptmann Manfred B. und die anderen Mitglieder des „Close Protection Teams“ trugen Waffen. Natürlich ging mir der Gedanke durch den Kopf, das hier könnte gefährlich sein. Aber schon rannten alle zum Drehflügler, hinein auf die einfachen Bänke für die Passagiere. Nach dem Anschnallen hob das Fluggerät ab. Diese Anekdote über die militärische Lage in Afghanistan zeugt von der alltäglichen Mangellage in der Bundeswehr.

2018 war es nicht immer möglich, mit eigenem Fluggerät der Bundeswehr vom Norden des Lands nach Kabul zu fliegen. Der Betreiber war ein Ziviler, ein Lufttaxi sozusagen. Mehr als 5000 Höhenmeter sind beim Flug über die Berge zu überwinden, da wird die Luft auch für die Passagiere dünn. Zwar hatte ein Soldat bei der Einweisung am Boden versichert, die Maschinen seien absolut zuverlässig. Es war jedoch nicht einfach, sich als Passagier beim fast dreistündigen Flug ganz auf diese Aussage zu verlassen.

Die von Kanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigte „Zeitenwende“ wird im Februar ein Jahr alt und provoziert die Frage, was bezüglich der Ausrüstung der Bundeswehr denn nun passiert ist. Zuerst war der Überfall Russlands auf die Ukraine ein richtiger Schock, aber zugleich ist er der Anlass, der Bundeswehr wie der Regierung bei der Verteilung des 100 Milliarden großen Sondervermögens auf die Finger zu schauen.

Die lange Mängelliste der Bundeswehr

Zuerst: Viele Probleme bei der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands sind seit Jahren bekannt. Bei Manövern und Auslandseinsätzen mussten sich Truppenteile regelmäßig Schutzwesten, Nachtsichtbrillen und Funkgeräte bei anderen Garnisonen ausleihen. Besuche in Bundeswehrgarnisonen brachten immer wieder zutage, dass die Ausrüstung am Mann oder an der Frau einfach nicht verfügbar war.

Die Wehrbeauftragte Eva Högl, auch ihr Vorgänger Hans-Peter Bartels haben das Dilemma regelmäßig in ihre Wehrberichte geschrieben, passiert ist erst in letzter Zeit einiges. Der Högl-Bericht von 2021 stellt fest: Über Jahre mussten sich Soldaten für Manöver und Einsätze Teile bei anderen Kompanien ausleihen. Mal fehlten Schutzbrillen oder -westen, mal Nachtsichtgeräte, mal Winterbekleidung oder Zelte. Das Verteidigungsministerium räumte 2019 ein, die materielle Einsatzbereitschaft liege in einigen Bereichen bei unter 40 Prozent und 60 Prozent der neu angeschafften Waffensysteme seien nicht oder nur eingeschränkt benutzbar.

Beim militärischen Großgerät war das nicht anders. Der Historiker Sönke Neitzel stellte schon 2020 in seinem Buch „Deutsche Krieger“ fest, mit dem Schützenpanzer (SPz) Puma gebe es Einsatzprobleme, meist elektronischer Art. Erst kürzlich sind alle eingesetzten 18 Fahrzeuge bei einem Schießen in der Lüneburger Heide ausgefallen, obwohl sie 2021 als „kriegstauglich“ zertifiziert worden waren.

Allerdings hat man im Verteidigungsministerium (BMVg) auf die Misere mit einem „neuen Risikomanagement“ reagiert und hofft so, das Problem in den Griff zu bekommen. Bei der persönlichen Ausstattung will die Verteidigungsministerin laut Högl 2,4 Mrd. Euro investieren.

Wann steht das Sondervermögen bereit?

Die Zeitenwende macht sich im Bundeshaushalt 2023 durchaus bemerkbar: Die Gesamtausgaben liegen unter Einschluss eines Teilbetrags aus dem Sondervermögen bei 58,6 Milliarden Euro. Militärische Beschaffungen schlagen mit 8 Milliarden zu Buche, für das Waffensystem Eurofighter 1,45 Milliarden sowie für Munition 1 Milliarde Euro. Der Mangel an Munition stand zuletzt sehr in der Kritik. Freuen dürften sich auch die Frauen und Männer der Bundeswehr über die gestiegenen Ausgaben bei Bekleidung und persönlicher Ausrüstung (892 Millionen).

Doch wie schnell steht das Sondervermögen zur Verfügung und in welchem Zeitraum soll es verausgabt werden? Im Verteidigungsministerium (BMVg) in Berlin sitzt die Sprecherin für Rüstung Sarah Ruschel, eine absolute Fachfrau. Seit 2008 steht die Regierungsdirektorin in dieser Verantwortung, kümmert sich um die materielle Einsatzbereitschaft der Truppe und zugleich um das umfassende Informationsmanagement. Sie räumt auch gleich mit einem Vorurteil auf: „Das Heer kommt nicht schlechter weg als die anderen Teilstreitkräfte.“

Wichtig sei: „Die Beschaffung ist priorisiert und wir priorisieren ständig neu.“ Deutlich werde dies besonders an der vorgezogenen Beschaffung einer Vollausstattung der Soldatinnen und Soldaten seit April 2022. Zum Kampfbekleidungssatz gehören Schutzweste, Kampfstiefel, ein modulares Rucksacksystem, Gefechtshelm und Gehörschutz. Nicht zuletzt warme Unterwäsche, die allerdings nicht von der Stange gekauft werden könne. Die oft reklamierten Nachtsichtgeräte stehen ebenfalls noch in der „Pipeline“.

Westliche Waffen den russischen überlegen

Diese Fortschritte zeigen: Die Chance, mit dem Sonderhaushalt die Wende für die Bundeswehr zu schaffen, ist noch nicht vertan. Aber gerade jetzt bedarf es ministerieller Entschlossenheit, die alle Mitarbeitenden im BMVg motiviert und erreicht. Den benötigten Motivationsschub für die Truppe könnte der Milliardenregen aus dem Finanzministerium durchaus auslösen.

Wie wichtig eine Verbesserung der Ausstattung der Bundeswehr ist, hat der Konflikt in der Ukraine deutlich gezeigt. Der Bundeskanzler hat in seiner Wenderede gefordert, zu verhindern, dass Putins Krieg auf andere Länder in Europa übergreift. Der russische Präsident solle die Entschlossenheit des Nato-Bündnisses nicht unterschätzen, sich gegenseitig militärischen Beistand zu garantieren. „Wir stehen zu unserer Beistandspflicht“, versicherte der Kanzler.

An diesem Punkt sind die Militärs auf Nachfrage recht sicher. Denn immerhin haben die der Ukraine gelieferten westlichen Waffen sich oft den russischen als überlegen erwiesen, nicht zuletzt der Flakpanzer Gepard und die Panzerhaubitze 2000.

Bündnisverteidigung in Litauen

Echte militärische Unterstützung der Ukraine findet an der Nato-Ostflanke in Litauen statt. Hier erfüllt die Bundeswehr den Kernauftrag der Bündnisverteidigung. Seit 2014 verstärkte sie die eFP-Battlegroup im Baltikum mit Kampftruppen. Auf die Ausrüstung angesprochen, sagte 2022 der dortige Kommandeur Daniel Andrä: Es werde „jeder Zentimeter des Nato-Territoriums verteidigt“, die militärischen Fähigkeiten würden täglich durch Ausbildung und Übungen sowie Gefechtsschießen garantiert. Aus professioneller Sicht seien die Fähigkeiten bei Flugabwehr, Aufklärung, Logistik und Artillerie ständig verstärkt worden. „Das Einzige, was ich vermisse, sind bessere Funkgeräte.“ Da sind mittlerweile Neuanschaffungen getätigt, die auch die Kommunikation mit Soldaten anderer Nationen erleichtern.

Beim Besuch einer Kampftruppe wie in Litauen stellen Außenstehende schnell fest, dass es sich um eine robuste Art von Soldaten handelt. Klare Befehle, schnelle Ausführung, echte Kameradschaft. Bei Gefechtsübungen gehört es dazu, immer wieder die Rettung von Verwundeten einzuüben. „Keiner wird zurückgelassen“ ist wohl die Botschaft. Der Sanität in der Bundeswehr wird bestätigt, dass sie sich  auch international auf dem höchsten Niveau befindet.

Für eine schnelle Reaktion der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) auf einen angenommenen russischen Einmarsch in die Baltikumstaaten Estland, Lettland, Litauen und auch Polen will die Bundeswehr bis zu 8000 Soldaten und Soldatinnen stellen. Zusätzlich 85 Flugzeuge und Schiffe. Ein ganzer Teil davon müsste allerdings im Krisenfall dorthin verlegt werden. Im Verteidigungsministerium ist man überzeugt, diese „Kaltstartfähigkeit“ leisten zu können.

Deutschland übernimmt 2023 die Führung der Schnellen Nato-Eingreiftruppe. Binnen 48 bis 72 Stunden soll eine Verlegung ins Baltikum leistbar sein. An der sogenannten Speerspitze des Verteidigungsbündnisses beteiligen sich auch Belgien, Tschechien, Lettland, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen und Slowenien.

Selbst das Puma-Desaster scheint vorerst gezähmt. Zum Start des neuen Jahres gab jedenfalls die Industrie Entwarnung. Die ausgefallenen SPz seien wieder repariert. Es habe sich in allen Fällen um „Bagatellen“ gehandelt. Nur ein Fahrzeug sei durch einen Kabelbrand schwerer beschädigt gewesen, teilten die Rüstungsunternehmen Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann als gemeinsame Hersteller mit.

Ein gutes Licht auf die ehemalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht wirft das nicht. Denn sie hatte nach dem Vorfall im Dezember voller Entrüstung mit einer einseitigen Schuldzuweisung die weitere Anschaffung des Puma ausgesetzt, obwohl die Pannenursache völlig unklar war. Menschliches Versagen, Materialverschleiß oder Konstruktionsmängel konnten nicht ausgeschlossen werden. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sah das ohne Panik: Es werde nun ein Plan erarbeitet, wie der Puma künftig unter Gefechtsbedingungen eingesetzt werden könne.

Die Zeitenwende – das Wort des Jahres 2022 – wird die nationale Sicherheitsstrategie grundlegend verändern, meinte die ehemalige Verteidigungsministerin jüngst in einer Grundsatzrede. Das Sondervermögen für die Bundeswehr bietet dabei eine große Chance, die man nutzen muss. Dafür muss sich aber auch im Ministerium einiges grundlegend ändern.

Roger Töpelmann war bis 2020 Sprecher des Evangelischen Militärbischofs, war selbst in Afghanistan und anderen Auslandseinsätzen sowie an zahlreichen Standorten der Bundeswehr.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 18.1.2023 im Rahmen der Open-Source-Initiative der Berliner Zeitung erschienen. Wir danken dem Autor und dem Verlag für die Erlaubnis, diesen Text auf KARENINA zu veröffentlichen.

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