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Wie gesetzeskonform verlaufen Inobhutnahmen?

Published On: 12. Februar 2023 7:17

Inobhutnahmen – aus welchen Grund auch immer – sind für alle tragisch. Wie kommt es dazu und wann sind diese angemessen? Nach den Gesprächen mit einer Anwältin und einer Sozialarbeiterin zu einem konkreten Fall, sprach ich mit einer weiteren Fachanwältin über das Thema. Diese nannte mir drei Gründe für Inobhutnahmen, die schärfste Waffe des Jugendamtes.

Diese sind:

  1. Kindeswohlgefährdung
  2. unbegleitete Minderjährige
  3. ein Kind, das selbst aktiv beim Jugendamt um Inobhutnahme anfragt

Kinder müssen eine Instanz haben, an die sie sich in einer Krise wenden können. Aufgabe des Jugendamtes ist es, zu klären, ob eine Rückführung in die Familie nach dieser Maßnahme sinnvoll und möglich ist.

Auch im Gespräch mit ihr wird deutlich: Gerade während der letzten drei Jahre hat die hohe Verunsicherung der Kinder zu vielen familiären Krisen geführt.

Können Sie sich bitte vorstellen?

Mein Name ist Regina Scherf. Ich bin Fachanwältin für Familienrecht und habe mich mit meiner Kanzlei besonders auf Kindschaftsrecht spezialisiert. Das umfasst alles zum Thema Umgang, Sorge, Herausnahme aus der Familie – alles rund um das Thema Kindeswohl. Das mache ich seit 2012, vorher waren es nur einzelne Fälle. Als Dozentin an der TH Köln lehre ich auch in diesem Themenkomplex.

Haben Sie eine Zunahme an Inobhutnahmen beobachtet?

Ich habe mir die Statistiken angeschaut – die Angaben sind widersprüchlich. 2016 gab es bereits einen Peak, danach ging es wohl leicht zurück. Von dem, was man hört, soll 2022 eine Zunahme erfolgt sein, offizielle Zahlen gibt es aber noch keine. Was mir aber untergekommen ist, zumindest nach meiner subjektiven Wahrnehmung, ist eine Zunahmen an Fällen, in denen Inobhutnahmen nicht gesetzeskonform verlaufen.

Inwiefern?

Inobhutnahmen sind eine Ausnahmemaßnahme. Das Jugendamt ist nur unter sehr engen Voraussetzungen befugt, Kinder aus der Familie herauszunehmen. Normalerweise müssen die Sorgeberechtigten zustimmen. Denn letzten Endes haben nur sie die Befugnis zu entscheiden, ob eine Fremdunterbringung erlaubt wird oder nicht.

Sieht es das Jugendamt als erforderlich an, gegen den Willen der Eltern vorzugehen, kommt es zu einer gerichtlichen Klärung beim Familiengericht, das dann bestimmt, ob es zu einem Sorgerechtsentzug und bzw. oder zu einer Fremdunterbringung kommt. Eine Inobhutnahme ist nur dann durchzuführen, wenn eine Gerichtsentscheidung nicht abgewartet werden kann. Und das sollten eben absolute Ausnahmefälle sein. Mir begegnen jetzt aber zunehmend Fälle, in denen die Inobhutnahme als Druckmittel gegen die Eltern angewendet wird, obwohl hinreichend Zeit und Möglichkeiten bestünden, das Familiengericht einzuschalten.

Die Jugendämter schaffen damit Fakten?

Ja. Diese können natürlich über die Gerichte wieder korrigiert werden, aber das betroffene Kind ist dann bereits fremduntergebracht.

Stellen Sie Unterschiede zwischen den Jugendämtern fest?

Die Jugendämter agieren unabhängig voneinander – es gibt keine Vorgaben außer die gesetzlichen. Die Arbeitsweise ist sehr unterschiedlich. Ich kenne hervorragende Jugendämter an denen nichts auszusetzen ist, andere verhalten sich definitiv nicht gesetzeskonform. Ich kann mir vorstellen, dass es auch an der personellen Aufstellung der einzelnen Ämter liegt. Seit Jahren ist ein zunehmend gravierender Personalmangel festzustellen.

Welche Arten von Fällen haben Sie in Ihrer Kanzlei?

Überwiegend vertrete ich Pflegeeltern. Die Mehrheit der Fälle bei denen es um Inobhutnahmen geht, kommt allerdings überwiegend aus unterprivilegierten Familien – zumindest nach meiner Wahrnehmung. Die Jugendämter müssen ja auch Kenntnis von der Situation bekommen und die meisten Meldungen erfolgen – statistisch gesehen – aus Familien bei denen bereits eine Hilfe durch das Jugendamt installiert wurde.

In der Corona-Zeit haben sich aber auch viele Eltern gemeldet, die Testungen, das Maskentragen oder die Isolierung der Kinder in der Schule ablehnten. Als Eltern und Sorgeberechtigte müssen sie ja reagieren, wenn ihre Kinder leiden. Viele Kinder haben unter dieser schulischen Situation gelitten – also bestand Handlungsbedarf. Die angeordneten Maßnahmen brachten sie in ein Dilemma. Einzelne Schulen haben das akzeptiert, haben Home-Schooling, Unterricht mit Zoom-Einschaltung oder Heimarbeit erlaubt, haben sich also um Lösungen bemüht. Andere waren dagegen enorm rigoros, haben bei längerer Schulabstinenz die Entschuldigung nicht akzeptiert und die Betroffenen direkt beim Jugendamt gemeldet. Der vorauseilende Gehorsam war in einzelnen Schulen wirklich enorm.

Was hatte das für Konsequenzen?

Wenn Eltern nicht dafür sorgen, dass die Kinder der Schulpflicht nachkommen, hat das ordnungsrechtliche Konsequenzen, was zu Ordnungstrafen führt. Schulabstinenz kann auch als Indiz für Kindeswohlgefährdung gewertet werden, da Bildung und Sozialisierung für die Kinder wichtig sind. Im Rahmen des Lockdowns war die Isolation offiziell ok – als die Kinder dann endlich wieder zur Schule durften, erschien für manche Verantwortliche das Tragen der Maske als deutlich geringeres Übel. Mehrere derartige Fälle hatte ich auch in meiner Kanzlei. Da konnte man die Unterschiede der Bewertung sehr deutlich sehen.

Unterschiedliche Bewertung – in welcher Hinsicht?

Es gab kooperative und rigorose Schulen, es gab kooperative und rigorose Jugendämter. Manche haben genau hingeschaut und – wenn sie feststellten, dass die Bildung im individuellen Fall nicht gefährdet ist – das Ganze auf sich beruhen lassen. Manche haben aber auch – ohne genaue Fallprüfung die Sache schnell an das Familiengericht weitergeleitet. Auch die Gerichte agierten unterschiedlich, manchmal wurden Maßnahmen ergriffen, manchmal nicht. Die Probleme wurden durch Internetmeldungen auch noch befeuert.

Wie denn das?

Maßnahmenkritische Eltern haben lautstark dazu aufgerufen, sich als Eltern zur Wehr zu setzen. Es gab bitterböse Briefe an die Schulen, die ich als strategisch sehr ungeschickt bezeichnen muss. Ich habe meinen Mandaten empfohlen, nicht in die offene Konfrontation zu gehen. Auch wenn es berechtigt und nachvollziehbar war, es war nicht sinnvoll. Es geht ja um die Situation ihrer Kinder, nicht um die Verbesserung der Welt. Machen sich Eltern angreifbar, geht es den Kindern schlechter. Dabei sollte doch der Kinderschutz im Vordergrund stehen.

Waren Ihre Mandanten erfolgreich?

Ja. Meine Mandanten, die – teilweise zähneknirschend – eine systemkonformere Haltung eingenommen haben, konnte ich stressfrei durch die Verfahren begleiten und Inobhutnahmen verhindern.

Manche waren von drastischen Schritten nicht abzubringen. Die radikale Haltung hat auch dazu beigetragen, dass wir nicht in einem ewigen Lockdown geblieben sind. Trotzdem würde ich immer dazu raten, in Kindschaftssachen nie aggressiv zu werden. Der Kampf mit härteren Bandagen scheint mir nicht sinnvoll, wenn es das Ziel sein muss, Jugendamt oder Gericht zum Freund der Eltern zu machen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Haben Sie auch Fälle im Bereich Impfung? Die Masernimpfung ist ja auch zur Pflichtimpfung bei Kindern und Jugendlichen geworden.

Sorgerechtsfälle habe ich da bis dato noch keine. Ich habe nur miteinander streitende Eltern vertreten, die getrennt lebend unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Notwendigkeit hatten. Wenn der Vater ein Befürworter ist, die Mutter die Impfung aber ablehnt, wird das sehr bitter. Die Gerichte halten sich in der Regel an die Vorgaben der STIKO. Wird eine Impfung seitens der STIKO empfohlen, wird diese von den Gerichten auch als sinnvoll angesehen. Entsprechend wird dann auch entschieden.

Wie hat sich die Situation in Ihrer Kanzlei entwickelt?

Die Situation hat sich entschärft, nachdem die Maßnahmen weggefallen sind. Man musste nur einen gefühlt langen Zeitraum überbrücken. Und wie erfolgreich einem das gelungen ist, hing vom Verhalten der Eltern, aber auch von der Schule, Jugendamt, Betreuer und Gericht ab.

Es gab also keine einheitliche Linie?

Nein. In allen Institutionen gab es die unterschiedlichsten Positionen – wie in der Gesellschaft als Ganzes. Einige sagten, es ist ein brandgefährlicher Virus, wir müssen uns und die Vulnerablen schützen. Wenn die Experten sagen, dass wir Maske aufsetzen und Abstand einhalten müssen, ist das immer noch besser als zu sterben.

Andere nahmen eine kritische Haltung an, wurden aber für ihr Verhalten enorm angegriffen. Das konnte bis zum Verlust des Rufs und der Zerstörung der beruflichen Existenz gehen. Es wurde ein enormer Druck auf die Menschen aufgebaut. Also haben es viele auch nicht offen kundgetan und nur hinter vorgehaltener Hand gesagt: „Ich sehe es auch nicht so, aber wir müssen so handeln, weil es vorgegeben wird.“

Je nachdem mit wem man zu tun hatte, konnte sich der Fall sehr unterschiedlich entwickeln. Die radikalen Haltungen auf beiden Seiten waren kontraproduktiv. Es gab allerdings auch Einzelfälle, die wirklich haarsträubend waren, in denen Kinder bereits im Kindergarten massiv traumatisiert wurden. Da war es unbedingte Pflicht der Eltern zu reagieren, das ist ja im Sorgerecht immanent enthalten.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?

Ich muss mich der Sorge der früheren Mitarbeiterin vom Jugendamt leider anschließen, dass die Umerziehung unserer Kinder System hat. Die entsprechenden Gesetze sind alle auf den Weg gebracht und schlagen voll durch. Ich bin aber froh, dass die Situation sich etwas entspannt hat, es wieder zu einer Annäherung kommen kann und wir die Spaltung überwinden. Aber dafür ist sehr viel aufzuarbeiten.

Danke für Ihr Engagement

Mein Resümee

Ich gestehe, der eingangs erwähnte Hilfeaufruf hat auch meine Vorurteile getriggert. Im Netz findet man zahlreiche entsprechende Aussagen und auch TKP hat im Dezember 2022 bereits ähnliches berichtet. https://tkp.at/2022/12/02/kindeswegnahmen-bei-ungeimpften-und-masken-ablehnenden-eltern/

Letzten Endes wurde meine Haltung – jenseits des genannten Falles – auch hinreichend bestätigt. Sowohl die Gesetzgebung als auch das Verhalten verschiedener Behörden und einzelner Behördenvertreter ist darauf ausgelegt, uns zu gehorsamen Staatsbürgern zu erziehen.

Trotzdem darf man nicht schnell urteilen und medial agieren – nicht zuletzt auch, um den Betroffenen, den Kindern, den bestmöglichen Schutz zu gewährleisten. Durch das Eingreifen einer erfahrenen Sozialarbeiterin, konnte der Anlassfall deeskaliert werden. Wie es in diesem konkreten Fall weitergeht, wird sich zeigen. Aber etwas ist in meinen Augen entscheidend – und diese Forderung richte ich an alle Beteiligten, Ämter, Betreuer, Anwälte, Gerichte und natürlich auch die Eltern:

Alle müssen das Kindeswohl in den Vordergrund stellen. Ausnahmslos!

Ein Nachtrag

Über Telegram erreichte mich ein weiterer Hilferuf einer Mutter aus Norddeutschland, die Probleme mit dem Jugendamt wegen angeblicher Kindeswohlgefährdung aufgrund von Schulabsentismus wegen Masken und anderen Maßnahmen hat.

Die Schulpflicht wird seit Aufhebung der Maßnahmen aber wieder erfüllt. Die Mutter wurde als Reichsbürgerin und Querdenkerin diffamiert und die Gutachterin muss wohl ein widersprüchliches Gutachten erstellt haben. Obwohl das Kind lt. Gutachterin eine sichere Bindung habe, wird der fehlende Impfschutz der Impfkritikerin aber als Anlass genommen, einen dringenden Verdacht der Gefährdung zu sehen und die medizinische Sorge auf einen Amtsvormund zu übertragen und den Besuch von einer freien Schule zu unterbinden.

Auch sie überlegte, medial aktiv zu werden, daher führten wir ein ausführlicheres Telefonat. Nach meinen Interviews – die sich zu diesem Zeitpunkt in der Freigabe befanden – empfahl ich ihr allerdings, den vordergründig kooperativen Weg zu gehen und sich Unterstützung eines auf Kindschaftsrecht spezialisierten Anwalts zu sichern.

Auch wenn sie nicht so begeistert war, da auch für sie das Kindeswohl entscheidend ist, wird sie sich vermutlich an die von mir genannte Anwaltskanzlei wenden. Hier heißt es wohl „Daumen drücken“, dass das Ganze gut ausgeht.

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