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Die EZB hat das Vertrauen verspielt

Published On: 19. Februar 2023 15:01

Die Europäische Zentralbank versucht, möglichst niedrige Inflationserwartungen in der Gesellschaft zu verankern, um Zweitrundeneffekte zu dämpfen. Diese Strategie ist nun futsch.

Das Vertrauen der Bürger in die EZB, dass sie den Geldwert schützt und sie durch die Eindämmung der Inflation vor Einkommensverlusten bewahren kann, ist schwer lädiert. Eine von t-online in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage brachte im Oktober letzten Jahres zutage, dass die Deutschen zum damaligen Zeitpunkt mehrheitlich nicht mehr glaubten, dass die Zinserhöhungen der EZB – entgegen ihrer Behauptung – geeignet waren, etwas gegen die Inflation auszurichten.

Inzwischen trauen sogar die eigenen Mitarbeiter, darunter Fach- und Führungskräfte, der EZB in Sachen Inflationsbekämpfung nicht mehr über den Weg. Einer Umfrage der EZB-Gewerkschaft IPSO zufolge haben sie nur wenig Vertrauen in die Führungsriege rund um ihre Präsidentin Christine Lagarde und das EZB-Direktorium. Fast zwei Drittel der befragten Mitarbeiter zeigten sich hinsichtlich der Fähigkeit der EZB besorgt, sie vor Kaufkraftverlusten zu bewahren. Der Umfrage zufolge gehen die EZB-Mitarbeiter davon aus, dass die für 2023 vereinbarte Gehaltssteigerung von etwa vier Prozent längst nicht zum Inflationsausgleich ausreicht, da es der Zentralbank nicht gelingen wird, die noch immer fast im zweistelligen Bereich liegende Inflation rechtzeitig zu vermindern.

Wie angeschlagen das Vertrauen in die Geldpolitik der EZB auch in der Wirtschaft ist, zeigt eine gerade veröffentlichte Umfrage des Center for Financial Studies (CFS). Demnach sieht ein großer Teil der Fach- und Führungskräfte in der deutschen Finanzbranche eine Mitverantwortung der EZB für die hohen Inflationsraten. Lange sei die EZB untätig geblieben, obwohl viele Marktteilnehmer bereits Mitte 2021 „rechtzeitig vor den Gefahren der Inflation gewarnt hätten und die EZB zum Handeln aufgefordert“ haben, so der Geschäftsführer von Frankfurt Main Finance, Hubertus Väth. Mit Zinserhöhungen hat sie erst in der zweiten Jahreshälfte 2022 reagiert. Jetzt laufe die EZB der Inflation hinterher und müsse erst „wieder Glaubwürdigkeit aufbauen“.

Erwartungsmanagement

Das dürfte der EZB jedoch schwerlich gelingen, denn sie hat das von Seiten der Wirtschaft und der Bürger entgegengebrachte Vertrauen nicht nur enttäuscht, sondern sogar missbraucht. Bisher hat die Strategie der EZB zur Inflationsbekämpfung kaum darauf beruht, den Verbraucherpreisanstieg mit geldpolitischen Mitteln zu bekämpfen. Noch immer, so Bundesbankpräsident Joachim Nagel, sei die EZB mit ihrer Geldpolitik nicht im sogenannten restriktiven Bereich angekommen. Demnach wirkt die Geldpolitik – bei gegenwärtig zweistelligen Inflationsraten und kurzfristigen Leitzinsen von nur 3 Prozent – nachfrage- und inflationsstärkend und nicht etwa -dämpfend. Die EZB hat mit Zinserhöhungen erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahres reagiert und dies erst, als sie infolge des Kursverfalls des Euro gegenüber dem US-Dollar von fast 30 Prozent gar nicht mehr anders konnte.

Anstatt zu handeln, setzt die EZB bei der Inflationsbekämpfung nach wie vor auf Worte. Seit mehr als zwei Jahren baut sie darauf, dass sie die Inflation im Zaum halten kann, indem sie möglichst niedrige Inflationserwartungen in der Gesellschaft verankert. Das Kalkül dabei: Wenn alle Marktteilnehmer, insbesondere Unternehmen und Erwerbstätige, mit einer niedrigen Inflation rechnen, orientieren sie ihre Preis- und Lohnforderungen daran. So werden vor allem diejenigen Marktteilnehmer, denen es ihre Marktposition kaum erlaubt oder die das Risiko scheuen, ihre gestiegenen Kosten vollständig zu überwälzen, bereits erlittene Einkommensverluste eher hinnehmen – in der Erwartung, dass die Inflation unter Kontrolle bleibt. Zudem werden sie auf Preiserhöhungen oder Lohnforderungen verzichten, die oberhalb der von den Zentralbanken prognostizierten Inflationsrate liegen.

Wohlstandsverluste abladen

So versuchen die Zentralbanken in die aktuell laufende Auseinandersetzung darüber einzugreifen, wer vor allem die Lasten der steigenden Energiepreise letztlich tragen wird. Sie erleichtern es den besser positionierten Marktteilnehmern, die Verluste bei anderen abzuladen. So versuchen sie, die von ihnen besonders gefürchteten Zweitrundeneffekte zu dämpfen, und sie wollen dadurch verhindern, dass ihnen der Preisauftrieb aus dem Ruder läuft. Dass es exakt darum geht, hat der Chefökonom der EZB, Phillip R. Lane, vor kurzem erklärt. In Anbetracht aktueller Tarifauseinandersetzungen in ganz Europa warnte er vor seiner Ansicht nach zu hohen Löhnen. Denn um zu niedrigerer Inflation zurückkehren zu können, sei die „Erkenntnis notwendig“, dass „die Rentabilität der Unternehmen sinken“ werde, „und dass die Löhne auch eine Zeit lang nicht mit der Inflation Schritt halten können“.

Das ist ein perfides Spiel der Zentralbanken, denn die damit beabsichtigte Dämpfung von Zweitrundeneffekten geht auf Kosten der schwächeren Marktteilnehmer. Unternehmen und Erwerbstätigengruppen, die in Anbetracht eines knappen Angebots über eine starke Verhandlungsmacht verfügen, lassen sich von den Prognosen der Zentralbanken kaum leiten. Sie setzen Preise und Löhne ihren Möglichkeiten entsprechend durch. Da sich alle anderen Marktteilnehmer jedoch an den Inflationsprognosen orientieren, erleichtert dies den stärkeren Marktteilnehmern, Wohlstandsverluste auf die schwächeren zu überwälzen.

Fehlprognosen am laufenden Band

Der nun beklagte Glaubwürdigkeitsverlust der EZB und das geschwundene Vertrauen in ihre Geldpolitik resultieren daraus, dass die Verlierer der Inflation die in den letzten Jahren erlittenen Einkommensverluste inzwischen schmerzlich spüren. Mit Hilfe der vielen sie stützenden Ökonomen hat die EZB die Marktteilnehmer mit der Verbreitung ihrer unzulänglichen, jeweils zu niedrigen und verharmlosenden Inflationsprognosen immer wieder getäuscht.

Als 2021 der Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat in Deutschland bereits sechs Prozent erreichte, gab die EZB-Präsidentin noch im November Entwarnung. Sie erwarte, dass der von den gestörten Lieferketten ausgehende Preisanstieg „nicht von Dauer sein werde“. Demnach würden sich die Preise auch ohne Zutun der EZB wieder in etwa auf das frühere Niveau einpendeln. Man sei, so das EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel kürzlich gegenüber der F.A.Z., lange Zeit „davon ausgegangen, dass viele Inflationsursachen von allein wieder abklingen“.

Als die Inflation bis zum Juni 2022 an Dynamik und Breite gewann und ohne dass sie Zinsschritte eingeleitet hatte, behauptete die EZB in ihren Prognosen noch immer, die Inflation würde in der Eurozone im Jahresverlauf auf maximal 5,1 Prozent klettern, um bereits 2023 wieder im Bereich des EZB-Inflationsziels von 2,1 Prozent zu liegen. Im Juni 2022 war die EZB gezwungen, ihre Inflationsprognose deutlich anzuheben. Nun erwartete sie für 2022 einen Verbraucherpreisanstieg von 6,8 Prozent und nährte die Erwartungen, dass der Verbraucherpreisanstieg nach 3,5 Prozent 2023 zumindest 2024 auf 1,9 Prozent zurückgehen werde.

In all ihren bisherigen Prognosen hat die EZB den Preisanstieg wesentlich niedriger und weniger anhaltend prognostiziert, als dieser dann tatsächlich eingetreten ist. In ihrer Sitzung vom Dezember letzten Jahres musste sie nun zum wiederholten Mal ihre Inflationsprognose drastisch nach oben revidieren. Nach Leitzinserhöhungen von 3 Prozent seit der zweiten Jahreshälfte 2022 geht die Zentralbank nunmehr davon aus, dass sich der Verbraucherpreisanstieg erst 2025 von den aktuell fast zweistelligen Werten auf 2,3 Prozent zurückbilden wird. Doch wer dieser Prognose vertraut, dürfte erneut enttäuscht werden. Denn sogar Schnabel hat das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels kurz nach der Veröffentlichung in Frage gestellt. Gegenüber der F.A.Z. erklärte sie: Die „Unsicherheit für 2025 ist hoch“, denn die von der EZB genutzten Modelle seien so aufgebaut, dass sie die Inflation immer auf zwei Prozent zurückführen.

Kontrollverlust der EZB

Die Strategie der EZB, niedrige Inflationserwartungen zu verankern, indem sie ihre zu niedrigen Inflationsprognosen in Umlauf bringt, hat dazu beigetragen, die gesellschaftlichen Wohlstandsverluste infolge des steigenden Energiepreisniveaus zu einem erheblichen Teil auf die Erwerbstätigen abzuladen. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, sind die durchschnittlichen Reallöhne seit dem Beginn der Corona-Krise – hauptsächlich inflationsbedingt – gesunken. 2020 lag der Reallohnverlust bei 1,1 Prozent, 2021 bei 0,1 Prozent und betrug infolge der nun deutlich steigenden Inflation im Jahr 2022 bereits 4,1 Prozent. Diese Einkommensverluste fallen in einzelnen Branchen und für bestimmte Arbeitnehmergruppen deutlich höher aus und sie könnten sich nochmals stark erhöhen, sofern sich die Inflationsprognosen, an denen sich die Tarifparteien orientieren, erneut als Makulatur erweisen.

Das würde unter anderem die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie schwer treffen, denn dort mussten die Beschäftigten in den letzten drei Jahren bereits durchschnittliche Reallohnverluste von insgesamt mehr als 10 Prozent hinnehmen. Ein weiterer Reallohnabsturz ist in Sicht: Mit dem im Herbst 2022 erzielten Tarifabschluss steigen die Tariflöhne innerhalb der nächsten 24 Monate nur um insgesamt 8,5 Prozent. Erst im Juni 2023 wird es eine Lohnerhöhung von 5,2 Prozent geben, weitere 3,3 Prozent folgen im Mai 2024 – bei einer aktuellen jährlichen Inflationsrate von knapp 10 Prozent. An diesem Befund ändert auch die über den Zeitraum von 24 Monaten zusätzlich gewährte Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro netto nichts. Zudem wird sie nur einmalig gewährt und wurde ersonnen, um die dauerhafte Erhöhung der Tariflöhne gezielt zu verhindern.

Mit ihren seit mehr als zwei Jahren deutlich zu niedrigen Inflationsprognosen und ihrem Versuch, diese von ihr genährten niedrigen Erwartungen als Mittel der Inflationsbekämpfung einzusetzen, hat die Europäische Zentralbank das Vertrauen von Bürgern und Unternehmen missbraucht und dadurch verspielt. Die EZB taumelt und ihr Zwei-Prozent-Inflationsziel rückt in immer weitere Ferne.


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