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Was kommt nach Putin?

Published On: 6. März 2023 17:11

Michail Chodorkowski stürzt das Putin-Regime und hofft für danach auf ausländische Hilfe

von Thomas Zaugg

©shutterstock/Denis Makarenko

Michail Chodorkowski (2019)

Er war einer der Aufsteiger, die in Russland während der Privatisierungswelle der 1990er-Jahre die wirtschaftliche Macht unter sich aufteilten. Seinen Ölkonzern Yukos inszenierte er als transparentes, westlich orientiertes Vorzeigemodell. Michail Chodorkowski beging dann den Fehler, die Korruption in Putins Staat öffentlich zu kritisieren. Vom Kreml abgefallen, verbrachte er bis 2013 zehn Jahre in russischen Gefängnissen. Heute finanziert Chodorkowski aus seinem Londoner Exil den Widerstand gegen Putin, auch wenn sich nicht alle Oppositionellen mit dem ehemaligen Oligarchen identifizieren können.

Sein neues Buch beschäftigt sich vorauseilend mit der Zeit nach Putin. „Wie man einen Drachen tötet“ ist ein „Handbuch für angehende Revolutionäre“. Dem Regime gibt Chodorkowski noch fünf, vielleicht zehn Jahre. Doch sieht er die Gefahr vor allem in der darauffolgenden Übergangsphase.

Der „Teufelskreis der russischen Geschichte“ bringe immer neue Drachen hervor: Russland sei Stalin losgeworden und in den Stalinismus zurückgefallen, habe Breschnew beseitigt und die Stagnation zurückbekommen. Und obwohl man die zaristische Autokratie gestürzt habe, lebe man hundert Jahre später erneut unter einem autokratischen Regime.

Für ein dezentrales Russland

Der russische Vielvölkerstaat muss vereinheitlichen und zentralisieren, um zusammenzuhalten. Selbst Chodorkowski räumt deshalb ein, dass das jetzige Russland „nur in Form einer brutalen Diktatur“ existieren könne. Dennoch hält er für die Nachfolge Putins das Ideal einer „wahrhaft föderalen parlamentarischen Republik mit einer entwickelten lokalen Selbstverwaltung“ hoch.

Dazu stilisiert er insbesondere Vorbilder aus der Vergangenheit. Vor dem Zarentum und dem dominierenden „Moskauer Ring“ habe es im mittelalterlichen Osteuropa ein von skandinavischen Fernhändlern mitgegründetes Land unabhängiger Städte gegeben – in altisländischen Quellen „Gardariki“ genannt. Damit zieht Chodorkowski nicht zuletzt einen Vergleich mit den europäischen Stadtstaaten.

Für das gesamte Buch sprechend ist denn auch die Parole im Schlusswort: „Wir sind Europäer!“ Die wichtigsten Reformen in der Geschichte des russischen Agrarstaats sieht Chodorkowski von ausländischen Einflüssen geprägt: die Armee, aufgebaut von fremden Spezialisten unter Peter dem Großen an der Wende zum 18. Jahrhundert, oder die Industrietechnologien, mit Verspätung importiert im 19. Jahrhundert. So verspricht sich Chodorkowski auch für die Nach-Putin-Ära viel Hilfe von außen. Er wolle die „fortschrittlichsten Manager“ holen, aber keine „smarten Chicago-Boys“.

Wende, aber wohin?

Genau hier liegt die Schwäche von Chodorkowskis Brevier. Aus ihm spricht fast durchgehend ein urbanes und polyglottes Russland. Die Forderung, den ländlichen Bezirken im Reich ein Stimmrecht zu geben, steht in Kontrast zu Chodorkowskis technokratischen Experten.

Zu wenig erfährt man über Gardariki, dieses historisch entrückte Land der regionalen Vielfalt. Chodorkowski, der eine Zeitlang am Zürichsee Asyl erhielt, hat unlängst auch die Schweiz als Vorbild für das neue Russland bezeichnet. Es klingt nach einem aufgesetzten Idyll, angereichert mit politologischen Versatzstücken.

Zwar zeigt sich der einstige Oligarch geläutert. Die Revolution in Russland müsse mit einer „linken Wende“ einhergehen. Die Ressourcenrente aus den russischen Rohstoffen will Chodorkowski direkt der Bevölkerung zukommen lassen. Doch viele Russen denken zurück an die Krise und den kapitalistischen Schock der 1990er-Jahre, den damals auch Chodorkowski mitausgelöst hat. Sie befürchten hinter einem neuerlichen Umbruch nur den nächsten Drachen.

Michail Chodorkowski

Wie man einen Drachen tötet
Handbuch für angehende Revolutionäre
Aus dem Russischen von Olaf Kühl

Europa Verlag

104 Seiten

Broschur

10,00 Euro

ISBN 978-3-95890-573-3

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