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Erdogans merkwürdige Coolness

Published On: 22. März 2023 14:00

In rund 50 Tagen wird in der Türkei gewählt und für Erdogan sieht es nicht gut aus. Und doch ist er die Ruhe selbst. Stimmt da was nicht?

Der Muttertag ist für die Türkei von immenser Bedeutung. Das ist zwar alle Jahre wieder der Fall, aber dieses Jahr umso mehr, denn es wird gewählt an diesem Tag. Am 14. Mai wird sich entscheiden, ob Erdogan zu seinen 20 Jahren, in denen er die Türkei zum Islam und zur Rückständigkeit in den Köpfen geführt und die Bildung auf Sparflamme gestellt hat, dieses noch einige Nuancen dunkler gestalten kann oder Schluss damit ist.

Die Umfrageergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache, nämlich dass er gegangen werden wird. Die heikle Frage ist, was er sich einfallen lässt, um doch weiter zu regieren.

Wir haben schon viele Wahlen mit ihm als Sieger gesehen und haben Vergleichsmöglichkeiten. Irgendwie ist dieses Mal alles anders. Er ist die Ruhe selbst und aktiven Wahlkampf betreibt er kaum. Umso erstaunlicher wirkt das Ganze, wenn man bedenkt, dass er noch niemals zuvor vor so einem Umfragen-Tief stand. Theoretisch wie praktisch ist seine Wiederwahl unmöglich, eigentlich – wenn er nicht der Erdogan wäre.

Kein Weg zurück zur parlamentarischen Demokratie

Leider ist man nach so vielen Jahren Erdogan dermaßen abgestumpft, dass nicht einmal das Kopfkino abläuft, dass man sich ihn als den Verlierer vorstellen mag. Geht er einfach so, setzt er sich über Nacht ab, oder lässt er durch seine Anhänger Blut fließen, sodass sich bürgerkriegsähnliche Szenen in der Türkei abspielen? Wahrlich kann man sich eines nicht vorstellen, nämlich, dass er die Niederlage akzeptiert und geht. Im Falle einer Niederlage von Erdogan dürften die Flüge aus der Türkei in alle Richtungen ausgebucht sein. Es sind sicher Zehntausende, die die letzten Jahre an seinem System beteiligt waren und Unrecht walten ließen und jetzt die Rache der Sieger fürchten müssen. Die Abrechnung danach ist etwas typisch Türkisches und wenn das nach über zwanzig Jahren Unterbrechung passiert, umso größer und umfassender.

Wenn wir uns schon bildlich nicht vorstellen können, dass er geht, sollten wir vielleicht einige Tage später ansetzen. So um den 25. Mai herum. Die Türkei ist dann vom Krebsgeschwür Erdogan befreit. Der Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu ist der neue Präsident. Die blutigen ersten Tage haben wir hinter uns gebracht, es herrscht Aufbruchsstimmung. Schon wieder ist man blockiert, was das Kopfkino angeht. Was passiert, wenn Kemal Kilicdaroglu zum Präsidenten gewählt wird, aber die Partei von Erdogan, die AKP und die Koalitionspartner, immer noch die stärkste Kraft im Parlament bleiben?

In diesem Fall dürfte Erdogan noch im Lande geblieben sein und die Chancen abwägen, wie er das Rad nochmals zu seinen Gunsten rumreißen kann. Die Vorstellung, dass das Land wieder zur parlamentarischen Demokratie zurückfindet, weg vom Einmann-Regime, würde nicht funktionieren. Auch ich, ein Befürworter der parlamentarischen Demokratie, wäre dann dafür, dass es bei dem derzeit herrschenden Präsidialsystem bleibt. So hätten wir wenigstens einen Demokraten als Präsidenten an der Spitze, der das Wohl des Landes und seiner Bevölkerung als vordergründig betrachtet und keine Machtfantasien auslebt, wie Erdogan das immer tat.

Die Türkei steuert in eine ungewisse Zukunft

Die Türkei wäre dann bei der Schwäche des Präsidenten Kemal Kilicdaroglu, der das Parlament nicht mehrheitlich hinter sich hätte, fast nicht regierbar oder nur schwer. Schon könnte man den nächsten Wahltermin festlegen.

Es gibt für die Türkei nur eine Rettungsformel, um aus dem Schlamassel komplett rauszukommen. Damit meine ich die marode Wirtschaft sowie die Tatsache, dass seit Jahren kein ausländisches Kapital mehr ins Land fließt, die hohe Inflation sowie Arbeitslosigkeit und Armut, die nicht mehr schleichend daher kommt, sondern die Nation voll erfasst hat.

Zurück zur parlamentarischen Demokratie. Ein Fünf-, oder noch besser, Zehnjahreswirtschaftsplan, den man dem Internationalen Währungsfonds IWF vorlegen und für den man ca. 500 Milliarden Euro Kredite bekommen kann, müsste her. Mit weniger ist die Wirtschaft nicht aufzurichten und die Inflation nicht in den Griff zu bekommen. Die Umsetzung der Bedingungen des IWF, die zwangsläufig sehr streng ausfallen würden, würde bedeuten, dass man den Gürtel abermals noch enger schnallen müsste. Das tut man momentan auch, weil die Armut überall präsent ist, nur dann müsste man es, weil es von der IWF-Seite so vorgegeben wäre, denn sonst gibt es kein Geld und keine Rettung für die Wirtschaft.

Wir steuern auf unsichere Zeiten zu in der Türkei. Gespannt darf man sein, wer die Multimillionen und allseits unbeliebten Flüchtlinge zum Wahlkampfthema machen wird. Die Versprechen einiger Politiker, dass sie im Siegesfall die Flüchtlinge dorthin zurückschicken werden, woher sie hergekommen sind, sind nicht durchführbar. Die Gemüter sind erhitzt und die Türkei steuert in eine ungewisse Zukunft, egal wer gewinnen wird.

Ahmet Refii Dener, geb 1958, ist deutsch-türkischer Unternehmensberater, Blogger und Internet-Aktivist aus Unterfranken.

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