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Der Sonntagsfahrer: Die alte Scheune am Ende der Straße

Published On: 16. April 2023 6:15

Die einzige Geisterstadt, die ich bis dahin besichtigt hatte, lag in Death Valley unter dem Meeresspiegel. Dies war die zweite. Und sie hat den unschlagbaren Vorteil, dass man mit dem Auto hinkommt. Vielleicht sollte ich es Sabine so schmackhaft machen.

Wenn es darum geht, dem politischen Jammertal zu entfliehen, gibt es viele Möglichkeiten. Man kann in die Kirche gehen, ins Fußballstadion pilgern, Urlaub machen oder in die Arbeit fliehen. Letzteres scheidet für Achse-Mitarbeiter aber aus, weil man sich hier auftragsgemäß mit dem Herzen der Finsternis, also den politischen Verhältnissen, beschäftigen muss. Das führt zwangsläufig zu einer Einstellung, die auch Ärzten und Krankenschwestern eigen ist. Man muss Anteil nehmen, darf den ganzen Jammer aber auch nicht zu persönlich nehmen, sonst sind die Batterien so schnell leer wie die eines Tesla in einer Winternacht am Polarkreis. Um ein bisschen aufzutanken, gehe ich daher am Abend ganz gerne mit Google-Earth auf die Suche nach alternativen Standorten, sowohl geistig als auch materiell. 

Wobei ich ein festes Prinzip habe: Das Ziel muss mit dem Auto erreichbar sein. Diesen Rat habe ich von einem sehr wohlhabenden Mann angenommen, der unter anderem eine Fluglinie gegründet hat und somit weiß, wovon er redet. Nach meinem Eindruck gibt es beispielsweise in den Ostgauen und im südlichen Italien noch bezahlbare Latifundien, auf denen man sich vor den Blitzattacken irgendwelcher Politkrokodile verstecken kann. Die Ostgaue sind näher, Süditalien ist wärmer, eine lokale Mafia gibt’s in beiden Fällen, aber deren Spielregeln sind deutlich leichter zu befolgen als die Einfälle der ehrenwerten Gesellschaft in Berlin. 

So entdeckte ich im Katalog eines Immobilien-Auktionshauses eine 400 Quadratmeter große Scheune mit Ställen, nicht weit von dem schönen Ort Finsterwalde (der Name ist hier Programm) in der Lausitz. Rund 10.000 Euro betrug das Startgebot. Als derzeitiger Pächter war ein Autoclub angegeben, der eine Jahrespacht von 80 Euro entrichtet. Das Dach war in Ordnung, die Bude also trocken, Strom vorhanden und vor der Tür ein Dixi-Klo. Mehr braucht der Mann von Welt bekanntlich nicht. Da könnte ich einen Wohnwagen hineinstellen und fortan glücklich und genügsam meine Oldtimer und Marotten pflegen.

Ich müsste lediglich Sabine von den Vorteilen des Arrangements überzeugen. Dafür ist aber eine eher homöopathische Herangehensweise erforderlich, also eine sehr allmähliche und einfühlsame Heranführung an neue Lebensumstände, beispielsweise unter Hinweis auf die in der Gegend reichlich vorhandenen Badeseen. Die Information, dass es sich dabei um Hinterlassenschaften des Braunkohleabbaus handelt, müsste ebenfalls zielführend kommuniziert werden: Selbst in schlimmsten Krisenzeiten gibt’s hier immer was zu heizen.

Mein Navigationsgerät spricht leider nicht Sorbisch

Auf einer Rückfahrt von Berlin nach Augsburg wich ich jedenfalls klandestin von der gewohnten Route ab und schlug mich östlich in den dunklen Tann, um das Knusperscheunchen anzusehen. Über sehr schmale Landsträßchen leiteten mich Ortsschilder, die deutsche und sorbische Namen anzeigten, ich befand mich sozusagen im fremdsprachigen Ausland. Mein offenbar des Sorbischen nicht mächtiges Navigationsgerät glänzte mit typisch westlicher Ignoranz und führte mich in die Irre. Ich hielt nach jemandem Ausschau, den ich nach dem Weg fragen könnte. Die Gegend war zwar bewohnt, aber nicht belebt, zumindest am Samstag um 12 Uhr nicht. High Noon im Niemandsland. Das einzige, was sich bewegte, waren Windräder, so hoch wie der Berliner Fernsehturm, aber die konnte ich ja nicht nach dem Weg fragen.

Dann entdeckte ich eine Frau, die in einer dicken Daunenjacke an der Straße entlang gegen den Wind und den Nieselregen anstapfte. Die nette Dame hatte sehr gute Ortskenntnisse. So gut, dass sie mir den Weg zur Scheune sehr ausführlich und in sehr vielen Details schilderte. Als sie fertig war, hatte ich den Anfang bedauerlicherweise schon wieder vergessen. Ich bat sie, doch einfach die grobe Richtung übers platte Land und die ausgedehnten Felder zu zeigen. Das tat sie und zehn Minuten später landete ich in einem kleinen Weiler und parkte schließlich vor der Scheune. 

Das langezogene Gebäude war Teil eines alten Gutshofes, dessen Herrenhaus nicht weit entfernt vor sich hindöste. Davor lagerte ein landwirtschaftlicher Maschinenpark, mit dem man die halbe Ukraine abernten könnte. Wieder kein Mensch zu sehen. Die Fenster des Gutshauses waren zugenagelt. Das gesamte Ensemble erinnerte mich ein wenig an eine Führung durch jenen Teil der Universal Studios, in dem Alfred Hitchcock „Psycho“ gedreht hatte. Ich malte mir unweigerlich aus, wie diese Ortsbesichtigung im Beisein von Sabine verlaufen würde. Und ich beschloss sogleich, es mir lieber nicht vorzustellen.

Kein Lebenszeichen. Aber draußen steht eine Bierbank

In Sichtweite registrierte ich ferner: ein fest abgeschlossenes Kirchlein, eine verlassene Gaststätte und eine Reihe neuer Fertighäuser. Aber auch da keine Zeichen von Leben, nicht einmal eine Gardine wackelte. An der Dorfstraße dann noch ein vereinsamtes Bushäusschen, an dem angeblich zweimal täglich der öffentliche Personennahverkehr vorbeischaut. Die einzige Geisterstadt, die ich bis dahin besichtigt hatte, lag in Death Valley unter dem Meeresspiegel. Dies war die zweite. Und sie hat den unschlagbaren Vorteil, dass man mit dem Auto hinkommt. Vielleicht sollte ich es Sabine so schmackhaft machen.

Ich habe dann beide Hände an die Scheiben der Scheune gehalten und in die Gemächer reingespäht. Große ehemalige Ställe waren zu erkennen, mit gußeisernen Säulen und darüber ein riesiger Dachboden. Der Wind pfiff durchs Gebälk und alle zwei Minuten schlug ein Fenster. Qietsch, Dong. Quietsch, Dong. Sonst nix.

Tatsächlich hat ein Autoclub drinnen sein Lager aufgeschlagen. Prachtstück ist ein schöner Renn-Trabi mit Breitreifen, Überrollkäfig und so. Die Schrauber haben außerdem eine Hebebühne und einen Kanonenofen eingebaut. So lässt sich‘s leben. Aber leider war keiner da. Kein Lebenszeichen. Draußen steht aber eine Bierbank. Vielleicht geht da ja im Sommer der Punk ab. Hier beschwert sich garantiert niemand über laute Musik. Und einen Grill mit Bratwurstschwaden.

Ich beschloss, diese Idylle nicht zu zerstören und nahm von einem Gebot Abstand. Ich würde es weder über Herz bringen, die unbekannten Nutzer dieses Männer-Spielplatzes rauszusetzen, noch ihnen die Pacht zu erhöhen. Vielleicht kann man ja statt dessen Mitglied werden. Aber wo sind die bloß? Ich fuhr davon und stieß nach 20 Minuten auf eine große aber ebenfalls ziemlich einsame Tankstelle. Da sass tatsächlich jemand an der Kasse und verkaufte mir einen Kaffee.

Die Scheune ist ein paar Tage später bei der Online-Versteigerung übrigens für rund 20.000 Euro weggegangen. Ich hoffe, der Autoclub hat zusammengelegt und das Ding selbst gekauft. Falls es euch gibt und ihr das hier lest, Jungs, schickt ein Lebenszeichen. Ich würde gerne mal mit dem Trabi mitfahren. 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.

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