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Lichte Wesen in Dunkeldeutschland

Published On: 2. Juni 2023 14:37

Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck. Mitte der achtziger Jahre war ich mit einer Freundin auf einem Wochenendausflug im Landkreis Lüchow-Dannenberg unterwegs, als mir eine Geschichte einfiel, die mir meine Eltern dreißig Jahre zuvor erzählt hatten. Sie musste sich ganz in der Nähe abgespielt haben, in einem kleinen Nest namens Starrel. Das Dorf, so war es mir berichtet worden, bestand lediglich aus drei Bauernhäusern. Ich wollte ihm seit Jahren einen Besuch abstatten, hatte mich aber nie getraut. Doch jetzt, wo wir schon einmal in der Göhrde rumturnten, konnte ich nicht anders, als das Auto nach Starrel umzulenken. Fünfhundert Meter waren es noch, als die Fahrt erkennbar langsamer wurde, ohne dass ich mich dafür verantwortlich fühlte. Es war, als hätte der Strich/Achter, den ich damals fuhr, auf meinen schneller werdenden Herzschlag reagiert. Nach weiteren vierhundert Metern fuhr der Wagen rechts ran. Da waren sie, die drei im Halbkreis angeordneten Bauernhäuser. Unangetastet und wie aus der Zeit gesprungen. Näher ran zu fahren war mir unmöglich, es fühlte sich an, als würden zwei Magnete aneinander abgleiten.

Die Geschichte

Warum erzähle ich das? Weil ich dort, wo ich jetzt stand, niemals gestanden hätte, wenn es diese eine Familie nicht gegeben hätte, deren Namen ich nicht kannte und von der ich nicht einmal wusste, welches der drei Häuser ihres war. Von der ich nicht wusste, ob sie überhaupt noch existierte. Aber zum Kern der Geschichte. Mein Großvater war Jude, er starb im KZ. Mein Vater war „Halbjude“. Als ruchbar wurde, dass er mit einer Arierin liiert war und sie sogar heiraten wollte, wurde er in Hamburg zur Gestapo bestellt, wo man ihm eine sogenannte „Trennungsauflage“ aushändigte. Sie besagte, dass er meine Mutter nicht mehr sehen, geschweige denn heiraten durfte. Damals war meine Mutter aber bereits mit mir schwanger, was den Behörden auf keinen Fall bekannt werden durfte. Einige Monate später erblickte ich das düstere Licht der Welt. Illegal. Ich musste also versteckt werden, aber wo?

Die Hilfe

Meine Großmutter mütterlicherseits wusste von einer Schulfreundin in der Göhrde, die mit den Nazis nichts am Hut hatte. Also fuhr sie nach Starrel und versuchte herauszufinden, ob sie sich dieser Freundin und ihrem im Krieg schwer verwundeten Mann anvertrauen könnte. Konnte sie. Mit dem Ergebnis, dass mich diese beiden Menschen vierzehn Monate in ihrem Haus versteckt hielten, was den Nachbarsfamilien natürlich verborgen bleiben musste. Das gab es eben auch in Dunkeldeutschland. Und nicht zu knapp. Überall im Land, vor allem in den Großstädten, fanden sich selbstlose „Engel“, die sich in einem Volk von potentiellen Denunzianten kaum vorstellbaren Risiken aussetzten. Mit ihrer Hilfe überlebten tausende Juden den Nazi-Terror – auf Dachböden, in Kellern und Scheunen, hinter aufgebrochenen und wieder zugestellten Mauern.

Die Helden

Dieser Teil der deutschen Geschichte wird kaum erzählt. Das liegt auch daran, weil ein Großteil derjenigen, die ihr Gewissen nicht im Gleichschritt verloren hatten, anonym geblieben sind. Stellvertretend für sie alle möchte ich Michael und Cäcilia Köhldorfner in die Riege meiner Heroes aufnehmen. Am 23. September 2019 wurden die beiden in ihrer oberbayerischen Heimatgemeinde Schnaitsee von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem posthum für die Rettung verfolgter Juden zur Nazizeit geehrt. Die beiden gelten damit offiziell als “Gerechte unter den Völkern”.

Die Rettung

Es war der 3. Mai 1945, wenige Tage vor Kriegsende, als Michael Köhldorfner im alten Sägewerk von Stangern, einem Ortsteil der Gemeinde Schnaitsee, verdächtige Geräusche hörte. Mit der geladenen Pistole kletterte der Zimmerer zum Dachboden hinauf. Die zwei Gestalten, die er dort entdeckte, boten ein Bild des Jammers. „Ich sehe die beiden heute noch vor mir“, erzählt Köhldorfners Sohn Michael, der den Vater als Siebenjähriger auf den Boden begleitet hatte. „Sie trugen nur noch Fetzen am Körper, waren verlaust und zum Skelett abgemagert. Anstelle von Schuhen trugen sie abgeschnittene Zementsäcke an den Füßen, die sie mit Schnüren zugebunden hatten

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Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck. Mitte der achtziger Jahre war ich mit einer Freundin auf einem Wochenendausflug im Landkreis Lüchow-Dannenberg unterwegs, als mir eine Geschichte einfiel, die mir meine Eltern dreißig Jahre zuvor erzählt hatten. Sie musste sich ganz in der Nähe abgespielt haben, in einem kleinen Nest namens Starrel. Das Dorf, so war es mir berichtet worden, bestand lediglich aus drei Bauernhäusern. Ich wollte ihm seit Jahren einen Besuch abstatten, hatte mich aber nie getraut. Doch jetzt, wo wir schon einmal in der Göhrde rumturnten, konnte ich nicht anders, als das Auto nach Starrel umzulenken. Fünfhundert Meter waren es noch, als die Fahrt erkennbar langsamer wurde, ohne dass ich mich dafür verantwortlich fühlte. Es war, als hätte der

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