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Müdigkeit oder Neuanfang: Die massive Ablehnung des Bürgers

Published On: 12. August 2023 19:08

Eine der mysteriösesten Figuren in der Literaturgeschichte ist Bartleby der Schreiber, der in der gleichnamigen Erzählung des amerikanischen Schriftstellers Herman Melville vorkommt. Bartleby, ein Schreibgehilfe, arbeitet in einem dunklen Anwaltsbüro an der Wall Street und hört eines Tages auf, jegliche Arbeit zu verrichten, was seine Vorgesetzten schockiert. Obwohl er weiterhin an seinem Arbeitsplatz bleibt, sitzt er dort nur freudlos herum. Auf alle Bitten und Aufforderungen, wieder kooperativ zu sein, antwortet er stets mit den Worten: „Ich möchte lieber nicht.“

Bartleby galt lange Zeit als groteske Kunstfigur aus Melvilles Phantasie. In den letzten Jahren scheint jedoch der halbanarchische Ausstieg aus der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben immer mehr Nachahmer zu finden, besonders in Deutschland. Die Verweigerung als Form des laut- und hilflosen Protests zeigt sich in verschiedenen Ausprägungen. Zum Beispiel gibt es Hunderttausende von nicht abgegebenen Grundsteuererklärungen, bei denen das umständliche Verfahren nicht mehr als Bürgerpflicht, sondern als Gehorsamsritual einer bürokratischen Überregulierung wahrgenommen wird. In Verbindung mit einer improvisierten Klimaschutzgesetzgebung, die nur Nebenkostenexplosionen verursacht und damit generationenübergreifende Lebenswerke zunichte macht, wächst das Misstrauen gegenüber den Verlautbarungen aus Berlin. Niemand möchte für dieses Land kämpfen.

In einer aktuellen Umfrage zur Verteidigungsbereitschaft für die Souveränität der Bundesrepublik antworteten nur etwa jeder zehnte Befragte, dass er im Ernstfall bereit wäre, zur Waffe zu greifen. Die fehlende Bereitschaft zum Überleben des Gemeinwesens kann nicht allein mit postmodernem Beliebigkeitsdenken erklärt werden, da in einer vergleichbaren finnischen Studie 83 Prozent der Befragten den Willen zum Kampf für ihre Nation bekräftigten. Die staatsbürgerliche Ermüdung, die sich in politischer Orientierungslosigkeit und gesellschaftlicher Desintegration äußert, ist längst ein Phänomen, das alle politischen Lager betrifft. Die steigenden Krankmeldungen deuten darauf hin, dass Arbeitnehmer sich immer weniger mit ihrem Arbeitsplatz identifizieren. Besonders Beamte fallen hier auf, was die fortschreitende Untergrabung der Autorität ihres Dienstherrn zeigt. Die Forderung, auch die letzten Überreste von Wettkampfdenken wie den Bundesjugendspielen zu verbannen, ist nur konsequent. Wenn Leistung nicht mehr gewürdigt, sondern durch zusätzliche Abgabenlast stigmatisiert wird, stellt kaum jemand mehr Produktivität über persönliche Bequemlichkeit. Die demographische Krise, die Schwäche bei Innovationen und die Arbeitsenthaltung in Form von Teilzeit- und Telearbeit weisen den Weg in den sozioökonomischen Abstieg des Landes.

Im Gegenzug zur Verweigerungshaltung lässt sich eine neue deutsche Biedermeiermentalität feststellen. Als Ausweg aus der Entfremdung und als einzige Form der Selbstwirksamkeit wird das Werken im unmittelbaren Umfeld von Familie, Gemüsegarten und virtuellen Scheinwelten entdeckt. Die Passivität der Deutschen wird treffend von Heinrich Heine beschrieben: „Die Römer waren Tyrannenfresser / Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak.“ Der sozialistische Politologe Herbert Marcuse betrachtete die Große Verweigerung als Möglichkeit für einen gesellschaftlichen Wandel. Die kompromisslose Ablehnung von überkommenen Zwängen würde den Weg zu neuen Mitgestaltungsmöglichkeiten ebnen. Auch die Alternative für Deutschland (AfD) sieht im Unmut der Bürger ein riesiges Reservoir an politischem Kapital. Sie nutzt ein Programm der Stärkung des Selbstbewusstseins, um die diffuse Müdigkeit der Marginalisierten in Wut umzuwandeln und die Stimme der Diskursverweigerer zurück in die öffentliche Debatte zu bringen. Das Wahlvolk befindet sich somit zwischen der Betäubung durch Durchhalteparolen der etablierten Politik und Medien und den Empörungsstimulanzien der Opposition. Doch eine Mischung aus beiden kann zu unerwarteten und manchmal toxischen Nebenwirkungen führen.

Insbesondere die AfD übersieht, dass die Gunst der Zermürbten schnell vergehen kann. Die jüngsten Umfrageergebnisse können sich schnell ins Gegenteil verkehren. Nur wenn die Partei aufhört, das ressentimentgeladene Spiel ihrer zahlreichen Gegner mitzuspielen, wird sie als flächendeckende Oppositionsbewegung akzeptiert werden. Dafür muss ihre öffentliche Wahrnehmung von einer grimmigen Bedenkenträgerin zu einer ermutigenden Impulsgeberin für eine dringend benötigte Normalisierung werden. Eine beunruhigende Mobilisierungsrhetorik mit Tötungsphantasien gegenüber der EU, wie sie auf dem letzten Parteitag in Magdeburg geäußert wurde, wirkt dabei kontraproduktiv. Eine koordinierte Zusammenarbeit mit osteuropäischen Staaten könnte der Schlüssel für zukünftige Leitideen sein, die wehrhafte Nationalstaatlichkeit und Traditionsbekenntnis verbinden. Um eine Position der europäischen Autonomie einzunehmen, muss jedoch eine klare Abgrenzung vom außereuropäischen Neoimperialismus Russlands erfolgen.

Die Herausforder

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Ermüdung oder AufbruchDie große Verweigerung des Bürgers

Eine der rätselhaftesten Figuren der Literaturgeschichte ist Bartleby der Schreiber, welcher in der gleichnamigen Erzählung des amerikanischen Schriftstellers Herman Melville auftritt. Der Schreibgehilfe, tätig in einem lichtlosen Anwaltsbüro an der Wall Street, stellt eines Tages zum Entsetzen seiner Vorgesetzten jede Form der Arbeit ein. Zwar verbleibt er weiterhin an seinem Arbeitsplatz, sitzt dort jedoch nur freudlos auf der Stelle. Auf alle Bitten und Aufforderungen, doch wieder ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft zu zeigen, antwortet er stets mit den kryptischen Worten: „Ich möchte lieber nicht.“   Über ein Jahrhundert galt Bartleby als groteskes Kunstprodukt der Melvilleschen Phantasie. Doch in den letzten Jahren scheint der halbanarchische Ausstieg aus der Partizipation am großen Ganzen immer mehr Nachahmer zu finden. Insbesondere Deutschland ist durch die

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